Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

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Solide Köpfe

Im Hausflur des Amtsgerichtes hängt an der Wand eine große schwarze Tafel und auf derselben ist ein Bogen Papier mit roten Oblaten angepappt. Wir können im Augenblick nicht lesen, was darauf geschrieben steht, denn so ein Stücker fünfzehn Bauernburschen stehen davor und probieren, ob sie das Hakelwerk nicht herausbuchstabieren können. Der Vitus vom Lenzbauern in Huglfing bringt es fertig, und wie er mit dem Stecken Zeile für Zeile nachfährt, tut er uns und seinen Freunden den Gefallen und liest es mit lauter und sehr vernehmlicher Stimme vor.

»Sützung – halt a wengl – des Schäfengerüchtes – druckts net so eina – vom 8. Januari. Vitus Kreuzpointner – aha! – und, und – dös kann i net lesen – Gä – Gä . . . – Gänossen hoaßt's – wägen Körperverletzung . . . Auweh Zwick! Dös bin i und die Genossen seids ös! Passts auf, Buam, heunt derlebn wir was, und nix Guats. Heunt geht der schlecht Wind!«

»Mir gfallt's aa scho lang nimmer«, sagt der Oberknecht Hansgirgl, »sitter, dass ich woaß, dass dö Kraglfinger Zeugen macha därfen. Dö werden an abscheuliches Zeugnis ablegn.«

»Ja, und die Ersten san mer aa«, ruft der »Genosse« Anderl, »dös is allamol schlecht. Da ist der Herr Landrichter no frisch gladen.«

»Der Letzte hat no net gschoben«, meint jetzt bedächtig dem Hofbauern sein Ältester; »dös woll ma segn, ob s' uns was macha kinnen; mir san in einer offenbarigen Notwehr befunden gewesen; mei Vata kennt dö Gschicht von frühender her und hat gsagt: Solang mir nix bestehen, is' überhaupt nix bestanden und dö Zeugen werdn ganz oafach verworfa, denen werd nix glabt und außerdem werdn s' überhaupts meineidig gemacht.«

Diese rechtlichen Ausführungen des Hofbauern-Peterl machen viel Eindruck auf die Umstehenden; sie schreiten tapfer in den Sitzungssaal, umgeben von einer dicht gedrängten Schar getreuer Anhänger.

Die Nachhut bildet ein buntscheckiger Haufen Frauen; sie schreiten mit zu Boden gesenkten Köpfen hinter den Burschen in den Gerichtssaal und schieben sich in dem übervollen Zuschauerraum möglichst weit vor.

Geduldig stehen sie auf ihren Plätzen und schauen verwundert aus ihren Kopftücheln heraus auf die ungewohnte Umgebung.

Ihre Gesichter verraten so eine gruselige Neugierde; aber man sieht jeder an, dass sie viel lieber wieder draußen wäre, recht weit weg von dieser unheimlichen Feierlichkeit und den bärbeißigen Gendarmen.

Sie halten jedoch tapfer aus und das ist recht, denn Freud und Leid soll ein liebendes Paar gemeinsam haben; wenn er heute dem gestrengen Herrn Landrichter Red und Antwort geben muss, so ist es billig, dass sie in seiner Nähe weilt und den Anblick genießt, wie der Geliebte vorne beim Gerichtstische steht und verwegen schaut, eingedenk seiner Heldentaten.

Der geneigte Leser weiß wohl bereits, woran er ist und dass er einer von den vielen Gerichtsverhandlungen beiwohnen kann, die sich allwöchentlich als Nachspiele der sonntäglichen Vergnügungen abwickeln.

Ich will aber nicht nach bekannten Mustern Bericht erstatten, was der Vitus, der Anderl, der Peterl und die sämtlichen Hintersassen auf die vielen unangenehmen Fragen geantwortet haben; ich will keine Musterkarte der unzähligen und mannigfaltigen Ausdrücke geben, welche durch ständige Übung und uraltes Herkommen die Sprache bereicherten und die alle miteinander nur den an sich so einfachen Vorgang des Prügelns und Geprügeltwerdens bezeichnen wollen.

Ich verzichte darauf, den wundervollen Bilderreichtum, welchen hierin unsere Sprache besitzt, zu schildern und darzutun, woher es denn eigentlich kommt, dass meine Landsleute für jeden Teil des menschlichen Körpers ebenso wohl eine eigene Art der Verletzung als eine drastische Bezeichnung hierfür kennen.

Also davon will ich nicht reden, sondern von etwas anderem, was gewiss erwähnenswerter ist und was von Rechts wegen schon längst in der Naturgeschichte mit Auszeichnung hätte erwähnt werden müssen.

Ich meine die merkwürdige Beschaffenheit der Köpfe unserer Dorfjugend.

Es gibt heute noch viele gescheite Leute, zum Beispiel Professoren, welche glauben, dass Holz oder Eisen widerstandsfähiger, härter ist als die menschliche Schädeldecke. Das ist nicht richtig. Wenigstens nicht in den gesegneten Gefilden Ober- und Niederbayerns.

Für einen, der hieran zweifeln wollte, ist diese Verhandlung lehrreich; er wird zugeben, dass er hier den stärksten Köpfen unseres Jahrhunderts begegnet ist.

Der Vorsitzende hat soeben den Schöffen erklärt, dass die zu bestrafenden Körperverletzungen mit »gefährlichen Werkzeugen« verübt wurden, und befiehlt dem Gerichtsdiener diese Werkzeuge herbeizuschaffen. Jetzt beginnt im Hausgang ein Poltern und Klirren und Rasseln, dass man meinen könnte, nebenan würde eine Folterkammer oder ein alter Eisenladen ausgeräumt.

Schweren Schrittes erscheint hoch bepackt der Gerichtsdiener und hinter ihm schleift und zerrt sein Gehilfe noch verschiedene Gegenstände, die offenbar einer Ökonomie-Einrichtung angehören und so ziemlich die gesamte »Baumannsfahrnis« eines mäßig begüterten Häuslers darstellen. Die Dinger werden schön gruppiert vor dem Gerichtstisch niedergelegt, und wenn vielleicht jemand im Zuhörerraum der Meinung war, dass eine Versteigerung oder so etwas erfolgen werde, so befand er sich in einem Irrtum.

Dies sind nämlich die »Werkzeuge«, welche unser Vitus, Peterl, Anderl und so weiter in ihrer offenbaren Notwehr benützten um sich nur einigermaßen gegen unvorhergesehene Angriffe zu schützen. Es verlohnt sich wirklich, dieselben näher zu betrachten. Da ist zunächst der Hälfteteil eines Schubkarrengestells, nebendran liegen zwei oder drei Wagscheiteln, ein Hemmschuh mit Sperrkette und Holzteile, die ersichtlich vor nicht langer Zeit zu den Bestandteilen eines Leiterwagens gehörten. An Stalleinrichtung bemerken wir: einen Melkstuhl, den Stiel einer Mistgabel und vier oder fünf Ketten, die sonst zum Anhängen des Rindviehes dienen; daran reihen sich Schwartlinge, Latten, Peitschenstiele und ein abgebrochener Brunnendengel.

Alle diese Gegenstände tragen die Spuren fleißigen Gebrauches. Die Eisenteile haben Beulen und Dellen, was darauf schließen lässt, dass sie mit sehr harten Körpern in Berührung kamen; die Holzteile sind fast alle zerfetzt, an den oberen Enden weich geschlagen und zerquetscht, in Schiefern zerspalten.

Angesichts dieser Waffen hören wir mit wachsender Bewunderung die Anklageschrift verlesen; sie hört sich an wie ein neues Nibelungenlied. Mit diesen eichenen, buchenen und eisernen Wehren haben die grimmigen Huglfinger Helden gestritten gegen die Mannen von Kraglfing und Hiebe ausgeteilt, dass der weite Saal des Unterbräu erdröhnte von ihrem Schall.

Und alles um sie herum ging zugrunde, nichts blieb ganz, kein Krug, keine Bank, kein Stuhl; nur die Köpfe hielten es aus.

Denn, lieber Leser, schau nur hin, wie dort die Kraglfinger Zeugen aufmarschieren; nach dem Gehörten hast du vielleicht gemeint, dass die ganze männliche Jugend von Kraglfing auf das Krankenlager geworfen sei oder sich nur mehr mit Hilfe von Krückstöcken jämmerlich fortbewegen könne. Nichts von alledem ist richtig. Es ist eine wirkliche Freude, ihnen zuzuhören, mit welcher Gleichgültigkeit sie das Ereignis behandeln. Die meisten von ihnen erzählen, dass sie nur ein gewisses Brummen im Schädel verspürten, versichern aber treuherzig, dass sie darauf kein Gewicht legten. Nur zwei oder drei Burschen bestehen darauf, dass sie nach der Affäre beschränkt waren, das heißt arbeitsbeschränkt, denn für das andere wird ja kein Schmerzensgeld bezahlt.

Ihre Wehleidigkeit erregt im Zuhörerraum Entrüstung; es ist nicht recht und wirft ein schiefes Licht auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen, dass sie wegen dem bissel »Sonntagsgaudi« ein solches Getu haben. Das ist eine Schande für die Gemeinde und der Bürgermeister von Kraglfing nimmt sich fest vor, den Burschen ernstlich ins Gewissen zu reden.

Zum Glück sind es bloß ein paar, die sich auf diese Weise blamieren; und so fällt auch die Strafe gegen die Huglfinger Heldenschaft recht gelinde aus – zur großen Zufriedenheit aller Anwesenden.

Die gutmütigen Burschen von Kraglfing hegen nicht den geringsten Groll; sie trösten sich mit dem Zeugengeld und dem fröhlichen Bewusstsein, dass in den heimatlichen Brunnentrögen gar mancher Haselnussstecken im Wasser liegt, um hart zu werden für den demnächstigen Revanchekrieg.

Und du, freundlicher Leser? Gibst du nicht dem alten Gerichtsdiener Schneckel Recht, der beim Wegräumen der Ökonomiegeräte brummt: »Dös hoaßt ma jetzt ›gfährliches Werkzeug‹! Derweil is das ganze Glump hin worden. Schad für das schöne Sach! A ganze Hauseinrichtung und Brautsteuer kunnt ma mit der größten Leichtigkeit auf dö gußeisernen Köpf z'sammschlagen! – Es geht nix über a guate G'sundheit.«


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