Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

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Der Postsekretär im Himmel

Zwei Tage vor Maria Lichtmess wurde der Postsekretär Martin Angermayer zu München von einem echt bayerischen Schlaganfall derartig getroffen, dass er schon nach einer halben Stunde den Geist aufgab.

Seine Seele schickte sich jedoch nicht sogleich zur Reise an, sondern sie gab wohl acht, ob den irdischen Resten auch alle übliche Ehre widerfahre, und zählte und prüfte die Kränze, welche von einigen Verwandten, auch vom Stammtisch im Franziskaner, dem Verkehrsbeamtenverein und seinem Kegelclub gespendet wurden.

Sie bemerkte sodann noch mit Genugtuung, dass der Herr Postrat Leistl beim Begräbnis zugegen war, dass auch die Haushälterin Zenzi in Tränen zerfloss, und sie fuhr gen Himmel, indes ein Quartett des Männergesangsvereins eine erhebende Weise hören ließ.

Da saß nun Sekretär Angermayer im Vorraum des Paradieses und fühlte sich keineswegs so glückselig, wie man es nach den Schilderungen frommer Bücher eigentlich glauben sollte.

Schon dass er nackend war, benahm dem an Ordnung gewöhnten Beamten die Sicherheit und es wollte das Gefühl, ein respektabler Mensch zu sein und auch als solcher zu gelten, nicht recht in ihm aufkommen.

Zudem fröstelte es den an überheizte Büroräume Gewöhnten in dem Luftreich und der Verdacht, dass es von irgendwoher ziehe, quälte ihn nicht minder wie die Unmöglichkeit, jemanden zum Schließen eines Fensters aufforden zu können.

Denn dieser Vorhof des Paradieses war nach drei Seiten hin eigentlich offen, nur vom eigentlichen Himmel trennte ihn eine Wolkenwand und zwischen den wundervollen Säulen, die ihn rings umgaben, konnte freilich die balsamische Luft ungehindert einströmen, desgleichen von oben, da sie kein Dach abhielt.

Angermayer schickte seine Blicke missmutig in das unendliche Blau, das sich über ihm wölbte, und in die rosigen Fernen, die sich zwischen den Säulen auftaten. Diese Unbegrenztheit war ihm fremd, und was ihm fremd war, das war ihm nun einmal zuwider.

Dann stand, seine Unbehaglichkeit zu steigern, eine Menge von Leuten um ihn herum, die sichtlich nicht alle aus Bayern oder gar aus München gekommen waren.

Er konnte im Gegenteil bemerken, dass es Menschen aus aller Herren Länder waren, gelbe, braune, schwarze, Leute mit langen Haaren, wie sie spinnerte Schwabinger tragen, Leute mit buschigem Wollhaar, Leute mit Zöpfen, kurzum zumeist fremdartige Wesen, denen er nie hold gewesen war, und die meisten verdrehten ihre Augen verzückt und selig und benahmen sich auffällig. Jedem einzelnen von ihnen hätte er in den Straßen seiner Heimatstadt verächtlich nachgeschaut unter bissigen Bemerkungen. Jedem hätte er aus seinem Schalter heraus Respekt beigebracht, aber hier, so mitten unter ihnen, war er hilflos und, was das Schlimmste war, er gehörte eigentlich zu ihnen oder schien wenigstens einer von ihnen zu sein. Dann: Zeit seines Lebens war er kein Freund von Kindern gewesen und ihre Unarten, die von nachsichtigen Eltern womöglich noch gepriesen wurden, fielen ihm stets unangenehm auf und er war nie geneigt, ihrer Unerfahrenheit oder ihrer Jugend etwas zugute zu halten.

Hier trippelten sie nun scharenweise vor seinen Augen herum und jauchzten, und niemand war da, der sie mit Strenge zur Ruhe gewiesen hätte, ja, als er einen Bengel, der ihm zu nahe kam, einen ungezogenen Fratz nannte, schüttelte ein langhaariger, fader Kerl, der neben ihm stand, missbilligend den Kopf.

Da drängte sich Angermayer unwirsch durch die Menge und stellte sich hinter eine Säule, um nur das Getue nicht mehr mit ansehen zu müssen.

Seine Gedanken kehrten sehnsüchtig nach der Erde zurück, wo gerade heute, an einem Donnerstag, der Kegelabend stattfinden musste, und er beneidete die Glücklichen um ihr harmloses Vergnügen.

Die Kollegen redeten gewiss von der Überbürdung des Amtes, bekrittelten die Leistungen der Vorgesetzten und erzählten, wie sie diesem und jenem die Meinung gesagt hätten, und sicherlich war auf diese Art die allergemütlichste Unterhaltung im Gange.

Vielleicht würden sie heute auch an ihn denken und wohl gar mit Bedauern seine Abwesenheit bemerken?

Er hatte freilich nicht das meiste zur Fröhlichkeit beigetragen, aber er war immer pünktlich zur Stelle gewesen und hatte sich jederzeit als eifriges Mitglied gezeigt, und wenn auf Zeit und Zustände geschimpft wurde, hatte es nie an seinem Beifall und seiner kräftigen Mitwirkung gefehlt.

Ach ja – München!

Angermayer seufzte tief und der lästerliche Gedanke stieg in ihm auf, wie gerne er sich aus dem Elysium weg nach der bayerischen Hauptstadt versetzen ließe und wie bereit er wäre mit einem Kollegen zu tauschen.

Aber er war schon ein Pechvogel.

Auf Erden hatte man ihn oft übergangen, ihm nie die verdiente Beförderung zuteil werden lassen, und wie er sich dann schimpfend und nörgelnd und doch im Innern zufrieden mit seiner Sekretärstellung abgefunden hatte, musste er weg mitten unter die nackten, ekelhaften Schlawiner hinein . . .

»Angermayer!«

Er fuhr aus seinen Gedanken auf, als er seinen Namen mit einiger Ungeduld rufen hörte, und sah einen großen Engel am Himmelsportal stehen, der ungefähr so aussah wie ein Genius vom Oberammergauer Passionsspiel und der jetzt die Hände vor den Mund hielt und wiederum den schallenden Ruf ertönen ließ:

»Martin – Angermayer aus München!«

»J – ja!«, antwortete missmutig der Sekretär, »was wollen S' denn?«

»Vielleicht ist es Ihnen endlich gefällig, einzutreten?«, schrie der Engel.

»I kumm scho«, knurrte Angermayer und er schob sich langsam durch die Gaffer hindurch, die erstaunt über sein Zögern die Köpfe nach ihm umdrehten und die noch überraschter waren, als sie der Genosse ihrer künftigen Freuden mit groben Ellenbogen beiseite schob.

»Da bin i. Deswegn brauchen S' doch net so plärrn«, sagte der Sekretär zum Engel, der den merkwürdigen Gast mit leuchtenden, kugelrunden Augen maß.

»Ich habe dich mindestens dreimal gerufen«, sprach er dann mit leisem Tadel.

»Von mir aus sechsmal«, erwiderte Angermayer mit einer im langjährigen Schalterdienst erprobten Grobheit und er setzte beinahe feindselig hinzu: »Für die Arbeit werdn Sie wahrscheinlich zahlt werdn.«

»Dein Ton ist ungehörig«, sagte der Engel. »Hier ist ganz und gar nicht der Ort für solche Äußerungen, mein lieber Angermayer.«

»I bin net Eahna Liaber, verstengan Sie mich! Und d' Sau hamm ma aa not net mitanand' ghüat. Und drittens bin i der königlich bayrische Sekretär, des mirken S' Eahna!«

»Das bist du gewesen! Und jetzt bist du eine Seele, und sonst nichts, und hast dich in die Hausordnung zu fügen.«

»Wo is denn Eahna Hausordnung? Wenn Sie a Hausordnung habn, nacha schaugn S' z'erst, dass die Kinder net so umeinandrolzn und lassen S' die Schlawiner da d' Füaß waschn. Dös waar a Hausordnung, verstengan Sie mich, und denen können S' was vazähln von Eahnara Hausordnung, aber net an königlichn Sekretär, der wo seiner Lebtag gwisst hat, was sich ghört . . .«

»Ja, Michael!«, rief es ungeduldig von drinnen.

»Gleich!«, erwiderte der Engel und schob mit einer im Himmel sonst nicht üblichen Energie den streitsüchtigen Sekretär in das Paradies hinein.

Jeder andere wäre geblendet gewesen von dem schier undenkbaren Glanze, der hier strahlend ausgebreitet war, und jeder andere hätte verzückt dem unbeschreiblichen Wohllaut der in der Ferne singenden und musizierende Engel gelauscht.

Allein Angermayer hatte sich schon von allem Anfang an vorgenommen hier nichts so übermäßig schön zu finden, und dann war er von Natur nicht überschwänglich, und dann war er noch verbittert durch seinen Streit mit dem Erzengel.

Also blickte er mürrisch drein und schnitt ein Gesicht, das deutlich fragte: »Is dös alls?«

Vor ihm saß inmitten von schön gelockten Engeln ein unglaublich gütig lächelnder Greis, der eine dunkelblaue Toga trug, in welche goldene Schlüssel eingestickt waren.

Es war der heilige Petrus, der unserm Angermayer nunmehr freundlich zunickte und sagte: »Da bist du ja, mein Sohn! Sei willkommen in unserem Reiche! – Was sagst du?«, fügte er bei, da der Sekretär etwas vor sich hinmurmelte.

»Mich hättn S' schon noch a Zeit lang drunt lassn können. Es hätt ma gar net pressiert«, wiederholte dieser und seine griesgrämige Miene wollte sich nicht aufhellen.

»Aber, Martin!«, rief der Apostel, »du bist der Erste, der an dieser Stelle nicht vor Freude jauchzt.«

»Mit'n Jauchzn hab i's überhaupt net und i waar froh, wenn i drunt mein' Grüabign hätt.«

Petrus wandte sich lächelnd an die Engel, die neben ihm saßen. »Seht da, ein Münchner, der sich erst an den Himmel gewöhnen muss!« Und ernster sagte er zu Angermayer: »Nun geh und freue dich und bedenke, dass manches in deinem armseligen Leben Strafe verdient hätte. Aber es ist dir Mitleid erwiesen worden.«

Der Sekretär merkte am Ton, dass der Heilige als Vorgesetzter gesprochen hatte, und er schwieg.

Ein lebhafter Jüngling mit hüpfendem Gang, der genauso aussah wie einer aus der Schwabinger Stefan-George-Gemeinde, fasste ihn bei der Hand, indem er in singendem Tone sprach: »Komm, seltsamer Geist, ich will dich führen.«

In dem Postsekretär regte sich wohl sogleich die grimmige Abneigung gegen die Art seines Begleiters, aber er war zu niedergedrückt um die rechten Worte zu finden und er schritt griesgrämig und schweigsam neben dem Engel einher.

Der wurde nun gesprächig und erklärte dem Neuling die Grundidee des paradiesischen Lebens.

»Du musst wissen«, sagte er, »dass hier alles auf unendliche Fröhlichkeit gestimmt ist. In den obersten Regionen, wohin wir ja nicht gelangen, befinden sich die erhabenen Geister, welche in fortlaufenden Gesprächen ihrer unbeschreiblichen Freude Ausdruck verleihen. Die Heiligen befinden sich in Verzückung, die Engel musizieren und du hörst ja die erhabenen Klänge des Konzertes, wir andern aber, zu denen du nun auch gehörst, bilden die Heerschar der Seligen und wir haben die Aufgabe, nach unsern bescheidenen Kräften den Eindruck des höchsten Glückes hervorzubringen. Zu diesem Zwecke erhält jeder eine Harfe. – Ich führe dich jetzt zu unserm Obersten, dem Engel Asrael, welcher sie dir verabreichen wird.«

»Was tua denn i mit a Harpfen?«, unterbrach ihn Angermayer sehr unwirsch.

»Du musst frohlocken«, sagte der Begleiter.

»M–hm, ja! Is scho recht! Weil i gar so guat aufglegt bin, und überhaupts – i ko gar net Harfn spieln . . .«

»Du musst nur in die Saiten greifen – siehst du, so . . .«

Der lebhafte Jüngling nahm sein Instrument, das an einem rosaroten Band über seine Schulter hing, und klimperte ein wenig.

Dabei hüpfte er im Takt abwechselnd einige Male auf dem rechten und linken Fuße nach vorne und sang mit näselnder Stimme: »H–a–a–lä–ä–lu–u–jäh . . . Halalala – ha–lälälä–u–u–ha–ha! . . .«

Er hielt inne und blickte den Sekretär lächelnd an.

Der machte ein Gesicht, als wenn er saures Bier getrunken hätte.

»Wia hoaßt ma dös?«

»Das ist das Frohlocken der Heerscharen«, antwortete der Jüngling.

»Und Sie glaub'n«, sagte Angermayer und ein bitterer Hohn spielte um seine Mundwinkel, »Sie glaub'n, dass i bei so was mittua? I? Dös könna S' Eahna ja denkn, dass i umeinand hupf wiar'a spinneter Hanswurscht . . .«

»Deine Sprache ist rau«, erwiderte der Jüngling, »und dein Antlitz zeigt weder Ruhe noch Glückseligkeit, aber bald wird Harmonie dein Wesen verklären . . .«

»Die Sprüch' mag i«, antwortete der erbitterte Postsekretär und nach einer Weile fügte er hinzu: »Sie, passen S' auf, was sind denn Sie früher gwesn?«

»Was ich . . .?«

»Ja, was Sie bei Lebzeitn gwen san?«

»Ach so, als ich noch auf Erden wandelte?«

Und als Angermayer nickte, überflog ein seliges Lächeln der Erinnerung die Züge des lang gelockten Jünglings und er flüsterte mehr als er sprach: »Ich war Lehrer für rhythmische Gymnastik und harmonische Exterikultur.«

»Was is dös?«, brummte sein Begleiter, »dös versteh i net.«

»Ich lehrte die Jugend sich rhythmisch bewegen und . . .«

»Jetzt!«, schrie der Sekretär, »i hab ma's do glei denkt! A Schlawiner, a Tanzmoasta! Und von Eahna soll i was lerna, frohlockn oder so an Schmarrn? Jetzt habn S' Zeit, dass S' Eahana verziahgn, sunst nimm i Eahna d' Harpfen und schlag Eahna umeinand damit . . .«

Der Jüngling entfloh mit einem Schreckensruf und ließ Angermayer allein zurück, mitten in einer mit Lilien bestandenen Wiese, auf die er sich nun hinsetzte, voll innerlichen Zornes über das Schicksal, das einen königlichen Sekretär dazu brachte, nackend im Grünen zu weilen.

Er starrte grimmig vor sich hin und überdachte die Möglichkeiten, von hier zu entrinnen. Da sich ihm keine zeigen wollte und da er sich immer mehr darüber klar wurde, dass seine Versetzung in diese Gegend eine definitive wäre, bestärkte er sich in dem Entschluss, jede Zumutung abzulehnen, die mit seinem Charakter, seinen Neigungen und vor allem mit seiner Beamteneigenschaft nicht in Einklang . . .

Er wurde in seinem Gedankengang unterbrochen.

Zwei riesige Engel ergriffen ihn, jeder bei einem Arm, und entführten ihn so schnell und gewaltsam, dass seine Füße den Boden kaum mehr berührten.

Aber seltsam! Angermayer empfand gegen diese Begleiter weit weniger Widerwillen als gegen jenen sanften Jüngling, und die Gestalten, die Gesichter, die Manieren dieser ungefügen Geister muteten ihm beinahe vertraut an, so dass er trotz der rasenden Schnelligkeit, mit der er vorwärts getrieben wurde, in höflichem Ton zu fragen versuchte:

»Sie entschuldign . . .«

»Halt 's Mau!«, schrie der Engel zur Linken.

»Jeggerl! A Landsmann!«, rief der Angermayer erfreut und machte einen Versuch, stehen zu bleiben, aber er wurde mit unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen und so keuchte er atemlos: »Geh, sagn S' mir doch, wo S' her san?«

»Wennst as schon wissn willst«, brüllte der Engel zur Rechten, »mir warn Klosterhausknecht' in Andechs . . .«

»Jessas, Andechs!«, jauchzte der Sekretär und wunderkühle Nachmittage hinter den Maßkrügen des Bräustüberls fielen ihm ein. Er schnalzte unwillkürlich mit der Zunge.

»Und an Backsteiner und an Radi!«, setzte er die Reihe der seligen Erinnerungen fort.

Mit wie wenig kann ein Mensch doch glücklich sein und zu was brauchte man ein solches Paradies, wenn man es auf Erden hatte!

Sein Herz fühlte sich hingezogen zu diesen groben Geistern.

»Was tuts denn mit mir, Leuteln?«, fragte er beinahe zärtlich.

»Wir geb'n dir nacha scho d' Leuteln!«, sagte der Engel zur Linken.

»Außischmeißn tean ma di«, rief der Engel zur Rechten.

Und kaum waren ihm die Worte entfahren, so fühlte sich Angermaier von einem heftigen Wurf einige Stufen abwärts geschleudert mit dem Kopf in gefrorenen Schnee fahren und tausend Sterne flimmerten vor seinen Augen. Ein Tor fiel donnernd hinter ihm zu. –

Er erwachte von dem Fall und der kühlen Luft, die um ihn strich. Er rieb sich die Augen und sah an sich hinunter mit entzücktem Erstaunen, denn er war bekleidet und er sah um sich und erkannte den lieben alten Rathausturm, dessen beleuchtete Uhr die dritte Morgenstunde zeigte.

Da merkte er froh, dass er im Bräuhaus eingeschlafen war und alles nur geträumt hatte, bis auf den Hinauswurf.

Der war erlebte Wirklichkeit.


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