Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

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Frau W. Käsebier an Frau Kommerzienrat W. Liekefett in Neukölln.

Venezia, 14 febbraio.

My Darling!

Gestern noch in Verona und heute sind wir schon in der lagunenumrauschten Königin der Meere! Welch ungeheure Eindrücke ziehen hier doch in raschem Wechsel an uns vorüber! Hier spricht ja jeder Stein zu dem Gebildeten und man kommt aus der künstlerischen Erregung ja eigentlich nie heraus.

In Verona hat mich am meisten das Grab von Romeo und Julia interessiert. Zu denken, dass man hier an der Ruhestätte dieser beiden Unglücklichen steht, deren Schicksal uns so sehr gerührt hat, und dass vielleicht ganz in der Nähe jener Palazzo ist, auf dessen Balkon das liebeglühende Mädchen sprach: It was the nightingale and not the lark!

Gott, wie man hier diese Poesie erst so recht versteht! Eigentlich müsste man mit Moissi hier sein.

Findest du nicht auch, dass er in der letzten Zeit schlanker geworden ist? Thiedemanns erzählen, dass er müllert, aber Silberstein hat mir versichert, dass er die Fletcher-Kur gebraucht.

Jedenfalls, es wäre wundervoll, wenn er hier auf einer Strickleiter vom Balkon eines Palazzo herunterstiege.

So bevölkert unsere Phantasie auch die toten Gebäude mit den Gestalten der Dichtung.

Von Verona sind wir im direttissimo hierher gefahren.

Meyer hat es uns zwar zur Pflicht gemacht, dass wir in Vicenza aussteigen um die dortige Architektur zu sehen, aber Fritz sagte, wir hätten genug zu tun, wenn wir die eigentlichen Clous kennen lernen wollten.

Und Kunstgelehrte haben doch alle einen Vogel. Findest du nicht auch?

In Venezia sind wir am Bahnhof sogleich in eine gondola gestiegen und nach dem Hotel gefahren.

Gott, wie mir da zumute war! So romantisch!

Ich müsste immer an ein Lied denken, das man früher oft hörte, mit dem Refrain: »So singt der Gondoliere« oder so ähnlich. Aber eigentlich war es eine Enttäuschung, die Gondel nämlich und der Gondoliere. Ich dachte mir die Leute viel pittoresker, als schlanke Jünglinge mit silberbestickten violetten Schuhen usw. So sahen sie nun nicht aus.

Ach, Darling, unsere Phantasie spiegelt uns doch so manches viel malerischer vor!

Für heute Schluss! Wir sollen noch eine serenata auf dem Canal Grande hören.

Addio, carissima mia! Tanti saluti! Tausend Grüße und Küsse!

Deine Mathilde.

Was sagst du zu meinem Italienisch? Krauses haben uns geschrieben, dass der junge Silberstein allgemein als pervers gilt. Glaubst du es? Gott, wie schrecklich!


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