Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

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Frau M. Käsebier an Frau Kommerzienrat Wilhelmine Liekefett in Neukölln,

Firenze, 1 marzo.

Darling!

Gestern noch wollte ich dir auf deinen Brief antworten, in dem du mir Glück wünschtest zu meinen Erfolgen in der Florentiner Gesellschaft, aber deine Worte rührten aufs Neue meinen Schmerz auf und ich brachte es nicht über mich, dir das Schrecklichste mitzuteilen.

Was ist das Leben? Was ist unser Glaube an alles Gute und Schöne?

Ich bin so grausam enttäuscht, dass ich den Glauben an die Menschheit definitiv verloren habe, und nie, nie mehr werde ich jenes harmlose Vertrauen auf die edlen Seiten der menschlichen Natur zurückgewinnen.

Denke dir – nein, die Feder sträubt sich es hinzuschreiben – dieser Bonciani – oder nein, er heißt ja nicht so, er ist aus Belgrad und soll sich Gregorowitsch nennen – jedenfalls ist er Dieb und Hochstapler in einer Person.

Wie kann man sich so täuschen! Allerdings, er hatte Manieren, wie sie nur bei den upper ten thousand vorkommen, und er soll ja auch aus einer serbischen Adelsfamilie stammen, aber dennoch –!

Er hatte es auf meinen Schmuck abgesehen, der ja nicht in seine Hände gefallen ist, aber das Erwachen aus diesem Traum war doch fürchterlich!

Erlasse mir die ausführliche Schilderung, Darling, meine Seele ist wund und du kennst ja Fritz und weißt darum, dass er nicht das Zartgefühl hat meine Empfindungen zu schonen!

Ach!

Kurz und gut, am Tage vor der Gesellschaft bei Orsini, oder richtiger vor dem Feste, das der Nichtswürdige mir vorgetäuscht hatte, wurde er als Dieb entlarvt und festgenommen und ich muss noch froh sein, dass der Hotelier von der fälschlichen Einladung bei Orsini nichts sagte und dass er auf meine Bitte hin darüber Schweigen bewahren will, sonst würde ich – es ist fürchterlich auszudenken – als Zeugin vor Gericht kommen.

Dieses Schrecklichste wenigstens scheint mir erspart zu bleiben. Es ist ja genug, dass Fritz mit einer wahren Freude in meiner Wunde wühlt und diese willkommene Gelegenheit benützt um seine wirklich niedrigen Ansichten triumphierend zu verkünden.

Es soll uns nun einmal nicht beschieden sein, die Ideale hochzuhalten und alles Erhabene muss in den Kot gezogen werden.

Lass mich schließen, Darling. Du verstehst mich und meinen Schmerz und das ist mir eine Beruhigung in diesen trüben Tagen. Wir reisen morgen nach Roma und vielleicht lässt mich der Anblick der Ewigen Stadt diese Erlebnisse vergessen.

Die Kunst ist doch die einzige, nie versiegende Quelle der reinen Freuden und meine Begeisterung für sie wird trotz aller hämischen Bemerkungen erst recht wieder emporlodern.

Ich nehme Abschied von Florenz, an das sich für mich eine so unsäglich bittere Erinnerung knüpft, und schicke dir tausend, tausend Grüße und Küsse.

Deine tieftraurige Mathilde.


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