Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

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Käsebiers Italienreise

Fabrikant Friedrich Wilhelm Käsebier aus Charlottenburg, seine Frau Mathilde und seine Tochter Lilly konnten endlich die längst ersehnte Reise nach dem sonnigen Süden antreten.

Sie fuhren über München und Innsbruck nach Verona und wir wollen sie ihre tiefen Eindrücke von hier ab selbst schildern lassen.

1

Frau Mathilde Käsebier an Frau Kommerzienrat Wilhelmine Liekefett in Neukölln.

Verona, 12 febbraio.

My Darling!

Italia! Fühlst du nicht auch den ganzen Zauber, den dieses Wort auf jeden Gebildeten ausübt? Ich kann dir nur sagen, dass ich es kaum erwarten konnte, bis sich endlich der ewig blaue Himmel über uns wölbte. Mein Mann, der doch gewiss nicht allzu sensibel ist, rief schon in Kufstein: »Kinder, ich rieche schon den Süden«.

Und Lilly machte so große Augen wie ein Kind und ich konnte kaum einschlafen.

Denke dir nur, vor Ala erwachte ich von einem melodischen Geräusch und ich weckte Fritz und wir glaubten beide, es sei eine Flöte. Ich sagte noch, es ist gewiss ein Hirte, der seine Ziegen zur Weide treibt und eine alte Weise dazu bläst. Und ich malte ihn mir aus mit einem spitzen Hut und roten Bändern, wie man es doch öfter auf Bildern sieht. Aber als Fritz den Vorhang hochzog, war es noch dunkel und der Ton kam von der Dachrinne auf unserem Waggon. Es regnete nämlich. Das war freilich eine Enttäuschung, aber es ist doch schön, wenn die Phantasie so frei zu schweifen vermag und wenn man sich eigentlich nur Poesievolles zu denken vermag.

In Verona kamen wir ziemlich früh an und es war ein schrecklicher Lärm auf dem Bahnhof. Ich dachte gleich an deine Mahnung und gab sehr Acht, dass der facchino unsere Gepäcke auch richtig an den Wagen brachte. Aber Fritz bekam zwei falsche Lire, als ihm der facchino herausgab.

Es ist doch zu traurig, dass ein so herrliches Land solche Zustände hat!

Addio für heute, Darling! Ich küsse dich tausendmal

als deine überglückliche Mathilde.

P. S. Im Tearoom unseres Hotels sah ich gestern eine englische Lady in einer Abendtoilette von rosa-gold gemustertem Brokat mit rosa Liberty und hellgrüner Tüllspitze. Das Kleid gefiel mir entschieden besser als das von Frau Thiedemann. Du weißt doch, der doppelt drapierte Rock mit Frackjacke und Kimonoärmeln.

Nochmals Grüße und Küsse!
Evviva la bella Italia!


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