Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

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Die Halsen-Buben

»Beim Halsen« heißt ein schöner Hof in Lenggries. In den sechziger Jahren hauste darauf der Quirinus Gerold mit seiner Frau und zwei Söhnen.

Er war ein wohlhabender Mann, dem bares Geld im Kasten lag und der wohl an die vierzig Stück Jungvieh zu Almen trieb.

Seine Söhne, der Halsen-Toni und der Blasi, waren im ganzen Isartal bekannt wegen ihrer Kraft und Verwegenheit.

Sie waren von gutem Schlag, hoch gewachsene und breitbrustige Burschen. Und flink und lustig dazu. Es hätte ihnen jeder eine vergnügliche Zukunft voraussagen mögen; sie ist ihnen aber nicht geworden.

Denn alle zwei sind in jungen Jahren gefallen von Jägershand und sie starben im grünen Wald.

Zuerst der Blasi.

Das war im Jahre 1869 gegen den Herbst zu.

Da ist den Jägern in der Vorderriß eine Botschaft zugekommen, dass zur Nachtzeit ein Floß mit Wilderern und ihrer Beute die Isar herunterkommen werde.

Wie es auf den Abend zuging, sind die Jagdgehilfen von ihren Reviergängen heimgekommen und haben sich recht auffällig in der Wirtsstube des Forsthauses bei Essen und Trinken gütlich getan.

Denn es waren, wie immer, Flößer und Holzknechte als Gäste da und vielleicht die meisten von ihnen waren Spießgesellen der Wilddiebe.

Darum haben sich die Jäger nichts anmerken lassen.

Nach ein paar Stunden sind sie einzeln aufgebrochen und haben sich freundlich gute Nacht gewunschen, als wollte sich jeder friedlich aufs Ohr legen.

Auch die Flößer und Holzknechte haben sich entfernt; sie gingen in die Sägmühle, wo sie auf dem Heu übernachten wollten.

Die Lichter in der Wirtsstube sind ausgelöscht worden und das Forsthaus lag still und verschlafen in der finsteren Nacht.

Hinter einem Fenster des oberen Stockes brannte noch ein kleines Licht.

Denn die Frau Oberförster lag gerade um dieselbige Zeit in den Wehen und die Tölzer Hebamme wachte bei ihr.

Hie und da steckte der lange Herr Oberförster seinen Kopf zur Türe herein und fragte mit leiser Stimme, wie es um die Frau stünde.

Er machte ein ernstes Gesicht, denn diese Nacht quälten ihn manche Sorgen.

Wenn ihn die Hebamme beruhigte, ging er mit langen Schritten an das Gangfenster und lugte scharf in die Nacht hinaus.

Er sah etwas Dunkles auf der abschüssigen Wiese, die gegen die Isar hinunterführt. Das bewegte sich rasch und verschwand.

Einer von den Jagdgehilfen, die sich vorsichtig an den Fluss pirschten.

Eine Stunde und mehr verstrich.

Es war eine feierliche Stille, wie immer in dieser Einsamkeit.

Man hörte nichts als das Rauschen des Wassers.

Da blitzte auf einmal in der Sägemühle ein Licht auf und verschwand wieder, kam noch zweimal und erlosch.

Das war ein Zeichen und alle scharfen Jägeraugen, die an der Isar wachten, erkannten es.

Einen Büchsenschuss oder zwei flussaufwärts liegt ein einsamer Bauernhof.

Man heißt es beim Ochsensitzer.

Da wurde jetzt auch ein Fenster hell, dreimal in gleichen Abständen.

»Bande, verfluchte!«, brummte der Jagdgehilfe Glasl, der keine hundert Schritte davon entfernt hinter einer Fichte stand. »I hab's wohl gwisst, dass die wieder dabei sind.«

Und er horchte angestrengt in die Nacht hinaus.

Es war nichts zu hören und lange war auch nichts zu sehen.

Da kam der Mond über die Berge herüber. Sein flimmerndes Licht fiel auf den Fluss, immer länger dehnte sich der glitzernde Streifen aus und er ging in die Breite, bis zuletzt das ganze Tal angefüllt war von seinem Glanz.

Und jetzt konnte man einen Schatten sehen, der in der Mitte des Flusses mit Schnelligkeit dahinglitt.

Das waren sie.

Glasl fasste sein Gewehr fester und zog den Hahn über.

Das Floß kam näher.

Man hörte das Eintauchen des großen Steuerruders und eine verhaltende Stimme rief: »Besser rechts haltn, Dammerl! Besser rechts! Wir treibn z' nah zuawi.«

Glasl ließ das Floß vorbeigleiten und stellte sich so, dass er gegen den Mond sah.

Die Umrisse der an den Rudern Stehenden hoben sich vom lichten Hintergrund ab und der Jagdgehilfe konnte mit einiger Genauigkeit das Visier nehmen.

Er zielte kurz und feuerte.

Knapp und scharf antwortete das Echo auf den Schuss, dann brach sich der Hall und grollte das Tal entlang. Und weckte den schlafenden Wald. Wildtauben flogen auf und Krähen schimpften.

Vom Wasser her kam ein unterdrückter Schrei und ein kräftiger Fluch.

»'s werd eppa'r oan grissen hamm«, brummte der Glasl und schaute dem Floß nach.

Das fuhr mit unverminderter Schnelligkeit weiter.

Aber jetzt, ein, zwei, vier Schüsse; und wieder einer und wieder ein paar.

Da blitzte es auf, dort brach ein Feuerstrahl aus dem Wald.

Ein paar Kugeln schlugen klatschend ins Wasser, aber andere trafen das Ziel.

»Warts, Lumpen!«, lachte der Glasl. »Heunt habts a schlechts Wetter dawischt.«

Und er schoss den zweiten Lauf ab.

Die Wilderer antworteten auch mit Pulver und Blei.

Aber sie schossen nur aufs Geratewohl, während sie selber ein gutes Ziel boten.

Dazu mussten sie Acht haben auf die starke Strömung und die Felsblöcke, welche hier zahlreich aus dem Wasser ragen.

Sie hielten stark an das rechte Ufer hin und glitten unter der Brücke durch.

Wie das Floß nun in einer Linie mit der Sägmühle war, stellten die Jäger das Feuern ein.

Der Glasl Thomas hatte sein Gewehr wieder geladen und schlich von Baum zu Baum das Ufer abwärts.

Er gab wohl Acht, dass er nicht in das Mondlicht hinaustrat, damit ihn kein spähendes Auge erblicken konnte.

Nach einiger Zeit machte er halt und ahmte den Ruf der Eule nach.

Ein ähnlicher Laut antwortete ihm und bald stand er in guter Deckung neben dem Jagdgehilfen Florian Heiß.

»Kreuz Teufi«, sagte Glasl und lachte still in sich hinein. »Flori, dösmal is was ganga.«

»Net z' weni«, erwiderte Heiß. »Bei dein' erstn Schuss hat's oan gnumma.«

»I hätt's aa gmoant.«

»Ganz gwiss. Ich hab's gsehgn. Den Lackl am Ruader hint' hast 'naufbelzt.«

»Auf den hon i aa gschossen«, sagte Glasl; »aber es wern no mehra troffen sei'.«

»Was lasst si sag'n? De Lumpn hamm viel Wildprat am Floß ghabt und da wern sie si fleißi dahinter einiduckt hamm.«

»Mein' zwoatn Schuss hab i eahna da Längs nach einipfiffa. Vielleicht hat der aa no a bissei was to.«

»Recht waar's scho«, gab Heiß zurück.

»Was tean mir jetzt?«

»Steh' bleibn a Zeit lang, nacha pürschn mir uns hinterm Ochsensitzer umi und gengan übern Steg. An der Bruckn obn derfn mir uns net sehgn lassen.«

Sie blieben schweigend stehen.

Nach einer Weile stieß Glasl seinen Kameraden an. »Da schaug abi!«

In der Sägmühle flammte ein Licht auf und erschien bald an dem einen, bald an dem anderen Fenster.

»In der Sag sans' wach wordn«, flüsterte Heiß.

»De hamm heut no net gschlafa, de Tropfn«, erwiderte Glasl.

»Jetzt gengan mir.«

Sie pirschten leise weg in den Hochwald.

 

Im Forsthaus war große Aufregung.

Die Schüsse hatten das Haus geweckt; die Dienstboten waren aufgestanden und hinausgeeilt. In der Schlafkammer stellte sich die Hebamme erschrocken ans Fenster und horchte furchtsam auf den Lärm.

Die Frau Oberförster richtete sich unruhig im Bett auf.

»Was is? Was gibt's?«

»Nix, nix.«

»Hat's net geschossen?«

»Na, Frau Oberförster, da hamm S' Ihnen täuscht.«

Die werdende Mutter ließ sich beschwichtigen; die müden Augen fielen ihr zu.

Da tönte wieder vom Fluss herauf ein scharfer Knall und Schuss auf Schuss.

»Um Gottes willen!« Die Oberförsterin fuhr auf. »Wo is mein Mann?«

»Regen S' Ihnen net auf, Frau Oberförster! Er is' daheim. Er is' halt im Bett.«

»Er is' drunten!«

»Wo?«

»An der Isar. Ganz gwiss, er is drunten!«

»Geh, geh! Was is denn?«, sagte eine tiefe Stimme und der Oberförster trat in das Zimmer.

»Bist da, Max? Gott sei Lob und Dank!« Die Frau streckte ihm ihre Hand entgegen und ihre Augen leuchteten. »Weil nur du da bist!«

»Aber was hast denn, Mamale?«

»Ich hab so Angst ghabt. So Angst. Gelt, du gehst net weg?«

»I bleib scho bei dir.«

»Wer schießt denn da?«

»Ah, deswegn brauchst dich net kümmern. Der Ochsensitzer hat sich beschwert, dass die Hirschn alle Nacht in seiner Wiesen sind. Jetzt hab i s' heut vertreibn lassen.«

»Max!«

»Was?«

»Warum bist du heut noch ganz anzogn?«

»Der Kontrolleur von der Hinterriß war da. Mir sind a bissel länger sitzen bliebn.«

»Jetzt gehst aber ins Bett? Gelt?«

»Ja, ich hab Schlaf. Aber hast du kein Angst mehr?«

»Nein.«

»Wegn dem dummen Schießen?«

»Nein!«

»Ich hab gmeint, sie vertreibn de Hirsch' a so. Ich hab net denkt, dass gschossen werdn soll.«

»Das macht nix. Ich bin schon wieder ruhig.«

»Dann gut Nacht, Mamale!«

»Gut Nacht, Max!«

Der Oberförster zog die Türe leise hinter sich zu und blieb horchend stehen.

Er schlich auf den Fußspitzen die Stiege hinunter und gab Acht, dass keine Stufe knarrte.

An der Haustüre kam ihm ein Bursche entgegen. »Herr Oberförster!«

»Red staad, Kerl!«

»Sie möchtn in d' Sag abi kemma. Es is an Unglück gschehgn.«

»Wem?«

»A so halt.«

»Dös erzählst mir im 'nuntergehn. Komm no glei mit!«

»I möcht gern . . .«

»Nix. Du gehst mit mir! Mit meine Dienstbotn hast du net z' reden!«

Sie schritten in die Nacht hinaus und gingen zur Säge hinunter.

Der Bursche voran.

»Also, was is?«, fragte der Oberförster.

»I hab mir denkt, Sie wissen's scho.«

»Was soll ich wissen?«

»No ja. A so halt.«

»Wennsd' net redn magst, lass' bleibn. Hat di der Müller gschickt?«

»Ja.«

Sie waren vor der Säge angekommen.

Die Haustüre stand offen und aus einem Zimmer drang matter Lichtschein in den Gang hinaus.

Man hörte flüstern, dann setzten zwei weibliche Stimmen mit Beten ein.

Der Oberförster trat näher.

In der Mitte der Stube war auf zwei Stühlen die Leiche eines jungen Mannes aufgebahrt, der Kopf lag auf einem mit Heu gefüllten Sack gebettet.

Die erkalteten Hände hatte man zusammengelegt und darein ein kleines Kreuz gesteckt.

Es war ein unheimlicher Anblick in dem halbdunklen Raum.

Der Oberförster sah auf das wachsgelbe Gesicht des Toten; es mochte hübsch und männlich gewesen sein; jetzt trug es die entstellenden Spuren eines gewaltsamen Endes und war schmerzlich verzogen.

»Wer is das, Mutter?«, fragte der Oberförster.

»Der Halsen-Blasi, dem Halsen von Lenggries sein Ältester.«

»Wie kommt der zu euch?«

»Seine Kameradn hamm an abgliefert.«

»Wann?«

»Voring. Mit'n Floß san s' kemma.«

»San s' no da?«

»Na, na! Sie san glei weitergfahrn.«

»Warum hast du mich holen lassen?«

»Es is no oaner bei mir. Der brauchat a Hilf.« Die Mutter deutete mit dem Daumen auf die Nebenstube.

Der Oberförster ging hinein.

Da lag ein Mann auf dem Boden, in eine grobe Kotze gehüllt; unter den Kopf hatte man ihm ein Kissen geschoben.

Er wandte sein blasses, von einem starken Bart umrahmtes Gesicht dem Eintretenden zu.

»Wo fehlt's?«, fragte der Oberförster.

»Er is schwar gschossen oberm rechtn Knia«, sagte der Müller.

Und der Verwundete nickte zur Bestätigung.

»Is er verbund'n?«

»Sell wohl. Und an Einschuss hamm ma mit Pulver eigriebn, dass 's Bluatn aufghört hat.«

»Ja, der muss zum Doktor; so schnell wie möglich. I schick glei nach Lenggries.«

Der Verwundete schüttelte abwehrend den Kopf.

Dann sagte er mit schwacher Stimme: »Vergelt's Gott, aber mir waar's liaba, wann S' mi selber auf Lenggries bringet'n. Na waar i dahoam.«

»Ja, haltst de Fahrt aus? Tuat's dir net z' weh?«

»Na; i halt's scho aus. I möcht hoam.«

»Er is jung verheiret«, sagte der Müller.

»Ich leih ihm mein Wag'n. Recht gern; ihr müaßts 'n halt mit der Tragbahr zum Weg 'naufbringen«.

»Jawohl, Herr Oberförster. Und vergelt's Gott dafür.«

»Wer is denn der arme Teufel?«

»Der Hagn-Anderl von Lenggries.«

»Er werd hoffentli wieder gsund wern«, sagte der lange Forstmann und nickte dem Verwundeten zu.

Der schaute ihm verwundert und dankbar nach.

So menschlich geht es nicht immer zu unter Todfeinden.

 

Ein paar Stunden später fuhr der Hagn-Anderl in weiche Betten gehüllt und gegen die Kälte geschützt auf Lenggries zu.

Die Pferde gingen im Schritt und der Knecht gab Obacht, dass der Wagen nicht über grobe Steine fuhr.

Hinterdrein kam ein anderes Fuhrwerk; ein Leiterwagen und darauf in Säcke eingenäht der Halsen-Blasi.

Und der hat kein Schütteln und Rütteln mehr gespürt.

Er ist mit vielen Ehren in Lenggries begraben worden; von weit her sind die Leute zum Leichenbegängnis gekommen.

Es ist ihm nachgerühmt worden, dass er so oft auf freier Pirsch war und seine Büchse in allen Revieren ringsherum krachen ließ; und dass er nun starb wie ein rechter Wildschütz.

Die Burschen schworen, sie wollten es den Jägern heimzahlen; und der Bruder des Gefallenen, der Halsen-Toni, sagte, mehr wie ein Grüner müsse dafür hingelegt werden.

Er ist aber selber ein paar Jahre später von einer Kugel getroffen worden.

Das erzähle ich ein anderes Mal.


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