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XXV.

Wenige Wochen nach diesen Tagen waren die Kinder vom Köbinghof noch einmal in ihrer alten Heimat versammelt.

Rütjer Thoren und Maria Terhalden hatten eine stille Hochzeit gefeiert, zu der sie niemanden eingeladen. In Marias enger Häuslichkeit hatten sie die ersten Tage ihres neuen Lebens erlebt, in weltabgeschiedenem, stillem, gesammeltem Glück, in der Ruhe seliger Erfüllungen. Dann hatte Maria ihren Hausstand aufgelöst und alle ihre Sachen nach dem Köbinghof zurückgeschickt. Da wurden sie wieder hingestellt, wie sie immer gestanden hatten. Da sollten sie stehen bleiben, bis der nunmehrige Besitzer, der kleine Arne, sie benutzen würde. Rütjer Thoren hatte das selbst so gewünscht. Und er selbst wünschte, daß sie beide mit den Kindern ein paar Tage auf dem Köbinghof zubrächten, ehe sie in der Thorenburg einzogen.

Maria hatte sich gesträubt.

»Das kann ich nicht,« hatte sie gesagt. »Es ist zu früh.«

Da hatte er sie ernst und durchdringend angeblickt.

»Kannst du immer noch nicht der Vergangenheit ins Gesicht sehen?«

Und Maria hatte sich geschämt.

»Doch. Mit dir kann ich es. Mit dir kann ich alles.«

Und sie hatte es gekonnt. Sie hatte diese letzte Probe auf die Festigkeit ihres Herzens bestanden.

Sie hatten die Geschwister gebeten, einen Tag dort mit ihnen zu verleben – als Entschädigung für die Hochzeitseinladung, die sie ihnen schuldig geblieben waren. Auch das hatte Rütjer Thoren gewünscht. Auch dagegen hatte sich Maria gesträubt.

»Es ist zu früh. Bedenke, wie schmerzlich es ihnen sein muß, dich da zu sehen, auf dem Köbinghof, neben mir, an der Stelle eines andern!«

Auch diese Einwände ließ Rütjer Thoren nicht gelten.

»Haben wir irgend etwas getan, dessen wir uns zu schämen brauchten? Hast du nicht den Mut, dich zu mir zu bekennen vor ihnen?«

Auch hierin hatte Maria nachgegeben. Aber im stillen dachte sie: sie werden nicht kommen.

Und sie waren doch gekommen; Maren und Hille, und Jörg und Axel. Die Beklommenheit, die anfangs über dem Beisammensein lastete, war bald gewichen. Rütjer Thoren schlug sie alle in den Bann seiner Persönlichkeit; Maria überwand sie alle durch ihre stille, bescheidene Güte, durch ihre hoheitsvolle Selbstverständlichkeit.

Am nützlichsten erwies sich Hille. Sie war voll neugieriger Aufregung, voll freudiger Zustimmung; sie ließ keine Sentimentalitäten, keine Zurückhaltung gelten.

»Das ist ja die glücklichste Lösung, die es geben konnte,« flüsterte sie Maren zu, über deren Schwerfälligkeit in der Auffassung all dieser Ereignisse sie sich schon den ganzen Tag geärgert hatte. »Der Köbinghof gehört wieder einem Terhalden – das ist doch für uns das Wichtigste. Und Maria wollen wir das Glück doch gönnen. Es kam ja ein bißchen schnell – aber wir wissen ja nun so ungefähr, warum. Sie hat ja doch demnach eigentlich noch gar kein Glück gehabt, und hat sich so riesig tapfer benommen, daß wir sie nur bewundern und nicht verurteilen können. Wir wissen doch alle, wie schwer sie es mit Arne gehabt hat. – Und sieh doch, wie sie aussieht! Schon allein wegen dieses Aussehens, wegen dieser Wirkung, die das Glück jetzt schon auf sie gehabt hat, müssen wir es ihr gönnen. Ich habe immer gefunden, daß Maria so etwas unentwickelt Jungfräuliches an sich hatte; jetzt ist das weg; jetzt ist sie absolut weiblich. Manche erwachen zum Weibe durch den Mann, gleichviel ob mit oder ohne Liebe. Andre erwachen zum Weibe nur durch die Liebe. Und das sind die Zartesten und Besten. Das ist Maria.«

»Mein Gott, Hille, was redest du alles!« sagte Maren ganz betäubt.

Aber Hille war schon weitergewirbelt, um Jörg ungefähr dasselbe zu sagen.

»Ich muß immerfort an Antje denken,« sagte Maria. »Sie fehlt mir so!«

»Jemand anders fehlt mir viel mehr,« konnte sich Maren nicht enthalten darauf zu erwidern.

Eine verlegene Stille trat ein. Hille warf der Schwester einen wütenden Blick zu.

»Wart – ich werde ihn holen,« rief sie, und lief hinaus.

Was in aller Welt hat sie nun wieder vor! dachte Maren.

Rütjer Thoren aber fing an, ganz unbefangen von Arne zu sprechen, wie von jemand, der dazwischen gehörte, dessen Gedenken nicht ausgeschaltet zu werden brauchte aus diesem Tage und aus diesem Kreis. Es wirkte erlösend. Es war so einfach und natürlich, – sie fanden plötzlich alle, daß es so und nicht anders sein mußte. Maria aber hätte ihm am liebsten die Hände geküßt.

Da kam Hille wieder herein; sie trug Marias Sohn im langen weißen Kleidchen auf dem Arm. Sie setzte ihn auf einen großen Lehnstuhl, darin er erstaunt sitzen blieb und mit großen Augen umhersah.

»So – da sitzt Arne Terhalden, Besitzer vom Köbinghof,« sagte Hille. Und dann ging sie schnurstracks zu Rütjer Thoren und stellte sich vor ihm hin.

»Und daß er da sitzt,« sagte sie mit vor Aufregung unsichrer Stimme, »das ist Ihr Verdienst; und dafür danken wir Ihnen; dafür liebe ich Sie. Außerdem sind Sie mein Schwager, und dafür werde ich Sie Du nennen. Endlich aber bist du, der verständigste, beste und treueste Mensch, den ich kenne; und deshalb werde ich dir einen Kuß geben.«

Und wahrhaftig, sie tat es.

»Dabei hört doch alles auf!« brummte Axel, und war ganz gerührt über seine Frau. Jörg lachte; Maren sah beschämt vor sich nieder.

Maria aber umarmte Hille.

»Gott lohn es dir, du liebe, kleine Hille!« sagte sie bewegt.

»Na ja – es ist doch aber auch wahr,« trotzte die, und hatte Tränen in den Augen.

Sie war den ganzen Abend wie in heimlichem Einverständnis mit Rütjer Thoren. Die beiden trugen die Stimmung über alle gefährlichen Klippen glücklich hinweg, er mit seiner überlegenen, liebenswürdigen Sicherheit, sie mit ihrer warmherzigen Leichtlebigkeit.

Als sie mit den andern vom Hofe fuhr, seufzte sie tief auf.

»Was hast da denn, Hille?« fragte Axel, dem keine Kleinigkeit an ihr entging.

»Ich weiß nicht,« meinte sie, »die beiden sind ja so glücklich, daß einem ordentlich schwer wird in allen Gliedern, wenn man es mit ansieht.«

*

Rütjer und Maria standen in der offnen Haustür und sahen dem davonrollenden Wagen nach. Der Vollmond stand am Himmel und goß eine Flut von sehnsüchtigen, glücklichen Träumen über die friedliche, duftende Erde.

Rütjer Thoren legte den Arm um die Schultern seines Weibes.

»Ich kann den Tag noch nicht beschließen, Geliebte du. Komm, wir wollen noch ein wenig wandern.«

Eng aneinandergeschmiegt gingen sie durch den Duft und die Stille der Spätsommernacht; durch das weiße Licht, durch die schwarzen Schatten. So würden sie wandern durch das Leben, eng aneinander, fest miteinander; durch Licht und Schatten, durch Duft und Stille; durch reifes Spätsommerglück. –

»Du bist die Ruh – du bist der Frieden,« sagte Rütjer Thoren leise.

»Du bist vom Himmel mir beschieden,« fiel Maria leise ein.

Nichts regte sich umher. Die Erde hielt den Atem an, um auf die Schritte zu lauschen, mit denen echtes, reines Menschenglück leise seine heiligen Spuren zog.

Die fehlerhafte Kapitelnummerierung im Buch wurde korrigiert. Re


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