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XI.

Das Haus war leer geworden von Trauergästen.

Arne saß mit Axel und Hille, die erst am andern Morgen abreisen konnten, allein im Wohnzimmer. Sie empfanden dies erzwungene Beisammensitzen qualvoll und wußten doch nicht, wie sie es ändern sollten. Die Unterhaltung schleppte sich so hin. Sie sprachen von unpersönlichen Dingen, von Dienst und Beruf und Geschäften, gelegentlich auch von Antje und ihrer glücklichen Genesung.

Der kleine Alf wurde nicht erwähnt, und Maria auch nicht, und Axels und Hilles Eheangelegenheiten erst recht nicht. Das waren alles heikle Dinge, die keiner zu berühren sich getraute, weil einer vom andern nicht Bescheid wußte und sich scheute, ungeschickt darauf loszutappen.

Arne Terhaldens Verhalten trug keine Spuren der Schritte, mit denen das Schicksal durch sein Leben gegangen war. Er war so streng und ernst und gemessen, wie er immer war. Was etwa dahinter sich versteckte, verriet sich nicht.

Hille warf ihrem Manne verzweifelte Blicke zu, die er beschwichtigend erwiderte. Nur jetzt keine zwecklosen, unerfreulichen Auseinandersetzungen.

Endlich konnte es Hille nicht mehr aushalten.

»Ich begreife nicht, wo Maria bleibt. Es ist ja stockfinster draußen!«

Arne Terhalden zog seine Uhr hervor und steckte sie wieder ein.

»Ich werde gehen und sie holen,« sagte er und erhob sich.

»Soll ich mitkommen –?«

»Nein, danke. Ich gehe allein.«

Axel und Hille blieben beklommen zurück. Diese Beklommenheit war den ganzen Tag noch nicht von ihnen gewichen.

»Ich werde verrückt in diesem Hause,« rief Hille außer sich. »Wenn ich nur wüßte, woran das liegt –«

Axel Bergen sah vor sich nieder und äußerte sich nicht.

»Ich finde es verletzend, empörend,« fuhr sie, sich mehr und mehr erregend fort, »daß er mit keinem Wort berührt, was zwischen uns vorgefallen ist – er war unglaublich ungezogen gegen mich und könnte wohl ein versöhnendes Wort sagen –«

»Aber Hille – daran hat er heute wahrscheinlich gar nicht gedacht!«

»Ah – der und so etwas vergessen! Ignorieren will er es einfach, das mit mir und das mit dir – und das eben ist das Verletzende: die Nichtachtung, das Sichüberheben, das darin liegt. Er braucht ja nur ein paar Worte zu sagen – daß es ihm leid täte, oder daß er sich freue – so ein paar Worte kann doch schließlich jeder finden!«

»Du siehst doch, daß es nicht jeder kann!«

Hille stützte nachdenklich den Kopf in die Hand.

»Ich möchte wissen, ob er mit Maria auch so ist –«

»Wahrscheinlich. Es ist eben seine Art so. Man kann ihm nicht einmal einen Vorwurf daraus machen.«

»Dann bewundere ich Maria noch mehr, wie ich sie schon bewundern gelernt habe –«

»Dazu ist auch alle Veranlassung –«

Arne Terhalden fand Maria nicht auf dem Kirchhof; er begegnete ihr auch nicht auf dem Wege. Obgleich er ein Feind von Befürchtungen und düstern Phantasien war, packte ihn doch jählings der grauenvolle Gedanke, Maria könnte sich ein Leid angetan oder irgend eine Kopflosigkeit begangen haben.

Er wies den Gedanken von sich.

Sie wird inzwischen nach Hause gekommen sein, zur Hintertür herein, während ich durch die Vordertür hinausging.

Aber Maria war schon vorher im Hause gewesen.

Er fand sie im Zimmer des kleinen Alf, wo er sie suchte, weil er von draußen durch die herabgelassenen Vorhänge Licht schimmern sah.

Sie stand mitten im Zimmer und legte ihre Kleider ab. An der Wand stand ein aufgeschlagenes Bett. Ihr Bett, das aus dem gemeinsamen Schlafzimmer hierher getragen worden sein mußte.

Bei seinem Eintritt schreckte sie zusammen.

»Was soll das heißen, Maria?« fragte Arne Terhalden streng. Sie hatte die letzten Nächte immer hier bei der kleinen Leiche zugebracht, trotz seines Dagegenredens. Aber dies würde er nicht dulden.

»Ich bin müde,« sagte Maria. »Ich bin seit acht Tagen in kein Bett mehr gekommen. Ich kann nicht mehr.«

»Das verstehe ich vollkommen. Aber ich verstehe nicht, warum du hier – –«

Sie wandte sich ab mit einem qualvollen, finstern Gesicht.

»Soll das heißen, daß du dich dauernd von mir trennen willst?« fragte Arne, und die Empörung über ihr Verhalten hielt alle andern Empfindungen in ihm nieder.

»Ja,« sagte Maria.

»Warum?«

»Ich kann nicht,« preßte sie dumpf hervor.

»Du willst nicht!« rief er drohend.

»Ich kann auch nicht mehr wollen.«

Arne Terhalden machte ein paar heftige Schritte hin und her. Dicht vor Maria blieb er stehen und sah sie herausfordernd an.

»Willst du mir damit zu verstehen geben, daß du überhaupt keine Gemeinschaft mehr mit mir zu haben wünschest?«

Marias blasses Gesicht wurde dunkelrot.

»Ich kann nicht,« stöhnte sie.

»Soll das heißen, daß ich deiner Ansicht nach schuld bin –«

Maria zuckte herum. Ihre Augen sahen ihn an mit einem drohenden, feindseligen Blick. – Er sprach den Satz nicht zu Ende.

Seine Empörung fiel zusammen unter einem furchtbaren Gewissensblitz.

»Ich kann dich natürlich nicht zwingen; will es vielmehr nicht. Du wirst die Verantwortung für deine – Pflichtvergessenheit zu tragen haben.«

Damit ging er hinaus, hinüber zu den Geschwistern.

»Ich bin ganz umsonst auf den Friedhof gelaufen,« sagte er übellaunig. »Maria ist bereits zu Bett gegangen und läßt sich entschuldigen.«

Axel und Hille wechselten einen schnellen Blick. In diesem Hause war alles sonderbar, und anders als es sein mußte.

Maria war stehen geblieben in ihrem einsamen, traurigen Schlafgemach.

Pflichtvergessenheit, hatte er gesagt. Das bezeichnet das ganze Verhältnis, in dem sie lebten. Pflicht war alles. Von seiner Seite mit Selbstverständlichkeit erfüllt; von ihrer Seite mit Qual. Lauter Pflichten; keine Liebe. Es gibt aber Pflichten, die aufhören Pflicht zu sein, wenn nicht Liebe die Triebfeder zu ihrer Erfüllung ist.

Tat sie ihm nicht unrecht? Liebte er sie nicht? Vielleicht ja. Vielleicht konnte er nicht anders lieben, sie nicht und keine andre.

Wie man ißt und trinkt, wie man arbeitet und schläft, so war seine Liebe eine nüchterne Selbstverständlichkeit in seinem Leben. Wie man mit fragloser Selbstverständlichkeit im normalen, gesicherten Dasein alle Tage den Tribut des Lebens an Essen und Trinken, Arbeit und Schlaf entgegennimmt – so hatte er von ihr den Tribut ehelicher Liebe gefordert und entgegengenommen.

Lange hatte sie es ertragen; lange hatte sie ihre Pflicht getan.

Jetzt konnte sie nicht mehr. Der kleine Alf stand zwischen ihnen.

Vergessen hatte sie ihre Pflicht nicht, o nein. Aber sie konnte sie einfach nicht mehr erfüllen.

Ihr graute vor dem Manne, der das alles nicht begriff, nicht fühlte. Der nicht klein wurde an seiner fürchterlichen Schuld, nicht weich wurde an ihrem fürchterlichen Schmerz; der immer tadellos blieb und selbstgerecht und fordernd. –

Ein Ehrenmann, hatte Hille gesagt. – –

Am nächsten Morgen reisten Axel und Hille ab. Maria bewirtete sie am Frühstückstisch, in ihren Trauerkleidern, in ihrer starren Ruhe, aus der alles Weiche und Liebliche, das sonst jede ihrer Bewegungen beseelte, gewichen war.

»Ich ängstige mich um Maria,« sagte Hille, als sie den Hof verlassen hatten. »Ich bin froh, daß ich da heraus bin. Maria ist zu bejammern – aber Arne ist auch nicht zu beneiden.«

Nein, Arne Terhalden war nicht zu beneiden.

In diesen Tagen zeigte ihm das Leben, daß es keine Selbstverständlichkeiten gab. Wenn man nichts tut, zu nähren und zu pflegen, was nicht Selbstverständlichkeiten, sondern die höchsten, unverdienten Glücksgüter des Lebens sind – dann rächen sich diese Glücksgüter, und zerrinnen uns unter den Händen in der Stunde der Not.

Es fiel Arne Terhalden nicht ein, sich Vorwürfe wegen Maria zu machen. Er hatte immer gesagt: ich bin, wie ich bin, und es ist töricht und vergeblich, wenn du von mir verlangst, was ich nicht habe. Er hatte nie begriffen und begriff auch jetzt nicht, wie sie war und hatte sich nie bemüht, ihrem Sein Rechnung zu tragen.

Aber es war eine andre Stimme des Vorwurfs in ihm: die hatte gesprochen am Sterbebette seines Kindes: aus Marias stummem Gesicht; die regte sich auf dem untersten Grunde seines Gewissens und rüttelte an dem festen Gefüge seiner Selbstgerechtigkeit.

Arne Terhalden wollte diese Stimme nicht hören. Er suchte sie zu übertäuben mit Vernunftsgründen und fatalistischen Lebensansichten.

Was kommen soll, kommt doch. Wenn der kleine Alf sterben sollte, so wäre er gestorben – so oder so. Wer will beweisen, daß er durch meine Schuld krank geworden ist? Das lag schon in ihm. Das kann hundert andere Veranlassungen gehabt haben. Und wenn es bewiesen werden könnte – so wäre es nur mein Anteil daran, wäre ich selber nur das Mittel zum Zweck gewesen. Wir haben den Gang des Schicksals nicht in der Hand. Es ist über uns verhängt, und es kommt, und es wählt sich den äußeren Anlaß unabhängig von unserm Wollen oder Nichtwollen. Ich habe den kleinen Alf erziehen und bessern, aber nicht umbringen wollen. Ich hatte gute Absichten mit ihm und keine bösen. Ich kann nicht verantwortlich gemacht werden, wenn meine guten Absichten einen von mir ungewollten und unvorhergesehenen Erfolg hatten. Man muß das Leben nehmen wie es ist, und man muß die Dinge nehmen wie sie kommen, und sich abfinden mit dem, was nicht zu ändern ist.

So setzte sich Arne Terhalden auseinander mit seinem Gewissen; so fand er sich ab mit dem kleinen Alf.

Mit Maria konnte er sich nicht so schnell abfinden. Die war nicht aus seinem Leben ausgeschieden, die stand mitten darin, reizte und ärgerte und verletzte ihn alle Tage. Nicht durch Worte oder Werke – einzig und allein durch ihr stilles, starres, anklagendes Dasein.

Maria hatte ihre täglichen Pflichten wieder aufgenommen mit der alten Treue und Gewissenhaftigkeit. Sie sorgte für die Kinder, für das Haus; sie sorgte für Arne; er vermißte nichts von seinen Gewohnheiten und Bequemlichkeiten. Maria war freundlich und hilfsbereit, und voller Fürsorge und Teilnahme für alle und alles.

Und doch war etwas Erloschenes in ihr.

Sie lachte nie mehr. Sie sprach nie mit Arne. Sie beantwortete seine Fragen, befolgte widerspruchslos seine Wünsche; aber sie sprach ihn nie an. Sie kam nicht mehr in sein Zimmer. Sie war scheu und willenlos, wenn sie mit ihm zusammen war. Sie widersprach nie mehr, sie schien gar keine eignen Ansichten und Meinungen mehr zu haben; sie war von einer beängstigenden Nachgiebigkeit, wie jemand, der sich selbst gleichgültig geworden ist.

Nur in dem einen blieb sie starr, eigensinnig, unzugänglich; sie trennte sich von ihrem Manne, innerlich und äußerlich.

Weihnachten kam heran. Maria besorgte die Geschenke, den Aufbau, sie schmückte den Tannenbaum wie jedes Jahr. Sie forderte keinerlei Rücksichten auf sich, keine Beschränkung der Festfreude anderer um ihres trauernden Herzens willen.

Sie lebte ihr Leben für sich allein und gewährte niemandem einen Einblick in das Elend, das in ihrer Seele saß und fraß und bohrte.

Sie sprach nie und mit keinem von dem kleinen Alf, und bald wagte niemand mehr in ihrer Nähe seinen Namen zu nennen.

Sie hätte auch gar keine Worte gefunden für ihr Empfinden. Wo der Schmerz überhand nimmt, da versagt die Stimme.

Am Tage vor Weihnachten kam Antje.

Das brachte zum erstenmal eine Unruhe in die Totenstarre von Marias Seele.

Antje war ein Mensch, den sie liebte, der sie verstand, der dadurch Macht über sie besaß. Und sie fürchtete sich vor dem Inkrafttreten dieser Macht.

Antjes übervolles Herz, das mit der Sehnsucht mitfühlender Liebe dem Wiedersehen mit Maria entgegengeschlagen hatte, erlag sehr bald dem Banne des Schweigens, das auf dem Köbinghof herrschte. Ihre umschlingenden Arme erlahmten an der matten Kälte, die von Maria ausging; die warmen Worte, die auf ihre Lippen sich drängten, froren ihr auf der Zunge fest.

Sie ging mit Arne, um den Kranz, den sie mitgebracht hatte, auf Alfchens Grab zu legen. Maria ging nicht mit.

Arne gab ihr einen sachlichen Krankheitsbericht, der einem studierten Mediziner alle Ehre gemacht hätte. Antje fühlte Eiseskälte und wagte nicht zu fragen, was zu wissen sie sich am meisten sehnte.

Mit Maria war überhaupt nicht davon zu sprechen.

»Nimm dich doch nicht so schrecklich zusammen,« flehte Antje; »vor mir brauchst du es doch nicht. Ich weiß doch, was du mit diesem Kinde verloren hast!«

»Das weiß niemand,« sagte Maria hart. »Auch du nicht.« –

Es war ein elendes Weihnachtsfest, trotzdem nichts Aeußeres fehlte, nicht einmal das gewohnte Beisammensein mit Jörg, Maren und der lauten Kinderschar.

Maria ertrug alles mit einem Gleichmut, einer Selbstbeherrschung, die an Seelenlosigkeit grenzte. Ihre Seele war in der Tat nicht dabei; die war fortwährend bei dem kleinen Alf. Den hatte sie vor Augen und im Herzen, und alles andre glitt wie Träume an ihr vorüber.

Antje litt Qualen. Alles, was Maria kaum berührte, tat ihr weh zum Schreien – die Unterhaltung der andern, das Lachen und Spielen der Kinder. Sie schielte immerfort nach Maria hin, wie in steter Angst, daß da plötzlich etwas mit ihr geschehen müsse. –

Aber Maria ging durch das alles hindurch wie ein Schemen.

Antje sprach mit Arne darüber. Aber Arne verhielt sich ablehnend zurückhaltend.

»Man muß ihr Zeit lassen. Dabei kann niemand etwas tun.«

Wohl kann man dabei etwas tun, dachte Antje. Aber sie wußte selbst nicht was, je mehr sie darüber nachdachte.

Es muß irgend etwas geben, diese Starrheit zu lösen. – –

»Ich habe vergessen, dir zu bestellen, daß der Graf Thoren mich gebeten hat, dir zu sagen, daß sein Herz warm und aufrichtig mit dir empfinde,« sagte sie eines Tages, und wußte selbst nicht, warum sie gerade in diesem Augenblick daran dachte.

»Wie freundlich,« sagte Maria. Weiter nichts.

»Er war ganz bewegt, als ich es ihm erzählte. Er hat mir sofort erlaubt, bei dir zu bleiben, solange ich wollte, solange ich dir etwas nützen könnte –«

Maria sah Antje an und fand, daß sie noch etwas schmal und angegriffen aussah.

»Bleibe nur hier, bis du dich endgültig erholt hast; wenn du das hier überhaupt kannst. Besser wäre es vielleicht, du gingst zu Maren. Hier ist es ja trostlos für dich.«

»Maria!« rief Antje schmerzlich. »Tue mir das nicht an! Zu dir gehöre ich jetzt mehr denn je. Wenn ich jetzt nicht hierbleiben könnte, so würde ich nur in Thorenburg sein mögen –«

»So gern bist du da?«

»Nein, so meine ich es nicht. Aber wenn ich jetzt nicht bei dir sein kann, will ich bei keinem andern sein –«

»Du bist so gut, Antje. Ich danke dir – für deine Liebe!«

Zum erstenmal zitterte eine seelische Bewegung in ihrer Stimme.

Je länger Antje blieb, um so fremder und unverständlicher wurde ihr alles. Am unverständlichsten, am quälendsten empfand sie das Verhältnis der Gatten untereinander. Und diesmal fand sie, daß Marias Wesen dies Verhältnis bestimmte.

»Ich weiß nicht –« sagte sie in ihrer geraden, ehrlichen Art, »du bist so sonderbar, du tust gerade, als ob Arne schuld sei an dem Unglück!«

Maria sah nicht auf und antwortete nicht.

»Ich habe ja im Laufe der Zeiten begreifen gelernt,« fuhr Antje fort, »daß eure Ehe keine glückliche ist. Aber wenn nicht einmal ein gemeinsames Unglück imstande ist, Eheleute einander zu nähern – dann sind sie doch endgültig voneinander getrennt!«

»Da magst du recht haben,« sagte Maria ruhig.

Antje erleichterte ihr banges Herz durch einen tiefen Seufzer.

»Muß es denn so sein, Maria! Habt ihr nicht beide schuld, wenn –«

»Sei still, Antje,« unterbrach Maria. »Kein Dritter kann beurteilen, wie das Verhältnis zweier Eheleute wurde, und warum es nicht anders sein kann, als es ist. Ich kann dir auch nichts darüber sagen.«

Immerhin war Antjes Anwesenheit eine kleine Erleichterung des beklemmenden Zustandes; eine Ablenkung; eine Milderung.

Wenigstens für Arne. Es sprach doch wieder jemand mit ihm; es war jemand da, mit dem er sich unterhalten konnte, der Teilnahme an seinen Interessen hatte. Und während er sonst nie ein Bedürfnis nach derartigen Dingen gehabt zu haben schien, suchte er sie jetzt. Es kam öfter vor, daß er Antje aufforderte, mit ihm hinauszugehen; daß er sie in seine wirtschaftlichen Pläne und Unternehmungen einweihte; daß er sie aufforderte, von sich zu erzählen; daß er sie nach den Einrichtungen und Maßnahmen in der Thorenburger Gutswirtschaft fragte.

Weil Antje ein instinktives Mitleid mit ihm hatte, war sie milder als sonst in der Beurteilung seines Charakters. Sie dachte plötzlich, daß er sich vielleicht anders entwickelt haben würde, wenn er eine Frau gehabt hätte, die ihn besser verstand, die ihn mehr liebte, die weniger verlangte, und die nicht innerlich so grundverschieden von ihm war.

Sie schämte sich solcher Gedanken vor Maria, deren Selbstlosigkeit und stilles Verzichten sie noch vor kurzem so bewundert hatte.

Liegt nicht oft in solchem selbstlosen Verzichten eine die Umgebung erkältende Selbstüberhebung?

Nein, nein, so war es bei Maria nicht. An Maria war alles eine große, heroische Güte gewesen.

Gewesen. Wirft es nicht ein schlechtes Licht auf den Menschen, wenn er durch ein Unglück hart und stumm wird?

Lieber Gott, dachte Antje, die Art, wie Maria das alles auffaßt, wie sie Arne darunter leiden läßt, bringt mich noch ganz auseinander mit ihr.

Maria fühlte ihr diese Gedanken ab. Es wäre ihr ein leichtes gewesen, Antje für sich zu erobern, sie ganz auf ihre Seite zu bekommen – wenn sie ihr die ganze Krankheitsgeschichte des kleinen Alf erzählte. Trotzdem, nein, gerade darum tat sie es nicht.

Sie gönnte Arne das, was er jetzt an Antje hatte und wollte es ihm nicht nehmen. Das hätte fast wie Rache ausgesehen. Sie hatte selber Mitleid mit Arne. Er wußte ja gar nicht, was er ihr angetan hatte, vor dem Tode des Kindes und mehr noch nach dem Tode. Aber eben, daß er es nicht wußte, daß er immer gemessen, überlegen, fordernd und gerecht blieb – das trennte sie von ihm; das machte es ihr unmöglich, sich ihm wieder zu nähern; das erfüllte ihre Seele mit dieser zunehmenden Kälte und schmerzenden Empörung, die eher in Haß als in Gleichgültigkeit auszuarten drohte.

Als Antje nach vierzehntägiger Anwesenheit Abschied nahm, war eine Erkältung zwischen ihnen. Sie hatten in der ganzen Zeit von nichts geredet, was für eine von ihnen irgend welche innere Bedeutung gehabt hätte. Unausgesprochenes und Unverstandenes war zwischen sie getreten.

Nun bin ich noch ärmer geworden, dachte Maria, obgleich das eigentlich gar nicht mehr möglich ist. –

Eine schmerzliche Gleichgültigkeit war in ihr.


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