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XVI.

Jörg Venningen kam mit einem offenen Brief zu Maren in ziemlich erregter Stimmung.

»Ich weiß nicht, was los ist,« sagte er. »Ich habe Arne früher immer für einen guten Wirt gehalten, und daß er als wohlsituierter Mann anfing, weiß ich ja. Wenn Antje gelegentlich Bedenken gegen seine Wirtschaftsführung äußerte, so habe ich nicht viel darauf gegeben, weil sie als Mädchen kein Urteil darüber haben konnte, und weil sie zuletzt immer nur mit dem Maßstab maß, der in Thorenburg galt.

In letzter Zeit habe ich freilich selber Bedenken gehabt, es kam mir dies und das nicht geheuer vor, gefiel mir nicht. Aber ich konnte mir kein rechtes Urteil bilden – und so vergaß ich es wieder. Nun scheint mir doch, als ob da allerhand nicht in Ordnung wäre.«

Maren saß vor einem großen Flickkorb im Garten unter der blühenden Linde. Das jüngste, nun zweijährige Kind, spielte zu ihren Füßen mit Sand und Holznäpfchen. Ueber ihr summten die Bienen im Blütenduft, hüpften und zwitscherten die Vögel im Geäst. Glück und behagliche Zufriedenheit spiegelten sich auf ihrem runden, rosigen Gesicht, an dem die freundlichen Jahre ihres normalen Lebens fast spurlos vorüberglitten.

Maren legte die Arbeit in den Schoß und sah ihren Jörg erstaunt an.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Durch diesen Brief,« sagte er, legte den großen Bogen Geschäftspapier auf den Tisch und seine kräftige, verbrannte Hand darauf wie zu besonderem Nachdruck. »Da schreibt mir irgend ein Bankhaus und erkundigt sich nach Arnes Verhältnissen. Sie hätten größere Kapitalien bei ihm stehen, und nach allerhand Gerüchten scheine diese Anlage keine sichere zu sein. Der Besitzer habe sich verwirtschaftet und das Gut brächte nichts ein. Die Zinsen wären zwar immer noch pünktlich eingegangen. Aber sie seien es dem Ansehen der Firma schuldig, einem allem Anschein nach in Aussicht stehenden Bankerott zuvorzukommen. Sie bitten mich als nahen Verwandten und Nachbarn um offene Auskunft, unter Zusicherung vollkommener Diskretion. – Hier – lies doch selbst.«

Maren las. Es stand nicht viel mehr in dem Brief, als was Jörg bereits gesagt hatte. Langsam legte sie ihn wieder aus der Hand.

»Ich verstehe das nicht,« sagte sie. »Ich kann das nicht glauben –«

»Ich auch nicht. Und ich weiß auch nicht, wie ich mich dazu verhalten soll.«

»Du wirst doch wohl mit Arne sprechen, ihm den Brief zeigen müssen.«

Jörg machte ein bedenkliches Gesicht.

»Das ist so eine heikle Sache. Arne liebt keine Einmischung in seine Angelegenheiten. Er könnte es mir schwer übelnehmen –«

»Dabei ist doch nichts übelzunehmen. Von dir geht dieses Mißtrauen doch nicht aus. Er muß dir im Gegenteil dankbar sein, daß du ihn auf solche seinen Kredit schädigenden Gerüchte aufmerksam machst.«

Jörg rückte seine leichte Feldmütze höher aus der heißen Stirn.

»Ja. Aber ich habe so eine unbestimmte Vermutung, als ob diese Gerüchte wahr seien!«

»Nun mit einem Male?«

»Ja, mit einem Male. Ich kann es nicht erklären, aber es ist so.«

Maren dachte nach. Sie hielt das alles für unmöglich.

»Wenn diese Gerüchte wahr wären, so fände ich es um so nötiger, daß man mit ihm darüber spricht. Man muß ihm helfen –«

»Arne würde sich in solchem Falle nicht helfen lassen. Dazu ist er viel zu – hochmütig. Er kann es nie ertragen, wenn seine Unfehlbarkeit angezweifelt wird. Er würde sich auch in diesem Falle nicht preisgeben. Wenn er bis jetzt nicht darüber gesprochen hat, so wird er mir schwerlich auf meine Frage reinen Wein einschenken. Erst recht nicht.«

»Darum kann ich das alles auch nicht glauben; weil er nie eine derartige Aeußerung gemacht hat, meine ich. Not bricht Eisen. Die Not würde auch Arnes Stolz brechen.«

»Ich weiß nicht –« meinte Jörg. Er war in peinlichster Ratlosigkeit.

»Sprich doch mal mit Maria,« riet Maren.

»Ach – die wird erst recht nichts wissen. Mit der bespricht Arne seine Sorgen nicht. Ich halte sie auch für unwissend und unpraktisch in solchen Dingen.«

Maria war ihnen niemals so recht nahe getreten. Ihr Wesen war ihnen immer unbekannt geblieben, weil sie den Schlüssel zu diesem Wesen nicht hatten. Sie fanden nichts an ihr auszusetzen, fanden sie sogar sehr anerkennenswert in der Erfüllung ihrer häuslichen und weiblichen Pflichten. Aber sie war gerade so unnahbar wie Arne, wenn auch in anderer Art. Sie hatte für einen jeden Liebe und Teilnahme; aber sie schaltete sich selbst vollkommen aus; man wußte nicht recht, hatte sie nichts zu sagen über sich selbst, oder wollte sie nichts sagen?

Und weil es nie zu zwangloser Vertraulichkeit zwischen ihnen gekommen war, dünkte es Jörg peinlich und unangebracht, sie in diesen intimen Dingen gleichsam auszuhorchen.

Sie überlegten hin und her. Sie zogen alles hervor und herbei, was ihnen im Laufe der Jahre aufgefallen war, was irgend als verdächtig an Arnes Wirtschaftsführung gelten konnte.

Er hatte im Anfang viel gebaut. Bauen ist teuer, und freies Kapital besaß Arne nicht. Aber er hatte den Köbinghof mit nicht zu hoher Belastung übernommen. Es konnte ihn weiter nicht schädigen, wenn er noch einmal Geld aufgenommen hatte. Es mußte ihm sogar ein leichtes sein, dies Geld wieder abzuwirtschaften. Sie lebten so einfach, und der Köbinghof hatte immer gute Erträge gebracht.

In den letzten Jahren war das allerdings nicht mehr der Fall gewesen, trotz der teuren Meliorationen, die Arne unternommen, trotz des teuren Viehs, das er angeschafft hatte. Im vorigen Jahr hatte er nahezu eine Mißernte gemacht, während rings herum der Erntesegen ein großer war. Auch in diesem Jahr standen seine Felder miserabel. Das war eine Tatsache, die sich nicht verbergen ließ.

Er hatte fortwährend Nöte mit den Leuten, verstand offenbar nicht mit ihnen umzugehen; denn auch in dieser Hinsicht war es auf den Nachbargütern besser, trotz der ungünstigen Zeitverhältnisse. Seine Wohnungen standen leer, er mußte sich von weit her teure Arbeiter verschaffen. Seine Beamten hielten nicht aus, taugten nichts oder überwarfen sich mit ihm. Die Unfähigen blieben noch am längsten. Die führten willenlos seine Anordnungen aus, auch die unverständigen, und dann noch in unverständiger Weise. Wer eine eigne Meinung geltend machte, zumal wenn es eine andre Meinung war, den ertrug er nicht.

»Ich kann nur nicht begreifen,« meinte Maren, »daß Arne selber so wenig Talent und Glück in seinem Beruf haben soll; er ist doch darin aufgewachsen!«

»Daran liegt es nicht immer. Er ist zu eigensinnig.«

»Ja, aber daß er seinen Eigensinn auf so verkehrte Dinge stellt –«

Schließlich erschien es ihnen ganz wahrscheinlich, daß das gegen Arne erhobene geschäftliche Mißtrauen begründet sei.

»Damit ist mir aber noch nicht geholfen,« sagte Jörg und drehte den unseligen Brief hin und her. »Das bildet noch keine Grundlage für meine Antwort. Ich kann nur mit Tatsachen antworten – ja oder nein. Und ich weiß eben keine Tatsachen.«

»So verweigere die Antwort; du wüßtest nicht Bescheid.«

»Das wird mir nicht geglaubt, und das Mißtrauen nur von neuem genährt werden.«

Es blieb nichts andres übrig – er mußte sich entschließen, mit Arne zu sprechen. – Noch an demselben Tage fuhr er zu ihm. –

Arne Terhalden hörte alle diese verlegen und schonend vorgebrachten Mitteilungen mit steinerner Ruhe an. Auch beim Lesen des Briefes, den Jörg ihm gab, zuckte keine Fieber in seinem Gesicht.

»Was soll ich antworten?« fragte Jörg, als Arne ihm wortlos den Brief zurückgab. »Es ist mir peinlich genug, daß ich überhaupt antworten muß. Aber wenn ich es nicht tue, so kann dir das vielleicht eher schaden als nützen. Wenn die Leute nicht handgreiflich beruhigt werden, könnten sie dir das Kapital kündigen. Ich weiß nicht, ob das zulässig ist, oder ob es dir – unbequem wäre –«

Arne sah seinen Schwager von oben herab an.

»Antworte den Leuten: wenn sie etwas von mir wissen wollen, so sollen sie sich direkt an mich wenden und nicht auf Hinterwegen schleichen.«

»Aber das ist doch keine Beleidigung,« beschwichtigte Jörg, über den eisigen Ton erschreckt. »Das ist doch nur eine Rücksicht!«

»In geschäftlichen Dingen gelten keine Rücksichten. Wenn sie meine Angehörigen über mich aushorchen, so heißt das soviel als: sie haben kein Vertrauen in meine Aufrichtigkeit und Ehrenhaftigkeit. Und darum ist es allerdings eine Beleidigung.«

Jörg Venningen fühlte sich hilflos.

»Willst du mir nicht sagen, was eigentlich los ist, Arne? Nicht, damit ich es weitergebe, sondern nur zu meiner persönlichen Beruhigung?«

»Es ist gar nichts los. Ich wüßte auch nicht, inwiefern das dich beunruhigen kann.«

»Wir sind Geschwister, Arne.«

»Ich habe mich gleichviel noch nie ungefragt in deine Angelegenheiten gemischt.«

»Du hattest auch keine Veranlassung dazu.«

»Es kommt darauf an, was man Veranlassung nennt.«

Eine Pause trat ein. Arne blätterte gleichmütig in den Zeitungen. Jörg hatte keine Lust, sich zu zanken. Er wußte nun, daß er nichts erreichen würde.

»Ich werde also in dem von dir angedeuteten Sinne antworten –« sagte er endlich; es klang in eine unsichere Frage aus.

»Du würdest mir einen Gefallen damit tun.«

Dann fing Arne Terhalden an, von den letzten politischen Tagesfragen zu sprechen.

Jörg war nicht bei der Sache. Das alles interessierte ihn augenblicklich nicht im mindesten. Er dachte immerfort darüber nach, wie er seine Mission erfolgreicher gestalten könne.

Endlich fragte er nach Maria.

»Sie ist mit den Kindern auf den Kirchhof gegangen. Es ist Alfs Geburtstag heute.«

Jörg fühlte sich plötzlich elektrisiert.

»Darf ich ihr nachgehen? Ich wollte ohnehin nicht lange bleiben. Ich möchte sie doch gesehen haben –«

»Bitte,« sagte Arne. Kein Wort des Mißtrauens, daß Jörg nun auch Maria ausfragen werde; kein Ersuchen, es nicht zu tun. Entweder er scheute das nicht, oder er kam gar nicht auf den Gedanken.

Jörg forderte ihn nicht auf, ihn zu begleiten. Wenn er das wollte, würde er es ja von selber tun. Jörg hatte eine geheime Angst, daß er es tun könnte. Aber er tat es nicht. Er kam auch hierauf nicht, oder er unterließ es, weil der Gefühlskram, der mit solchen Kirchhofsgängen an Gedächtnistagen zusammenhing, ihm lästig war. –

Also ging Jörg allein den ihm wohlbekannten, schattenlosen Weg entlang. Er lief geradezu, in der Sorge, Maria könne ihm entgegenkommen und ein ungestörtes Beisammensein auf die Art abgekürzt werden. Das Interesse für diese Angelegenheit hatte sich seiner bemächtigt mit einer Intensität, über die er selbst erstaunt war.

Maria saß an ihrem kleinen Grabe, das sie mit frischen Blumen geschmückt hatte. Ihre Töchter saßen neben ihr; es waren große, kräftige, blühende Mädchen, neben denen sie doppelt schmal und zart aussah. Sie sprachen miteinander; wovon, das konnte Jörg nicht hören. Es war wohl etwas Ernstes, der Stunde Angemessenes.

Maria führte einen stillen, steten Kampf um diese Kinderseelen; ein beständiges Werben um ihre Liebe, ihr Vertrauen. Beides war da – das hatte sie erkannt, seit sie sich der heranwachsenden Mädchen mit einer aus tiefer, mütterlicher Sehnsucht herausgeborner Inbrunst annahm. Beides war da; aber zugleich ein Unvermögen, es zu äußern. Sie verrichtete die Arbeit eines Brunnengräbers, der gräbt und gräbt, ob es ihm nicht endlich gelingen möchte, den Quell zu befreien, daß er ihm aus dem Schoße der Natur entgegensprudle. Sie tat es nicht nur ihretwegen; sie tat es ebenso sehr der Töchter wegen. Sie wollte sie von dem Zwange ihres eignen Wesens erlösen, wollte sie befreien und glücklich machen. Denn die Schätze der Seele treten erst in ihre beglückende Kraft, wenn die Wechselwirkung mit den Dingen der Außenwelt hergestellt ist. Sonst liegen sie brach, oder werden zu schwerem Ballast. Und wenn diese Schätze noch so klein und bescheiden sind – die Pfunde mehren sich, wenn man mit ihnen wuchert.

Sie sahen Jörg Venningen nicht kommen. Erst, als sie seinen Schritt hörten, blickten sie auf.

Maria erhob sich und ging ihm entgegen. Sie trug ein helles Waschkleid, und sah überraschend jung und lieblich aus. Sie strich mit der Hand über die Augen, als wolle sie den Schleier von Wehmut wegwischen, der sich darüber gesenkt hatte. Dann begrüßte sie ihn mit der gewohnten Herzlichkeit.

»Störe ich dich, Maria?«

»Aber gar nicht.«

»Ich war bei Arne. Ich wollte bald wieder nach Hause. Ich wollte dir nur guten Tag sagen.«

Sie traten zusammen an Alfchens Grab, und nachdem er seine Nichten begrüßt hatte, standen sie da eine Weile schweigend.

»Wenn du ihn doch behalten hättest!« sagte Jörg, und die ganze schreckliche Zeit, als sie ihn verloren hatte, stand wieder vor seinem Gedächtnis und erfüllte sein Herz mit tiefem Mitleid.

Er liebte alle seine Kinder warm und treu, und er hatte noch keins hergeben brauchen aus seiner Fülle. Es bedrückte ihn beinah in diesem Augenblick.

»Ja, es wäre besser gewesen,« sagte Maria. Ihre Stimme klang mühsam beherrscht. Sie konnte wohl nicht mehr sagen. Es lag ja auch nun so weit zurück – für andre. Für sie war es immer gegenwärtig.

»Was wolltest du bei Arne?« fragte sie. Er sollte nicht denken, daß sie ein weiteres Eingehen von ihm auf diesen furchtbaren Schmerz ihres Lebens, dessen einschneidende Tiefe ja doch niemand kannte, erwarte.

»Ich hatte mit ihm zu reden. Ich wollte auch mit dir reden, Maria. Aber allein.«

Sie schickte ihre Töchter nach kurzer Verständigung fort. Dann setzte sie sich auf ihre Bank, und er nahm neben ihr Platz.

Dann sagte er ihr alles.

Er beobachtete sie dabei. Wenn auch sie ihm nichts würde sagen wollen oder können, so wollte er wenigstens in ihrem Gesicht die Wahrheit suchen.

Maria wurde langsam sehr blaß. Sie sah starr gerade aus. Ein schmerzlicher Zug verschärfte ihr feines, ausdrucksvolles Gesicht, und auf ihrer Stirn tieften sich kleine, feine Sorgenfalten.

»Warum fragst du mich?« sagte sie, als er geendet hatte. »Wenn Arne dir nicht geantwortet hat, so kann ich dir auch nicht antworten.«

»Doch, Maria; du mußt mir die Wahrheit sagen. Es ist zu Arnes Bestem –« und dann begründete er ihr diese Behauptung ausführlichst.

»Ich kann dir nicht die Wahrheit sagen, denn ich weiß sie nicht!«

»Aber eine Meinung wirst du doch haben! Sage mir deine wahre Meinung!«

Er sprach so dringlich. Sie war überzeugt, daß er es ehrlich meinte.

»Ich glaube, daß es schlecht steht um Arne,« sagte sie.

Dann sagte sie ihm, warum sie das glaubte. Alle die Beobachtungen und Bedenken, die sich Jörg und Maren heute morgen schon gesagt hatten. Sie sagte das alles in ganz geschäftlichem Ton, ohne Erregung, scheinbar ohne alle innere Anteilnahme.

»Aber was soll denn werden!« rief er empört.

»Ich weiß es nicht.«

Er konnte diese Ruhe nicht begreifen.

»Du kannst das doch nicht so untätig hingehen lassen! Es ist deine Pflicht, einzugreifen!« Sie lächelte trübe.

»Wer sagt dir, daß ich das nicht versucht hätte? Aber ich bin machtlos; glaube mir, ich bin vollkommen machtlos!«

Er wagte nicht, daran zu zweifeln. Er hatte ja selber soeben erfahren, wie machtlos man Arne gegenüber war.

Er gewann in dieser Stunde einen neuen Einblick in Marias Leben; einen Einblick, der ihm manches erklärte, und der ihm zu denken gab.

»Und wenn das nun so weitergeht – wenn es zum Aeußersten kommt –«

»Vielleicht kann dann einer von euch – oder ihr alle zusammen den Hof übernehmen,« sagte sie ruhig; so ruhig, wie man von Dingen spricht, mit denen man sich bereits innerlich auseinandergesetzt und abgefunden hat.

Jörg Venningen sprang auf. Ihm war heiß geworden.

»Es geht nicht – ich kann das nicht so mit ansehen –«

»Wie willst du es ändern?« fragte sie und sah ihn mit ihren schönen klaren Augen traurig an.

Er lief hin und her, um dann wieder dicht vor ihr stehen zu bleiben.

»Maria, versprich mir, wenn irgend etwas sich ereignet – wenn du irgend eine schlimme Gewißheit bekommst – benachrichtige mich!«

»Ich verspreche es dir. Und ich danke dir.«

Sie hielt ihm die Hand hin, und in ihren Augen standen Tränen.

Er drückte ihre Hand gewaltsam. Irgend eine Rührung würgte ihm die Kehle. – – –

»Weiß Gott,« sagte er an diesem Abend zu Maren, »in der Maria steckt mehr, als wir alle denken. Aber sie ist stark; sie macht es mit sich allein ab –«

»Etwas mehr Natürlichkeit wäre einfacher und besser,« sagte Maren, die Jörgs Urteil reichlich enthusiastisch fand.

»Aber sie ist doch so natürlich. Sie ist immer so, wie sie sich gibt.«

»Ja, aber sie gibt sich meistens gar nicht.«

»Na, ich danke,« platzte er heraus. »Ich glaube, ihrem Manne hat sie sich mehr gegeben, als gut ist, als er verdient –«

»Sie hat sich ergeben,« sagte Maren. – –

Vorläufig erfolgte nichts weiter, und die momentane Aufregung verlor sich wieder. Aber es blieb eine Spannung der Gemüter. Venningens hielten Augen und Ohren offen für alles, was sie über Arnes Wirtschaft erfahren und beobachten konnten. Einmal mißtrauisch geworden, fanden sie leicht weitere Nahrung für ihre Befürchtungen.

Hille, der das alles mitgeteilt worden war, schrieb einen entrüsteten Brief.

»Es wäre empörend, wenn Arne uns den Köbinghof verwirtschaftete. Ihr sitzt in der Nähe – ihr müßt das verhindern.«

Ja, sie hat gut reden, dachte Jörg.

Nur Maria erregte sich nicht, weil das alles nichts Ueberraschendes für sie war. Nur, daß ihre Beurteilung der Sachlage jetzt eine handgreifliche Bestätigung erfahren hatte.

Und damit setzte etwas Neues bei ihr ein. Das Mitleid.

Sie kannte ihn; kannte seinen maßlosen Stolz, seine Selbstgerechtigkeit, seine Selbstzufriedenheit. Wußte, wie furchtbar kränkend und schmerzend jeder Mißerfolg für ihn war. Wußte, wie er doppelt darunter litt, weil er nie imstande sein würde, sich die Wohltat einer Aussprache zu verschaffen. Das hieße eingestehen, daß er etwas verkehrt angefangen hatte; und so etwas gestand Arne niemals ein.

Sie wußte auch, daß Arne am Köbinghof hing; nicht mit zärtlicher, in der Tiefe des Gemüts entspringender Heimatsliebe; aber mit der Kraft seines Besitzrechtes, mit Herrschsucht, mit dem Stolz alter Tradition. Es gibt Menschen, die lieben nicht, was sie besitzen, sondern weil sie es besitzen. Es gehört mir, ich habe unbeschränkte Rechte, es ist mir vollkommen untertan, ich kann damit machen, was ich will; ich kann in meinem Eigentum mich selbst erleben, mich selbst zum Ausdruck bringen, mit allem was ich bin und kann und will. Für solche Menschen ist es ein doppelt schwerer Schlag, wenn sie ihr Eigentum verlieren oder verderben; denn sie diskreditieren sich selbst damit; sie erleben damit vor aller Welt eine Niederlage, die sie empfindlicher trifft, wie irgend ein harter Schicksalsschlag.

Maria wußte das alles, sie wußte, daß Arne hilfsbedürftig war, wenn er selber das auch nie zugegeben hätte. Das weibliche Gemüt hat einen angeborenen Drang, sich zu allem Hilfsbedürftigen zu neigen. Dieser Drang ist die Quelle der Mutterinstinkte, die Quelle aller weiblichen Opferwilligkeit, aller guten und großen Regungen in einer unverdorbenen Frauenseele.

Maria hatte Mitleid mit Arne. Sie wußte, daß sie ihm nicht helfen konnte, nicht äußerlich und nicht innerlich. Aber dies Mitleid durchsetzte unwillkürlich ihr Wesen ihm gegenüber. Es wurde um einen Ton wärmer, freier, mutiger. Sie hatte plötzlich, zum erstenmal in ihrer Ehe, die Empfindung, daß sie ihm nötig sein könnte, und mit dieser Empfindung trat sie sofort auf festeren Boden. Denn das Weib, mehr als irgend ein anderes Geschöpf, will wissen, daß es jemandem nötig ist; nicht einer Sache, sondern einer Person, einem Menschen; des Weibes ganzes Leben ist aufs Persönliche gestellt; am meisten aber in diesem Falle.

Sie erfuhr nie, ob er empfand, wie sie für ihn, mit ihm fühlte, ob es ihm wohltat, oder ob es ihn bedrückte. Er blieb sich immer gleich in seiner äußerlichen Unerschütterlichkeit.

Maria überlegte sogar, ob sie ihm jetzt das ihre an Vermögen geben sollte; jetzt hätte sie es gekonnt – freiwillig und unaufgefordert; einem drängenden Gefühl zufolge. Aber sie wußte nicht, wie sie es anfangen sollte. Wenn sie es ihm angeboten hätte, würde er Verdacht schöpfen. Er würde es ablehnen, um die Vermutungen, die sie zu solchem Anerbieten veranlaßten, hinfällig zu machen. Und weiter dachte sie, daß das, was sie ihm anzubieten hatte, nicht mehr hinreichen würde, eine wirkliche Hilfe zu sein. Dann aber war es weggeworfen, verloren für ihre Kinder. Für sich selber hätte sie sich gern davon getrennt. Aber gegen ihre Kinder hatte sie Pflichten. Ihr Pflichtgefühl war ein gerechtes, unumstößliches.

Der Sommer brachte schlechtes Erntewetter. Das wenige, was Arne Terhalden auf seinen unverständig behandelten Feldern entgegenwuchs, verdarb unter schweren Gewittergüssen, stechenden Sonnenstrahlen und schwülen Nächten. Der wilde Mohn entfesselte seine brennende Pracht, der Rittersporn reckte seine blauen Kerzen zu üppiger Höhe, die rote Steinnelke leuchtete im knietiefen Unkraut der Raine. Aber das Korn faulte in den Aehren. Der Wald sog Kraft zu wucherndem Leben aus dem getränkten Erdboden, die Wasserläufe schwollen zu übermütiger Lust und Fülle. Aber in den Garben starb der Keim des neuen, zukünftigen Lebens.

Es ging allen so im Lande umher. Aber keinen traf es so hart, wie es Arne traf.

Er ging herum in einer schrecklichen Stimmung. Aber er sprach sich nicht aus. Er sprach überhaupt nicht.

Maria sah, wie er litt. Sie wartete von Tag zu Tag auf eine Gelegenheit, die es ihr ermöglichte, mit ihm zu leiden.

Sie stand am Fenster, sah den Regen niederrauschen, hörte ihn auf die blankgewaschenen Pflastersteine klatschen, in den blechernen Rinnen klappern. Sie fühlte seine ganze Wucht auf Arnes gequältes Hirn herniederprasseln. Sie drückte die Stirn an die Scheiben.

»Es ist ein trostloses Wetter,« sagte sie. »Es ist zum Verzagen –«

»Es ist doch nicht zu ändern,« antwortete er ruhig. »Das Jammern darüber macht es nur ärger.«

Die Schwüle draußen und drinnen war kaum noch zu ertragen. Sie erschlaffte, lähmte, legte sich wie ein Druck auf jede Lebensäußerung.

Wenn ich nur wüßte, wohin wir treiben, dachte Maria. Dieses Nichtwissen, dieser unklare Zustand ist das Marterndste von allem. Wenn man der Gefahr ins Auge sieht, weiß man wenigstens, wie man sich zu rüsten hat.

Sie kam sich vor, wie der Heizer im Schiff, der die Maschine bedient, unermüdlich und pflichttreu seine mechanischen Verrichtungen ausführt, und keine Ahnung hat von dem Kurs, für dessen Einschlagen er seine Kraft vernutzt; der die Schwankungen des Schiffes fühlt, und die Veranlassung nicht kennt; der die Anzeichen der Not dumpf empfindet, und schweigend weiterarbeiten muß, ohne zu wissen, ob seine Arbeit imstande sein wird, der Not stand zu halten; der endlich, wenn die übermächtigen Wasser über ihn stürzen und ihn verschlingen werden, sterben wird mit der Erkenntnis, daß er unnütze Arbeit getan hat.

Unnütz? Nein. Arbeit, die der Pflicht geweiht ist, hat einen Selbstzweck, gleichviel ob sie andern, äußern Zweck erreichen konnte oder nicht. Das ist der Segen der Pflicht.

Erquickend und doch neiderregend waren Antjes Briefe. Das Vieh gedieh, die Wolle war reichlich gefallen und stand gut im Preise Zwanzig glatte, ranke Füllen hatten sie auf den Markt gebracht und gut verkauft. Die Liebe war groß, und das Glück war reich, und die Sonne lachte immerfort. Ein prächtiges Kind hatten sie, und das zweite würde bald kommen. Sie selber war gesund, – so gesund an Leib und Seele, wie man nur sein kann, wenn man nur glücklich ist. Alles war herrlich. Und wenn sie in einer Wüste säße, statt auf einer blühenden Farm, an tausend Meter hoch über der kribbelnden, wimmelnden Erde, in einer Weltabgeschiedenheit, die dem Gefilde der Seligen glich – wenn sie in einer Wüste säße, so würde auch die Wüste ein Paradies sein, wenn Harald sie mit ihr teilte. Und daß er auch die trostloseste Wüste mit ihr teilen würde, wie er jetzt alle Freuden der Erde mit ihr teilte – das wußte Antje ganz gewiß. Die Freude der Liebe würde ihnen immer bleiben, gleichviel ob Paradies oder Wüste. –

Wenn doch irgend etwas käme, das diese Schwüle klärte! seufzte Maria in schlaflosen Nächten. Und wenn es ein vernichtender Sturm wäre – es wäre besser, als dieses unheilvolle Brüten eines unbekannten Unheils! – –


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