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VI.

Eines Morgens im Februar bekam Maria Terhalden ein Telegramm, worin Hille anfragte, ob sie am Abend desselben Tages nach dem Köbinghof kommen könne.

Maria erschrak. Was war vorgefallen?

Plötzliche Entschlüsse lagen zwar in Hilles Charakter. Aber ihr gegenseitiges Verhältnis war nicht derart, daß eine plötzliche Sehnsucht einen derartigen Entschluß hätte zeitigen können.

Immerhin gab es allerhand harmlose Gründe. Axel war vielleicht auf einer Dienstreise, und Hille langweilte sich, wollte fort und wußte augenblicklich kein anderes Ziel.

Arne war für mehrere Tage verreist, in Bau- und Geldgeschäften, die ihn jetzt des öfteren im Lande herumjagten. Aber da Hille allein kam, war die Abwesenheit des Hausherrn kein Hindernis.

Maria hatte sich dieser einsamen Tage gefreut. Das waren allemal Erholungszeiten für sie, in denen ihr eingekerkertes Ich sich einmal unbehindert dehnen und ausruhen durfte. Keine immerwährenden Rücksichten, Sichfügen, gehetzt und getadelt werden.

Aber mit der Selbstverleugnung, die ihr schon lange zur zweiten Natur geworden war, kam es ihr gar nicht in den Sinn, Hille abzusagen. Sie hieß sie willkommen und empfing sie am Abend mit der ganzen Freundlichkeit ihres warmen Herzens.

Hille stob ins Haus, als habe der Sturm, der draußen über schmutzigen Tauschnee fegte, sie hereingejagt. Sie sah verstört und erregt aus und erwiderte kaum Marias herzliche Begrüßung.

»Arne ist leider verreist,« sagte Maria, während sie die Treppe zu den Gastzimmern hinaufstiegen.

Hille blieb auf zwei Stufen stehen, sichtlich bestürzt.

»Warum hast du mir das nicht mitgeteilt, wegen Arne bin ich doch nur hergekommen!«

»Das konnte ich aber nicht wissen, Hille,« sagte Maria, ohne eine Spur von Empfindlichkeit über diese Redewendung. Hille schien sich erst jetzt der Seltsamkeit derselben bewußt zu werden.

»Ich meine, ich hatte mit Arne Wichtiges zu besprechen. Wann kommt er wieder?«

»Vielleicht übermorgen. Vielleicht auch erst später.«

»So werde ich auf ihn warten,« beschloß Hille und stieg weiter. Sie war zerstreut und hastig, wie von einer Unruhe gefoltert.

Was hat sie nur, dachte Maria. Es muß etwas Wichtiges sein, wenn sie sich entschließt, es mit Arne zu besprechen.

Indessen schien sie es Maria nicht sagen zu wollen. Sie redete hin und her, lachte, wo es gar nichts zu lachen gab.

Maria fragte nicht. Fragen war nicht ihre Sache.

Dann kam es von selber, nach dem Abendessen, als sie allein zusammensaßen. Da sagte Hille mitten hinein in eine Unterhaltung über gleichgültige Dinge:

»Ich wollte Arne sagen, daß ich mich scheiden lassen will, und ihn um seinen Rat bitten.«

Maria wurde ganz steif vor Schreck. Ihre Augen weiteten sich. – »Du willst – dich – scheiden – lassen -«

»Ja doch,« sagte Hille ungeduldig, mit gesenkten Augen und nervös spielenden Fingern. »Ich habe erfahren, daß Axel ein Verhältnis hat, und das lasse ich mir nicht gefallen.«

»Wer hat dir so etwas Gemeines geklatscht?« –

»O – es ist kein Klatsch. Aber eine Gemeinheit ist es, da hast du schon recht.«

»Und du glaubst –«

»Ich habe Beweise.«

Mein Gott, dachte Maria, das geht ja nicht, das muß ja verhindert werden – das ist ja überhaupt nicht wahr. –

Hille meinte, Maria glaube ihr nicht. Da wurde sie redselig.

»Daß er mir nicht treu ist, im allgemeinen, das weiß ich schon lange. Darüber habe ich die Augen zugedrückt. Das geht vielen so. Das finde ich nicht einmal so schlimm – in Zeiten, wenn die Kinder kommen, wenn man verreist oder krank ist. Die Männer sind nun mal so, und es ist am klügsten, sich damit abzufinden. Es hört von selbst wieder auf, und schlimmstenfalls entläßt man das Stubenmädchen. Aber ein solches Verhältnis – das ist ein Skandal. Das tut man nicht. Die ganze Stadt spricht davon, die Herren machen zweideutige Witze und die Damen tun mitleidig. Das ertrage ich nicht. Und zu denken, daß er mir das bietet, während ich jung und gesund neben ihm herlaufe – daß er mich immer abwechselnd –«

»Hille, es ist deiner unwürdig, so zu reden!« unterbrach Maria in wahrer Angst den sich überhastenden Redestrom.

»Ich rede die Wahrheit.«

»Aber in einem Ton –«

»So – und was für einen Ton soll ich denn anschlagen? Soll ich weinen und seufzen? Dazu bin ich viel zu empört.«

»Du solltest denken, daß, wo es so weit kommt, die Frau selten ohne Schuld daran ist.«

»Wie kannst du dich unterstehen, so zu mir zu reden!«

»Ich habe ein Recht dazu –«

»Woher? weil du eine Fremde in dieser Familie bist und keine Ahnung von solchen Dingen hast?«

»Warum glaubst du, daß ich keine Ahnung habe?«

»Pah – weil Arne ein Ehrenmann ist, in dessen Ehe es jedenfalls so ordentlich und sauber aussieht, wie in einer frisch aufgeräumten Vorratskammer.«

»Ja – da hast du recht –« sagte Maria und dachte bei sich: es klingt trotz alledem nicht so, als ob sie mit meiner Ehe tauschen möchte.

Plötzlich neigte sie sich gegen Hille und nahm eine ihrer unruhigen Hände mit festem, weichem Griff in die ihren.

»Wir wollen uns doch nicht zanken, Hille. Du bist gekommen, um mit uns darüber zu sprechen –«

»Mit Arne.«

»Nun ja, aber Arne ist nicht hier. Vielleicht kannst du auch mir dein Vertrauen schenken. Ich habe vielleicht mehr Verständnis für deinen Kummer als er – denn er ist ein Mann.«

Hille wußte nicht, was sie tun sollte. Es war ihr gar nicht angenehm, mit Maria darüber zu sprechen. Aber schließlich siegte das Bedürfnis nach Aussprache. So selbständig sie sich gab, so unselbständig war sie.

Sie kramte die ganze unsaubere Geschichte vor Maria aus.

Maria blieb anfangs still sitzen. Dann stand sie auf und ging mit schweren, leisen Schritten hin und her. Das dunkle Hauskleid floß lang an ihr hernieder, als zöge es mit seinem Gewicht die zarte Gestalt zu Boden.

Es kostete ihr eine große Ueberwindung, zuzuhören. Sie haßte solche Geschichten. Aber sie lassen sich freilich nicht wegleugnen, wenn sie da sind. Nur reden sollte man nicht davon – nicht vor Andren, nicht vor den Vertrautesten. Dergleichen soll man allein abmachen.

Hille war nicht stark genug, das allein abzumachen. Maria sah das ein; sah ein, daß man ihr helfen, daß man ihr beistehen müsse.

Daß Hille die Wahrheit sprach, daran zweifelte Maria nicht mehr, als sie alles gehört hatte. Trotzdem konnte sie sich nicht entschließen, Axel zu verdammen. Man soll niemanden ungehört verurteilen.

Die ganze Art, wie Hille von diesen peinlichen, heimlichsten Dingen sprach, diese schonungslose, schamlose Art, verletzte sie. So gibt man den Mann nicht preis, den man liebt.

Aber liebte Hille ihren Mann? Hatte sie es je getan? Tat sie es noch?

Kann man überhaupt den Mann noch lieben, der einem das antut?

O ja – man kann. Eine Frau kann immer weiter lieben, auch wo sie getreten und beleidigt wird – wenn sie je wirklich geliebt hat.

Aber das war es ja eben, dies letzte. Hilles eheliche Liebe war stets etwas Oberflächliches, Plänkelndes, Kokettierendes gewesen. Ein hüpfendes Irrlicht, keine warme Herdflamme, kein vulkanisches Feuer.

Hille hatte ja das Tragische, das Heilig-Unheilige dessen, was sie erzählte, gar nicht begriffen. Sie sah und fühlte in alledem nur das eine, daß, sie beleidigt und bloßgestellt war. Maria seufzte schwer. Sie fühlte sich ihrer Aufgabe nicht gewachsen.

»Und nun willst du dich scheiden lassen – deswegen?« fragte sie, dicht vor Hille stehenbleibend und ihr mit ihren klaren, stillen Augen in das erregt glühende Antlitz blickend.

»Ja, habe ich etwa keinen Grund?«

»Einen Grund hast du. Jeder Richter würde ihn anerkennen. Trotzdem darfst du es nicht.«

Hille fuhr auf, wie bei einem Peitschenschlage.

»Warum nicht?«

»Denke an die Kinder!«

»Für die Kinder ist es besser, wenn diese unmoralische Ehe geschieden wird, als wenn sie unter solchen Verhältnissen, die sie bald genug begreifen und durchschauen würden, aufwachsen müssen. Außerdem würden sie mir zugesprochen werden.«

»Darauf kommt es hier nicht an. Aber nehmen wir an, es käme so,« fuhr sie schnell fort, eine erregte Erwiderung von Hille abschneidend. »Hast du dir schon überlegt, welche ungeheure Verantwortung du auf dich ladest, wenn du deinen Mann des besten, vielleicht des einzigsten Haltes beraubst, an dem er sich jetzt wieder aufrichten könnte? Seines Hauses, seiner Frau, seiner Kinder?«

Hille staunte Maria mit offenem Munde an.

»Er ist alt genug, für sich selbst verantwortlich zu sein,« sagte sie ein wenig verlegen. Marias Worte hatten getroffen.

»Alt genug – ja. Aber du hast dein Leben mit dem seinigen verbunden, durch das innigste, heiligste Band, das Menschen bindet. Ihr steht und fallt nicht mehr allein, sondern miteinander – für einander – durch einander. Ihr werdet einst Rechenschaft geben müssen, es wird Rechenschaft von euch gefordert werden für das, was der eine geworden ist am andern, durch den andern, für den andern.«

»Ach – das sind ideale Schwärmereien,« wehrte Hille bedrückt.

»Nein, Hille, das ist die Vollkommenheit, nach der jeder streben muß. Die realen Verhältnisse sind oft sehr schwer, sehr widerlich. Man muß sie in ein höheres Licht rücken, damit man Herr über sie werde, sonst wird man von ihnen mitgerissen in die dunkle Tiefe, aus der sie stammen. Und das ist dann das Trostloseste von allem –«

Hille sah nachdenklich zu der stillen, unscheinbaren Schwägerin auf. Das war eine ganz andere Maria, als die sie bisher gekannt hatte.

»Was soll ich denn tun? Was würdest du denn an meiner Stelle tun?«

»Ich würde ihm verzeihen und ihn desto herzlicher lieben.«

Hille holte tief und langsam Atem.

»Du meinst es gut, Maria. Aber du verstehst es nicht.«

Wie soll ich es ihr klarmachen, dachte Maria. Es darf nicht geschehen, was sie will. Nicht der Menschen wegen muß es vermieden werden, ihretwegen – Axels wegen –.

Da fing Hille wieder an:

»Es haben sich schon viele aus demselben Grunde scheiden lassen, und das wird dann immer sehr begreiflich und richtig gefunden. Zum Beispiel findet jeder es ganz in der Ordnung, daß Rütjer Thoren sich scheiden ließ.«

Bei Nennung dieses Namens zuckte Maria zusammen.

»Das hat jeder mit sich selbst auszumachen. Und was die Menschen sagen und meinen, sollte uns ganz gleich sein. Was wir in unserem besonderen Falle verantworten können, darauf kommt's an. Die Gräfin Thoren soll eine kaltherzige, leichtfertige Person gewesen sein. Die öffentliche Meinung kann auch hierin irren. Aber nehmen wir an, sie habe recht gehabt. Jedenfalls hat die Gräfin Thoren den Willen zu ihrer Tat gehabt und hat ihn durchgesetzt. Das weitere ist ihre Sache. Niemand weiß, ob sie glücklich dadurch geworden ist. Das Leben ihres Mannes hat sie jedenfalls zerstört.«

»Ja – aber da war die Sache umgekehrt. Da war sie der schuldige Teil.«

»Bist du ganz unschuldig, Hille?«

»Maria!« klang es drohend.

»Ich meine nicht, ob du ihm treu gewesen bist – in dem Sinne. Und doch – warst du immer treu – im Kleinen? Hast du ihn immer richtig geliebt?«

»Was willst du damit sagen?«

»Das brauche ich dir doch nicht zu erklären. Das weiß eine Frau, was ›richtig lieben‹ heißt – und wenn sie es nur aus der Negative gelernt hätte.«

Hille senkte den Kopf und schwieg.

»Er hat mich oft schrecklich gereizt« – sagte sie zögernd – entschuldigend gegen eine Anklage, die gar nicht gefallen war, die sich plötzlich in ihrer Seele regte.

»Du ihn auch,« sagte Maria unerschrocken. »Ich weiß es.«

»Dann habe ich mich jedenfalls nicht so dafür gerächt, wie er,« trotzte Hille.

»Das ist zum Glück für uns Frauen nicht so leicht. Uebrigens bist du auf dem besten Wege, dich viel grausamer zu rächen.«

»Wer weiß – es ist ihm vielleicht ganz recht so.«

»Glaubst du das wirklich?«

Hille schwieg.

»Hast du ihm gesagt, was du beabsichtigst?«

Hille nickte.

»Was hat er geantwortet?«

Hille rang mit ihrer Ehrlichkeit gegen ihren Stolz.

»Er überließ mir, zu tun, was ich für recht hielte.«

Marias Seele tat einen Stoßseufzer der Hoffnung.

Sie legte ihre Hände auf Hilles Schultern und fragte mit einer so furchtbar ernsten, feierlichen, eindringlichen Stimme:

»Hast du Axel lieb, Hille?«

»Ich weiß nicht, ob du das, was zwischen uns ist – war – Liebe nennst –«.

»Keine Ausflüchte – keine Seitensprünge, Hille. Hast du deinen Mann lieb?«

»Mein Gott – ja – natürlich –« Hille stieß die Schwägerin von sich, sprang auf und kehrte ihr den Rücken zu.

»Dann mußt du bei ihm bleiben,« hörte sie Maria sagen.

»Ich kann nicht. Ich will nicht!« schrie Hille auf.

Dabei blieb sie. Die bessere Stimme, die Maria heraufgezwungen hatte in diesem trotzigen, gekränkten Herzen verstummte vor diesem Ausbruch zorniger Leidenschaft.

Es geht nicht auf einmal, dachte Maria. Es ist zu viel verlangt. Es ist ein hartes Stück für die anspruchsvolle, verwöhnte Hille. – Könnte ich doch mit Axel reden, dachte sie weiter. Er muß das Beste tun in dieser verzweifelten Sache.

Sie war überzeugt, daß er gern das Beste tun würde. –

Am andern Morgen war Hille still und bedrückt, aber sie hatte eine tiefe Trotzfalte zwischen den Augenbrauen. Sie sprach wenig und beobachtete Maria in all ihrem Tun und Walten mit einem verstohlenen Interesse.

Bis jetzt hatte diese Frau sie gar nicht interessiert. Jetzt hatte sie etwas in ihr entdeckt, was sie nicht zu nennen wußte und wovor sie sich schämte.

Hille konnte es nicht ertragen, irgend eine Ueberlegenheit zu empfinden. Nun empfand sie sogar solche Ueberlegenheit bei Maria, auf die sie immer mit einer Art geringschätzendem Mitleid herabgeblickt hatte.

Sie fühlte instinktiv, daß Maria reifer und tiefer – und richtiger dachte als sie. Das Bewußtsein, daß Maria jetzt auf sie herabsehen müsse, reizte sie zum Widerstande auf, und sie sann nur darüber nach, wie sie Maria überzeugen könne, daß ihre, Hilles, Auffassung berechtigt sei.

Sie quälte Maria den ganzen Tag mit Schilderungen ihres ehelichen Lebens. Sie betonte stark, sie unterstrich, übertrieb in allem, was sie zu Axels Nachteil irgend vorzubringen wußte. Maria sollte begreifen, daß dies letzte nur der Tropfen war, der das Faß zum Ueberlaufen brachte. Ein schwerer, giftiger Tropfen.

Es war Maria schrecklich, dies alles mit anzuhören. Sie schämte sich vor dem Schwager, für den Schwager. Sie dachte, daß sie ihm nie wieder würde in die Augen sehen können. – Aber Hilles Redefluß war nicht zu hemmen.

»Du kannst ihn doch unmöglich in Schutz nehmen!« eiferte sie.

»Es ist leicht, einen Abwesenden zu verurteilen, der sich nicht verteidigen kann –« unterbrach Maria ausweichend.

Hille geriet außer sich über diese hartnäckige Objektivität.

»Ich wundere mich, daß du solchen Tatsachen gegenüber noch an Verteidigung denken kannst. Ich habe deine Moral bisher für eine enge gehalten. Sie scheint aber sehr weitherzig zu sein. Ich werde mit Arne sprechen, der denkt strenger. Das weiß ich.« –

»Ja, er wird streng sein,« sagte Maria. »Aber auch gegen dich. Erwarte nicht zu viel von ihm.«

Spät in der Nacht kam Arne Terhalden nach Hause. Hille war auf Marias Bitte zu Bett gegangen. Mitten in der Nacht konnten sie diese Angelegenheit doch nicht mehr besprechen.

»Hille ist hier,« sagte Maria, die ihn erwartet hatte. Und dann sagte sie ihm den Grund ihres überraschenden Besuchs.

Man sah es ihr an, daß sie mit Widerstreben erzählte; nicht wegen dessen, was sie erzählte, sondern wegen dessen, dem sie erzählte. Sie sprach mechanisch, rein sachlich, ohne ihre Ansicht darüber auch nur mit einem Wort zu streifen. Die Maria, die hier dem Manne gegenüberstand, war eine ganz andere, als die heut und gestern Hille gegenübergestanden hatte. Etwas Unpersönliches, Statuenhaftes war über ihr.

Arne Terhalden hörte schweigend zu. Sein Gesicht wurde hart, hochmütig; ganz das Gesicht eines erbarmungslosen Richters.

»Man muß den Kerl fordern,« sagte er erregt; trotzdem klang es eisig. Maria schauderte nervös zusammen.

»Ich denke, du verurteilst das Duell vom christlichen und sittlichen Standpunkt aus,« sagte sie ruhig.

Arne Terhalden wandte sich ärgerlich ab und räusperte sich ungeduldig.

»Warum mischst du dich in Dinge, die dich nichts angehen,« sagte er.

»Ich habe mich nicht hineingemischt. Hille hat uns um Rat und Beistand gebeten. Sollte ich sie abweisen?«

»Ich will mit der Sache nichts zu tun haben. Sie geht mich ganz und gar nichts an.«

»Hille ist deine Schwester!«

»Sie soll sich schämen, daß sie ihre Ehe vor andern Leuten preisgibt. Warum hat sie ihn geheiratet? Sie soll ausessen, was sie sich eingebrockt hat. – Axel existiert natürlich für mich nicht mehr,« setzte er unlogisch hinzu.

Maria wußte, daß es vergebliche Mühe war, an Arnes Herz zu appellieren; an ein Ding, das nicht da war. Sie biß sich auf die Lippen, damit nicht die Empörung, die immer noch nicht gelernt hatte, in solchen Augenblicken zu schweigen, in heftigen, nutzlosen Worten hervorsprudelte.

»Hille wird aber mit dir darüber sprechen.«

»Das soll sie lieber lassen.«

»Ich kann es ihr nicht verbieten. Es ist doch ganz unmöglich, daß du mit ihr verkehrst, und das alles weißt, und es ignorierst!«

»Warum? Mir ist das gar nicht unmöglich.«

In Maria rang die erfahrene Klugheit mit dem überquellenden Herzen.

»Du kannst doch nicht deine eigene Schwester in ihrer Not, in der sie zu dir um Hilfe kommt, sitzen lassen!!« rief sie beschwörend.

»Ich habe sie nicht aufgefordert, zu mir zu kommen.«

Eine Pause trat ein. Dann sagte Arne, daß er müde sei und zu schlafen wünsche.

Kurze Zeit später verrieten seine ruhigen, lauten Atemzüge, daß er eingeschlafen sei.

Maria warf sich die ganze Nacht ruhelos in ihrem Bette umher. Das Fieber war wieder über sie gekommen, an dem sich ihre so warme, so wärmebedürftige Seele verzehrte in der Atmosphäre von Kälte und Dürre, die Arne Terhalden um sich verbreitete.

»Wo ist Arne –« war Hilles erste Frage, als sie zum Frühstück herunterkam.

»Er ist auf den Hof gegangen,« sagte Maria und beugte sich tief über die Flamme des Teekessels, die sie gedankenlos auslöschte, um sie dann ebenso gedankenlos wieder anzustecken.

»Hast du ihm nicht gesagt, daß ich ihn sprechen will – und warum?«

»Ja. Aber – weißt du, Hille, solche Dinge sind ihm so unangenehm –« sagte die arme Maria mit stockender Stimme.

»Das heißt doch nicht, daß er überhaupt nicht mit mir sprechen will?«

»Lieber wäre es ihm freilich, du sagtest ihm nichts –«

»So – nun, daran werde ich mich nicht kehren. Es ist seine Pflicht, mich anzuhören. Wer weiß, wie du ihm das alles geschildert hast!«

Maria nahm dieses Mißtrauen schweigend hin.

»Was hat er denn gesagt?« forschte Hille, während sie hastig und zerstreut ihren Tee trank und sehr viel Kuchen dazu aß.

»Frage ihn doch selber,« bat Maria mit müder Stimme. »Er war gestern abgespannt und gereizt. Er hat sich vielleicht über Nacht anders besonnen.«

Maria sah so blaß aus und so betrübt. Sie haben sich wohl gar gezankt meinetwegen, dachte Hille, und empfand eine kleine Genugtuung dabei.

Dann ging sie in Arnes Zimmer, um ihm dort aufzulauern. Maria ließ sie gewähren. Es war ihr gutes Recht. –

Sie holte sich den kleinen Alf und ging mit ihm spazieren. Das süße Geplauder dieses sonnigen Kindes war das Heilmittel für ihre Seele.

Arne kam herein. Er stutzte, als er seine Schwester sah, und sein Gesicht bekam einen hochmütig abweisenden Ausdruck. Sein Gruß war steif und kühl.

Hille kehrte sich weder an das eine noch an das andere.

»Maria hat dir wohl gesagt, weswegen ich kam und daß ich mit dir zu sprechen wünsche –«

»Ich teile diesen Wunsch leider nicht,« sagte Arne eisig.

»Es wird dir wohl nichts helfen «

»So will ich dir von vornherein sagen, daß ich nicht die Absicht habe, mich um diese saubren Geschichten zu kümmern. Und wenn du mich dazu zwingst, so könnte es in einer Weise geschehen, die dich bereuen machte, meine Einmischung gewünscht zu haben.«

Hille sah ihn groß an. Sie fühlte einen jähen Haß gegen ihn.

Sie verstand.

»Du willst also nichts davon hören?«

»Nein. Ich wundre mich, daß du dich nicht schämst, davon zu sprechen.«

»Es ist auch nicht angenehm, von solchen Dingen zu reden. Wenn sie aber geschehen sind, kann mach sie nicht durch Schweigen aus der Welt schaffen.«

»Ich will dir etwas sagen, liebe Hille: der Mann, der so etwas tut, ist keinen Schuß Pulver wert. Aber die Frau, die darüber spricht, ist noch schlimmer.«

Hille maß ihn mit einem Blick kalter Verachtung.

»Mein Gott, was bist du für ein Philister und Pharisäer!« sagte sie.

Arne Terhalden zuckte nur die Achseln.

»Gut also,« begann Hille mit trotziger Beharrlichkeit wieder. »Ich will die geschehenen Dinge, die du ja ohnehin kennst, mit Stillschweigen übergehen, und nur von den zukünftigen sprechen. Ich habe nicht die Absicht, unter diesen Verhältnissen bei meinem Manne zu bleiben, sondern wünsche mich von ihm zu trennen.«

»Das ist deine Sache. Das geht mich nichts an.«

»Ich wollte dich bitten, dich ›meiner‹ Sache anzunehmen.«

»Tut mir leid, Hille. Damit werde ich mich nicht befassen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich mir die Hände nicht bei einem Familienskandal beschmutzen will.«

Hille sah aus, als ob sie ihm ins Gesicht springen und ihn kratzen wollte. Sie bezwang sich.

»Alle Achtung vor deinen reinen Händen,« sagte sie schneidend. »Aber ich sage dir, daß Axels schmutzige Hände mir denn doch noch lieber sind – denn die sind wenigstens warm –«

Damit verließ sie ihn und ging davon, alle Türen hinter sich zuschlagend.

Arne Terhalden sah ihr mißmutig nach.

Ein ganz unerzogener, haltloser Charakter, dachte er. Es wäre unter meiner Würde, mich mit dieser Ehe zu befassen.

Hille suchte den ganzen Garten nach Maria ab. Endlich fand sie sie, mit Alfchen einen Schneemann bauend, wobei sie beide herzlich lachten.

»Die scheint es sich ja auch recht wenig zu Herzen zu nehmen,« dachte Hille mit steigender Erbitterung. Aber als sie sich den beiden näherte, unterbrach Maria das Spiel, kam Hille entgegen und ihr Gesicht trug einen ängstlich gespannten Ausdruck.

Maria war nicht erstaunt über das, was sie hörte.

»Ich habe es gewußt und dich darauf vorbereitet,« sagte sie betrübt.

»Du mußt deinen Einfluß auf ihn geltend machen!«

»Ich habe keinen Einfluß auf Arne.«

»Nun ja, das ist eben deine Dummheit, deine Schwäche. Du bist immer solch fügsames Schaf gegen ihn –«

Maria mußte wider Willen lächeln.

»Es bleibt manchmal nichts andres übrig,« sagte sie.

»Ach was – du bist eben sehr gleichgültig – oder sehr verliebt.« –

»Wahrscheinlich das letztere,« entfuhr es Maria. Sie war durch das fortgesetzte Reden und Denken über denselben Gegenstand in eine unbeschreiblich gereizte Seelenstimmung gekommen. Es klang so bitter, daß Hille sie betroffen anstarrte.

Maria vertröstete den kleinen Alf, der stürmisch verlangte, daß sie weiter mit ihm spiele.

»Gleich, mein Liebling. Such indessen einen schönen Stock, den geben wir dann dem Schneemann in die Hand.«

Hille trat vor Ungeduld von einem Fuß auf den andern.

»Ich möchte also zu Venningens,« sprach sie laut dazwischen. »Da werde ich wohl mehr Geschwisterliebe finden. Du bist wohl so gut, Arne zu bitten, daß er mich hinüberschickt.«

»Es tut mir so leid – Hille.« –

»Na ja, das ist nett von dir, aber das nützt mir nichts. – Spiel nur weiter mit Alfchen – ich geh indessen mal zum Vater –«

Maria ließ sie gehen. Sie freute sich über diesen Entschluß. Sie sah darin eine gute Regung dieses verflachten, aber nicht verhärteten Herzens, die sie mit freudiger Hoffnung begrüßte.

Auch, daß sie zu Maren wollte, war ihr ganz recht. Maren hatte so viel gesundes, weibliches Gefühl, trotz aller Einseitigkeit, die doch nur einer vollen Befriedigung im Familienglück entsprang. Maren würde sie vielleicht auf einen guten Weg bringen.

Die gemeinsame Mahlzeit war noch eine Qual für Maria; sie litt so schrecklich unter solchen dürren, lieblosen Zuständen. –

Arne ignorierte das Vorgefallene, und Hille ignorierte Arne.

Beim Abschied gab sie ihm nicht die Hand. –

Als Hille fort war, kam ein Brief von Axel Bergen. Er war an Maria gerichtet, und Arne übergab ihn ihr mit einem Gesicht, das seine unangenehmen Empfindungen deutlich verriet.

»Ich finde es höchst merkwürdig, daß er an dich schreibt.«

Maria sagte nichts, erbrach den Brief und las ihn vor.

Axel fragte an, ob Hille auf dem Köbinghof sei. Sie sei nach einer heftigen Auseinandersetzung abgereist, ohne zu sagen, wohin. Er vermute sie bei Maria, und in diesem Falle bäte er, nachkommen zu dürfen.

»Ich will ihn unter keinen Umständen hier haben; das kannst du ihm schreiben,« sagte Arne. »Hille ist ja ohnehin nicht mehr hier.«

In Marias Herzen überstürzten sich die Gedanken.

Er will ihr nach. Er gibt sie nicht auf. Er will sich mit ihr versöhnen. Er könnte sie bei Maren aufsuchen. Aber ich weiß nicht, wie sie dort darüber denken. Ich kann ihn nicht abweisen. Ich muß ihn sprechen. –

»Wenn du ihn nicht hier haben willst, so werde ich zu ihm gehen,« sagte sie plötzlich mit ruhiger Bestimmtheit.

»Das werde ich nicht zugeben,« sagte Arne. »Das ist wieder eine von deinen romantischen Anwandlungen. Ich begreife nicht, daß es dir Spaß macht, dich in diese Ehe zu mischen.«

»Spaß macht es mir ganz und gar nicht. Ich halte es einfach für meine Pflicht.«

»Eine merkwürdige Auffassung von Pflicht –«

»Liebespflicht. Nächstenpflicht. Also bitte, erlaube es mir –«

Arne Terhalden räusperte sich ungeduldig.

»Ich werde dich ja nicht hindern können, zu tun, was du willst. Aber wenn du zu ihm gehst, so tust du es gegen meinen ausdrücklichen Willen.«

»So werde ich es gegen deinen Willen tun.« Ihre Stimme zitterte trotz aller Entschlossenheit, und sie war sehr blaß.

Arne wurde immer eisig, wenn andre sich erregten.

»Du mußt dir klar machen, daß ich unter keinen Umständen für die Folgen dieser törichten Handlungsweise einstehen werde.«

»Das erwarte ich nicht anders bei deiner Stellungnahme. Aber du mußt einsehen, daß wenigstens einer von uns die Hand ergreifen muß, die sich nach uns ausstreckt –«

»Ich sehe das ganz und gar nicht ein.«

Maria telegraphierte an Axel, daß Hille zu Maren weitergefahren sei, und daß sie selber am nächsten Nachmittage zu ihm kommen werde.

Als die Nachricht fort war, fühlte sie sich frei und sicher.

Maria wußte mit der schnellen Menschenkenntnis zartfühlender und mitfühlender Seelen, daß Axel und Hille nicht Eheleute waren, die um einer solchen Sache willen auseinandergehen müssen. Sie waren nicht schwer und ernst; sie trugen einen Schild von Lebensfreudigkeit und Leichtlebigkeit, der ihre Seelen schützte vor tödlichen Verwundungen. Auch dies war nur ein flacher Hieb, der heilen mußte, wenn er schnell und richtig behandelt wurde. Freilich konnte auch ein eiternder Fraß daraus werden. –

Wer eine Ehe retten kann und tut es nicht, versucht es nicht einmal, der ist mitschuldig, wenn sie auseinandergeht.

Es war eine von Marias hervorstechendsten Eigenschaften, daß sie nicht kalt bleiben konnte, wenn fremdes Leid an sie herantrat. Es hatte sie noch nie jemand umsonst um tatkräftige Hilfe gebeten.

Niemand kann gegen seine eigne Natur. In allen die Persönlichkeit angreifenden Momenten bricht sie durch und setzt sich durch; um so kräftiger, je stärker die Persönlichkeit ist.

»Wirst du wirklich reisen?« fragte Arne, als Maria mit ihren Vorbereitungen längst fertig war.

»Ja,« sagte sie.

Er war erstaunt. Er hätte ihr das nicht zugetraut.

»Ich weiß ja, daß du dich nie nach meinen Wünschen richtest,« sagte er in wegwerfendem Ton.

Maria nahm auch diese unerhörte Anklage ruhig hin.

»Ich danke dir, daß du mich läßt,« sagte sie. –

Axel Bergen holte sie nicht von der Bahn ab. Es war ihr lieb so.

Er empfing sie auch nicht in seiner Wohnung, sondern ließ sie bitten, ihn in Hilles Zimmer zu erwarten.

Die Kinder hatte er fortgeschickt.

Da saß nun Maria und wartete. Ihr war beklommen zumute. Sie wußte ja nicht, was er zu ihrem Kommen dachte. Und sie war so befangen, so hilflos verlegen diesen Dingen gegenüber, wie ein junges Mädchen. Nein, es machte ihr ganz gewiß keinen Spaß, hier eine Vermittlerrolle zu spielen.

Sie hörte nebenan jemanden leise hin und her gehen. Es mußte Axel sein. Konnte er sich nicht entschließen, ihr gegenüberzutreten?

Sie wurde heiß und bekam Herzklopfen. Es war ja eigentlich ungeheuerlich, was sie vor hatte.

Plötzlich trat er ein. Er sah sie an mit einem unsicher tastenden Blick. Es war, als wisse er nicht, ob er ihr die Hand geben solle.

Maria fühlte dies Zögern, noch ehe sie es verstand. Sie streckte ihm die Hand hin und sagte irgend ein leises Begrüßungswort.

Axel Bergen fühlte sich erlöst von einem unerträglichen Druck und hielt ihre Hand mit einer gewissen Krampfhaftigkeit fest.

»Wie soll ich mir deinen Besuch erklären, Maria?« fragte er.

»Hille hat mich in alles eingeweiht.«

»Und trotzdem kommst du?«

»Ja, trotzdem. Deswegen.«

Axel sah sie nachdenklich an. Etwas Warmes, Zärtliches, Dankbares für sie wallte auf in seinem beweglichen Herzen.

»Setz dich doch,« bat er, eine jähe Bewegung niederkämpfend. Sie nahmen einander gegenüber Platz auf Hilles kleinen, eleganten Sesselchen. Es war so merkwürdig, daß Hille nicht dabei war. »Wenn du irgend eine andere Frau wärest,« sagte Axel, »zum Beispiel Maren, oder Antje, so würde ich mich furchtbar schämen und infolgedessen zugeknöpft und hochfahrend sein. – Aber zu dir habe ich Vertrauen. – Was denkst du nun über das alles, Maria? Was hast du mir zu sagen?«

Maria verschlang die kalten Hände krampfhaft um die schmalen Knie und sah ihn fest an.

»Ihr müßt zusammenbleiben, Axel. Ihr müßt euch wieder versöhnen.«

Axel Bergen machte das dümmste Gesicht seines Lebens. »Das sagst du? Das? Und hältst mir nicht einmal vorher eine gründliche Strafpredigt?«

»Dazu habe ich kein Recht. Das überlasse ich deinem Gewissen.«

»Das hat mein Gewissen getan, sage ich dir, in diesen Tagen, und zwar ganz gehörig.« –

Er sah ehrlich betrübt aus; wie ein guter, reuevoller Junge.

»Axel,« rief Maria, »wie ist es möglich, daß es so weit kam!«

»Ja, wie kommt so etwas! Es ist scheußlich, Maria. Ich wollte, ich könnte es ungeschehen machen! Man tappt da so hinein – man hat so viel Versuchungen – man läßt sich überrumpeln.«

»Ja, aber dies war schon mehr wie Ueberrumpelung. Es ist hart für Hille!«

Ich könnte ihr sagen, dachte Axel, daß Hille mich mit hineingetrieben hat; daß sie oft unausstehlich war, launisch, reizbar, daß sie mir den Aufenthalt im Hause unerträglich gemacht; daß ich dann im Trotz weggelaufen bin, und mich in das alles hineingestürzt habe, um mich über den Mangel daheim hinwegzuschwindeln – um sie zu ärgern – mich zu rächen.

Aber er sagte nichts. Das kam ihm alles so unsäglich kleinlich, schwach und schmutzig vor; schon tagelang; und nun zumal angesichts dieser Maria, die so still, so vornehm, so stark war. –

»Ja, es ist hart für Hille. Und darum weiß ich auch gar nicht, ob sie den Wunsch hat, sich zu versöhnen.« –

»Hast du diesen Wunsch, Axel?«

»Aber natürlich!« rief er aus ehrlichem Herzen. »Ich will alles tun, was sie verlangt – wenn sie nur wieder verzeiht!«

»Ich glaube, es kommt nur auf dich an, Axel. Ein wenig Demütigung wird sie freilich verlangen.«

»Wenn's weiter nichts ist – ich bin schrecklich demütig geworden, seitdem sie mir davon gegangen ist und mich mit den Kindern und meinem Katzenjammer hat sitzen lassen!«

Was hat er für ein glückliches Temperament! dachte Maria. Er wird sie sich wiedergewinnen. Aber die Bahn muß ihm freigemacht werden.

Und nun fing Axel an, sich auszusprechen. Sie wollte es erst nicht hören. Aber es war ihm ein Bedürfnis, sein Herz zu entlasten. Sie ließ ihn gewähren. Sie war es ihm schuldig, nachdem sie durch ihr Kommen den Anstoß dazu gegeben hatte.

Merkwürdig – es machte sie auch gar nicht mehr verlegen, diese Beichte von Männerlippen zu hören. Er war so kindlich dabei, so ehrlich, und so zartfühlend. Es kam keine einzige frivole Bemerkung über seine Lippen.

»Was man fehlt,« sagte sie, »darauf kommt es gar nicht so sehr an, als darauf, wie man es wieder gutmacht. Wohl dem, der Zeit und Kraft hat, wieder gutzumachen!«

Axel sah sie in schwärmender Bewunderung an.

»Nun sage mir, Maria, wie hast du so denken gelernt? Das ist so etwas Seltenes bei euch Frauen.« –

»Man muß die eigene Schwäche kennen lernen, wenn man sie bei andern verstehen will,« sagte sie mit zitternden Lippen.

»Du bist doch niemals schwach gewesen, Maria!«

»O doch – du weißt es nur nicht.« –

Ein seltsames, trauriges Leuchten ging über ihr Gesicht. –

Es endigte damit, daß er ihr die Hände küßte, daß sie ihm über das Haar streichelte, und daß sie dabei weinte.

Es lag eine schöne, fast weihevolle Stimmung über ihrem weiteren Beisammensein. Ihm war zumut wie nach einem stärkenden Reinigungsbad, und sie fühlte sich so warm, so frei – so wie sich ein guter Mensch nach einer guten, mutigen Tat fühlt.

Die Kinder kamen von ihrem Ausgang zurück und waren sehr erstaunt, die Tante Maria zu finden. –

Maria beobachtete, daß Axel eine sehr liebevolle, nette, muntere Art hatte, mit seinen Kindern umzugehen.

Man sah, daß er sie liebte. Es wäre grausam, es darauf ankommen zu lassen, daß diese Kinder ihm genommen würden. Eine Strafe, die er nicht verdiente; denn er hatte aus Leichtsinn gefehlt, nicht aus Verderbtheit. Ihn so zu strafen, hieße ihn verderben. Sie empfand immer größere Befriedigung über das, was sie unternommen, und ihr ganzes Fühlen war ein Gebet, daß Gott ihr gelingen lasse, was er mit einem guten Anfang gesegnet.

Als die Kinder zu Bett gebracht waren, wurde Axel sehr still. Maria ahnte, was in ihm vorging. Sie ließ ihn es auskosten.

»Wenn Hille auf ihrer Absicht beharrt, sich von mir zu trennen, bin ich ein unglücklicher Mensch –« sagte er plötzlich.

»Sie wird nicht darauf beharren; ich glaube, ich kann dir das versprechen,« sagte sie ermutigend.

Er ging im Zimmer auf und ab. Es stürmte so Vielerlei in ihm. Endlich blieb er vor Maria stehen.

»Wenn ich nur wüßte, warum sie alle dich so wenig kennen,« sagte er. »Sie tun immer so, als ob –« er stockte.

»Als ob?« fragte Maria; dabei flog ein kleines, schelmisches Lächeln um ihren Mund, das ihr ganzes Gesicht mit einem jugendlichen, anmutigen Liebreiz überstrahlte.

»Nun – als ob es sich gar nicht lohne, von dir zu sprechen. Und du bist doch mehr und besser als wir alle zusammen.«

»Du übertreibst wohl ein wenig,« meinte sie, immer noch lächelnd. »Jeder hat seine guten und seine schwachen Seiten. Ihr kennt mich nur so wenig.« –

»Ich kenne dich jetzt!« rief er mit echter Herzenswärme. Er liebte sie dafür, daß sie hier so bei ihm saß, ihm helfen wollte, ihm gut tat; daß sie ihn nicht mit einem einzigen selbstgerechten pharisäischen Wort gekränkt und gedemütigt hatte.

Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. Maria besaß diese erfüllende Liebe, die die Macht hat, Herzen zu öffnen und zu lenken.

»Ich kann morgen nicht da sein, wenn du abreist,« sagte er. »Ich muß früh zum Dienst. Ich muß dir heute abend Lebewohl sagen. – Wann wirst du Hille sehen?«

»Ich denke, ich werde gleich zu ihr gehen; nicht erst nach Hause.«

»Und wirst du mir Nachricht geben?«

»Gewiß, Axel, gleich. Hoffentlich ist es eine gute, und du kannst kommen und dir deine Frau holen.«

Er konnte nicht antworten, konnte ihr nicht danken. Die Kehle war ihm zugeschnürt. Als sie endlich auseinandergingen, sagte er:

»Ich werde dir mein Lebenlang nicht vergessen, was du an uns getan hast. Es war Engelsarbeit.«

Maria atmete auf, als es endlich vorbei war. Sie hatte bis zum letzten Augenblick davor gezittert, daß er nach Arne fragen könne.


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