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XXI.

Maria hatte bis zum Frühling bei Harald bleiben wollen. Nun mußte sie doch schon früher zur Heimkehr rüsten. Sie wollte unter allen Umständen ihre Stunde daheim abwarten. Dazu mußte sie in geordneten Verhältnissen sein. Und das ging nicht so schnell. Sie hatte ja nirgends ein Heim, nirgends einen Winkel, wo sie hingehörte.

Dies Wohin war vorderhand die schwerste Frage. Nach vielem Ueberlegen beschloß sie endlich, in ihrer Heimatstadt ihre Wohnung aufzuschlagen. Sie war vertraut mit allen dortigen Verhältnissen. Traute Erinnerungen würden ihr das Einleben leichter machen als anderswo. Anderseits gab es dort kaum noch jemanden, der sie kannte, der von ihr wußte. Das war ihr gerade recht und eine weitere Erleichterung.

Sie schrieb um eine Wohnung an ein dortiges, ihr bekanntes Geschäft, das derartige Wünsche vermittelte. Es wurde ihr etwas Passendes vorgeschlagen in einem Hause, das sie kannte; in einem Stadtteil, der ihr recht war. Sie griff blindlings zu. Wenn es anders war, als sie es sich dachte, konnte sie ja später wieder umziehen. Nur fürs erste einen Unterschlupf haben.

Dann mußte sie das alles an Maren schreiben. Sie bitten, ihre Möbel und Sachen vom Köbinghof für sie hinschaffen zu lassen; ihre Kinder zu behalten, bis sie alles überstanden hatte. Es wurde ihr entsetzlich schwer, das alles mit dürren Worten mitzuteilen. Aber immer noch besser so, als mündlich.

Nachdem all diese Aeußerlichkeiten erledigt, all diese Fragen entschieden waren, wurde Maria wieder ruhiger. Der Mensch kann nicht dauernd in der Höhe der Erregungen verharren. Wenn der Sturm vorübergebraust ist, wird der Wald wieder still. Die entwurzelten Stämme richten sich nicht wieder auf, aber auf der Stätte der Verheerung grünt neues Werden aus der unerschöpflichen Kraft unsterblichen Lebenstriebes.

Maria nahm ihre Zukunft mit tapfrem Mut in ihre pflichttreuen Hände. Sie plante, dachte und sorgte, und Harald und Antje halfen ihr dabei, immer das Ziel ins Auge fassend, das Maria ihrem Leben gesteckt hatte. Sie schalteten aus ihren Wünschen und Empfindungen aus, was Maria mit unerbittlichem Schweigen, mit eiserner Konsequenz ausgeschaltet zu haben wünschte.

Aber dies Eine leuchtete aus dem Untergrund ihrer Seele herauf durch ihre verräterischen Augen. Es ging als Traum durch ihre Nächte, als Qual durch ihre Tage. Wenn sie einsam irgendwo im Steppengras lag und die Lider schloß unter den blendenden Sonnenstrahlen, fuhr sie manchmal jählings auf wie unter einer schmerzhaften Berührung, einer sinneraubenden Beklemmung. Dann war ihr gewesen, als habe jemand sich über sie gebeugt, als habe eine Hand an die feinsten Fasern ihres Lebens getastet. Dann schrie ihre Seele nach diesem einen, gegen diesen einen: laß mich doch in Frieden – mach es mir doch nicht so unmenschlich schwer – ich kann ja doch nicht anders.

Dabei, trotzdem, wurde sie gesunder und frischer. Ihre Wangen röteten sich, ihre überzarte Gestalt gewann an Kraft und Rundung. Die feinen Fältchen, die Kummer und Jammer in ihr Gesicht gezeichnet, glätteten sich wieder. Sie war so hübsch, wie sie noch nie gewesen war. Sie war mehr als hübsch; ihre feine heiße Seele drückte ihrem Gesicht einen unbeschreiblichen Adel auf; ihre ganze Reinheit, Tapferkeit und Leidensstärke; die Lebensfreude derer, die den Lebenswert nicht mehr in den eignen Freuden und Leiden ihres vergänglichen Daseins suchen.

Nirgends konnte sie besser aufgehoben sein in ihrem einer Genesung nach schwerer Krankheit ähnlichem Zustande. Antje verstand so gut zu pflegen und zu hegen, zu erheitern durch ihre frische, gesunde Stimmung, durch das Glück und die Zufriedenheit, die ihr ganzer Mensch ausströmte. Und Harald verstand so gut, ihre niedergedrückten Lebensgeister zu heben durch die Fülle unverbrauchter Kraft freudiger Lebenszuversicht. Vor dem Leuchten seiner Augen, vor seinem fröhlichen Lachen, seinem schallenden Singen und Pfeifen verkrochen sich alle Schatten düstren Grübelns, mutloser Hingabe an schmerzliche Gedanken. – Kraft wirkt ansteckend, wirkt belebend, wie frische Gebirgsluft. Das stärkste Schicksal ist nicht so stark, als daß es nicht von einem starken Menschen überwunden werden könnte. Und das ärmste Leben ist nicht so arm, als daß der Mensch ihm nicht einen Inhalt geben und einen Reichtum abringen könnte. An der Schwäche des Menschen liegt es, wenn das Schicksal ihn niederzwingt, und an der Armut der Seele liegt es, und nicht an der Armut des Lebens, wenn sie leer ausgeht und verkümmert in dem Leben, dessen Schätze häufiger aus der Quelle der Leiden entspringen, als aus der Quelle der Freuden.

Wie man das Leben anfaßt und auffaßt, darauf kommt es mehr an, als auf das, was es uns bringt, und sein eigentlicher Inhalt wird ihm erst von dem Menschen gegeben, der es lebt. Das Schicksal kommt ohne unser Zutun und trotz unsres Sträubens. Aber wie es sich gestaltet, das ist Sache des Menschen, über den es kommt.

Wenn ich mich vor dem Kinde fürchte, dachte Maria, wenn ich es aufnehme wie eine Last oder wie ein Unglück, so wird es Last und Unglück für mich werden, und ich werde es unglücklich machen. Wenn ich mich auf das Kind freue, wenn ich es aufnehme als einen Gottessegen, so wird es mir Freude und Segen bringen, und ich werde ihm Freude und Segen geben. Es kann eine neue Kraft, ein neuer Sporn für mich werden. Eine neue Aufgabe. Und es liegt an mir, zu beweisen, ob ich dieser Aufgabe würdig, ob ich fähig bin, sie zu erfüllen.

Ich will mich nicht lumpen lassen, dachte Maria geradezu. Es ist meiner nicht würdig, mich niedertreten zu lassen. Es kann nicht Gottes Absicht sein, mich zu ersticken mit den Lasten, die er mir auferlegt; er will meine Kräfte üben und stärken. Ich will ihm beweisen, daß ich seine Absichten verstehe. – Und wenn ich ein Schuldgefühl gegen Arne in der Seele trage, so kann ich es am besten dadurch tilgen, daß ich die Kinder, die er mir hinterlassen hat, liebe und segne, daß ich sie auf mich nehme wie heilige Pflichten, die kein andrer außer mir zu erfüllen imstande ist. Gott sei Dank, daß ich Pflichten habe, daß mein Leben nötig ist, daß es auf mich ankommt.

Und noch eins dachte sie, wenn sie in dem Grunde ihres Herzens arbeitete nach dem verschütteten Born quellender Kraft:

»Wenn Rütjer Thoren von mir hört, so soll es nicht sein als von einer die unterlegen ist, sondern als von einer die gesiegt hat.«

Dieser Gedanke wurde schließlich der mächtigste von allem; die gewaltigste Triebfeder, die kräftigste Hilfe. Ohne, daß sie es wollte, obwohl sie sich dagegen sträubte, ohne daß sie es so recht wußte, gründete sich ihr inneres Leben noch einmal auf Rütjer Thoren wie auf einen Felsen.

Von allen Mitteln, die Gott den Menschen gibt, um seine Absichten zu erfüllen, seinen Ruhm zu verkünden, sein Licht zu verbreiten auf Erden, ist die Liebe das größte, wundertätigste und wirksamste.

Und das Schönste, trotz aller Leiden. Denn die Leiden der Liebe sind ein heiliges Läuterungsfeuer.

Harald und Antje sahen dieses Feuer glühen. Sie kannten die Macht, die es schürte. Sie ließen es unberührt. Sie taten nichts dazu und nichts davon. Sie fühlten seine Wärme Marias Seele durchströmen, sahen seinen Segen über ihrem Haupte. Und wenn er sich auch anders erfüllte, als sie wünschten und hofften – sie wußten jetzt, daß es Segen sein würde.

An einem sonnenwarmen Februartage begleiteten sie Maria auf ihrem Wege nach dem Hafen. Sie waren still alle drei. Harald und Antje kämpften mit Abschiedsweh. Sie ließen Maria ziehen in ein fernes Land, in das ihre helfende Hand nicht mehr hinüberreichen würde. Aber sie hatten eine Zuversicht, daß diese helfende Hand nicht mehr nötig sein würde. – Marias Augen gingen über den blauenden Himmel, über die wehende Steppe, über die kahlen Höhen, über die bewaldeten Hänge – durch die ganze unendliche Leere, die wie ein erhabenes Lächeln über den winzigen Spuren menschlichen Daseins leuchtete. – So leuchtet die Sonne göttlicher Erkenntnis, das Licht krafterzwungenen Wollens über dem Dunkel menschlicher Nöte und Irrungen.

So spricht das Schicksal: mache dich zum Knecht – und siehe, ich herrsche; mache dich zum Herrn – und siehe, ich diene. Begegne mir mit Zittern und Zagen, so werde ich dich verwirren. Begegne mir mit dem Mute zielbewußten Wollens, so werde ich dich tragen zu den Höhen der Freude überwindenden Menschentums.


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