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XXIV.
Der Graf von Mortagne

Ohne die scharf ausgesprochenen Züge, welche das Gesicht des Grafen von Mortagne charakterisirten, wäre er unkenntlich gewesen. Sein Bart und sein Haar waren ganz weiß geworden; seine gefurchte Stirn, seine hohlen, mit einem braunen Rande umgebenen Augen, seine tief eingefallenen Wangen zeugten von langen und grausamen Leiden; seine Kleidung war eben so vernachlässigt, wie gewöhnlich.

Diese beinahe unheimliche Erscheinung mitten in einem Saale, der von Gold und Lichtern funkelte und mit elegant geschmückten Herren und Damen angefüllt war, bildete einen sonderbaren Contrast.

Zuerst war die Versammlung stumm vor Staunen. Herr von Mortagne kam gerade auf mich zu und ich stand auf; er ergriff meine Hände und betrachtete mich einige Minuten; der wilde Ausdruck seiner Züge milderte sich und er küßte mich zärtlich auf die Stirn, indem er sagte:

– Da bin ich endlich; wenn es nur noch nicht zu spät ist. – Und mich aufmerksam betrachtend, fügte er hinzu: Es ist ihre Mutter – das ganze Bild ihrer armen Mutter. – O, ich begreife den Haß des Ungeheuers wohl.

Als das erste Staunen vorüber war, gewann Fräulein von Maran ihre gewöhnliche Kühnheit wieder und rief entschlossen aus:

– Was wollen Sie hier, mein Herr?

Ohne ihr zu antworten, rief der Graf Mortagne mit donnernder Stimme:

– Ich komme, um drei Personen unwürdiger Schliche und gemeiner Habsucht anzuklagen und zu überführen! Diese drei Personen sind Sie, Fräulein von Maran! Sie, Herr von Orbeval! Sie, Herr von Versac!

Meine Tante bewegte sich heftig auf ihrem Armsessel; Herr von Orbeval erblaßte vor Entsetzen; der Herzog von Versac sprang auf; doch sein Neffe rief lebhaft:

– Herr von Mortagne, sehen Sie sich vor, – der Herr Herzog von Versac ist mein Oheim, und ihn beleidigen heißt mich beleidigen!

– Ihre Reihe wird kommen, Herr von Lancry, doch später: erst die Ursachen, dann die Wirkungen, sagte Herr von Mortagne kalt.

Ich ergriff Gontran's Hand und flüsterte ihm leise mit flehender Stimme zu:

– Was kümmert das Sie? Ich liebe Sie; lassen Sie sich nicht gegen Herrn von Mortagne aufbringen; er war der einzige Beschützer meiner Kindheit.

Herr von Mortagne fuhr fort: Ich bin auf Geschrei, auf Drohungen gefaßt; es ist ganz einfach, doch wer mich hindern will zu sprechen, der fürchtet meine Worte.

– Man fürchtet nur Ihre Schmähungen, mein Herr! rief mein Vormund.

– Wenn ich gesagt, was ich zu sagen habe, werde ich denen zu Befehl stehen, die sich beleidigt fühlen.

– Aber das ist eine unerträgliche Tyrannei; Sie werden uns mit Ihrem wüthenden Wesen eines Klopffechters und Eisenfressers nicht in Furcht jagen! rief Fräulein von Maran.

– Das ist in der That unerträglich, sagte der Herzog von Versac; man hat keinen Begriff von solcher Grobheit bei einem Manne von guter Geburt.

– Das ist Verleumdung und Ehrenschändung, sagte mein Vormund.

– Sie fürchten also meine Entdeckungen, da Sie meine Stimme ersticken wollen? rief Herr von Mortagne. Sie fürchten also, daß ich dieses unglückliche Kind von der Heirath abbringe, zu der sie es treiben wollen?

– Mein Herr, rief Gontran, jetzt bin ich es, hören Sie – ich! – der Sie auffordert zu sprechen – und ohne Rückhalt zu sprechen. – So geehrt, so glücklich ich auch bin, mich mit Fräulein Mathilde zu verbinden, würde ich doch augenblicklich auf so theure Wünsche verzichten, bliebe ihr nur der geringste Zweifel über –

Ich unterbrach jetzt Herrn von Lancry und sagte zu Herrn von Mortagne: Ich zweifle nicht, daß Ihr Benehmen durch die Theilnahme dictirt wird, welche Sie für mich hegen. – Ich habe Ihre Güte gegen mich nicht vergessen, aber ich beschwöre Sie – kein Wort weiter. – Nichts auf der Welt könnte meinen Entschluß ändern.

– Aber ich, mein Fräulein, ich werde ihn ändern, rief Gontran. – Ja, so grausam auch dieser Entschluß sei, werde ich doch auf Ihre Hand verzichten, wenn dieser Herr sich nicht augenblicklich deutlicher erklärt.

– Das ist es eben, was ich verlange, sagte der Graf Mortagne.

– Aber das ist albern! rief Fräulein von Maran vor Zorn. Haben Sie denn Alle, so viel Sie Ihrer sind, kein Blut in den Adern, daß Sie sich von diesem, dem Tollhause Entronnenen imponiren lassen?

– Nicht dem Tollhause entronnen, sondern den Gefängnissen von Venedig, wohin Sie mich vor acht Jahren durch die nichtswürdigsten Machinationen brachten, schrie Herr von Mortagne mit donnernder Stimme, indem er Fräulein von Maran beim Arme ergriff und sie wüthend schüttelte.

– Er wird mich ermorden! Er ist zu Allem fähig! rief meine Tante.

– Und Du, höllisches Geschöpf, wozu bist Du nicht fähig? Hat Dein Verrath mich nicht tausendfältigen Tod erdulden lassen? – Sieh mein gebleichtes Haar, sieh meine durch Leiden gefurchte Stirn! – Acht Jahre der Tortur – hörst Du? Acht Jahre der Tortur – doch ich räche mich dafür, und sollte ich Dich bis an's Ende Deiner Tage verfolgen. – Und ich weiß nicht, weshalb ich nicht gleich jetzt die Erde von einem Ungeheuer, wie Du bist, befreie, fügte Herr von Mortagne hinzu, indem er Fräulein von Maran auf ihren Sessel zurückschleuderte.

Dieser Auftritt war so überraschend gekommen, die Anklage des Herrn von Mortagne gegen meine Tante schien so außergewöhnlich, daß alle Anwesenden einen Augenblick starr vor Staunen und Schrecken waren.

Fräulein von Maran wurde zwar gefürchtet, aber auch so allgemein verabscheut, daß selbst ihre Freunde nicht bös darüber waren, absichtslos Zeugen eines so gewaltig ärgerlichen Auftritts zu sein.

Fräulein von Maran's Stirn war mit kaltem Schweiß bedeckt; sie athmete kaum und starrte Herrn von Mortagne mit Entsetzen und verwirrtem Blicke an.

– Sie wissen nicht, wie ich Ihr abscheuliches Gewebe entdeckt habe, fuhr er fort, indem er sich an meine Tante wendete und einige Papiere aus der Tasche zog. Erkennen Sie diesen Brief an den Gouverneur von Venedig? – Erkennen Sie diese mordbrennerischen Proclamationen? – Das Alles setzt Sie in Erstaunen, meine Herren, sagte Herr von Mortagne, indem er die Blicke unruhiger Neugier sah, die man auf diese geheimnißvollen Papiere warf. Sie verstehen mich noch nicht? Das glaube ich gern; nie wurde ein Complott boshafter und geschickter entworfen. So hören Sie denn und lernen Sie endlich dieses Weib kennen. Vor acht Jahren klagte ich es hier vor Ihnen an, die Sie den Familienrath ihrer Nichte bilden, daß sie das unglückliche Kind wie eine böse Stiefmutter erzöge; ich verlangte von Ihnen, ihr das Kind zu entziehen, doch Sie schlugen es mir ab; ich war allein. Sie hatten eine Menge für sich, und ich fügte mich darein; gezwungen, zu verreisen, hoffte ich bald nach Paris zurückzukehren und fortwährende Aufsicht über die Erziehung Mathildens zu führen. Meine Rückkehr erschreckte ihre Tante; Sie werden sehen, wie sie dieselbe verhinderte. – Sie zittern vor diesem Weibe, das seh' ich, doch vielleicht werden Sie den Muth haben, die Schwärze dieser Seele zu erkennen, wenn wirklich in diesem Körper eine Seele existirt.

– Und Sie dulden das! Und Sie lassen mich so beschimpfen! rief Fräulein von Maran wüthend, indem sie sich zu den Zuhörern wendete.

Niemand antwortete ihr.

– Vor acht Jahren, fuhr Herr von Mortagne fort, reiste ich nach Italien ab; in Neapel sollte ich Herrn von Rochegune, den Sohn eines meiner besten Freunde, erwarten. Dieser junge Mann, von edlem und glühendem Herzen, sollte einige Zeit mit mir in Griechenland kämpfen. Ich war den Complotten, welche die geheimen Gesellschaften damals in Italien schmiedeten, durchaus fremd. Ich kam nach Venedig. Anfangs wurde ich nicht beunruhigt, aber eines Nachts hielt die Polizei Nachsuchung bei mir und verhaftete mich, band mich, bemächtigte sich meiner Papiere, meiner Effecten und schleppte mich in das Gefängniß. Ich wurde in strenge und geheime Haft gebracht. Ich betheuerte meine Unschuld und verlangte, daß man nur den geringsten Beweis meiner Strafbarkeit ausfindig machen sollte; man antwortete mir, die österreichische Regierung sei von meinen bösen Absichten in Kenntniß gesetzt worden und ich wäre gekommen, um thätigen Theil an dem Beginnen der revolutionären Gesellschaften zu nehmen. Ich läugnete laut diese Anklage. Man brachte meine Koffer, öffnete sie in meiner Gegenwart und fand in einem doppelten Boden, dessen Existenz mir unbekannt war, mehrere versiegelte Packete.

– Aber man muß ebenso verrückt sein, als dieser Mensch, um solch unsinniges Geschwätz mit anzuhören! rief Fräulein von Maran. Was mich betrifft, so werde ich Sie nicht länger mit anhören; und sie stand auf.

– Sei es; gehen Sie; Ihnen denke ich diese abscheulichen Geheimnisse nicht zu enthüllen, denn Sie kennen dieselben nur zu gut.

Fräulein von Maran setzte sich wieder, bebend vor Wuth.

Der Graf Mortagne fuhr fort: Man öffnete diese Packete und fand darin die heftigsten Proclamationen, einen Aufruf an die Venta's der Carbonari, einen Insurrectionsplan gegen die österreichische Regierung und einige geheimnißvolle Briefe unter meiner Adresse, mit dem Postzeichen von Paris, die ich gelesen zu haben in Verdacht stehen mußte, und in denen man mir die Mitwirkung aller freien Männer der Lombardei versprach. – Dieser Schein war niederschmetternd und ich stand vernichtet vor der unerklärlichen Thatsache. Man fragte mich nach meinen Gesinnungen, und ich war nicht feig genug, sie zu läugnen. Ich antwortete, daß ich mich einer einzigen Sache gewidmet hätte, der der heiligen, fleckenlosen Freiheit. Diese Menschen begriffen nicht, daß, da ich den Muth gehabt hatte, Meinungen zu gestehen, die mich verderben konnten, ich Glauben verdiente, als ich bei meiner Ehre schwur, die Existenz dieser Briefe sei mir unbekannt. Ich wurde in einen Kerker geworfen und blieb hier acht Jahre. – Ich verließ ihn, vor dem Alter ergraut, wie Sie sehen. – Wissen Sie jetzt, wie ich zu den gefährlichen Papieren kam? – Kurze Zeit vor meiner Abreise nach Italien hatte dieses Weib Servien, ihren würdigen Diener, zu dem meiner Leute geschickt, der mich begleiten sollte, und zwar unter dem Vorwande, Contrebande-Waaren gegen großen Gewinn nach Italien einzuschwärzen; er beredete ihn, doppelte Boden in meine Koffer machen zu lassen, und darin die vorgeblichen Packete mit englischen Spitzen zu verbergen. In Venedig sollte dann ein Correspondent diese Spitzen abfordern und meinem Diener 25 Louisd'or dafür geben. Der Unglückliche, welcher die Gefahr dieses Auftrages nicht kannte, nahm ihn an. – Ich reiste, und beinahe zu gleicher Zeit ging auch der folgende Brief an den Gouverneur von Venedig ab:

 

»Der Graf Mortagne, ein ehemaliger Officier des »Kaiserreiches, bekannt durch die Ueberspanntheit seiner »revolutionären Gesinnungen und durch seine Verbindungen »mit den Anarchisten aller Länder, wird im Laufe »des Monats Mai nach Venedig kommen; man wird »in mehreren Koffern mit doppelten Boden die Beweise »seiner gefährlichen Absichten finden.«

 

– Nun, ist das nichtswürdig genug? rief Herr von Mortagne, indem er die Arme über die Brust kreuzte und einen Blick der Geringschätzung auf Fräulein von Maran richtete.

Diese, welche einen Augenblick verwirrt war, gewann bald ihre ganze Verwegenheit wieder und rief:

– Und was habe ich gemein mit Ihren Spitzenpacketen, welche Verschwörungen enthalten? Ist es meine Schuld, wenn Sie nach der Zerstörung Ihrer revolutionären Absichten eine alberne Geschichte ersinnen, an die man durchaus nicht geglaubt hat, und das mit Recht? Wer wird je glauben, daß ich mich damit amüsirt habe, Proclamationen, Constitutionen, Conspirationen zu fabriciren, und daß ich einen meiner Leute bei diesem schönen Werke in's Vertrauen zog? Wahrlich, mein Herr, Sie sind verrückt. Es ist kein wahres Wort an alle dem; ich läugne es.

– Sie läugnen es? Und Ihr elender Servien, wird der auch die Aussage meines Dieners läugnen, der ihn förmlich anklagt, ihm die Packete übergeben zu haben?

– Ihr Diener? rief meine Tante laut lachend; eine schöne Bürgschaft, die wohl angenommen werden muß. Wie der Herr, so der Diener. Kennt man nicht Ihre früheren Thaten? Was ist Staunenerregendes an dem Briefe, den Sie uns vorgelesen haben und der an den Gouverneur von Venedig gerichtet war? Haben Sie sich nicht stets zum Kämpfer der Brüder und Freunde aller Länder erklärt? Die hiesige Polizei, welche Sie bewacht, wird als gute Schwester die österreichische Polizei davon benachrichtigt haben, das ist ganz einfach – das geschieht alle Tage. – Also lassen Sie mich zufrieden mit Ihren Spitzenpacketen, vollgestopft mit Verschwörungen; das ist eine Fabel der Mutter Gans. – Sie haben den Brutus spielen wollen, den Washington, den Lafayette; man hat Sie eingesteckt, und man hat wohl gethan. – Sie beklagen sich, weiße Haare zu haben? Was kann ich dabei thun? Man weiß wohl, daß die Bleikammern Venedigs keine Quelle der Jugend sind. Wenn in Folge davon Ihre Einbildungskraft verrückt ist, wie es scheint, so nehmen Sie Douchebäder, mein Herr, und lassen Sie uns in Ruhe, denn Sie sind unerträglich.

Der grausame Hohn des Fräulein von Maran ließ Herrn von Mortagne, gegen mein Erwarten, gelassen. Er antwortete ihr mit der größten Kaltblütigkeit:

– Dank der thätigen Sorge der Freundschaft der Herzogin von Richeville, des Herrn von Rochegune und einiger andern Freunde, bin ich jetzt frei; ungeachtet Ihrer schamlosen Verwegenheit haben wir genug Beweise, um Sie an den Schandpfahl der öffentlichen Meinung zu nageln, und das wird mir gelingen.

– Das wollen wir sehen, mein Herr!

– Und Sie werden da nicht allein sein; ich werde mit Ihnen auch Ihre Mitschuldigen anheften, welche aus Habsucht oder Egoismus Ihren boshaften Absichten dienten. – Hören Sie, Herr von Lancry? Hören Sie, Herr von Orbeval? Hören Sie, Herzog von Versac.

Ein Ausbruch des Unwillens folgte diesen Worten des Herrn von Mortagne; er aber fuhr, ohne sich irre machen zu lassen, ruhig fort:

– Ich weiß nicht, meine Herrn, ob Ihr Benehmen nicht noch abscheulicher ist, als das des Fräulein von Maran; wenigstens haßt mich diese, haßt ihre Nichte, obgleich der Haß eine verabscheuungswerthe Leidenschaft ist, beweist er doch wenigstens eine gewisse Kraft. – Sie Drei aber – Sie haben an Feigheit, Egoismus und Habgier dabei gewetteifert.

– Fahren Sie fort, fahren Sie fort, mein Herr, sagte Gontran, blaß vor Wuth.

– Eines Tages, wahrscheinlich, werden Sie, Herr von Versac, zu Fräulein von Maran gesagt haben: Mein Neffe ist in Schulden versunken; er ist ein zügelloser Spieler; man schließt die Augen über das Aergerniß seiner Abenteuer, aber er setzt mich in Verlegenheit; bringt er sich in üble Geschichten, so wäre ich aus menschlicher Rücksicht gezwungen, ihn daraus zu befreien. Ihre Nichte ist sehr reich; lassen Sie uns die Heirath schließen: so werden die Schulden meines Neffen bezahlt und ich brauche mich nicht mehr um ihn zu bekümmern.

– Mein Herr, sagte der Herzog von Versac mit der größten Artigkeit, ich muß Ihnen bemerklich machen, daß das, was Sie die Güte haben, mir zu sagen, der Genauigkeit ganz ermangelt und daß –

– Mein Herr, erwiederte der Graf Mortagne, wenn Sie eine Tochter hätten, die Ihnen theuer wäre, würden Sie dieselbe Ihrem Neffen geben? Antworten Sie mir auf Ihr Ehrenwort.

– Es scheint mir, mein Herr, wir stehen nicht auf so vertrautem Fuße, daß ich Ihnen meine Ansichten hierüber mitzutheilen brauchte, erwiederte der Herzog von Versac.

– Diese Ausflucht – ist niederbeugend für Ihren Neffen – entgegnete Herr von Mortagne.

Gontran wollte sich ereifern; ich hielt ihn durch meine Bitten zurück, Herr von Mortagne fuhr fort: – Auf den Vorschlag dieser Heirath hat das Fräulein von Maran sich ohne Zweifel die Sache überlegt, die auch alle die Mängel, alle die Fehler vereinigte, um das Unglück ihrer Nichte, die sie verabscheut zu sichern. – Herr von Lancry schien ihr mit den paffenden Eigenschaften ausgestattet zu sein; sie gab dem Herzog von Versac ihr Wort und man begann die abscheuliche Machination. – Es giebt eine menschliche Gerechtigkeit, sagt man, und das geht so ungestraft hin! rief Herr von Mortagne. Da ist eine junge Waise seit ihrer Kindheit jeder Neigung entblößt, sich selbst überlassen, ohne Stütze, ohne Rath. – Man führt bei ihr zu jedem Augenblicke des Tages einen Mann ein, der mit gefährlichen Gaben der Verführung ausgestattet ist; man entfernt jeden ehrenwerthen Mitbewerber; man überliefert sie diesem Menschen, ihm allein, der seit lange in alle Intriguen der Galanterie eingeweiht ist. Das arme Kind, ohne Erfahrung, an die Härte und Tücke einer bösen Stiefmutter gewöhnt, hört mit ungebundenem Vertrauen und voll Entzücken die heuchlerischen Süßigkeiten, die lügenhaften Versprechungen dieses Menschen an. Unbekannt mit der Gefahr, die sie läuft, bemerkt sie erst, daß sie liebt – als die Liebe schon für immer in ihrem Herzen eingewurzelt ist. Das unglückliche Kind hat keinen Freund, keinen Verwandten, die es warnen vor den Gefahren, die es läuft, über die Lage, über das frühere Benehmen des Mannes, der es betrügt.

– Genug, mein Herr, genug! rief ich, außer mir vor Unwillen, denn ich litt entsetzlich bei dem Gedanken an das, was Gontran fühlen wußte. Ich bin es, ich allein, welche hier antworten muß. – Statt mir die Vergangenheit zu verschweigen, die Sie ihm so bitter vorwerfen – ist Herr von Lancry voll Freimüthigkeit und Redlichkeit den Erkundigungen zuvorgekommen, die ich einziehen konnte; er sagte mir: Ich will Sie nicht betrügen! ich habe meine Jugend vergeudet, ich habe gespielt, ich bin ein Verschwender gewesen. Aber als Herr von Lancry von seinem Vermögen sprechen wollte, von dem wenigen, was er noch besäße, war ich es, die ihn nicht hören wollte. – Ich bin daher nicht betrogen worden, indem ich Herrn von Lancry meine Hand gewahrte; ich setzte ein inniges, unbedingtes Vertrauen in die Gesinnungen, die er mir zeigte, in die Versprechungen, die er mir machte, in die Zukunft, die ich von ihm erwarte; und obgleich ich bitter diesen traurigen Streit beklage, fühle ich mich dennoch glücklich, ja, sehr glücklich, hier laut und feierlich erklären zu können, daß ich stolz aus die Wahl bin, die ich getroffen habe.

Herr von Mortagne sah mich mit mitleidigem Staunen an.

– Mathilde – Mathilde – armes Kind – man täuscht Sie – Sie wissen nicht, was Ihrer wartet.

– Herr Graf, sagte ich, ich werde stets das Gefühl ehren, welches Ihnen Ihr Benehmen dictirte, und ich hoffe, daß Sie einst von Ihrem ungerechten Urtheil gegen Herrn von Lancry zurückkommen werden. Dann ging ich zu dem Tisch, auf welchem der Contract lag unterzeichnete ihn rasch, und sagte zu Herrn von Mortagne:

– Hier meine Antwort, Herr Graf. – Und ich reichte Gontran die Feder.

Herr von Mortagne eilte auf ihn zu und sagte m bebender, beinahe flehender Stimme: Haben Sie Mitleid mit ihr. Sie sind jung und es kann noch nicht jedes gute Gefühl in Ihnen erloschen sein – Gnade für Mathilde, Gnade für so viel Unbefangenheit, Vertrauen und Edelmuth. – Mißbrauchen Sie Ihren Einfluß nicht. – Sie wissen wohl, daß Sie sie nicht glücklich machen können. – Ist es ihr Vermögen, nach dem sie streben? Sprechen Sie, mein Herr, ich bin reich!

Bei diesem letzten Anerbieten, welches eine Beschimpfung war, wurde Gontran blaß vor Wuth.

– Unterzeichnen Sie, o, unterzeichnen Sie! sagte ich zu Herrn von Lancry mit bebender Stimme.

– Ja, ja, ich werde unterzeichnen, sagte er mit verhaltener Wuth. Nicht unterzeichnen, hieße, mich für strafbar erkennen, hieße, die Beleidigungen dieses Menschen verdienen, hieße, mich Ihrer unwürdig erkennen. – Und Gontran unterzeichnete.

– Sagen Sie doch, nicht unterzeichnen hieße, auf das Vermögen verzichten, nach dem Sie streben, denn Sie sind unwürdig, die Eigenschaften dieses Engels zu schätzen, zu begreifen. – Nach zwei Monaten werden Sie sie eben so roh behandeln, wie Ihre Maitressen, wenn man es nicht verhindert.

– Gontran, sagte ich zu Herrn von Lancry, ich bin Ihre Frau, gewahren Sie mir die erste Bitte. – Kein Wort gegen Herrn von Mortagne – ich beschwöre Sie – beendigen Sie diesen Auftritt, der mich tödtet.

Gontran dachte einige Augenblicke nach und sagte dann mit finsterem Tone:

– Es sei, Mathilde – Sie verlangen viel – ich gewähre es.

– Das Opfer ist vollbracht, sagte Herr von Mortagne. Das mußte so kommen. – Also Muth jetzt! – Mehr als je muß ich über Sie wachen, Mathilde; wenn ich es kann, so muß ich die Folgen Ihrer verderblichen Unbesonnenheit minder schädlich machen, das Unglück verhindern, das ich voraussehe. – Seien Sie ruhig – überall, wo Sie sein werden, werde auch ich sein – überall, wohin Sie gehen, gehe auch ich. – Dieses Ungeheuer – und er deutete auf Fräulein von Maran – ist Ihr böser Geist gewesen, ich – ich will Ihr Schutzengel sein. – Und hier erkläre ich allen Ihren Feinden, wer sie auch sein mögen, einen erbitterten Krieg, ohne Gnade und Barmherzigkeit. – Mein Haar ist weiß, meine Stirn ist gefurcht, aber Gott – hat mir die Kraft des Herzens und der Treue gelassen. Ach, armes Kind, ich trete spät in Ihr Leben, aber ich hoffe, nicht zu spät. – Leben Sie wohl, mein Kind, leben Sie wohl – ich werde diesen Contract unterzeichnen – ich werde Ihrer Trauung beiwohnen; das ist mein Recht, das ist meine Pflicht – und in diesem Augenblicke halte ich mehr als je auf die Erfüllung dieser Pflicht, dieses Rechtes.

Und zu dem Tische tretend, unterzeichnete er mit fester Hand den Contract. Die Stimme, das Gesicht des Herrn von Mortagne trugen einen imposanten Charakter, daß Niemand ein Wort sprach. Als er unterzeichnet hatte, sagte er:

– Herr von Orbeval, Herr von Versac, Herr von Lancry – ich nehme nichts von dem zurück, was ich gesagt habe – es ist wahr – ich vertrete es und werde es vertreten, hier und überall. Vor zehn Jahren würde ich hinzugefügt haben, daß ich es mit dem Degen in der Hand vertreten würde, Herr von Lancry; jetzt sage ich es nicht mehr, denn mein Leben gehört diesem Kinde, welches, wie ich sehe, nur mich auf der Welt hat; lächeln Sie nicht geringschätzend, junger Mann; Sie wissen wohl, daß der Graf Mortagne die Furcht nicht kennt. Dann, seinen Arm gerade ausstreckend, machte er mit dem Finger eine drohende, gebieterische Bewegung, indem er zu Herrn von Lancry sagte:

– Wenn Sie Ihr vergangenes Leben nicht andern, wenn Sie sich nicht durch die dankbarste Zärtlichkeit Und eine ununterbrochene Verehrung dieses Engels würdig machen, so sind Sie es, mein Herr, der vor wir zu zittern hat. O, die wüthenden Blicke imponiren wir nicht, ich habe wildere, als sie gezähmt.

Und Herr von Mortagne entfernte sich mit langsamem Schritte.

Kaum war er fort, als die Art von Erstarrung, die dieser sonderbare Mensch hervorgebracht hatte, verschwand. Jeder griff ihn an, verachtete ihn, beschuldigte ihn der Narrheit. Man erinnerte sich, daß er, Ungefähr neun Jahre zuvor, sich eben so wilde Ausfälle erlaubt hatte. Die Theilnahme, die er einen Augenblick eingeflößt hatte, indem er die Bosheit des Fräulein von Maran erzählte, erkaltete schnell; fast Alle meine Verwandten traten auf die Seite meiner Tante und erklärten ihr, daß sie nicht ein Wort von der Fabel glaubten, die Herr von Mortagne von den Ursachen seiner Gefangenschaft in Venedig erzählt hätte.

Einige Augenblicke nach seiner Entfernung begaben wir uns auf die Mairie.

Ungeachtet des entsetzlichen Auftrittes, der eben stattgefunden hatte, wurde mein blindes Vertrauen zu Herrn von Lancry nicht geschwächt. Herr von Mortagne und die Herzogin von Richeville beschuldigten ihn der Fehler, die er mir bekannt und wegen welcher er Entschuldigung, fast Rechtfertigung in meiner Liebe gefunden hatte; ich hatte ihm geglaubt, und empfand Nichts als Zorn gegen Herrn von Mortagne und eine verdoppelte Zärtlichkeit gegen Gontran; ich beschuldigte mich voll Bitterkeit, die Ursache dieses für ihn so schmerzlichen Auftrittes gewesen zu sein und versprach mir, ihn denselben durch meine Ergebenheit vergessen zu machen.

Staunen Sie, mein Freund, über meinen Starrsinn, diese Verbindung, trotz so vieler bestimmten und unbestimmten Warnungen, schließen zu wollen, so kennen Sie die blinde und unbeugsame Hartnäckigkeit der Liebe nicht, welche beinahe in eben dem Grade wächst, wie der Widerstand, auf den sie trifft.

Mit religiösem Entzücken antwortete ich; »Ja«, als man mich fragte, ob ich Gontran zum Gatten wollte. Nach Beendigung der Ceremonie kehrten wir in das Hôtel Maran zurück.

Am nächsten Morgen begaben wir uns in die Capelle der Pairskammer, wo die Trauung um neun Uhr stattfinden sollte. Als ich eintrat, war die erste Person, die ich bemerkte, der Graf von Mortagne. Da er am Tage vorher nicht benachrichtigt worden war, hatte er der Civilehe nicht beiwohnen können.

Der Bischof von Amiens vereinigte uns. Seine Anrede an Gontran war ernst, gemessen, beinahe strenge; ich glaubte, man beurtheile meinen Mann nach seiner vergangenen Aufführung; ich war beinahe stolz auf die Bekehrung, die seine Liebe für mich in seiner Zukunft hervorbringen sollte. Als wir die Capelle verließen, traten wir in einen Salon, den der Kanzler zu unserer Verfügung gestellt hatte. Ich stand am Fenster mit Gontran und Fräulein von Maran, welche die Rückkehr des Herzogs von Versac erwartete, um sich zu entfernen. Herr von Mortagne trat auf uns zu.

Ich sah Gontran's Augen vor Zorn funkeln! erschrocken ergriff ich seinen Arm und sagte: Gontran erinnern Sie sich an Ihr Versprechen! – Aber er stieß mich beinahe hart zurück und erwiderte: Es ist gut – ich weiß, was ich zu thun habe! – Dann trat er auf den Grafen von Mortagne zu und sagte ihm mit dumpfer Stimme:

– Herr Graf, ich habe Ihre Beleidigungen und Ihre Drohungen geduldet, so lange ich Gründe hatte, sie zu ertragen; diese Gründe bestehen nicht mehr, und jetzt, da Fräulein Mathilde meine Frau ist, müssen Sie mir Genugthuung geben.

Fräulein von Maran faßte Gontran bei der Hand; ihr Blick funkelte in höllischer Bosheit; sie sagte zu Herrn von Lancry, als sie auf den Grafen von Mortagne deutete; Von jetzt an muß dieser Herr in Ihren Augen heilig, unverletzbar sein, hören Sie? Was er auch sage, was er auch thue, müssen Sie Alles von ihm ertragen.

– Ich muß Alles von ihm ertragen? sagte Gontran. Und weshalb das?

– Weshalb das? – Und Fräulein von Maran warf auf mich und Herrn von Mortagne einen Natternblick, indem sie mit ihrem abscheulichen Lächeln fortfuhr: Sie müssen Alles von dem Grafen Mortagne ertragen, mein armer Gontran, und zwar aus dem einfachen Grunde – weil man sich nicht mit dem Vater seiner Frau schlagen kann.

Herr von Mortagne war wie vom Donner gerührt. Gontran sah ihn starr an. Ich – ich begriff einige Augenblicke das fürchterliche Gewicht dieser abscheulichen Worte des Fräuleins von Maran nicht; – als sie aber dann meinen Geist durchzuckten, glühend wie ein Feuerstrahl, da vermochte ich nur zu rufen: O meine Mutter! – und sank ohnmächtig nieder.


Viele Jahre sind seit diesem entsetzlichen Auftritte verflossen, mein Freund, und oft habe ich bei der Erinnerung daran bitter geweint; noch jetzt fließen meine Thränen, indem ich ihn mir wieder zurückrufe. O meine Mutter, meine Mutter, Du Heiligste der Frauen – Du, deren engelgleiche Tugend in so hellem Glanze strahlte, daß das Ungeheuer, welches Deine langsame Todesqual herbeiführte, es während Deines Lebens nicht ein einziges Mal wagte, Dich zu verleumden! O meine Mutter! Deine Asche mußte schon seit langer Zeit erkaltet sein, daß ein gotteslästernder Mund es wagte, Dein Andenken zu beschimpfen.


So war meine Kindheit, so war meine erste Jugend bis zu der Zeit meiner Heirath. Mein Geist ist gebeugt; niedergeschlagen; alle diese Erinnerungen haben mich so verschiedenartig aufgeregt, daß ich mich erst etwas sammeln muß, ehe ich Ihnen den zweiten Abschnitt meines Lebens erzählen kann.



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