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XX.
Der Besuch

Als ich erfuhr, daß wir zu Herrn von Rochegune gingen, fühlte ich mich wegen der Beziehungen, die sich vielleicht zwischen ihm und uns bilden konnten, sehr unangenehm berührt. Von ihm hatte die Herzogin von Richeville gesprochen, indem sie mir sagte, der Graf von Mortagne hätte mir ihn in der Hoffnung vorstellen wollen, ich würde ihn heirathen. Ich machte mir meinen ersten Mangel des Vertrauens gegen Gontran zum Vorwurfe. Hätte ich ihm das Gespräch mit Frau von Richeville mitgetheilt, so hätte ich ihm die Art von Widerwillen gestehen können, die ich empfand, Herrn von Rochegune zu begegnen.

Wir erreichten das Hôtel und ich war sehr zufrieden, als ich erfuhr, daß Herr von Rochegune ausgegangen sei; sein Anblick hätte mich ohne Zweifel verlegen gemacht. Sein Intendant zeigte uns das Haus und es schien Herrn von Lancry vollkommen zuzusagen.

Das Erdgeschoß, zu den Empfangszimmern bestimmt, zeigte den vollkommensten Geschmack und eine seltene Eleganz. Wir bemerkten ein Zimmer von reizender Lage, dessen Wände aber noch durchaus nackt waren, ohne Tapeten und Täfelwerk. Es ging theils nach dem Garten, theils nach einem Treibhause.

– Weshalb ist dieses Zimmer allein nicht decorirt? fragte Gontran.

– Weil der Herr Marquis es zum Zimmer seiner Zukünftigen bestimmte, wollte er ohne Zweifel, daß sie es nach ihrem eigenen Geschmacke einrichten möchte, erwiederte der Intendant.

– Herr von Rochegune wollte sich also verheirathen? fragte Herr von Lancry.

– Das ist wahrscheinlich, Herr Graf, wenigstens hat mir der Architect diesen Grund angegeben, als ich ihn befragte, weshalb das Zimmer so bliebe.

– Ei, sehen Sie doch, so ist der Herr von Rochegune, ohne es wollen, ein Seher in die Zukunft gewesen, sagte Gontran zu mir; finden Sie nicht? Ich wäre entzückt, wenn dieses Zimmer Ihnen gefiele; dann würden wir es ganz nach Ihrem Geschmack einrichten.

– Es ist ohne Zweifel reizend, erwiederte ich, ohne ein Erröthen unterdrücken zu können.

Während Gontran alle Gemächer aufmerksam besichtigte, fiel mir das ein, was die Herzogin von Richeville mir gesagt hatte; als der Intendant von der Heirath sprach, die sein Herr hatte schließen wollen, dachte ich, daß mich vielleicht dies betreffe. Ich fand es sonderbar, daß mein Geschick gewollt hatte, dies Haus sollte mir angehören. Ich hebe diesen Umstand hervor, mein Freund, weil Sie sich später, wenn Sie sich daran erinnern, über diese sonderbaren Umstände wundern werden.

Wir gingen in die erste Etage hinauf. In einem Vorsaale angelangt, bemerkte der Intendant, daß er den Schlüssel zu einem Saale, der als Bibliothek diente, vergessen hatte, und eilte hinab, ihn zu holen.

Einer einfachen Regung der Neugier nachgebend, traten wir mit Gontran in eine kleine Galerie moderner Gemälde ein; am Ende dieser Galerie befand sich eine mit rothem Sammt beschlagene Flügeltür. Der eine geöffnete Flügel ließ eine andere geschlossene Thür erblicken.

Indem wir die Gemälde besahen, hatten wir uns allmälig dieser Thür genähert. Gontran machte plötzlich eine Bewegung und sagte mit erstaunter Miene:

– Es ist Jemand da drinnen; man spricht laut. Ich glaubte, Herr von Rochegune wäre ausgegangen.

Kaum hatte Herr von Lancry diese Worte gesprochen, als in dem Nebenzimmer Jemand mit beinahe bittendem Tone sagte:

– Ich beschwöre Sie, schweigen Sie, mein Herr! Man könnte uns hören! Es sind einige Personen hier, und ich habe sagen lassen, daß ich ausgegangen wäre.

– Das ist ja die Stimme des Herrn von Rochegune, sagte Gontran.

– Die Sache wird ja sehr pikant, bemerkte Fräulein von Maran; wir werden irgend eine abscheuliche Entdeckung machen; ich bin überzeugt, daß der Sohn dem Vater nichts nachgiebt.

– Ziehen wir uns zurück, sagte ich lebhaft zu Herrn von Lancry.

Wir hatten nicht die Zeit dazu. Eine andere Stimme rief, indem sie dem Herrn von Rochegune antwortete:

– Es ist Jemand da? Nun, desto besser, mein Herr, denn ich verlange nichts mehr, als daß man mich hören möge. – Gesegnet sei der Zufall, der mir Zeugen sendet.

– Sie werden sehen, daß es sich um irgend eine Summe handelt, die dem alten Rochegune, als Menschenfreund, anvertraut worden war und die sein Herr Sohn nun ableugnet, sagte Fräulein von Maran, indem sie sich der Thüre näherte.

– Mein Herr – noch einmal – ich beschwöre Sie! sagte Herr von Rochegune – was wollen Sie thun? –

In diesem Augenblicke wurde die Thür heftig aufgerissen, und ein Mann, der herausstürzte, rief, als er uns sah:

– Gelobt sei Gott, es ist Jemand da!

Wie groß war mein Erstaunen! Ich erkannte Herrn Dupré, den Gontran uns in der Oper gezeigt hatte, indem er uns das rührende Benehmen dieses jungen Mannes gegen eine alte blinde Mutter erzählte, der er durch angestrengte Arbeit den Verlust seines Vermögens verbarg. Die andere Person war Herr von Rochegune; er war groß und sehr blaß. Was mir in seinem Gesichte auffiel, war der trübe und strenge Ausdruck in seinen schwarzen Augen.

Gontran machte Herrn von Rochegune tausend Entschuldigungen unserer unwillkürlichen Unbescheidenheit wegen.

– Ach, mein Herr, ach meine Damen, rief Herr Dupré, indem er sich exaltirt an uns wendete, der Himmel selbst sendet Sie; so kann ich wenigstens meinem Wohlthäter meine ganze Dankbarkeit beweisen.

– Mein Herr, ich beschwöre Sie –, sagte Herr von Rochegune verlegen.

Ich sah meine Tante an. Ihre Züge hatten bisher eine Art von spöttischem Triumph ausgedrückt. Bei diesen Worten schien sie verdrießlich zu werden und setzte sich mit einem ironischen Lächeln auf einen Armstuhl.

– Mein Herr, fuhr Herr von Rochegune fort, indem er sich zu Herrn Dupré wendete, ich bitte Sie inständigst und förmlich um Schweigen –

– Stillschweigen! rief Herr Dupré mit einem Ausdruck der Dankbarkeit, den man fast wüthend nennen konnte. Stillschweigen! Ei, meiner Treu, da wenden Sie sich an den Rechten. Nein, nein, mein Herr, solche Züge sind zu selten; sie ehren die menschliche Natur zu sehr, als daß man sie nicht mit lauter Stimme verkünden sollte, und lieber hundert, als ein Mal.

– Gnädiges Fräulein, sagte Herr von Rochegune zu meiner Tante, ich bin in der That verwirrt. – Ich hatte meine Thür schließen lassen, ausgenommen für Sie. Ich dachte in meinem Cabinet zu bleiben, um Sie bei Besichtigung dieses Hauses nicht zu geniren und –

– Und ich habe das Verbot gewaltsam übertreten, rief Herr Dupré. Eine geheime Ahnung sagte mir, daß Sie zu Haus wären, mein Herr! Ich hatte erfahren, daß Sie eine Reise anzutreten hätten; erst seit gestern wußte ich, daß ich Ihnen beinahe das Leben meiner armen alten Mutter verdankte, und ich mußte Sie um jeden Preis sehen.

– Mein Herr – mein Herr – sagte Herr von Rochegune nochmals.

– O, mein Herr, mein Herr, es handelt sich nicht darum, das Gute als Duckmäuser zu thun und sich dann verbergen zu wollen. Ja, mein Herr, als Duckmäuser! rief Herr Dupré in seinem edlen Zorne; zum Glück sind diese Damen da; sie mögen Ihre Richter sein. – Ein Bankerott hatte mich zu Grunde gerichtet. Bis dahin hatte ich im Wohlstande gelebt. Dieser Schlag war mir fürchterlich, weniger für mich, weniger für meine Frau vielleicht, als für meine Mutter, die alt und blind war. Wir mußten ihr vor Allem dieses Unglück verhehlen. Durch Arbeit gelang es mir und meiner Frau einige Zeit; aber endlich erschöpften sich unsere Kräfte, und meine arme Frau wurde krank. Wir waren nahe daran, im Elend sterben zu müssen, als ich eines Tages unter Couvert hunderttausend Francs empfing, hunderttausend Francs! und der beiliegende Brief bemerkte, dies sei eine Wiedererstattung des Bankerottirers, durch den ich viermalhunderttausend Francs verloren hatte. Sie begreifen meine Freude, mein Glück; meine Mutter, meine Frau waren jetzt gegen Mangel geschützt. Für uns, an die Arbeit gewöhnt, die wir deshalb nicht aufgegeben haben, war das beinahe Reichthum. Ich erzählte überall, daß ich diese unerwartete Unterstützung der Reue des Elenden verdankte, der uns Alles raubte. Personen, die diesen Menschen kannten, zweifelten daran; sie hatten wohl Recht, denn der Herr Marquis von Rochegune hier war der einzige Urheber dieser großmüthigen Handlung.

– Aber noch ein Mal, mein Herr, ich beschwöre Sie, rauben Sie diesen Damen nicht die Zeit, sagte Herr von Rochegune ungeduldig.

– Kommen Sie wenigstens zur Sache, mein Herr, sagte Fräulein von Maran mit schneidender Stimme, indem sie unwillig auf ihrem Sessel hin und her rückte.

– Mein Herr, rief Gontran heiter, indem er die Hand des Herrn Dupré ergriff, wir verbinden uns alle gegen Herrn von Rochegune, was er auch sagen mag; obgleich wir bei ihm sind, werden wir doch nicht eher gehen, als bis Sie uns Alles erzählt haben.

– Vortrefflich, mein Herr, sagte Herr Dupré, ich sehe, daß Sie dergleichen Dinge zu würdigen wissen. Voll Besorgniß zu wissen, woher mir eine so großmüthige Unterstützung kam, las ich den Brief nochmals, ich kannte die Schrift nicht. Sehen Sie nun, ob nicht die Vorsehung mir zu Hülfe gekommen ist! Einer meiner Freunde, der in der Provinz wohnt und bald nach Paris kommen wird – Herr Elias Sécherin – bittet mich, ihm einen Bedienten aus einem guten Hause zu besorgen –

– Ursula's Mann! rief ich aus.

– Sie kennen Herrn Sécherin? fragte Herr Dupré verwundert.

– Um des Himmels willen, fahren Sie fort, mein Herr! sagte Fräulein von Maran.

– Gestern also, sagte Herr Dupré, stellt sich mir ein Bedienter vor, ich frage ihn nach seinen Zeugnissen; er gab mir mehrere, von denen das letzte der Herr Marquis von Rochegune ausgestellt hatte; als ich es öffnete, fiel mir die Schrift auf, und ich eilte, meinen Brief zu holen. Kein Zweifel, mein Herr, die Schrift war ähnlich, durchaus ähnlich und ich konnte mich nicht mehr täuschen. Meine Freude, meine Rührung zu beschreiben, wäre unmöglich. Ich zog bei dem Bedienten einige Erkundigungen über seinen Herrn ein. – Ach, mein Herr, sagte er mir, es giebt keinen mildthätigeren Gebieter; er ist ganz das Bild seines Vaters, der so viel Gutes gethan hat. – Und warum verlassen Sie denn seinen Dienst? fragte ich ihn.

– Ach, mein Herr Marquis will eine lange Reise antreten und behält nur zwei alte Diener, die ihn begleiten. – Ich konnte nicht mehr den geringsten Zweifel bewahren. Ich sage Alles meiner Frau. Ich reise gestern ab und komme hier an. Herr von Rochegune war ausgegangen, ich kehrte Abends zurück, doch er war noch nicht da. Diesen Morgen endlich, nachdem ich nochmals vergeblich versucht hatte, ihn zu sehen, und in der Besorgniß, er möge abreisen, bin ich trotz des Verbotes des Portier heraufgekommen, und so konnte ich denn die Hände meines Wohlthäters drücken. O, anfangs wollte er allerdings leugnen, aber dazu versteht er das Lügen zu schlecht –

– Mein Herr, sagte Herr von Rochegune mit wachsender Verlegenheit.

– Ja, mein Herr, rief Herr Dupré – Sie können nicht lügen ... ich sage Ihnen, daß Sie ganz schlecht lügen, und als ich Ihnen, um Sie zu überführen, den Vorschlag machte, mir genau denselben Brief zu schreiben, wie der, welchen ich mit den hunderdtausend Francs empfing, da wagten Sie es nicht, mein Herr, Sie wagten es nicht! Antworten Sie darauf. – Sehen Sie, meine Damen, das hat dieser Herr für mich gethan. Das nehme ich mit Stolz an, nicht als Gabe, sondern als Darlehn; denn ich rechne auf meinen Fleiß, um mich meiner Schuld zu entledigen. – Das ist die gute und großmüthige Handlung, die ich überall erzählen werde; aber ich bin nicht minder glücklich, daß ich den Herrn von seiner Wohlthat vor Zeugen überführen konnte; jetzt wird er vielleicht nicht mehr zu leugnen wagen.

– Doch, mein Herr – ich werde es leugnen, sagte Herr von Rochegune, denn es ist für mich von Wichtigkeit, daß der wahre Wohlthäter bekannt werde. Wie süß mir auch Ihre Dankbarkeit sei, kann ich sie doch nicht annehmen; ich habe, indem ich so handelte, nur dem letzten Willen meines Vaters gehorcht, sagte Herr von Rochegune mit einem traurigen und ergriffenen Tone.

– Ihr Vater, mein Herr! rief Herr Dupré.

– Ja, mein Herr, noch einmal sage ich Ihnen, daß ich nur seinen letzten Willen vollzog.

– Aber ich hatte ja nicht die Ehre, von ihm gekannt zu sein. Aber Sie haben ihn ja lange vor der Zeit verloren, wo Sie mir so großmüthig zu Hülfe kamen.

– Einige Worte werden Ihnen erklären, was ich Ihnen so eben sagte, mein Herr. Mein Vater hatte in seiner Jugend eine geringe Summe in einer jener Gesellschaften angelegt, die zu Gunsten des letzten Ueberlebenden gestiftet werden. Er hatte die Sache ganz vergessen. Kurz vor seinem Tode empfing er dreimalhunderttausend Francs aus dieser Quelle. Eine Rücksicht, deren ganzes Zartgefühl ich würdige, hinderte ihn, eine Summe zu benutzen, die er dem nacheinanderfolgenden Tode mehrerer Personen verdankte. Diese Summe wurde daher von ihm zu wohlthätigen Werken bestimmt. Während seines Lebens verwendete er einen Theil davon. Als ich ihn verlor, empfahl er mir den Rest dieses Geldes in derselben Absicht zu verwenden. Ich erfuhr, mein Herr, mit welcher frommen Entschlossenheit Sie zwei Jahre lang gegen das Geschick gekämpft hatten. Ich habe erfahren, wie bewundernswerth Ihr Benehmen gegen Ihre Mutter war. Sie sehen also, mein Herr, daß ich nichts gethan habe, als den Befehlen meines Vaters zu gehorchen. Ich glaubte, daß dies geheim bleiben würde, wie so viele andere edle Handlungen meines Vaters. Der Zufall wollte, daß dem nicht so sein sollte, mein Herr. – Ich gestehe Ihnen, daß ich dies weniger bedaure, da ich nun den persönlich kenne, dessen muthige Selbstverleugnung mich so lebhaft ergriffen hatte. – Und Herr von Rochegune reichte Herrn Dupré herzlich die Hand.

Ich war innig bewegt, ich erinnerte mich, mit welcher rührenden Anmuth Herr von Lancry mir in der Oper die Geschichte des Herrn Dupré erzählt hatte; die Erinnerung an Gontran mischte sich daher auch auf liebliche Weise in alle die großen und edlen Gedanken, welche dieser Auftritt in mir erweckte. Ich sah Gontran tief gerührt an. Er schien die Bewunderung zu theilen, welche mir eben so sehr der Wohlthäter, wie der Verpflichtete einflößte.

Fräulein von Maran hatte mehrmals ironisch gelächelt. Ich erkannte ihre gewöhnliche Bosheit an dem Bilde, welches sie von dem Vater des Herrn von Rochegune entworfen hatte, von einem der bemerkenswerthesten, der mit Recht verehrtesten Männer seiner Zeit und der sich durch eine Menge von Handlungen aufgeklärter Philanthropie und durch schöne und große Arbeiten des Geistes berühmt gemacht hatte.

– Mein Herr, sagte Gontran mit der größten Liebenswürdigkeit zu Herrn von Rochegune, ich fühle mich glücklich über den Zufall, der mich in den Stand gesetzt hat, zu erkennen, was ich bereits durch das Gerücht der Welt wußte, daß in gewissen bevorrechteten Familien – und die Ihrige, mein Herr, gehört zu dieser Zahl – die edelsten Eigenschaften erblich sind. Dann fügte er, sich zu Herrn Dupré wendend, hinzu: Vor zwei Monaten, mein Herr, hatte ich in der Oper die Ehre, diesen Damen Ihr schönes Benehmen mit dem Enthusiasmus zu erzählen, den es mir einflößte; ich hoffte nicht, eines Tages so glücklich zu sein, Ihnen selbst die Bewunderung, die Sie verdienen, zu zollen.

– Das war in der Belagerung von Corinth. Nicht wahr, mein Herr? sagte Herr Dupré naiv. Am Tage, wo die Herzogin von Berry dem Schauspiel beiwohnte, ja, ganz richtig. Es war das erste Mal, daß meine Frau und ich wieder in das Theater gingen; wir hatten uns ein wahres Fest daraus gemacht.

– Wir haben selbst das Barett der Madame Dupré bemerkt, mein Herr, sagte Fräulein von Maran; es kleidete sie vortrefflich; sie war schön wie ein Engel und hatte, so viel kann ich Ihnen versichern, durchaus nicht das Ansehen, als wäre sie gezwungen, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten.

– Vielleicht finden Sie, Madame, daß meine Frau für unsere Lage zu elegant gekleidet war? sagte Herr Dupré mit einem schmerzlichen Stolz. Das kommt daher, weil ich das Geld damals für einen Wiederersatz hielt. Seitdem ich weiß, daß es nur ein Darlehn ist, werde ich mir alles Ueberflüssige versagen, das dürfen Sie glauben.

Gontran, der ebenso wie ich durch die boshafte Bemerkung des Fräulein von Maran gekränkt war, sagte zu Herrn von Rochegune, ohne Zweifel, um das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen:

– Aber ich hatte in dieser Vorstellung auch das Vergnügen, Herrn von Rochegune zu sehen, und ich war weit entfernt, zu ahnen, daß Sie der geheimnißvolle Wohlthäter wären, von dem ich diese Damen unterhielt.

– Ja, ich glaube in der That, daß ich an jenem Tage in der Oper war, erwiederte Herr von Rochegune verlegen.

Ich richtete die Augen zufällig auf ihn und begegnete seinem Blicke, den er sogleich erröthend abwendete.

– Mein Herr, sagte Fräulein von Maran zu Herrn von Rochegune, indem sie einen gutmüthigen Ton annahm, der mir irgend eine Tücke verrieth, nichts von dem, was wir sehen oder hören, kann uns in Staunen versetzen, denn Ihr Herr Vater hatte alle Welt an die Bewunderung seiner guten Thaten gewöhnt.

– Mein Fräulein, sagte Herr von Rochegune, indem er sich mit einer Art Ungeduld verbeugte, sei es nun, daß er Fräulein von Maran nicht liebte, sei es daß seine Bescheidenheit durch Verlängerung dieses Auftrittes litt.

– Verzeihen Sie, mein Herr, es war ein bewundernswerther Mann, entgegnete Fräulein von Maran. Ich sagte noch so eben zu meiner Nichte, daß nichts rührender gewesen wäre, als seine Besuche in den Gefängnissen, – als die Güte, mit welcher er die Armen seines Hospitals behandelte. Er war ein heiliger Vincenz von Paula oder so etwas dergleichen.

– Er war nur ein redlicher Mann und hat nie auf etwas Anderes Anspruch gemacht, mein Fräulein, sagte Herr von Rochegune mit festem und strengem Tone, welcher bewies, daß er sich durch das ironische Lob des Fräulein von Maran nicht täuschen ließ.

Ich sah mit Vergnügen an dem Gesichte Gontran's, daß es ihm ebenso wie mir, peinlich war, meine Tante so sprechen zu hören. Aber der Charakter des Fräulein von Maran war zu hochmüthig, um je nachzugeben; sie wollte, wie man im gemeinen Leben zu sagen pflegt, das letzte Wort haben.

Indem sie daher dem Herrn von Lancry den Arm bot, sagte sie zu Herrn von Rochegune: Leben Sie wohl, mein Herr; was sie auch sagen mögen, so würde doch ein blos rechtlicher Mensch nie den wunderbaren Zug der Tontine So nennt man Gesellschaften, denen ähnlich, aus welcher Herr von Rochegune die Summe erhielt, die er zu guten Werken verwendet wissen wollte. gethan haben! Ja, dieser Tontinescrupel würde genügen, um eine Familie berühmt zu machen. – Hunderttausend Thaler Almosen! – Ehedem freilich erlaubten sich nur die großen Sünder diese Art von ehrenvoller Sühne darzubringen.

– Verzeihung, mein Herr, sagte Gontran, indem er Fräulein von Maran lebhaft unterbrach, diese Damen haben noch einige Visiten zu machen, und ich werde, wenn sie es erlauben, zurückkommen, um dies Haus zu besehen.

– Es steht Ihnen ganz zu Befehl, mein Herr, sagte Herr von Rochegune, indem er mit kaltem Wesen grüßte und kaum den Unwillen bezwang, welchen die letzten Worte meiner Tante in ihm erweckt hatten.

Als wir wieder im Wagen waren, konnte ich mich nicht enthalten, zu Fräulein von Maran zu sagen: Ach, liebe Tante, Sie waren sehr grausam.

– Wie so, grausam? rief sie, indem sie in ein lautes Gelächter ausbrach. Laß mich doch in Ruhe. – Glaubst Du denn, daß ich mich durch solche Komödien irre führen lasse?

– Welche Komödien?

– Wie, welche Komödien? Das Alles war ja verabredet, angestellt; man erwartete uns! Es ist augenscheinlich, daß man diesem Herrn Dupré hatte sagen lassen, er möchte kommen und sich bereit halten, dieses Dankbarkeitsgeschrei auszustoßen; er hat daher auch wie eine Elster geschrien, als er uns an der Thür wußte. Der alte Schurke von Intendant benachrichtigte ihn ohne Zweifel, unter dem Vorwand, den Schlüssel zur Bibliothek zu suchen.

– Aber, mein Fräulein, welche Vermuthung! sagte Gontran; und in welcher Absicht?

– Ei, mein armer Junge, das ist eine ganz einfache Berechnung; zunächst wenn Herr von Rochegune Sie bei seinem Hause um 20 – 30,000 Francs überteuert, so werden Sie nicht wagen, mit einem Manne zu handeln, der so schöner Züge fähig ist, ungerechnet noch, daß es Glück bringt und sich dadurch bezahlt macht, ein Hôtel zu bewohnen, welches Zeuge so tugendhafter Handlungen war. Ich wette, daß der alte Rochegune noch ganz andere vollbracht hat, um sich den schönen Ruf eines Philantropen zu gründen und unter diesem Deckmantel alle Arten abscheulichen Wuchers treiben zu können. Man sagte, daß er auf kurze Zeit gegen hohe Zinsen Geld verlieh, und ich glaube das gern, denn er ist als Millionär gestorben! Der Beweis für das, was ich sage, ist, daß man nicht 100,000 Thaler Almosen giebt, wenn man ein reines Gewissen hat. Nur die großen Sünder geben den Armen viel, wiederholte stets der Vicar meiner Gemeinde von Glatigny, der nicht dumm war. – Pest! 100,000 Thaler zu guten Werken! Das ist der Antheil des Teufels, wie die Leute sagen, oder, wenn Sie das lieber wollen, die Zinsen eines Capitals von allerhand Schändlichkeiten.

– Aber, mein Fräulein, sagte Gontran mit Ungeduld, Sie werden wenigstens gestehen, daß man diese Wohlthat nicht besser anwenden konnte, welches auch die Quelle dieses Geldes sein mag.

– Gewiß, gewiß, diese kleine Dupré war allerliebst, meiner Treu, in ihrem rosa Barett. Das wird auch die Ansicht des Herrn von Rochegune gewesen sein, und der Dummkopf von Mann dankt ihm noch!

– Ach, mein Fräulein, welche Unwürdigkeit! rief Gontran. Ueberdies reist Herr von Rochegune binnen wenigen Tagen ab.

– Nun gut, ja, er reist! Das beweist höchstens, daß er dieser kleinen Bürgerin überdrüssig ist, sagte Fräulein von Maran laut lachend.

– Mein Fräulein! sagte Herr von Lancry, indem er mich ansah, um meiner Tante das Unpassende dieser Aeußerung fühlbar zu machen.

Ich vermöchte nicht, mein Freund, Ihnen den schmerzlichen Eindruck zu schildern, welchen ich empfand, als ich Fräulein von Maran so boshaft alles das beschimpfen hörte, was mein Herz bewundert hatte. Nie hatte sich ihr Abscheu, ihr Haß gegen das Schöne, mochte es nun physisch oder moralisch sein, auf gehässigere Weise ausgesprochen.

Bei diesem neuen Beweise ihrer unbarmherzigen Bosheit warf ich einen Blick auf mich selbst und auf meine Lage. Mein Mißtrauen gegen Fräulein von Maran wurde größer als je, ohne daß sich jedoch mein blindes Vertrauen zu Gontran nur im Geringsten minderte. Ich konnte mich nicht enthalten, an das zu denken, was die Herzogin von Richeville mir gesagt hatte: Mißtrauen Sie dieser Heirath, Ihre Tante beschützt sie, und sie muß Ihnen daher verderblich sein!

Ich erkannte auch, daß die Herzogin mich nicht über die Eigenschaften getäuscht hatte, die sie dem Herrn von Rochegune zuschrieb, ihm, dem der Graf von Mortagne mich hatte verheirathen wollen.

Ich gestehe Ihnen, mein Freund, daß ich einen Augenblick durch diese ernsthaften Betrachtungen beunruhigt wurde. Mein Herz zitterte, so zu sagen, vor Angst, daß mein Geist in Verlegenheit war, darauf zu antworten.

Instinktmäßig warf ich die Augen auf Gontran. – Der Anblick eines so edlen, so sanften, so aufrichtigen Gesichts beruhigte mich.

Nicht Fräulein von Maran, sagte ich zu mir selbst, sondern mein Herz hat diese Heirath beschlossen: und dann, wenn der Herr von Rochegune edle Eigenschaften besitzt, so ist daß kein Grund, daß Gontran sie nicht auch haben könnte. Hat er mir nicht zuerst diese rührende und so edel belohnte Handlung erzählt? Hat er nicht eben noch meine Rührung getheilt? – Diese Betrachtungen vertrieben die peinlichen Eindrücke, welche die heimtückischen Worte meiner Tante hervorgebracht hatten.

Als wir aus dem Wagen stiegen, meldete einer der Diener des Fräulein von Maran, daß Fräulein Ursula, d. h. Madame Sécherin, fügte er sich verbessernd hinzu, mit ihrem Manne in dem Salon warte.

Meine Cousine war angekommen; meine Tante und selbst Gontran vergessend, eilte ich rasch die Treppe hinan; ich riß lebhaft die Thür des Salons auf.

Sie war es in der That – es waren Ursula und ihr Mann.



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