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XII.
Der Ball

Am Morgen schon plauderte Ursula und ich von den großen Ereignissen des Abends. Ich fand meine Cousine sehr niedergeschlagen, mißtrauisch gegen sich selbst und entschlossen, nicht auf diesen Ball zu gehen. Sie sagte mir, sie habe die ganze Nacht geweint; gleichwohl war ihr Gesicht weder entstellt, noch blaß, nur hatte es einen Ausdruck reizender Melancholie.

Ich sehe sie noch, mit gesenktem Kopfe, die Stirn durch die Locken ihres braunen Haares verborgen, beinahe in sich selbst zusammengebrochen, die Hände auf den Knieen gekreuzt, und von Zeit zu Zeit seufzend, indem sie einen umschleierten Blick zum Himmel erhob.

– Ursula, Ursula, meine Schwester, sagte ich, indem ich sie zärtlich umarmte, ich bitte Dich, fasse Muth und sei nicht so furchtsam; bin ich nicht bei Dir, eben so unbekannt, wie Du, mit der Welt, in die wir gehen, und vor der wir gewiß nur wie zwei Kinder erschrecken? Man wird nicht auf uns achten und allmälich werden wir uns daran gewöhnen. Stets Eine an der Seite der Andern, wird es uns glücklich machen, uns unsere Beobachtungen anzuvertrauen. Nun, wenn wir das erste Mal linkisch, verlegen sind, so werden wir auch unsererseits manche boshafte Bemerkung zu machen haben.

Ursula lächelte und antwortete, indem sie zärtlich meine Hände in den ihrigen drückte:

– Verzeihe mir, Mathilde, aber ich kann Dir nicht sagen, wie ich mich vor der Welt fürchte. – Nie – ich fühle es – nie werde ich mich daran gewöhnen können; das ist keine Kinderei, sondern Bewußtsein, Pflicht. Wenn man, wie ich, arm und ohne Reize ist, so macht man sich nicht sichtbar; man bleibt im Schatten und geht der Geringschätzung nicht entgegen. – Du – ja, das ist etwas Anderes – Du hast Alles, um in der Welt zu erscheinen, zu glänzen. – Geh' allein; ich werde auf Dich warten, ich werde glücklich sein, Dich von Deinen Erfolgen erzählen zu hören! Ich werde diese glänzenden Feste durch Deine Augen sehen und das wird mir genügen! Dann voll Anmuth lächelnd, fügte sie hinzu: Höre, ich werde nicht die unglückliche und vergessene Aschenbrödel aus dem Feenmährchen sein, sondern eine Freiwillige, glücklich, Dich schön und bewundert zu sehen! Ja, wenn Du vom Ball zurückkehrst, müde des Vergnügens, gesättigt durch Schmeicheleien, wird mein zärtlich besorgter Blick Dich empfangen, und Du wirst in der Ruhe meiner Freundschaft für Dich von Deinen Siegen Dich erholen.

Damals, mein Freund, mußte man Ursula sehen und hören, um sie, trotz aller Unregelmäßigkeit ihrer Züge, nicht schön, wohl aber bezaubernd zu finden.

Ihre bebende Stimme hatte einen so reinen, so milden Klang, ihre blauen Augen einen so sanften, so flehenden Ausdruck, daß man sich unwillkürlich unterjocht fühlte.

– Ursula, rief ich aus, wie kannst Du ein solches Mißtrauen gegen Dich selbst hegen, wenn Du so sprichst, Einen so ansiehst? Ich, Deine Schwester, ich, die ich Dich nie verlassen habe, ich, die ich an Deinen Blick, an Deine Stimme gewöhnt sein sollte, ich finde Dich in diesem Augenblicke schön, aber so schön, daß ich darüber eifersüchtig werden müßte, wenn ich es könnte. Du kennst Dich selbst nicht, Du hast Dich, so zu sagen, nie gesehen. – Glaube mir also, daß Du, ungeachtet der boshaften Aeußerungen des Fräulein von Maran, ungeachtet Deines Mißtrauens, allerliebst bist. Glaubst Du, daß Deine Schwester im Stande wäre, Dich zu täuschen? Auf, Ursula, meine Freundin, Muth! Unterstützen wir uns gegenseitig; seien wir tapfer, bieten wir diesem großen Tag kühn die Stirn und morgen lachen wir vielleicht über unsere Schrecken; endlich erkläre ich Dir noch, daß, wenn Du mich nicht auf diesen Ball begleitest, ich ganz sicher nicht allein gehe.

– Mathilde, ich beschwöre Dich, bestehe nicht darauf.

– Ursula, auch ich beschwöre Dich.

– Ich kann nicht!

– Ursula, das ist schlecht! – Du weißt, meine Tante wird Dir den Vorwurf machen, Du hättest Dich nur deshalb geweigert, auf den Ball zu gehen, um auch mich zu hindern, ihn zu besuchen. – Du kennst sie; Du weißt, wie unglücklich ich bin, wenn ich Dich ungerecht ausgeschmäht sehe. – Nun, willst Du mir diesen Kummer bereiten? Ursula, liebe Schwester, wenn Du meine Bitte verweigerst, so muß ich denken, daß Du mich für gleichgültig gegen Deine Leiden hältst, und den Vorwurf verdiene ich nicht.

– Mathilde, – ach, was sagst Du? rief meine Cousine; jetzt zögere ich nicht mehr; ich werde gehen.

Je mehr der Augenblick nahete, desto unruhiger wurde ich, weniger noch wegen meiner, als wegen Ursula's. Ungeachtet ihrer scheinbaren Zuversicht wußte ich nicht, ob der Ballanzug zu ihrem Vortheil sein würde oder nicht. Um den ersten Eindruck nicht abzustumpfen, ging ich, sobald ich angezogen war, in den Salon hinab, statt Ursula sich ankleiden zu sehen.

Ich fand Fräulein von Maran und den Herzog von Versac, der uns in das Gesandtschaftshôtel begleiten sollte.

Ich habe keine Prätentionen, mein Freund; meine erste Schönheit, meine erste Jugend liegen so weit hinter mir! Ich gleiche dem, was ich damals war, jetzt so wenig, daß ich von der 17jährigen Mathilde wohl wie von einer Fremden sprechen kann. Es liegt überdies Muth, Bescheidenheit, Demuth darin, sagen zu können: ich war schön.

Stellen Sie sich daher Ihre Freundin vor ungefähr zehn Jahren in der ganzen Blüthe ihrer Jugend vor, ihre blonden Haare geschmückt mit einem Zweige rothen Haidekrautes und gekleidet in eine sehr einfache Robe von weißem Krepp, nur mit drei Bouquets von natürlichem Haidekraut garnirt, dem des Kopfputzes ähnlich, die Frau Dauphine hatte die außerordentliche Güte gehabt, diese höchst seltenen Kapblumen in den Treibhäusern von Medon auszuwählen und sie Fräulein von Maran zu senden.

Ich hatte eine sehr schlanke Taille. Der Herzog von Versac sagte mir, glaube ich, eine Schmeichelei über die Fülle meines Armes, während ich meine Handschuhe anzog. Was meinen Fuß und meine Hand betrifft, so sind das die einzigen Dinge, von denen ich nicht sprechen kann, denn sie haben sich nicht verändert.

Fräulein von Maran mußte mich schön finden, vielleicht sogar zu schön; denn als sie mich sah, konnte sie sich nicht enthalten, die Stirn zu runzeln, ungeachtet ihrer Gewohnheit, mich mit unmäßigen Lobsprüchen zu überhäufen. Sie unterdrückte jedoch diese erste Regung und sagte zu dem Herzog von Versac:

– Ist sie nicht höchst reizend und schön, wie ein Gestirn, das theure Kind?

– Sie hat glücklicherweise genug Verstand, daß man nicht fürchten darf, ihr von ihrer Schönheit zu sagen, erwiederte Herr von Versac lächelnd.

Fräulein von Maran trug, wie immer, eine Robe von carmeliterbrauner Seide, doch zum ersten Male, sah ich sie in einem sehr einfachen Häubchen, ausgeputzt mit einem Zweige von Ringelblumen.

Ich erwartete den Eintritt Ursula's voll Ungeduld; endlich erschien sie.

Glauben Sie nicht, mein Freund, daß ich übertreibe, wenn ich Ihnen sage, daß ich sie kaum erkannte, so sehr fand ich sie verschönert.

Besonders war ihr Kopfputz zum Entzücken. Ihre schönen braunen Haare, auf der Mitte der Stirn getheilt, fielen in langen Locken zu beiden Seiten ihrer Wangen herab und beinahe bis auf ihre Schultern; ihre rosige Blässe, ihr halb verschleierter Blick, ihr sanftes und trübes Lächeln und selbst ihre etwas schmachtende Haltung schienen in ihr das Ideal träumerischer Melancholie zu verwirklichen, ein Ausdruck, den die regelmäßig schönen Gesichter nie hervorzubringen vermögen.

Man sollte meinen, eine melancholische Physiognomie scheine irgend eine Vollkommenheit zu beklagen, damit diese Art bescheidenen Mißtrauens für sie ein Reiz mehr werde.

Als ich Shakspeare las, habe ich mir stets die Erinnerung an Ursula in diesem Ballkleide zurückgerufen, um mir Ophelia vorzustellen.

Statt sich, wie gewöhnlich, etwas gebückt zu halten, bewies meine Cousine durch ihren Gang voll Leichtigkeit und Gewandtheit, daß ihr Wuchs tadellos sei; nur hielt sie ihren Kopf stets etwas gesenkt, wie eine Blume, die sich zu ihrem Stiele neigt, und diese Bewegung gab ihrem Halse eine leichte Beugung von der höchsten Eleganz, wodurch der Reiz ihrer Haltung noch erhöht wurde. Man las auf ihrem Gesichte eine leise unterdrückte Trauer, die sich den Freuden der Welt hingab, ohne daran Theil zu nehmen. Der fast flehende Blick Ursula's schien um Verzeihung zu bitten, daß sie den Freuden fremd blieb, welche schmerzhafte Gedanken ihr gleichgültig machten.

Ich war daran gewöhnt, Ursula leidend und ergebungsvoll zu sehen. Aber am Tage dieses Balles war sie, so zu sagen, das innere Leid und Ergebung idealisirt; jetzt würde ich sagen in Ballkleidung.

Aber ach, Epigramme rächen mich nicht für das entsetzliche Leid, welches diese Freundin mir zugezogen hat. – Konnte ich an so viele Verstellung glauben? Und noch einmal nein, nein – sie darf nicht angeklagt werden, sondern Fräulein von Maran, deren boshafte Spöttereien –

Aber diese traurigen Entdeckungen werden nur zu bald erscheinen – zurück zu meiner Erzählung.

Ich hatte mich Ursula genähert, um ihr Glück zu wünschen, so reizend zu sein.

Herr von Versac rief aus: Ich bitte, bleiben Sie noch einen Augenblick so stehen, Beide sich die Hand gebend; Welch ein bewundernswerther Contrast! Sie, Mathilde, schön, entzückend, die Stirn strahlend in Glück und Anmuth, Sie, die Sie die Königin unserer Feste sein werden – und Sie, Ursula, das rührende Bild der Melancholie, welche mit einer Thräne im Auge lächelt.

Fräulein von Maran lachte aus allen Kräften und sagte zu Herrn von Versac:

– Weshalb bleiben Sie auf so schönem Wege stehen und gehen nicht bis zum Vergleiche der stolzen Rose und des demüthigen Veilchens fort? Kommen Sie etwa von den Ufern des Tendre und Lignon, schöner Alkander? Lassen Sie mich doch in Ruhe mit Ihren Contrasten. Die Rose hat nahe an 100,000 Livres Renten und das Veilchen hat keinen Sou; deshalb erhebt die eine die Stirn, deshalb senkt die andere sie bescheiden.

Der Vergleich des Herzogs von Versac, die boshafte Bemerkung des Fräulein von Maran und vielleicht auch der Anblick Ursula's, die ich nie so hübsch gesehen hatte, flößten mir zum ersten Male in meinem Leben einen Gedanken von Eifersucht ein, der sich aber bald in Unwillen gegen mich selbst verwandelte. Nicht an dem zweifelnd, was meine Tante sagte, glaubte ich des Ausdrucks des Stolzes genug zu haben, welchen der Reichthum gewährt, und beneidete die interessante Bescheidenheit Ursula's, welche über ihre Züge einen so hohen Reiz ergoß.

Ohne Zweifel währte dieser böse Gedanke nicht lange; ohne Zweifel schämte ich mich meiner selbst, indem ich daran dachte, so ungroßmüthig zu sein, meiner Cousine, meiner innigsten Freundin selbst das Interesse zu beneiden, welches ihre Anmuth einflößte; ohne Zweifel endlich würde ich ohne die boshafte Bemerkung meiner Tante nie dies Gefühl des Neides gehegt haben, das vielleicht zu entschuldigen war, da ich, die Reiche, es bedauerte, nicht arm zu sein. Gleichwohl ließ dieser Eindruck ein bitteres Nachgefühl zurück.

In dem Augenblicke, wo wir gehen wollten, sagte Herr von Versac zu Fräulein von Maran:

– Sehen Sie nur, welche Vergeßlichkeit! Gontran ist diesen Morgen von England zurückgekommen und ich habe Ihnen noch nichts davon gesagt.

– Ihr Neffe? Nun, da ist ja gleich ein Tänzer für die jungen Mädchen gefunden.

Ich sah Ursula voll Staunen an; nie hatten der Herzog von Versac oder das Fräulein von Maran in unserer Gegenwart den Namen dieses Neffen genannt. Wir wollten eben in den Wagen steigen, als einer von den vertrauten Freunden meiner Tante sie um einige Augenblicke zu einer geheimen Unterredung über eine höchst wichtige Angelegenheit bat. Fräulein von Maran ging in ihre Bibliothek; der Herzog von Versac nahm eine Zeitung.

Unter dem Vorwand, eine Nadel an meinem Kopfputze zu ordnen, zog ich Ursula in das Zimmer des Fräulein von Maran. Hier fiel ich ihr um den Hals, gestand ihr offen meine Regung der Eifersucht und bat sie mit Thränen in den Augen um Verzeihung.

Ursula war auch bis zu Thränen über meine Freimüthigkeit gerührt; sie beruhigte mich durch die zärtlichsten Versicherungen.

Ich kehrte in den Salon zurück, das Herz ruhig und zufrieden, und gab mir selbst das Versprechen, wie ich es auch Ursula gegeben hatte, wo möglich nicht das Ansehen einer Erbin zu haben.

Wir fuhren nach dem Gesandtschaftshôtel ab.



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