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XIX.
Rechtfertigung

Als ich Herrn von Lancry sah, konnte ich mich nicht erhalten, noch vor Unwillen zu erröthen, indem ich an die Verleumdungen dachte, als deren Opfer ich ihn betrachtete.

– Ich lasse Dich herunterkommen, Mathilde, sagte meine Tante, weil Gontran mich mit Fragen wegen der Ausstattung fast umbringt. Er will wissen, welches Dein Geschmack ist, was für Schmuck Du wünschest. Es ist viel besser, daß Du ihm das sagst, als ich. – Verständigt Euch zusammen – das ist eine schöne Arbeit. Hier ist Schreibgeräth.

Sie zeigte auf ihr Bureau, denn wir waren in ihrer Bibliothek.

Servien trat in diesem Augenblicke ein und sagte seiner Gebieterin: Gnädiges Fräulein, Herr Bisson ist in dem Salon.

– Und Sie lassen ihn allein? Er wird Alles zerbrechen! rief Fräulein von Maran, indem sie sich hastig entfernte, um sich den neuen Unthaten des Gelehrten zu widersetzen, der nach einiger Zeit der Verbannung wieder bei ihr in Gnade gekommen war.

Ich befand mich allein mit Gontran. Ich zögerte, ihm den Besuch der Herzogin von Richeville zu erzählen und schwieg.

Gontran sagte: Ich bin sehr zufrieden über die Entfernung des Fräulein von Maran, denn ich habe höchst ernsthaft mit Ihnen zu sprechen.

– Von den Hochzeitsgeschenken? sagte ich lächelnd.

– Nein, entgegnete er mit ernstem, beinahe traurigem Tone, der mir das Herz zusammenzog. Gestern sprach ich mit Ihnen von der Zukunft, von meinen Plänen, meinen Gefühlen. – Sie haben mir geglaubt, Sie wollten mir die Sorge für Ihr Glück anvertrauen, Sie haben mir großmüthig Ihr Wort gegeben. Voll von dem Entzücken, welches dieses unverhoffte Gelingen in mir erweckte, dachte ich gestern nicht daran, mit Ihnen auch von der Vergangenheit zu reden – und doch ist die Vergangenheit – stets eine gute oder schlechte Bürgschaft für die Zukunft. So eben ist ein Zweifel in mir aufgestiegen. Sie sind Waise; Ihre Tante ist die vertraute Freundin meines Oheims, des Herzogs von Versac; sie ist von den günstigsten Vorurtheilen für mich eingenommen. Wenn ich einige Fehler, einige Laster habe, so werden weder Fräulein von Maran, noch der Herzog von Versac Sie davon benachrichtigen, nicht wahr? Sie haben sich gegen mich so offen, so vertrauensvoll gezeigt – daß der Adel Ihres Benehmens mir Pflichten auferlegt. – Sie stehen allein, Sie sind von Personen umgeben, die mich lieben – die mich ohne Zweifel in Ihren Augen in dem vortheilhaftesten Lichte dargestellt haben. Es ist daher meine Pflicht, Sie freimüthig über meine Fehler aufzuklären, über das, was in meinem vergangenen Leben Tadelnswerthes, Strafbares vielleicht sogar, liegen kann. Ich werde dies thun, ohne das Böse zu übertreiben, aber mit einer strengen Aufrichtigkeit. – Dann mögen Sie urtheilen, ob ich Ihrer noch immer würdig bin. – Wenn das Unglück will, daß diese Mittheilungen mir ungünstig sind – wenn ich die theuerste Hoffnung meines Lebens verliere – so bleibt mir dann doch wenigstens der Trost, als Ehrenmann gehandelt zu haben.

Je länger Herr von Lancry sprach, desto mehr fühlte ich mich von Ueberraschung und Rührung ergriffen. Durch einen beinahe wunderbaren Zufall kam Gontran den Gedanken entgegen, welche die Unterredung mit der Herzogin von Richeville in mir erweckt hatte.

Der Instinct seines Herzens trieb ihn an, sich zu rechtfertigen, als wenn er hätte ahnen können, daß man ihn angegriffen hatte.

Seine Freimüthigkeit entzückte mich; ich erwartete seine Geständnisse mit mehr Neugier, als Besorgniß. Ich fühlte mich so vollkommen beruhigt, daß ich ihm lächelnd sagte:

– Ich höre, aber wenn es eine Beichte ist – so sehen Sie sich vor: ich kann nicht Alles vernehmen.

– Ich schwöre Ihnen, daß nichts ernster sein kann, erwiederte Gontran. Jetzt, wo ich einen Blick auf die Vergangenheit werfe, jetzt, wo ich Sie gesehen habe, jetzt besonders, wo ich meine Eindrücke von ehedem und die von jetzt miteinander vergleichen kann, erscheint mir mein Leben in einem ganz andern Lichte; ja – gewisse Gedanken, die bisher verworren waren, werden mir in diesem Augenblicke sehr klar. Ich begreife das seltsame Unbehagen, die mürrische Ungeduld, welche die vorübergehenden Verbindungen, die mir Anfangs so verführerisch erschienen, stets herabsetzten oder zerrissen. – Je weiter ich in dem Leben vorwärts schritt, um so mehr erkannte ich das Nichtige, die Bitterkeit dieser Neigungen. Ich suchte das Glück, die Zufriedenheit, die Ruhe des Herzens – ich fand nichts, als schmerzhafte Aufregung. Die Frauen, welche mir nach langem Kampfe ihre Pflichten geopfert hatten, empfanden Gewissensbisse, welche mich oft mein Glück verwünschen ließen – während mich bald die Zuversicht derer, die nicht mehr errötheten, empörte. – Und dennoch, sagte ich zu mir selbst, giebt es noch ein anderes Glück, als dieses. In meiner Verzweiflung, das Ziel zu erreichen, dem alle Kräfte meiner Seele zustrebten, zertrümmerte ich bald das Götzenbild, dem ich geopfert hatte; ich empfand eine Art boshafter Freude, es die Bitterkeit theilen zu lassen, von der meine Seele überfluthet war; ich trieb dieses Gefühl vielleicht bis zur Grausamkeit. Bin ich deshalb anzuklagen? Ich weiß es nicht. – Ich sollte vielleicht eher das Ideal anklagen, das ich träumte. Ja – denn dieses Ideal war es, welches mich so ungerecht, so strenge gegen Alles machte, was ihm nicht glich. Wenn Sie die Welt meinetwegen befragen, Mathilde, so wird sie Ihnen antworten, daß ich mich bei manchem Bruche egoistisch, geringschätzend, hart bewiesen habe. – Das ist wieder wahr. – Ich war unzufrieden mit mir selbst; ich war ungeduldig, den Banden eines falschen Glückes zu entrinnen; ich suchte eine Glückseligkeit, die mich stets floh. – Die einfachsten Gedanken sind eben die, welche uns nie in den Sinn kommen; so war ich weit davon entfernt, zu denken, daß dieses unbekannte Ziel, welches ich mit so glühender, hastiger Ungeduld verfolgte, die Liebe in der Ehe sei. – Hätte man mir damals so jene Regungen erklärt, welche mich unbewußt fortrissen, so würde ich mit dem Ausdrucke des Zweifels gelächelt haben; doch als ich Sie sah, Mathilde – da fiel mir eine Binde von den Augen; – ja, die Gegenwart enthüllte mir die Vergangenheit; – als ich Sie sah, da erschien mir endlich bestimmt, was ich unbestimmt ersehnt hatte. Indem ich so viele strafbare Gefühle verachtete, brachte ich, so zu sagen, dem reinen, heiligen Gefühle eine Huldigung dar, das mein Herz mit allen seinen Trieben begehrte und das Sie allein mich kennen lehren sollten.

Ich war sprachlos vor Bewunderung, indem ich Gontran die Vergangenheit also erklären hörte.

Sie werden bemerken, mein Freund, daß er in Folge eines eigenthümlichen Zusammentreffens sich mit Hülfe eben der Sophismen vertheidigte, welche ich den Anklagen der Herzogin von Richeville entgegengestellt hatte.

Sie können sich denken, ob die Gründe Gontran's Eindruck auf mich machten? Welches schon mit Leidenschaft liebende Weib würde nicht blind dem Manne glauben, der ihm sagte: Ich liebe Dich, ich werde Dich um so mehr lieben, je mehr ich Alles verschmäht und gekränkt habe, was nicht Du war. – Sagen Sie, mein Freund, giebt es ein gefährlicheres Paradox? Heißt das nicht mit einer verderblichen Gewandtheit oder vielmehr mit einer tiefen Kenntniß des menschlichen Herzens eine Art Piedestal errichten aus allen Treubrüchen, deren man sich schuldig gemacht hat, um darauf die neue Gottheit zu stellen, die man anbetet?

Ist nicht das Paradox noch gefährlicher, wenn die Frau, die man so erhöht, das Bewußtsein hat, in nichts den Frauen zu gleichen, die man ihr opferte? Befand ich mich nicht in dieser Lage in Beziehung auf Gontran?

Ach, war es denn ein so boshafter Stolz, zu glauben, meine Liebe, meine Ergebenheit sei für ihn größer, als all die Liebe, all die Ergebenheit, die er früher getroffen hatte?

Gontran schien mir so ganz wegen der Anklagen der Herzogin von Richeville gerechtfertigt, daß ich von meiner Unterredung mit ihr gar nicht sprechen zu müssen glaubte. Ich dachte, sie könnte übrigens durch eine wahre Theilnahme geleitet zu mir gekommen sein: sie war die Freundin des Grafen Mortagne und dieser Grund allein hätte hingereicht, mich zur Bewahrung des Stillschweigens zu verpflichten.

Gontran sah mich voll Besorgniß an, da er nicht wußte, welche Wirkung seine Worte bei mir hervorgebracht haben konnten.

Ich reichte ihm lächelnd die Hand und sagte: Sprechen wir jetzt von unsern Plänen der Zukunft –

Er schüttelte trübe den Kopf und entgegnete: Wie edel und gut Sie sind! Aber, ich kann noch nicht wir sagen, indem ich von Ihnen und mir spreche; es bleiben mir noch andere Geständnisse zu thun.

– Nun wohl – schnell – gestehen Sie mir Alles. Lassen Sie sehen, worauf es ankommt. Sie sind ein Spieler, ein Verschwender gewesen? Ihr Vermögen ist mit Schulden belastet? Sind das die fürchterlichen Geständnisse, die Sie mir abzulegen haben? Dann fügte ich lächelnd hinzu: Sehen Sie, ob ich nicht wie ein älterer, sehr nachsichtiger Verwandter spreche.

– Aus Barmherzigkeit, scherzen Sie nicht, Mathilde, erwiederte Gontran. Nun ja – ich habe gespielt! – Ich habe einige Zeit lang leidenschaftlich gespielt. Ja – darin habe ich Aufregungen gesucht, die ich anderwärts nicht fand – empört über die Schamlosigkeit gewisser Liebschaften oder erschreckt durch die Reue, die ich hervorrief. – Ich hatte nichts, was mich an das Leben fesselte – keine andere Zukunft, als den nächsten Tag – ich fühlte mein Herz betäubt, ich erröthete über mich und Andere, ich verzweifelte daran, je das Glück zu finden, das ich träumte, ich liebte nichts, ich beklagte nichts, und warf mich in den Strudel des Zufalles. – Aber die unfruchtbaren Aufregungen des Spieles, seine schmutzigen Qualen und Hoffnungen ermüdeten mich bald. – Ich spielte, um mich zu betäuben, nicht, um zu gewinnen, und verlor viel – mein Vermögen empfand die Folgen davon. – Es war schon ziemlich verschuldet durch die großen Ausgaben, die ich zu machen gezwungen war, um den Rang, den ich bei der Gesandtschaft bekleidete, würdig aufrecht zu erhalten; gleichwohl besitze ich jetzt noch –

– O, kein Wort weiter! rief ich mit dem Tone des Vorwurfs. Können Sie so sprechen? Glauben Sie, daß ich mich nur einen Augenblick mit dem beschäftigt habe, was Sie besitzen könnten oder nicht? Sie selbst, haben Sie nur einen Augenblick daran gedacht, daß die Schenkung, welche ich meiner Cousine machen wollte, und welche jetzt durch ihr Opfer nutzlos wird, mein Vermögen um die Hälfte verminderte?

– Aber, Mathilde –

– Sprechen wir von dem Hochzeitskorbe, sagte ich lächelnd, oder vielmehr von ernstern Dingen: sprechen wir von unsern Plänen für die Zukunft. Wohin werden wir von meiner Tante aus gehen? Wie, mein Herr, haben Sie auch nur daran gedacht, mich nach dem Quartiere zu fragen, welches ich bewohnen möchte, sich nach meinem Geschmack wegen der Einrichtung unserer Wohnung erkundigt?

– Mathilde, ich möchte Sie bei Angelegenheiten des Interesses ernster sehen.

– Sie möchten mich ernster sehen? Nun wohl, sagte ich mit dem Ausdrucke der rührenden Dankbarkeit, die ich fühlte, nun wohl, so lassen Sie mich Ihnen sagen, wie ernsthaft glücklich ich war, als ich gestern den Korb mit Jasmin und Heliotrop fand. – Ach, glauben Sie mir, das ist ernster, als die Angelegenheiten des Interesses. – Darin liegt mehr als in bloßen Zahlen – darin liegt ein Gefühl, eine Ahnung ... Was sage ich? eine Ahnung? – eine Gewißheit des Glückes für die Zukunft. – Ja, das Herz enthüllt sich in den kleinsten Dingen – und der Mann, der so viel Zuvorkommenheit, so viel Zartgefühl bei einer Gelegenheit, gezeigt hat, kann sich gewiß nie verläugnen. – Diese Blumen, welche das erste Zeichen Ihrer Gesinnungen gewesen sind, werden für mich stets das Symbol meines Glückes bleiben. O, ich werde sehr anspruchsvoll sein! Jeden Morgen will ich einen Korb voll dieser Blumen haben; aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß mein Herz sehr früh erwacht, und daß ein Gedanke an Sie dem Erscheinen dieses schönen Bouquets schon vorausgegangen sein wird.

– Auf den Knien, ja auf den Knien, Mathilde, muß man Sie anbeten. Wie könnte man nicht sein ganzes Leben Ihrem Glücke widmen? Man müßte der elendeste Mensch von der Welt sein, um nicht vor Gott zu geloben. Sie zur glücklichsten der Frauen zu machen.

– O, ich glaube Ihnen, Gontran! Ich habe zu viel Vertrauen auf meine Liebe, um nicht einen blinden Glauben an die Ihrige zu hegen! Weshalb sollten Sie mich betrügen? So begabt, wie Sie sind, müßten Sie da nicht tausend andere junge Mädchen finden, die Sie ohne Zweifel nicht stärker liebten, als ich – denn darin trotze ich Allen – die aber mehr als ich besäßen, was Sie entzücken kann? Ich glaube daher an das, was Sie mir sagen, denn ich kenne Sie als redlich und großmüthig. Alles, was Sie mir von Ihrem vergangenen Leben mitgetheilt haben, auf die Gefahr hin, mir zu mißfallen, mich zu verlieren sogar, ist mir ein Beweis mehr für Ihre Aufrichtigkeit.

Was soll ich Ihnen noch weiter sagen, mein Freund? Der übrige Theil meiner Unterredung mit Herrn von Lancry wurde dazu verwendet, reizende Pläne zu entwerfen. Unsere Heirath sollte gefeiert werden, sobald die nöthigen Formalitäten erfüllt waren. Der König sollte den Contract unterzeichnen, und Gontran mußte deshalb die Befehle Sr. Majestät einholen.

Wir plauderten mit dem größten Vergnügen von unserer zukünftigen Einrichtung, unserem Hause, den Jahreszeiten, die wir in Paris, auf Reisen oder unsern Gütern zubringen wollten. Gontran sprach zu unserer Einrichtung von einem herrlichen Hôtel in der Vorstadt Saint-Honoré, mit der Aussicht auf die Champs Elysées. Wir beschlossen, es in Gesellschaft des Fräulein von Maran zu besehen.

Gontran bat mich auch, reiten zu lernen, damit wir in Zukunft auf dem Lande lange Spazierritte machen könnten und ich im Stande wäre, ihn auf der Jagd zu begleiten, die er leidenschaftlich liebte. Wir stellten unsere Ausgaben ungefähr fest. Gontran, der immer sehr verschwenderisch gewesen war, sprach sehr ernst von einer verständigen Sparsamkeit. So lange er nicht verheirathet gewesen wäre, sagte er mir, hätte er nie solche Gedanken an Ordnung gehabt, jetzt aber sähe er die ganze Nothwendigkeit derselben ein. Es gab nichts Reizenderes, als diese Pläne, als diese zugleich lachenden und ernsten Gedanken an die Zukunft. Meine erste Jugend war bei Fräulein von Maran so traurig verflossen, ich hatte bisher so ganz als kleines Mädchen gelebt, daß ich nicht an das Glück glauben konnte, welches meiner wartete.


Zwei oder drei Tage nach dieser Unterredung kam Gontran, Fräulein von Maran und mich abzuholen, um uns das Hôtel in der Vorstadt St. Honoré zu zeigen, von dem er mir gesagt hatte.

Nach einigen Augenblicken der Unterredung fragte Fräulein von Maran, indem sie von dem Hause sprach, welches Herr von Lancry im Auge hatte:

– Warten Sie doch, sollte es nicht vielleicht das Hôtel Rochegune sein, welches Sie meinen?

– Ja, gnädiges Fräulein, sagte Gontran, das ist eine vortreffliche Gelegenheit. Der alte Marquis von Rochegune ist im vergangenen Jahr gestorben. Sein Sohn, Abel von Rochegune, hatte, von seinen Reisen zurückgekehrt, sehr große Verschönerungen darin vornehmen lassen, da er es zu bewohnen dachte; aber phantastisch, wie er ist, hat er plötzlich seine Absicht geändert, und jetzt sucht er es zu verkaufen.

– Er schlägt nicht aus der Art, sagte Fräulein von Maran, denn es gab keinen originelleren und keinen unerträglicheren Menschen, als seinen Herrn Vater.

– Aber man sprach von ihm nur mit Verehrung, mein Fräulein, sagte Gontran mit dem Tone der Verwunderung.

– Ach, was, rief Fräulein von Maran, indem sie spöttisch lächelte, er war ein alter Dummkopf, eine Art Philosoph, ein Träumer, ein wüthender Philanthrop noch obenein, der beständig in den Gefängnissen und Bagnos steckte, wo er sich die Taschen von den Herren Räubern und Herren Mördern ausleeren ließ, die er aus allen Kräften umarmte und seine Brüder nannte, was für seine Familie sehr angenehm war. Nehmen Sie nun noch hinzu, daß dieser häßliche Mensch, wenn er von diesen Judasküssen kam, alle Welt unter dem geringsten Vorwande der Freundschaft oder Verwandtschaft umarmen wollte, nicht mehr und nicht weniger, als ob man Einer von seinen theuren Brüdern, den Galeerensclaven, gewesen wäre.

– Aber mein Fräulein, er hat auf einem seiner Güter ein Armenhospital gegründet.

– Ja, ich weiß es, und das war eine Abscheulichkeit mehr!

– Wie denn das, mein Fräulein? sagte Gontran.

– Er hatte es gegründet, um das Recht zu haben, einen Haufen alter Vagabunden zu tyrannisiren, die so gänzlich von ihm abhingen. Man kann sich keinen Begriff von den Einfällen machen, die dieser häßliche Mensch hatte, um die armen Leute zu quälen. Um sich zu ergötzen, ließ er sie Wölfe, Ratten und Fledermäuse essen; er schlug sie zu Brei und ließ sie 18 Stunden täglich an allerhand Sachen arbeiten, aus denen er Vortheil zog, wohlverstanden, so daß dieses sogenannte Hospital eine Art von Pachthof war, der ihm viel eintrug, ungerechnet noch den Ruf der Barmherzigkeit, der ihm als Deckmantel für alle Arten von strafbaren Handlungen diente.

Obgleich ich keine Ursache hatte, mich für das Andenken des Herrn von Rochegune zu interessiren, war ich doch empört über die Boshaftigkeit meiner Tante. Mit einem Blicke sagte ich dies Gontran, der mir eben so verletzt schien, als ich.

Ich glaube, mein Fräulein, sagte er zu meiner Tante, daß Sie falsch berichtet sind, und daß –

– Keineswegs; ich weiß, was ich sage. Es war ein unangenehmer Mensch, sollte ich auch nur nach seinen Freundschaften von ihm urtheilen; er hatte zum Schüler einen unserer Verwandten, von Seiten meiner Schwägerin – Gott sei Dank – der nicht mehr taugte, wie er, einen Grafen von Mortagne.

– Den Grafen Mortagne? Diesen alten Soldaten des Kaiserreichs? Diesen eben so originellen als unermüdlichen Reisenden? sagte Gontran; ich wußte nicht, daß er die Ehre hatte, Ihnen anzugehören.

– Ja, wahrlich, wir haben diese Ehre – wenigstens hatten wir sie.

– Wie, mein Fräulein, sollte Herr von Mortagne todt sein? fragte Gontran.

– Todt! Großer Gott! rief ich, indem ich voll Angst die Hand des Fräulein von Maran ergriff.

Diese sah mich mit einem harten, ironischen Blicke an und sagte mit ihrem schneidenden, spöttischen Gelächter:

– Ha! ha! ha! Sehen Sie doch die Aufregung Mathildens; nun ja, er ist todt – man zweifelte vor einigen Tagen noch daran, doch jetzt scheint es gewiß zu sein.

– Ach, möchten Sie sich täuschen, sagte ich voll Bitterkeit.

– Mich täuschen! Nun was wär' es denn für ein großes Unglück, wenn er todt wäre, dieser schöne Casernenheld! Ein Jakobiner! Einer jener gefährlichen Brände, die, die Menschheit vorwärts zu bringen, wie sie sagen, sich wenig darum kümmern, ob sie dabei bis zu den Knien im Blute waten.

– Mein Fräulein, rief ich aus, ich bin nur ein Weib und achte wenig auf politische Meinungen, aber so lange ich nicht den Beweis des Unglücks habe, von dem Sie sprechen, werde ich stets mit der Ungeduld eines dankbaren Herzens die Rückkehr des Herrn von Mortagne erwarten; er war der Freund meiner Mutter, und wenn ich unglücklicher Weise nicht mehr an seinem Tode zweifeln könnte, so würde ich sein Andenken doch in frommer Verehrung erhalten.

– Nun, meine Liebe, Du kannst diese schöne Erhaltung immer beginnen, sag' ich Dir; doch sprechen wir nicht mehr von diesem Menschen; todt oder lebendig verabscheue ich ihn, sagte Fräulein von Maran mit gebieterischem Tone; dann fuhr sie gegen Gontran gewendet fort:

– Und der Sohn des alten Rochegune, was ist das für ein Mensch?

– Ein Mann, von dem man nicht recht weiß, was man sagen soll, mein Fräulein. Er ist erst seit kurzer Zeit hier; einmal hat er in der Pairskammer gesprochen, wie man sagt, auf sehr ausgezeichnete Weise, aber in ziemlich schlechtem Geist. Ich sah ihn zuweilen in der Welt, die er selten besucht. In Spanien hat er ein großes, eben so fürchterliches als romanhaftes Abenteuer gehabt, welches viel Lärmen machte und bei dem er sich in der That mit der ritterlichen Verschwiegenheit und der heldenmüthigen Aufopferung der alten Mauren Granada's benommen hat; er blieb für todt liegen, durchbohrt, ich weiß nicht, mit wie vielen Dolchstichen. Es kam für ihn darauf an, den Ruf einer Dame zu retten, und – doch, sagte Gontran lächelnd, ich kann Ihnen das nicht in Gegenwart Fräulein Mathildens erzählen; ich werde es später der Frau von Lancry mittheilen.

– Ach, mein Gott, entgegnete Fräulein von Maran, so sollen wir also einen Romanhelden sehen?

– So ungefähr, mein Fräulein, doch zweifle ich, daß wir ihn sehen. – Anfangs hat er sich mit vielem Eifer zu unsern Befehlen gestellt, um uns sein Haus zu zeigen; aber plötzlich besann er sich anders und sagte, daß er uns vielleicht die Honneurs nicht selbst machen könnte. Er bat mich deshalb, ihn bei Ihnen zu entschuldigen.



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