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XI.
Der Eintritt in die Welt

Als Fräulein von Maran verkündet hatte, daß sie uns auf den Ball der österreichischen Gesandtin führen würde, war ich und Ursula sehr ängstlich, und das natürlich, denn wir lebten in beinahe gänzlicher Zurückgezogenheit.

Es konnte nichts Einförmigeres, nichts Regelmäßigeres geben, als unsere Lebensweise. Morgens nahmen wir unsere Stunden, Nachmittags, je nach der Jahreszeit, gingen wir mit Madame Blondeau spazieren, oder wir fuhren mit Fräulein von Maran aus; kamen wir nach Haus, so blieben wir, nachdem wir uns angekleidet hatten, zuweilen bis zum Mittagessen in dem Salon meiner Tante und arbeiteten.

Mehrere ihrer Freunde besuchten sie um diese Zeit. Ihre Zahl war nicht groß, und Alle waren ehemalige Emigrationsgefährten meines Vaters.

Unter ihnen hatten wir besonders Herrn von Versac gern, einen der Großbeamten des königlichen Hauses.

Ungeachtet seiner siebzig Jahre konnte man keinen Greis von heitererem, jugendlicherem, liebenswürdigerem Geiste sehen. Er hatte noch immer ein sehr elegantes Wesen, ritt vortrefflich und versäumte keine von den Jagden des Königs oder des Dauphins. Gegen mich war er stets von der größten Güte, und zu meiner innigsten Freude hatte er Ursula häufig vertheidigt, indem er heiter deren Partei gegen meine Tante nahm.

Herr von Versac war von liebenswürdigem Charakter, aber ohne Festigkeit; er hatte sein Leben damit hingebracht, zu gefallen, und es wäre ihm unmöglich gewesen, irgend etwas Liebenswürdiges, Angenehmes oder Schmeichelhaftes nicht zu sagen. Nie hatte er, glaube ich, irgend ein Wort ausgesprochen, das dem Tadel nahe kam.

Jetzt bin ich zuweilen versucht, zu glauben, daß dies unbarmherzige Wohlwollen, wo nicht eine tiefe Geringschätzung, doch wenigstens eine vollkommene Gleichgültigkeit gegen Alle und Alles verbarg. Wenn aber dieses Gefühl bei Herrn von Versac bestand, so war es schwer, es durch die Hülle der ausgezeichneten Höflichkeit und Leutseligkeit, mit der er sich umgab, zu erkennen. Uebrigens habe ich mir Herrn von Versac nie anders verstellen können, als lächelnd oder schmeichelnd; er hatte die schönsten Zähne von der Welt und ein sehr verführerisches Lächeln; vielleicht bestimmten diese Vorzüge seinen Optimismus.

Ich sehe noch sein Gesicht, voll jenes Adels, jener freundlichen Anmuth, welche den glücklichen Greisen eigenthümlich ist. Er trug seine weißen Haare mit vieler Coquetterie geordnet, und wenn sein Anzug, der für sein Alter vielleicht zu sehr gewählt war, durch das blaue Band und den silbernen Stern des Ordens vom heiligen Geist gehoben wurde, konnte man sich keinen angenehmeren Typus des vormaligen alten Adels denken.

Er sah nur sehr selten die Herzogin von Versac, seine Gemahlin, welche sich seit der Restauration in die Abtei von Panthemont zurückgezogen hatte, und sich hier mit frommen und menschenfreundlichen Werken beschäftigte.

Sie werden sich nicht wundern, mein Freund, wenn ich ausführlich von Herrn von Versac spreche, denn Sie wissen, daß ich später ihm ziemlich nahe angehörte. Was ihn bei uns auch noch beliebt machte, waren seine bezaubernden Erzählungen von den Bällen der Herzogin von Berry, und vorzüglich von den Quadrillen in Kostüm. Der Herzog war in allen Dingen ein Mann des Vergnügens; er sprach von den Festen, von den Zerstreuungen des unthätigen und üppigen Lebens mit dem lebhaftesten Interesse.

Unter den andern Personen, welche Morgens den kleinen Zirkel des Fräulein von Maran bildeten, war noch einer von den Ministern des Königs. Er war der beste Mensch von der Welt und ergötzte uns sehr durch seine Zerstreutheiten und durch seine unüberwindliche Schlafsucht, der er oft am hellen Tage mit der liebenswürdigsten Gutmüthigkeit nachgab.

Was unsere Freude auf den höchsten Gipfel brachte, war die Ankunft des Herrn von Bisson, eines Mannes von ausgebreiteten Kenntnissen und europäischem Rufe; er galt für eines der gelehrtesten Mitglieder der Akademie der Wissenschaften. Er war ein langer, magerer Mensch, 6 Fuß groß, mit einem sehr kleinen Kopfe und dem gutmüthigsten Gesichte, das man sehen konnte; sein langer Hals trat aus einer weißen Halsbinde hervor, die wie ein Strick umgeschlungen war und deren Knoten gewöhnlich hinten am Kopfe saß. In jeder Jahreszeit trug er über seinem breitschößigen schwarzen Fracke einen grünen Spencer, mit Astrachanpelzwerk besetzt. Um keinen Preis der Welt hätte man ihn in einen Wagen gebracht, so sehr fürchtete er, umgeworfen zu werden. Bei regnerischem oder kothigem Wetter kam er daher auch zuweilen in einem Mitleid erweckenden Zustande zu Fräulein von Maran.

Voller Geist, Kenntnisse und Güte, hatte er nur eine unheilbare Manie, die: Alles anzurühren, Alles von dem Platze zu nehmen, und oft Alles zu zerbrechen.

Meine Tante gerieth in gewaltige Wuth gegen ihn, aber da sie gern mit einem Manne, der einen Ruf wie Herr Bisson hatte, von Wissenschaften sprach, beruhigte sie sich immer wieder.

Ich werde mich stets an eine allerliebste, mit Emaille verzierte Tabaksdose von Petitot erinnern, welche meine Tante ihm unbesonnener Weise mitten in einer Dissertation über die letzte Denkschrift, ich glaube des Herzogs von Luynes in der Akademie der Wissenschaften über die hetruskischen Vasen, anvertraut hatte.

Herr Bisson begann damit, unschuldig die kostbare Dose in seiner Hand zu rollen; dann aber wurde das Gespräch allmälig lebhafter. Fräulein von Maran beobachtete keine Mäßigung mehr in ihren Angriffen; lieber, als daß sie nachgegeben hätte, läugnete sie die Evidenz. Außer sich gebracht durch, ich weiß nicht, welche falsche Behauptung meiner Tante, rief der Gelehrte, indem er ungestüm auf den Kaminsims schlug:

– Nein, nein, nein, und tausend Mal nein, und noch ein Mal nein, gnädige Frau.

Jede Verneinung begleitete er mit einem derben Schlage der Tabaksdose auf die Marmorplatte.

Meine Tante bemerkte die Zerstörung ihres zerbrechlichen Döschens erst an der Tabakswolke und den daraus hervorfliegenden Emaille Splittern.

– Ach, der abscheuliche Alles-Zerbrecher, rief sie zornig aus. Was hat er mir denn da wieder zerbrochen? – Ach, meine Tabatière von Petitot! Ach, der häßliche Mensch! Aber, mein Herr; um Gotteswillen, so halten Sie sich doch ruhig! Sie werfen mir ja Tabak in die Augen; Sie machen mich blind! Von jetzt an verbiete ich Ihnen, je einen Fuß wieder auf meine Schwelle zu setzen, verstehen Sie mich? – Meine Dose von Petitot! Neulich hat er mir meine Bonbonnière von buntem Bergkrystall, eine Bonbonnière von funfzig Louisd'or, wenn Sie erlauben, zerbrochen, indem er mit seinen langen Armen gesticulirte! – Gehen Sie fort – fort von mir, ich bitte Sie – gehen Sie – Ihre wissenschaftlichen Unterhaltungen werden mir zu theuer, ungerechnet noch den Uebelstand, daß Sie immer zu mir kommen, wie ein Räuber, und mir den Koth aller Straßen von Paris herbringen.

– Sie mögen sagen, was Sie wollen, gnädige Frau, rief Herr Bisson zornig, ich werde niemals einen Wagen besteigen; dazu bin ich fest entschlossen, denn ich will lieber Ihren Teppich beschmutzen, als mir den Hals brechen! – Und das war Alles, was der Gelehrte über das Unglück mit der Dose sagte.

– Hören Sie, Herr Bisson, sagte meine Tante, lassen Sie mich in Ruhe; Sie werden mich außer mir bringen; erweisen Sie mir die Freundschaft, sich sogleich zu entfernen, und besonders, kommen Sie nicht wieder.

– Und wo soll ich denn hin gehen? Es ist erst halb 3 Uhr, und vor halb 4 Uhr brauche ich nicht in der Akademie zu sein, sagte Herr Bisson; und dabei pflanzte er sich in einen Armsessel und bemächtigte sich eines Lichtschirms, den er auseinander zu nehmen begann.

– Wohin Sie gehen sollen? rief Fräulein von Maran außer sich. Ist denn mein Haus ein Zufluchtsort für die müßiggehenden Mitglieder des Instituts? Ach, mein Gott, was macht er nur da wieder? – So, jetzt arbeitet er daran, mir einen Lichtschirm zu zerbrechen. Aber, das ist unerträglich, das ist ja eine wahre Geißel – das ist eine Pest, ein so unheilstiftendes Wesen! – Und Fräulein von Maran mußte den Händen des Herrn Bisson den beinahe schon zerbrochenen Lichtschirm entreißen.

– Es ist außerordentlich, wie unsolide man in unsern Tagen arbeitet; das kommt daher, weil man die Production übermäßig vergrößert! sagte Herr Bisson mit nachdenkendem Wesen, indem er sich eines kleinen Handbesens bemächtigte, um damit, statt einer Feuerzange, die Kohlen im Kamin zu schüren, zum großen Verdruß meiner Tante, die einen neuen Anfall des Zornes bekam.

Aehnliche Scenen, die sich häufig erneuerten, ergötzten uns sehr, denn Herr Bisson kam nach zwei oder drei Tagen wieder, ohne des Vorgefallenen nur im Geringsten zu gedenken, und Fräulein von Maran konnte ihm nicht lange zürnen. – – –

Nach diesem Morgenempfange aßen wir mit Fräulein von Maran; sie liebte es nicht, sich irgend einen Zwang aufzulegen, und lud deshalb Niemand ein. Man aß bei ihr ganz vortrefflich; sie war leckerhaft, und hatte eine Manie, die uns einen unübersteiglichen Widerwillen erweckte.

Ihr Haushofmeister Servien brachte ihr Alles, was auf die Tafel kam, denn sie kostete von Allem, und oft – verzeihen Sie mir diese genaue Beschreibung, mein Freund – nahm sie sich mit den Fingern etwas, auch ließ sie ihren Hund Felix, der jetzt altersschwach war, von ihrem eigenen Teller fressen!

Die Dauer des Mittagsessens war für uns beinahe eine Marter. Wir kehrten dann einen Augenblick in den Salon zurück, wo wir blieben, bis Fräulein von Maran in ihrem Armsessel fest eingeschlafen war, eine Gewohnheit, von der sie nie abwich. Ihre Leute hatten Befehl, sie nicht zu wecken und die Personen, welche zufällig in prima sera kamen, zu bitten, in einem andern Salon zu warten. Wir gingen gegen acht Uhr auf unser Zimmer, und hier lasen, musicirten und plauderten wir bis zur Theestunde.

Nie wohnten wir den Abendgesellschaften des Fräulein von Maran bei; sie empfing wenig, Damen; die, welche sie sah, waren meistens von ihrem Alter.

Sie begreifen, mein Freund, daß wir, an die Monotonie eines solchen Lebens gewöhnt, durch die Aussicht auf Bälle und Feste, die meine Tante vor uns öffnete, etwas geblendet sein mußten.

Als wir diese Nachricht empfingen, war unsere erste Regung freudiger Art; allmählich führte die Ueberlegung aber melancholische Gedanken herbei.

Ich brachte die Nacht, welche dem Balle voranging, in einer sonderbaren Aufregung zu. Je näher das Fest herankam, desto trauriger und niedergeschlagener fühlte ich mich. Ich hatte nicht das Glück gehabt, mich der Zärtlichkeit meiner Mutter zu erfreuen – ich vermißte sie vielleicht nie mehr, als in diesem Augenblicke.

Die Erfahrung hat mir bewiesen, daß mein Instinkt mich nicht täuschte; besonders wenn wir in die Welt eintreten, ist die schützende und imponirende Sorgfalt einer Mutter unentbehrlich.

Jedermann weiß, daß die officielle Erscheinung eines jungen Mädchens in der Mitte von Festen, von denen der Anstand ihrer Erziehung sie bisher fern gehalten hatte, die Ansprüche derer, welche um ihre Hand werben können, ermuthigt, so zu sagen autorisirt.

Mag nun ein solcher Glaube gerechtfertigt werden oder nicht, so hat man doch in der Regel einen solchen Begriff von dem Scharfsinne eines Mutterherzens, daß gewisse Absichten, gewisse Hoffnungen, welche des Erfolges nicht würdig sind oder auf Erfolg nicht leicht rechnen dürfen, diesem so aufmerksamen und so mißtrauischen mütterlichen Scharfsinne nahe zu kommen sich fürchten.

Ist dagegen ein junges Mädchen eine Waise, so mag sie von noch so vieler Sorgfalt umgeben sein, man glaubt, man weiß sie doch isolirter, minder vertheidigt, und sie wird dann, zumal wenn sie reich ist, eine Art von Beute, von Eroberung, nach der Alle streben zu dürfen glauben.

Ohne so klar in der schmerzlichen Besorgniß zu sehen, welche mich einen Theil der Nacht wach hielt, hatte ich doch eine unbestimmte Ahnung dieser Gedanken; ich fühlte mich verletzt, beinahe gereizt von dem Gedanken, daß Gleichgültige mich prüfen, bekritteln, mein Vermögen nachrechnen, meine Geburt wägen, mich in die Kategorie der mehr oder minder vortheilhaften Partien einreihen würden. Es schien mir, als wenn ich nicht die geringste dieser Besorgnisse gehegt haben würde, wenn ich meine Mutter begleitet hätte.

Ich hatte noch einen andern Grund des Mißbehagens, beinahe des Kummers. Gewiß, ich war weit entfernt, die Vorurtheile meiner Tante in Beziehung auf meine Cousine zu theilen; aber dadurch, daß ich Fräulein von Maran so oft wiederholen hörte, Ursula sei häßlich und ohne allen Reiz, war zuletzt in mir die Furcht entstanden, die Welt möchte das Urtheil meiner Tante bestätigen, und meine Cousine den wenigen Beifall, den sie fände, bemerken.

Ich zitterte, daß Ursula in dem hellen Schimmer des Salons, ungeachtet ihrer Sanftmuth, ungeachtet ihrer gewöhnlichen Ergebung, mich um die frivolen Vortheile beneiden möchte, die ihr fehlten, und daß ihre Eifersucht sich dann in ein noch bitteres Gefühl verwandeln könnte.

Ihre Eigenliebe hatte bisher nur in Gegenwart einiger Freunde des Fräulein von Maran gelitten. Wie konnte es werden, wenn sie grausam und öffentlich durch eine geringschätzende Gleichgültigkeit getroffen würde?

Ich versichere Sie, mein Freund, daß dieser Gedanke mich vielleicht am meisten marterte, so viel Werth hatte die Freundschaft Ursula's für mich. Uebrigens dachte ich ernsthaft an die Mittel, mein Vermögen mit ihr zu theilen, ohne ihr jedoch ein Wort von diesem Plane zu sagen. Das war eine jener kindischen Uebertreibungen, die eben so schnell vergessen, als gedacht sind. Es war ein feststehender Entschluß; um ihn sicherer zu realisiren, wollte ich mit meiner Tante nicht davon sprechen, war jedoch fest entschlossen, diese Schenkung als den ersten Punkt meines Heiraths-Vertrages aufzusetzen.

Sie lachen ohne Zweifel, mein Freund, über meine Unbefangenheit in Beziehung auf Geschäftsangelegenheiten; ich danke dem Himmel, daß ich nicht früher unterrichtet wurde, denn diese Unwissenheit hat mir glückliche Augenblicke gewonnen.

Endlich erschien der Tag des Balles. Ungeachtet ihrer Häßlichkeit und ihres nachlässigen Anzuges, besaß Fräulein von Maran einen ausgezeichneten Geschmack; ihre beständige Gewohnheit des Tadelns, ihr Haß gegen alles Junge und Schöne, hatten sie so schwierig gemacht, daß das, was sie billigte, wenigstens untadelhaft sein mußte.

Sie ließ uns zwei reizende und ganz gleiche Anzüge machen. Später hab' ich mich gefragt, weshalb Fräulein von Maran großmüthig genug war, mich nicht mit irgend einem Kleide, irgend einem Kopfputz von schlechtem Geschmack zu entstellen; das wäre ihr sehr leicht gewesen und hätte mich für lange Zeit lächerlich gemacht, denn der erste Eindruck, den die Welt empfängt, ist oft unauslöschlich. – Aber eine kleinliche Rache war meiner Tante unwürdig. Sie wollte und that mehr.

Fürchtete ich nicht, die Ordnung der Ereignisse zu stören, indem ich hier Dinge erzählte, die ich erst später erfahren konnte, so würden Sie sehen, mein Freund, daß ich in jener Zeit meines Lebens schon fast ganz von den Schlingen des Hasses umgeben war, die Fräulein von Maran mir mit einer Sicherheit des Blickes gelegt hatte, welche eine tiefe und verhängnißvolle Kenntniß des menschlichen Herzens bewies.



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