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IX.
Eine Jugendfreundin

Eine neue Aera sollte für mich beginnen.

Bisher hatte ich nur unvollkommene Gefühle gehabt; ich fürchtete meine Tante, aber ihr Geist unterhielt mich. Ungeachtet einiger Beweise der Kälte und der Vergessenheit liebte ich meine Gouvernante zärtlich, aber es bestand keine Uebereinstimmung des Alters oder des Charakters zwischen uns.

Als Ursula d'Orbeval ankam, war ich so allein, hatte ich mir so schöne Träume von dieser gelobten Zuneigung gemacht, daß ich mich schon dankerfüllt für meine Cousine fühlte, weil sie mich in den Stand setzen sollte, diese süßen Hoffnungen zu verwirklichen. Ich vergaß die boshaften Rathschläge meiner Tante ganz; statt daran zu denken, Ursula zu demüthigen, dachte ich nur daran, sie zu lieben.

Sie kam am Tage nach dem Neujahrstage in das Hôtel Maran; sie war ein Jahr älter als ich. In Folge einer sonderbaren Eigenthümlichkeit waren ihre Haare schwarz, und ihre Augen blau, während ich schwarze Augen und blonde Haare hatte. Wir waren ungefähr von derselben Größe. Ursula's Züge waren keineswegs regelmäßig, doch konnte man sich keine interessantere Physiognomie, kein freundlicheres lieblicheres Lächeln als das ihre denken.

Das erste Mal, als ich sie sah, trug sie Trauer für ihre Großmutter und ihre schwarzen Kleider hoben die rosige Weiße ihrer Haut noch mehr hervor; ich fand den Ausdruck ihres Gesichtes so lieblich, daß ich sie umarmte, und sie meine Schwester nannte.

Unwillkürlich weinte ich, und diese Thränen waren die süßesten, die ich noch je vergossen habe. Meine Cousine nahm meine Liebkosungen mit rührender Anmuth hin; ich führte sie auf mein Zimmer und stellte alle Schätze meiner Toilette zu ihrer Verfügung.

Ursula zeigte weder linkische Verlegenheit, noch unbescheidene Zuversicht. Sie bat mich voll Rührung um meine Freundschaft, denn sie war auch beinahe Waise, da ihr Vater sie mit der größten Härte behandelte.

Ich fühlte eine Welt neuer Empfindungen in mir erwachen, und ich begriff das Glück, sich einer geliebten Person zu weihen, sie zu beschützen, zu vertheidigen; ich wußte es Ursula beinahe Dank, arm zu sein, denn ich war reich, fast verlassen zu sein, denn mein Herz war bereit, dem ihrigen entgegen zu kommen und ihr die Zuneigung zu bieten, die ihr mangelte.

Sobald ich eine Freundin lieben konnte, glaubte ich nicht mehr Kind zu sein; ich fühlte mich groß, wie die kleinen Mädchen sagen; ich wurde sehr ernsthaft, sehr überlegt; ich schämte mich meiner frühern Coquetterie, und sagte zu Ursula, indem ich ihr alle meine schönen Kleider zeigte, mit stolzer Geringschätzung: Das war gut, als ich allein war.

Meine Cousine trug Trauer, und auch ich wollte deshalb schwarz gekleidet sein.

Die ganze Nacht trug ich meinen Plan im Kopfe herum und am nächsten Morgen trat ich entschlossen zu Fräulein von Maran ein.

– Liebe Tante, sagte ich, ich möchte schwarz gekleidet sein, wie Ursula, und eben so lange wie sie.

– Du bist verrückt, liebe Kleine, sagte meine Tante staunend; Ursula ist in Trauer, und Du hast keinen Grund, Trauer zu tragen.

– Aber die Trauer um meine Mutter? antwortete ich, indem ich trübe die Augen senkte.

Meine Tante brach in lautes Gelächter aus und sagte:

– Sie ist unterhaltend mit ihren Trauergedanken! Aber Du hast die Trauer für Deine Mutter vor sieben Jahren getragen, und das ist vollkommen genug.

– Ich habe sie getragen, ohne zu wissen, daß ich sie trug, liebe Tante, sagte ich, indem ich fühlte, daß die Thränen mir in die Augen traten. Das Gelächter meiner Tante hatte mich schmerzlich verletzt.

– Ach, guter Gott, was die Kleine für komische Ideen hat, sagte Fräulein von Maran, indem sie abermals lachte und mich beim Kinn faßte. Nun, nun, kleine Närrin, wir wollen Deine Laune befriedigen, d. h. Du sollst in Schwarz gekleidet werden, doch nicht in das Schwarz der Trauer, wenn es Dir gefällig ist, denn das wäre zu lächerlich. – Du sollst schöne Kleider von Seide und Moire bekommen, während die arme Ursula nur wollene Kleider trägt – und das wird sie wüthend machen.

– Ich möchte nie anders gekleidet sein, als meine Cousine, Tante.

– Wie! Ist es schon so weit? rief Fräulein von Maran, indem sie durchbohrende Blicke auf mich richtete. Das geht ja noch besser, als ich dachte. – Nun, nun, – beruhige Dich nur; ist die Trauer erst vorüber, dann sollt Ihr immer wie zwei Schwestern gekleidet gehen; Du bist reich genug, um Deiner Cousine, die nicht einen Sou besitzt, von Zeit zu Zeit ein schönes Kleid zu schenken.

– Liebe Tante, Sie verstehen mich nicht! rief ich voll Ungeduld; weil Ursula arm ist, möchte ich so gekleidet sein wie sie, und nicht, daß sie so gekleidet wäre, wie ich.

Fräulein von Maran sah mich wieder aufmerksam an, und sagte dann mit ihrem spöttischen Tone:

– Aber was hat denn die Kleine heut mit ihrem übertriebenen Zartgefühl? – Wie rührend das ist! – Das ist ein Familienzug! – Dann fügte sie, zu sich selbst sprechend, hinzu: In der That, – desto besser! – Und endlich sagte sie wieder zu mir: Gut – sehr gut, – Kleine; Du kannst Ursula nicht zu sehr als Schwester behandeln. Mit Vergnügen sehe ich in Dir die Symptome eines großen Zartgefühles sich entwickeln – einer großen Reizbarkeit des Gefühles. Desto besser; darauf rechnete ich nicht; Du übertriffst meine theuersten Hoffnungen.

Ganz stolz, ganz glücklich verließ ich Fräulein von Maran.

Ich suchte schnell meine Gouvernante auf, um ihr das Resultat meiner Unterhaltung mit meiner Tante mitzutheilen.

Blondeau umarmte mich diesmal, indem sie vor Freude weinte, und sagte: Jetzt ist Ihr gutes Herz wiedergekommen. Es ist mir, als hörte ich Ihre arme Mutter sprechen.

Man könnte glauben, die boshaften Absichten des Fräulein von Maran gegen mich hätten damals eine Pause gemacht, doch dem ist nicht so.

Nie hielt sie sich im Gegentheile für gewisser, mir zu schaden, sowohl in der Gegenwart als in der Zukunft. Aber damals wußte ich noch nicht, was ich seitdem erfahren habe, und ich überließ mich mit Glück meinen Gefühlen einer exaltirten Freundschaft für meine Cousine. Sie erwiederte sie mit der innigsten, dankbarsten Hingebung.

Einige Tage nach der Ankunft Ursula's in dem Hotel Maran hatte ich kein Geheimniß mehr für sie. Ich hatte ihr meine ganze Kindheit erzählt, ausgenommen die entsetzliche Absicht meiner Gouvernante, und selbst dies Geheimniß zu bewahren, war mir sauer geworden und wurde es mir noch fortwährend.

Obgleich Ursula ein Jahr älter war, als ich, stand ich ihr doch in meinen Studien kaum nach; unsere Lehrer ermangelten nie, meine Leistungen über die ihrigen zu setzen, sei es nun, daß sie dies wirklich verdienten, sei es, daß sie dadurch meiner Tante zu schmeicheln glaubten. Ohne es zu wissen, machten sie sich so zu Mitschuldigen ihrer geheimen Absichten.

Ich fürchtete die Eigenliebe Ursula's durch meine Erfolge zu verletzen, und that alles Mögliche, um mich wegen meiner Ueberlegenheit zu entschuldigen. Ich fand tausend Gründe, meine kleinen Triumphe zu meinem Nachtheile zu erklären; bald wollten unsere Lehrer, indem sie mir den ersten Platz gaben, Fräulein von Maran gefallen; bald liebte Ursula selbst mich so sehr, daß sie absichtlich Fehler machte, um mir den Vorzug zu lassen.

Ich weiß nicht, ob unsere entstehende Neigung die Absichten des Fräulein von Maran hinderte, aber sie fand das Mittel aus, mich neuerdings zu quälen, und grausamer als je.

Unter dem Vorwand, uns allmälig daran zu gewöhnen, die Welt zu suchen, ließ sie uns zuweilen Morgens in ihren Salon kommen. Sie empfing jeden Abend Gesellschaft, aber mehrere vertraute Personen besuchten sie zwischen vier und sechs Uhr.

Man denke sich meinen Kummer, als ich das erste Mal meine Tante zu Fremden sagen hörte, indem sie auf mich und Ursula deutete:

– Sollten Sie wohl glauben, daß meine Nichte, die ein Jahr jünger ist, als Fräulein von Orbeval, und ihre Erziehung viel später begonnen hat, so fleißig war, daß sie die überraschendsten Fortschritte machte, und ihre Gefährtin in jeder Beziehung überflügelt? Das ist überraschend, nicht wahr? Gewöhnlich sind es die armen Mädchen, ohne Vermögen, welche angestrengter arbeiten. Hier ist es gerade das Gegentheil. Mathilde begnügt sich nicht damit, ihrer Cousine durch Reichthum und Schönheit überlegen zu sein, sie will auch in der Erziehung über ihr stehen. Die arme, liebe Kleine; sie ist ein wahrer Schatz, dieses Kind, ganz das Bild ihrer verstorbenen Mutter.

Und Fräulein von Maran überhäufte mich mit heuchlerischen Liebkosungen.

Mein Herz brach. Ich sah Ursula mit flehendem Blicke an, und kaum waren wir allein, als ich ihr weinend in die Arme fiel, und sie um Verzeihung wegen der übertriebenen und lächerlichen Lobsprüche bat, mit denen meine Tante mich überhäufte.

Meine Cousine, welche ebenso gerührt war, wie ich, beschwichtigte meine Besorgniß, scherzte sogar darüber, und bewies mir durch ihre stets wachsende Zärtlichkeit, daß sie keineswegs eifersüchtig auf meine Vorzüge, oder verletzt durch die Vorwürfe des Fräulein von Maran sei.

Ich that damals mein Möglichstes, um Ursula den ersten Platz zu lassen, aber vergebens häufte ich Fehler auf Fehler; es gelang mir nicht, Ursula's Arbeiten den meinigen vorgezogen zu sehen. Eines Tages fiel ich auf den Gedanken, nichts mehr zu thun, meine Aufgabe nicht mehr zu lernen. Da mußte denn wohl meiner Freundin der erste Platz gegeben werden.

Fräulein von Maran ließ uns Beide in ihren Salon kommen, wo wieder mehrere Personen zugegen waren.

Nach einigen Worten eines unbedeutenden Gespräches rief meine Tante mich zu sich. Dann wendete sie sich zu einer ihrer Freundinnen: Sie werden mir sagen, daß ich dasselbe wiederhole, aber man muß es alten Frauen schon verzeihen, daß sie schwatzhaft sind, wenn sie von dem sprechen, was ihnen theuer ist! Ich sehe Sie lachen; Sie errathen, daß wieder von meiner kleinen Mathilde die Rede ist? Es ist wahr, ich bin ganz von ihr eingenommen, ganz närrisch mit ihr, wenn Sie wollen. Nun wohl, ja. Es ist so, ich kann mich dessen nicht erwehren, sagte meine Tante, indem sie den Ton einer gutmüthigen Frau annahm, was sie immer zu thun pflegte, wenn sie etwas recht Boshaftes sagen wollte. Sie fuhr fort: Sehen Sie einmal Mathilde und Ursula – zum Beispiel – aber ich muß der Mamsell von Orbeval einen kleinen Denkzettel geben. Hierauf sich zu meiner Cousine wendend, sagte meine Tante mit strengem Ton: Fräulein, Sie sind arm; Sie benutzen alle Lehrer Ihrer Cousine, und Sie sind träg genug, um zu dulden, daß Mathilde, diesem Engel an Güte, heut absichtlich ihre Pflichten vernachlässigt, um Ihnen den ersten Platz zu lassen, den Sie nicht den Muth haben, durch Ihren Fleiß zu erringen.

– Aber, meine Tante, rief ich aus, Ursula wußte davon nichts.

– Sehen Sie nur das gute Herz der lieben Kleinen! Welche Großmuth! Sie vertheidigt sie noch! Und meine Tante umarmte mich.

Dann wendete sie sich wieder mit strengem Tone zu meiner Cousine, welche roth vor Scham in Thränen ausbrach, und sagte ihr hart:

– Schämst Du Dich nicht, solche Opfer von einem Kinde anzunehmen, wohl gar zu verlangen?

– Aber, gnädiges Fräulein, rief die arme Ursula, ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich nicht wußte –

– Schon gut! – Schon gut! sagte Fräulein von Maran; ich weiß, was ich davon denken soll.

Und sie schickte uns fort, nachdem sie mich zärtlich umarmt hatte.

Ihre Liebkosungen empörten mich. Ich fing wieder an, sie mehr als je zu hassen. Ich ahnete, daß ihre höllische Bosheit mir meine Freundin entfremden wollte.

Nach diesem Auftritte warf ich mich schluchzend vor Ursula auf die Kniee. Das arme Kind gab mir meine Liebkosungen zurück und dankte mir für meine Versicherungen der Zärtlichkeit; aber ich sah, daß sie noch lange an dieser Wunde litt, die sie um so mehr schmerzte, da sie stolz und von Natur im Kummer nicht sehr mittheilend war.

Meine größte Furcht bestand darin, meine Cousine möchte mich fähig glauben, bei meiner Tante die Zuträgerin zu machen, oder wenigstens die Lobsprüche, die sie mir zollte, hervorzurufen oder mich dadurch geschmeichelt zu fühlen.

Ich beschloß daher, mich in einen Zustand offener Feindseligkeit gegen Fräulein von Maran zu setzen, sie um jeden Preis gegen mich aufzubringen, um Ursula zu beweisen, daß ich keine Verrätherin sei und die Scheltworte meiner Tante mit ihr theilen wollte.

Es kam darauf an, einen großen Streich auszuführen; meine Trägheit, meine Weigerung zu arbeiten, hatten statt meine Tante gegen mich aufzubringen, Ursula nur noch härtere Vorwürfe zugezogen; ich mußte mich daher auf andere Weise strafbar machen.

Ich überlegte lange diesen Plan; Blondeau sagte mir später, daß ich damals ernst, nachdenkend, gedankenvoll ausgesehen hätte. Ich verdoppelte meine Zärtlichkeit gegen Ursula, aber ich traf alle möglichen Vorsichtsmaßregeln, damit sie nicht angeklagt werden könnte, meine Absichten gekannt zu haben.

Unter mehreren bösen Plänen hatte ich auch daran gedacht, eine prächtige Schale von Porzellan zu zerbrechen, welche der König Ludwig XVIII. selbst meiner Tante geschenkt hatte und auf die sie große Stücke hielt.

Das befriedigte mich nicht. Man konnte diese Handlung einer Ungeschicklichkeit, einer Unbesonnenheit zuschreiben. Ich brauchte etwas vorher Ueberlegtes, eine wirkliche, offene, nicht zu entschuldigende Bosheit.

Ich dachte muthig daran, die Fenstervorhänge des Salons in Brand zu stecken, aber die Folgen des Feuers konnten für Ursula und Blondeau gefährlich werden, und überdies legte man auch hier vielleicht Alles dem Zufall zur Last.

Indem ich an diesen bösen Absichten arbeitete, hatte ich nicht die geringsten Gewissensbisse; ich glaubte etwas sehr Großmüthiges, sehr Heldenmüthiges zu thun; ich fühlte mein Blut in meinen Adern sieden und wähnte, eine göttliche Erhabenheit der Ergebung zu erreichen.

Diese großen Gedanken gingen mir noch im Kopfe herum, als das Verhängniß wollte, daß ich die Augen auf Felix, den Schooßhund meiner Tante, warf.

Ich hatte mich an diesem boshaften Thiere zu rächen; es hatte mich öfters gebissen; den Tag zuvor noch hatte er Ursula einen Biß versetzt; aber ich gestehe, wäre er auch der gutmüthigste aller Hunde gewesen, so würde sein größtes Vergehen in meinen Augen, oder vielmehr der Grund, der mich ihn zum Opfer wählen ließ, die große Liebe gewesen sein, welche Fräulein von Maran für ihn hegte.

Ich kannte ihren Zorn, wenn einer ihrer Leute nur zufällig Felix den kleinsten Schrei entlockte. Einen Augenblick war ich feig genug, bei dem Gedanken an den Zorn des Fräulein von Maran zu zittern. Ich hielt sie für fähig, mich zu tödten, wenn ich etwas gegen ihren Hund unternähme. Aber meine Freundschaft für Ursula trug den Sieg davon. Ich trotzte allen Folgen meines Entschlusses.

Ich befand mich allein in dem Gesellschaftszimmer meiner Tante; Felix lag in seinem mit Sammet ausgeschlagenen Korbe; ich sah nur seinen Kopf; ich wollte ihm Böses thun, aber ich wußte nicht, wie ich es anzufangen hatte; er war sehr boshaft, sehr mißtrauisch, und überdies hätte ein Fußtritt weder meiner Rache, noch meinen Plänen genügt.

Jetzt, mein Freund, kann ich mich nicht enthalten, zu lächeln, indem ich diese kindischen Details niederschreibe; dennoch erinnere ich mich, nie eine so gewaltige, so tiefe Aufregung gefühlt zu haben, als die, welche ich damals empfand, als ich auf dem Punkte stand, zu handeln.

Sonderbar! seitdem habe ich in meinem Leben sehr ernste und sogar sehr strafbare Entschlüsse gefaßt, aber noch einmal gestehe ich es, nie empfand ich die Furcht, das Zögern, die Ahnung der Gewissensbisse, wenn man so sagen kann, wie in dem Augenblicke, wo ich meinen kindischen Muthwillen begehen wollte.

Ich gestehe, daß meine Rache gegen Felix sehr barbarisch war; ich war nicht von grausamem Charakter; mein ganzes Verlangen der Sühne gegen Ursula war nöthig, mich zu dieser rohen Handlung zu bestimmen.

Ich verfiel auf den abscheulichen Gedanken, eine Feuerzange in den Kamin zu legen, und als sie glühend roth war, nahm ich sie und ging entschlossen auf meinen Feind los.

Seiner Gewohnheit nach fuhr er bellend von seinem Lager empor und auf mich ein; aber ich ergriff so geschickt mit der Feuerzange eines seiner spitzen Ohren, daß er ein entsetzliches Geheul ausstieß und niederfiel, ohne den Muth oder die Kraft zu haben, sein Lager wieder zu erreichen. Ich empfand einen Augenblick Reue, als ich das Ohr des unglücklichen Thieres dampfen sah und sein schmerzliches Geschrei hörte; aber bei dem Gedanken an das Glück, vor Ursula's Augen von meiner Tante mißhandelt zu werden, unterdrückte ich diese Regung des Mitleids.

Ich war heldenmüthig stehen geblieben, meine Feuerzange in der Hand, während mein Opfer sich zu meinen Füßen wälzte.

Fräulein von Maran stürzte ganz erschrocken herein; ihr Haushofmeister folgte ihr nicht minder besorgt.

– Guter Gott des Himmels, was giebt es denn? rief sie aus, indem sie sich über Felix warf. Was hast du denn, mein armes Thier? – Und als sie dann sein ganz verbranntes Ohr sah, erhob sie den Kopf und rief mir wüthend zu:

– Kleiner Dummkopf! konntest Du nicht auf ihn Acht geben und ihn hindern, dem Feuer nahe zu kommen? – Servien – Servien – schnell frisches Wasser – Eis!

Die Augen vom Zorne verdreht, die Lippen mit Schaum bedeckt, vergaß meine Tante jetzt ihr gewöhnliches Benehmen gegen mich, faßte mich am Arme, knipp mich bis auf's Blut und kreischte dazu:

– Du konntest wohl nicht auf ihn Acht geben, häßlicher Einfaltspinsel – unwürdiges Geschöpf!

Fräulein von Maran hatte ein so entsetzliches Gesicht, sie sah so boshaft aus, daß ich einen Augenblick unentschlossen stehen blieb. Ich konnte sie in dem Glauben lassen, Felix's Wunde sei nur die Folge meiner Unbesonnenheit; aber schnell überwand ich diese feige Schwäche; ihren Händen entschlüpfend, zeigte ich ihr die Zange, die ich noch hielt, und sagte mit stolzer, triumphirender Ruhe:

Ich habe diese Zange im Feuer glühend gemacht und mich ihrer dann bedient, um Felix das Ohr zu verbrennen.

Kaum hatte ich diese Worte beendigt, als ich die dürren, knochigen Finger meiner Tante auf meiner Wange fühlte.

Die Ohrfeige war so heftig gewesen, daß sie mich beinahe zu Boden warf. Lächeln Sie nicht, mein Freund, aber obgleich der Schmerz heftig war, obgleich ich mich sehr vor meiner Tante fürchtete, dacht' ich doch, so zu sagen, nur an die Beschimpfung; ich wurde purpurroth vor Zorn, und ohne recht zu wissen, was ich that, schleuderte ich die Zange aus allen Kräften gegen Fräulein von Maran.

Der Zufall diente mir ganz nach Wunsch; die Zange traf die prachtvolle Schale von Porzellan; das königliche Geschenk wurde zertrümmert.

Ich erinnere mich, mein Freund, daß Sie mit Ihrem so richtigen, so wahren Verstande die Aufregung zergliederten, als im Kriege der unwillkürliche Instinkt des Gemetzels Sie mit sich fortriß und exaltirte. – Nun sehen Sie, mein armer kleiner zehnjähriger Kopf wurde auf ähnliche Weise bestürmt.

Nach diesem schönen Siege des verbrannten Hundes und der zerbrochnen Schale eilte ich, fühllos gegen die Vorwürfe, die Drohungen meiner Tante, berauscht von Stolz, aus dem Zimmer und rief aus allen Kräften: Ursula! – Ursula! – komm doch und sieh.

Doch länger vermochte ich der Gewalt der Gefühle, die mich seit einigen Minuten bestürmten, nicht zu widerstehen; ich verlor gänzlich das Bewußtsein.

Urtheilen Sie von meiner Freude! Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich in meinem Bette; meine Gouvernante stand an meinem Kopfende und meine Cousine lag kniend vor dem Bett und hielt meine Hände in den ihrigen.

Ich kann Ihnen nicht beschreiben, mit welchem Entzücken, mit welchem Stolze ich mich meiner muthigen Handlung erinnerte; meine ganze Furcht bestand darin, zu erfahren, daß der Zorn meiner Tante sich gelegt hätte.

– Mein Gott, mein armes Kind, sagte Blondeau, wie konnten Sie, die Sie so gut sind, nur das Herz haben, diesem Hunde so viel Böses zu thun? – Er ist boshaft, wie ein Teufel – ich weiß es – aber es bleibt doch immer sehr grausam von Ihnen –

– Und meine Tante! – meine Tante! – ist sie sehr bös? unterbrach ich sie voll Ungeduld.

– Ob sie sehr bös ist? Jesus, mein Gott, sagte Blondeau, sie ist so aufgebracht gewesen, daß sie einen Nervenzufall gehabt hat. Als sie wieder zu sich kam, waren ihre ersten Worte zu befehlen, daß Sie acht Tage nichts als Wasser und Brod bekommen sollten.

– Ach, Ursula! rief ich aus, indem ich meine Cousine umarmte.

– Das ist noch nicht Alles, Fräulein, fügte Blondeau traurig hinzu; Ihre Fräulein Tante läßt Ihnen ein Gewand von grober grauer Leinwand mit einer Inschrift machen; damit sollen Sie morgen, wenn Gesellschaft da ist, in den Salon hinabkommen.

– Ursula! Ursula! rief ich strahlend vor Freude, und indem ich sie umarmte. Du siehst es wohl – sie straft mich auch – sie demüthigt mich auch – sie verabscheut mich auch!

– Ach, jetzt errathe ich Alles! sagte meine Gouvernante; und die vortreffliche Frau faltete die Hände, indem sie mich voller Rührung ansah.



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