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XIII.
Die Vorstellung

Als ich den ersten Salon des Gesandtschaftshôtels, begleitet von dem Herzog von Versac, betrat, fühlte ich meine Entschlossenheit mich verlassen. Es bedurfte des anmuthigen und freundlichen Empfangs der österreichischen Gesandtin, um mich ein wenig zu ermuthigen.

Fräulein von Maran gab Ursula den Arm.

Mehr als je konnte ich erkennen, wie groß der Einfluß meiner Tante war und wie sehr man sie fürchtete. Die angenehmste Frau, die am meisten in der Mode war, würde bei ihrem Eintritte auf den Ball nicht eifriger umringt worden sein, man würde ihr nicht emsiger den Hof gemacht haben. Sie nahm diese achtungsvollen Zuvorkommenheiten, diese eifrigen Huldigungen mit sehr stolzem Wesen und einer herablassenden, fast verächtlichen Leutseligkeit auf.

Wir gingen nach der Seite der Galerie, wo man tanzte. Herr von Versac, dem ich den Arm gab, nannte mir verschiedene Personen, die ausgezeichnet zu werden verdienten.

Wir blieben einen Augenblick an einer von den Thüren der Galerie stehen. Ich hörte hier die folgenden Worte zwischen zwei Personen wechseln, die ich nicht sehen konnte.

– Nun, wissen Sie schon – Lancry ist von England zurück. Ich habe ihn eben gesehen, – er ist glänzender als je.

– Wirklich, ist er zurück? erwiederte die andere Person; die Herzogin von Richeville muß darüber sehr erfreut sein, denn sie war mehr als traurig über seine Abreise, die arme Frau!

An einer ziemlich heftigen Bewegung, welche Herr von Versac machte, um uns einen Weg durch die Menge zu bahnen, erkannte ich, daß er meine Aufmerksamkeit von dieser Unterredung ablenken wollte, die für mich nicht passend und deren Held sein Neffe Gontran von Lancry war.

Ich legte diesem Vorfall damals keine Wichtigkeit bei und folgte dem Herrn von Versac. Ehe ich auf den Ball kam, schien es mir, als müßte Alles mich in Verlegenheit bringen, meine Haltung, mein Gang, mein Blick; aber als meine erste Aufregung vorüber war und ich mich einmal in der Mitte der Gesellschaft befand, fühlte ich mich zwar nicht beruhig, aber, so zu sagen, mitten unter die Meinigen versetzt.

Man ist fast nie genirt oder eingeschüchtert, wenn man einen Kreis betritt, der über oder unter dem liegt, welchem man angehört. Ich gewann bald meine ganze Freiheit der Beobachtungsgabe wieder.

Als ich die Galerie betrat, in welcher man tanzte, wurde ich beinahe geblendet durch die Pracht und den Glanz der Toilette. Frau von Mirecourt, eine Freundin meiner Tante, und welche eine kürzlich verheirathete Frau bemutterte, bot uns einen Platz neben sich an. Fräulein von Maran nahm es an, und ich und Ursula setzten uns zwischen Frau von Mirecourt und meine Tante.

Der Herzog von Versac verließ uns, um seinen Neffen aufzusuchen, den er uns vorstellen wollte.

– Nun, sagte ich leise zu meiner Cousine, es ist doch, im Ganzen genommen, nicht so entsetzlich; hast Du Dich etwas gesammelt?

– Nein, sagte Ursula, ich kann meine Aufregung noch nicht besiegen; ich zittere; kaum sehe ich, was rings um mich her vorgeht.

– Ich sehe sehr deutlich, sagte ich heiter, und um sie etwas zu ermuthigen, fügte ich hinzu: Ich gestehe, daß ich den Anblick reizend finde. Wie Schade, daß Du dessen nicht genießen kannst. Ganz gewiß ist ein Ball etwas recht Hübsches.

Als ich diese Worte mit unbefangener Freude aussprach, brach meine Tante, neben der ich saß, in ein lautes Gelächter aus.

Mehrere Personen, die während der Pause eines Walzers vor uns standen, drehten sich um. Frau von Mirecourt, die auf der andern Seite neben Ursula saß, beugte sich herüber und fragte meine Tante:

– Was ist Ihnen, daß Sie so lachen?

– Kann man sich denn halten bei einer kleinen Spötterin, wie die da, sagte Fräulein von Maran, indem sie auf mich zeigte. Wenn Sie hörten, wie komisch, wie boshaft ihre Bemerkungen sind, es ist zum Todtlachen; sehen Sie sich wohl vor, denn sie trifft den Nagel auf den Kopf! – Dann sich zu mir wendend, fügte meine Tante halblaut und mit freundlich zürnendem Tone hinzu: Wollen Sie wohl nicht so viel Geist haben, mein Fräulein? Man könnte glauben, ich hätte Sie so boshaft gemacht.

Dies Alles wurde mit leiser Stimme gesagt, aber laut genug, um von denen gehört zu werden, welche uns zunächst standen.

Ich sah meine Tante mit dem tiefsten Staunen an. Ursula neigte sich zu meinem Ohr und fragte, was ich dem Fräulein von Maran so Scherzhaftes gesagt, oder über welche Lächerlichkeit ich mich lustig gemacht hätte?

– Ueber keine, antwortete ich ihr. Ich begreife nicht ein Wort von dem, was sie mir sagt.

Empfangen Sie, mein Freund, die Lösung dieses Räthsels. Meine Tante wollte gleich anfangs mir jenen Ruf der Bosheit beilegen, an welchen Sie selbst geglaubt haben und der lange Zeit eines der größten Vorurtheile gegen mich war. Dank den boshaften Worten des Fräulein von Maran, glaubten mehrere von den Personen, die vor uns standen (Eine von ihnen, Lady Fitz-Allan, hat mir es später gesagt), der Gegenstand meiner Spöttereien zu sein.

Ich trat zum ersten Male in die Welt; aus mehrern Gründen, die Sie begreifen werden, mußte ich bemerkt werden; der Ausruf meiner Tante über meine boshaften Bemerkungen mußte sich daher augenblicklich verbreiten, und verbreitete sich auch.

Es giebt für eine Frau keinen gefährlichern Ruf, als den, selbst geistreich, spottsüchtig zu sein; die Dummen fürchten und verläumden sie; die Leute von Geist werden eifersüchtig; die wohlwollenden und edlen Charaktere entfernen sich von ihr. Es war daher auch noch keine halbe Stunde seit meiner Ankunft auf dem Balle verflossen, als ich schon Feinde hatte.

Lady Fitz-Allan hat mir seitdem gesagt, daß meine Bosheit für einen Augenblick die Neuigkeit des Balles gewesen sei. Man unterhielt sich von der beißenden Ironie des Fräulein Mathilde von Maran. (So nannte man mich jetzt, um mich von meiner Tante zu unterscheiden.)

Zwar hatte Niemand meine Spöttereien gehört, aber, wie es stets zu gehen pflegt, alle Welt sprach davon.

Meine Tante wollte ihr Werk vollenden; einige Minuten darauf sagte sie während einer neuen Pause ganz laut zu Ursula:

– Mein Gott, armes Kind, so sei doch nicht so ernst, so melancholisch, sei etwas mehr Deinem Alter angemessen, wenn Du kannst; was soll denn diese Schüchternheit?

Diese Worte meiner Tante, welche ebenfalls gehört, wiederholt, commentirt wurden, stellten unbedingt fest, daß ich eben so spottsüchtig, eben so übermüthig wäre, wie meine Cousine schüchtern, verständig und überlegt.

Sie kennen die Welt, mein Freund; Sie wissen, daß sie selten von ihren ersten Eindrücken zurückkommt, und Sie werden daher begreifen, welchen Einfluß diese wenigen Worte meiner Tante auf mein Geschick haben mußten.

Ach, ich muß es wohl gestehen, daß meine Unerfahrenheit, meine Eitelkeit die Wirkung des mir zugefügten Uebels noch erhöhten. Später beweinte ich oft bitter diesen Ruf spottsüchtiger Bosheit. Anfangs war ich schwach genug, mich dadurch geschmeichelt zu fühlen. Ich hielt mich für schön und glaubte, daß die Ironie ein Patent des Geistes sei. Als der Walzer zu Ende war, näherte sich der Herzog von Versac meiner Tante mit seinem Neffen.

Ich gestehe, daß ich beinahe regungslos vor Staunen über den Anblick des Herrn von Lancry war. Er war damals ungefähr 30 Jahre alt, und man konnte schwerlich einen Mann von liebenswürdigerem Wesen, von verführerischerem Aeußern sehen.

Sie werden sich, glaub' ich, wundern, mein Freund, daß ich mit solcher Unparteilichkeit von Herrn von Lancry sprechen kann.

Indem ich diese Zeilen schreibe, bin ich selbst überrascht, daß ich mich meiner ersten Eindrücke so deutlich erinnere, und sie ganz von denen, die ihnen folgten, isoliren kann.

Urtheilen Sie von meiner Herrschaft über mich selbst, oder vielmehr von dem traurigen Zustande meines Herzens durch die Ruhe und Kaltblütigkeit, mit welcher ich Ihnen Herrn von Lancry schildern kann, wie er damals war.

Ach! vielleicht werde ich nicht immer dieselbe Festigkeit haben. Vielleicht werden sehr theure und sehr grausame Erinnerungen später meine Hand vor schmerzlicher Erregung beben machen, indem ich gewisse Thatsachen erzähle.

Indeß jetzt will ich versuchen, mir meine damaligen Erinnerungen zurückzurufen. Lächeln Sie nicht, wenn ich in einige kindische Details eingehe; ich war sehr jung, und bei Fräulein von Maran hatte ich Niemand gesehen, der mit Herrn von Lancry verglichen werden konnte.

Er war ehemals Page des Königs gewesen und hatte bei dem Kriege in Spanien sehr tapfer gedient. Späterhin einer großen Gesandtschaft als Ehrencavalier zugetheilt, hatte er nach einigen Jahren die militärische Carrière verlassen, und Dank der Güte des Königs und der Protection des Herzogs von Versac, er war zum Kammerherrn des Königs ernannt worden.

Mein erstes Begegnen mit ihm auf dem Balle des österreichischen Gesandten ist meinem Geiste noch sehr gegenwärtig. Es war ein großer Empfang im Schlosse gewesen; viele Herren des Hofes waren in Uniform auf den Ball gekommen. Herr von Lancry kam auch aus den Tuilerien; er trug die glänzende Uniform seines Ranges und hatte um den Hals das rothe Band und das goldene Commandeurkreuz der Ehrenlegion, auf der Brust den großen Stern eines ausländischen Ordens. Herr von Lancry war von mittlerer Größe, aber von der höchsten Eleganz; seine Züge waren (nach dem Urtheil meiner Tante, und sie sagte die Wahrheit) die eines jungen Atheniensers, belebt durch die ganze Pariser Feinheit und Anmuth. Er war, sagte sie, das Ideal des Hübschen. Er hatte kastanienbraune Haare, braune Augen, schöne Zähne, eine Hand und einen Fuß, auf die eine Dame eifersüchtig sein konnte, und schien kaum 25 Jahre alt, obgleich er, wie erwähnt, 30 Jahre zählte.

Diese natürlichen Vorzüge, gehoben durch Ehrenzeichen, die man gewöhnlich nur einem reiferen Alter gewährt, und die immer das Verdienst zu verkünden scheinen, mußten daher Herrn von Lancry außerordentlich bemerkt machen.

Als er sich meiner Tante näherte, reichte sie ihm die Hand und sagte:

– Guten Abend, lieber Gontran! – Ihr Oheim hat mir eben erst Ihre Rückkehr aus London mitgetheilt; nun was haben Sie denn in diesem theuren Lande gemacht?

Herr von Lancry lächelte, näherte sich Fräulein von Maran und sagte ihr leise einige Worte, die ich nicht verstehen konnte.

– Wollen Sie wohl schweigen; sagte meine Tante lachend; zum Glück kann man einem Mütterchen, wie ich bin, Alles sagen, zur Sühne aber müssen Sie mit diesen kleinen Mädchen tanzen. Sich hierauf zu mir wendend, sagte meine Tante zu Herrn von Lancry mit einem Tone voll Würde, den sie besser annehmen konnte, als irgend Jemand, wenn sie wollte: Fräulein Mathilde von Maran, meine Nichte:

Herr von Lancry verbeugte sich achtungsvoll.

– Fräulein Ursula d'Orbeval, unsere Cousine, fügte meine Tante mit einer beinahe unmerklichen Biegung des Tones hinzu, dennoch aber deutlich genug, daß man fühlen konnte, sie wolle zu meinem Vortheile eine Art von Unterschied zwischen meiner Freundin und mir aufstellen.

Herr von Lancry verbeugte sich auf's Neue.

Ich schlug die Augen nieder und fühlte, daß ich erröthete. Meine Hand lag neben der Ursula's; ich drückte die ihrige beinahe voll Furcht.

– Mein Fräulein, sagte Herr von Lancry zu mir, dürfte ich Sie um die Ehre des ersten Contretanzes bitten?

– Ja, mein Herr, sagte ich, indem ich einen besorgten Blick auf Fräulein von Maran richtete.

Herr von Lancry verbeugte sich vor mir und sich Ursula wendend, sagte er: Darf ich hoffen, mein Fräulein, daß Sie mir dieselbe Gunst, wie Fräulein von Maran, für den zweiten Contretanz gewähren werden?

– Ohne Zweifel, mein Herr, erwiederte Ursula mit einem Seufzer; und den Kopf senkend, warf sie durch ihre langen Wimpern einen melancholischen Blick auf Herrn von Lancry.

In diesem Augenblicke blieb eine sehr hübsche Frau, blendend durch Schmuck, sehr braun, sehr schlank, von sehr eleganter Tournüre, mit einer stolzen, kühnen Physiognomie, großen, schwarzen, stechenden Augen, die ihrer Adlernase etwas nahe standen, vor uns stehen; sie gab einem jungen englischen Obersten den Arm.

– Sie sind sehr vergeßlich gegen Ihre Freunde, Herr von Lancry! sagte sie mit sanfter, wohlklingender Stimme.

Herr von Lancry wendete sich um, unterdrückte eine ziemlich sichtbare Verlegenheit, und sagte, sich verneigend:

– Ich verdiene diesen allzu liebenswürdigen Vorwurf nicht, Frau Herzogin; ich bin erst diesen Morgen von London zurückgekehrt, und ich hoffte, morgen die Ehre zu haben, Ihnen meinen Hof zu machen.

Wie wenig täuschen gewisse Ahnungen, mein Freund! Sobald ich Herrn von Lancry zu dieser Frau sagen hörte: Frau Herzogin – zweifelte ich nicht einen Augenblick, daß sie die Herzogin von Richeville sei, deren Namen ich auf so unbescheidene Weise mit dem des Herrn von Lancry hatte nennen hören.

Man präludirte zu dem Contretanz.

– Sehen Sie, wie gut ich bin, sagte die Herzogin zu Herrn von Lancry, ich verzeihe Ihnen Ihre Vergeßlichkeit, und sage Ihnen sogar im Vertrauen, daß ich zu diesem Contretanz noch nicht engagirt bin; bin ich großmüthig genug?

Herr von Lancry sah sie wieder staunend, beinahe verdutzt an, und antwortete mit einem ziemlich sichtbaren Zwange:

– Und bin ich nicht zu glücklich? – Ich hätte diesen Contretanz mit Ihnen, gnädigste Frau, tanzen können, und werde das Vergnügen haben, ihn mit Fräulein von Maran zu tanzen, die ich die Ehre hatte, so eben dazu einzuladen.

Die Herzogin von Richeville glaubte, es sei die Rede von meiner Tante und Herr von Lancry scherze; sie lachte daher laut und sagte:

– Sie kommen von England, um Fräulein von Maran zum Tanze zu führen? – Es giebt also in London einen Excentric-Club, und Sie wollen sich unter den Unerschrockensten auszeichnen?

Herr von Lancry beeilte sich, die Herzogin von Richeville zu unterbrechen. Sie war sehr kurzsichtig und hatte die Anwesenheit meiner Tante nicht bemerkt.

– Ich soll die Ehre haben, mit Fräulein Mathilde von Maran zu tanzen, sagte Herr von Lancry, indem er den Namen Mathilde besonders betonte und sich leicht gegen mich verbeugte.

– Ach, ich verstehe! Man führt sie also schon in die Welt ein! sagte die Herzogin. Dann nahm sie ihre kleine Schildplattlorgnette, und betrachtete mich mit einer Aufmerksamkeit, die mir übelwollend zu sein schien.

Ich lag auf der Tortur.

Meine Tante hatte kein Wort von dieser Unterhaltung verloren. Da sie die Lorgnette der Herzogin von Richeville noch auf mich gerichtet sah, schien sie dadurch verletzt, und sagte von ihrer Stelle aus mit schneidender, gebieterischer Stimme:

– Frau Herzogin, ist meine Nichte nicht allerliebst?

– Allerliebst, mein Fräulein, erwiederte die Herzogin mit trockenem Tone und indem sie ihre Lorgnette senkte; sie näherte sich hierauf Fräulein von Maran und machte ihr eine halbe Verbeugung voll Anmuth und Würde.

Ich habe seitdem erfahren, daß meine Tante und die Herzogin gegenseitig sich verabscheuten, und das erklärte mir die Aufmerksamkeit, mit welcher man diese beiden gleich gefährlichen Gegnerinnen betrachtete.

– Nun, Frau Herzogin, fuhr meine Tante fort ich bin für die liebe Kleine entzückt, daß Sie sie reizend finden; die Billigung einer Frau, wie Sie, gnädige Frau, kann einem jungen Mädchen, das erst in die Welt tritt, nur Glück bringen; das ist wie eine Prophezeihung. – Dessenungeachtet glaube ich kaum, daß meine Nichte Ihrem Verdienste je nachkommen wird.

Es lag dem Scheine nach nur etwas sehr Einfaches, sehr Artiges in diesen Worten; dennoch kannte ich den Ton meiner Tante hinlänglich, um zu fühlen, daß diese Worte irgend eine Bosheit enthielten. Als ich die Augen auf die Herzogin von Richeville und die sie umgebenden Personen richtete, sah ich in der That, daß die Erstere eine große Ruhe erzwang und alle Andern sehr verlegen waren.

Sie müssen, mein Freund, der Herzogin von Richeville in der Welt begegnet sein; Sie wissen ohne Zweifel, was man von ihr sagte, und wie man mit der abscheulichsten Verläumdung die Leichtfertigkeit ihrer Aufführung übertrieb. Man sagte, ohne den hohen Namen, den sie trug, ohne ihre vornehmen Verwandtschaften und Verbindungen, ohne ihr ungeheures Vermögen hätte man die Augen schwerlich bei ihren Fehlern zugedrückt, und ihr Gemahl sei gezwungen gewesen, sich von ihr zu trennen. Sie wurde gleichwohl in der besten Gesellschaft, der sie angehörte, sehr wohl aufgenommen; nur schien die Frau Dauphine an großen Empfangstagen im Schlosse ihren Tadel durch eiskalten Empfang auszusprechen.

Sie begreifen jetzt die ganze Bitterkeit, die in der Anrede des Fräulein von Maran lag. Diese benutzte ihren ersten Vortheil und versetzte der Herzogin noch einen Streich, indem sie ausrief:

– Ach Gott, was haben Sie für schöne Rubinen! Sind es nicht die, welche der vortrefflichen verwittweten Herzogin von Richeville gehörten? Welch ein Unglück, daß sie Sie nicht darin sehen konnte! Und wie muß es den Herrn Herzog von Richeville freuen, Sie mit den Steinen seiner Frau Mutter geschmückt zu sehen.

Um die Grausamkeit dieser Bemerkung des Fräulein von Maran zu begreifen, müssen Sie wissen, mein Freund, daß man einem allgemein geglaubten Gerüchte zufolge – dessen Falschheit ich aber später erkannt habe – sich erzählte, der Herzog von Richeville habe seiner Gemahlin am Tage seiner Verbindung diesen Familienschmuck gegeben und sei bei der Trennung so zartsinnig gewesen, ihr denselben zu lassen, ein Zartgefühl, welches sie nicht nachahmte, indem sie fortfuhr, diese Edelsteine zu tragen.

Alle Welt schien durch die Bosheit des Fräuleins von Maran zu Boden geschmettert zu sein. Die Herzogin von Richeville besaß Selbstbeherrschung genug, ihren Unwillen zu verbergen; sie richtete auf meine Tante einen Blick voll Sanftmuth und Würde und sagte sehr freundlich:

– Sie überhäufen mich mit Ihrer Güte, mein Fräulein, ich wünschte diese Beweise der Theilnahme, die Sie mir geben, vergelten zu können. – Ei, da fallt mir eben ein – ich kann Ihnen wenigstens eine Nachricht mittheilen, die Ihnen, wie ich hoffe, Freude machen wird. Einer Ihrer Freunde kommt aus Italien, wo er Jahre lang zurückgehalten wurde, ohne daß man wußte, was aus ihm geworden war. Doch ich sehe, Sie sind unruhig; ich will daher Ihre Neugier nicht länger mißbrauchen. – Nun wohl, fügte die Herzogin von Richeville mit dem Tone herzlicher Vertraulichkeit hinzu, so erfahren Sie denn, daß der Graf von Mortagne binnen einigen Tagen hier sein wird. – Ja, ich habe aus Venedig Nachrichten von ihm erhalten, Man sagt, sein Verschwinden sei ein fürchterlicher Roman. – Gestehen Sie, mein Fräulein, daß diese Rückkehr Sie sehr überrascht – sehr glücklich macht. –

Die Herzogin von Richeville versetzte dem Fräulein von Maran durch diese letzten Worte einen Dolchstoß; dann das Vorspiel des Contretanzes hörend, sagte sie mit heiterem Tone zu Herrn von Lancry:

– Ich biete Ihnen einen Walzer als Entschädigung für den Contretanz an, den Sie mir abgeschlagen haben. Hierauf zu dem englischen Oberst sich wendend, der ihr den Arm gab, sagte sie: Lassen Sie uns in die kleine Galerie hinaufgehen, ich möchte diesen Contretanz sehen.

Ich hatte Fräulein von Maran noch nie verlegen gesehen; sie war es gewaltig, gleich bei den ersten Worten der Herzogin von Richeville. Aber sobald diese die Worte ausgesprochen hatte: Der Graf von Mortagne wird in wenigen Tagen hier sein – erblaßte meine Tante und schien sehr unruhig zu sein, zum großen Staunen derer, welche ihre Keckheit kannten und den verborgenen Sinn in der Antwort der Herzogin von Richeville nicht erriethen.

Der Contretanz begann. Herr von Lancry hatte so viel richtigen Tact, mir die Schmeicheleien zu ersparen, die eine junge Person stets in große Verlegenheit setzen. Er war sehr einfach, sehr heiter, ohne Bosheit; er sprach von Fräulein von Maran mit liebevoller Verehrung, von dem Herzog von Versac mit Zärtlichkeit; er fand das Gesicht Ursula's sehr interessant und fragte mich, was für ein großer Kummer sie so melancholisch mache. Er war musikalisch und wir plauderten von Musik. Ich zog die deutschen Meister vor, er die italienischen. Er legte eine so liebenswürdige Gutmüthigkeit in den Streit, daß er mich zu Ende des Contretanzes fast gar nicht mehr einschüchterte. Nachdem er mich an meinen Platz zurückgeführt und Ursula an das ihm gegebene Versprechen erinnert hatte, begrüßte er mehrere Damen seiner Bekanntschaft.

– Mein Sott, sagte Ursula, wie hast Du es denn nur angefangen, daß Du so viel zu sprechen wagtest? – Ich bewunderte Dich.

– O, erwiederte ich ihr, Anfangs fürchtete ich mich sehr; allmählig faßte ich etwas Muth, und dann scheint Herr von Lancry so gut, so einfach zu sein. Du wirst selbst sehen –

– Ach, ich werde ihm kaum zu antworten wagen, sagte Ursula schüchtern.

– Du hast sehr Unrecht; er findet Dich allerliebst; er hat mir das eben gesagt, und vielleicht ist er mir deshalb so liebenswürdig vorgekommen.

Ich konnte meine Unterhaltung mit Ursula nicht fortsetzen. Alle Männer, welche meine Tante kannten, kamen, um sie zu begrüßen. Unter ihnen stellte sie uns die vor, welche in dem tanzbaren Alter waren, und ich und Ursula hatten bald eine Menge Engagements.

Ich war so beschäftigt, dem Tanze zuzusehen, daß ich, obgleich ich es wollte, kaum Zeit hatte, an die letzten Worte der Herzogin von Richeville in Bezug auf Herrn von Mortagne zu denken.

Ich hatte ihm stets eine dankbare Erinnerung bewahrt; er war in meiner Kindheit mein erster Vertheidiger gewesen.

Seit acht oder neun Jahren hatte man seinen Namen bei meiner Tante fast nie genannt. Ich erinnerte mich erst jetzt, mehrmals gehört zu haben, daß man keine Nachrichten von ihm hätte. Sein Leben war so sonderbar, seine Reiselust so bekannt, daß man darin nichts Auffallendes fand. Nur das schien mir außerordentlich, daß die Nachricht seiner Rückkehr eine solche beinahe niederschmetternde Wirkung auf Fräulein von Maran hervorbrachte.

Ich wurde diesen Betrachtungen durch die Töne eines Walzers entrissen.

Unter den Paaren, welche dessen Wirbel mit sich forttrugen, bemerkte ich bald den Herrn von Lancry und die Herzogin von Richeville. Sie hatte einen vollendeten Wuchs und tanzte, ebenso wie er, zum Entzücken schön. Die Locken ihres rabenschwarzen Haares, die sie etwas lang trug, flatterten voll Anmuth um ihren ausdrucksvollen Kopf, der etwas nach hinten gebogen war.

Diese Frau mußte sehr stark im Gefühle ihrer Unschuld sein oder eine gewaltige Verachtung gegen das Urtheil der Welt hegen, um demselben so offen zu trotzen, nachdem die grausamen Worte des Fräulein von Maran, so zu sagen, alle die wirklichen oder muthmaßlichen Aergernisse in ihrem Betragen neu erweckt hatte.

Was mich sehr überraschte, war der Ausdruck in den Zügen des Herrn von Lancry während dieses Walzers: er schien wechselsweise verächtlich, spöttisch, gereizt zu sein. Als er die Herzogin von Richeville auf ihren Platz zurückführte, schien es mir, als ob sie voll Bitterkeit über einige Worte lächelte, welche Herr von Lancry ihr mit leiser Stimme sagte.

Ich empfand zuerst, ich weiß nicht weshalb, wie eine Art von Herzdrücken, indem ich Herrn von Lancry mit der Herzogin von Richeville tanzen sah. Ich erinnerte mich unwillkührlich der Worte, die ich gehört hatte. Ich zweifelte nicht mehr, daß er sie liebte. Sie hatte ein Wesen der Entschlossenheit und des Stolzes, das mich erschreckte; gleichwohl suchte ich den unangenehmen Eindruck, den sie auf mich machte, zu überwinden, indem ich daran dachte, daß sie die Freundin des Herrn von Mortagne sei, der mich beschützt hatte und wie ich später durch Madame Blondeau erfuhr, meiner Mutter sehr treu ergeben gewesen war.

Diese Gedanken wurden auf's Neue durch die Contretänze unterbrochen, zu denen ich engagirt war.

Mein Ruf der Bosheit hatte sich ohne Zweifel schon bei mehreren meiner Tänzer verbreitet, denn viele derselben setzten sich in gewaltige Unkosten durch Epigramme, indem sie wahrscheinlich dadurch meinem spottsüchtigen Geiste zu gefallen glaubten; Andere zollten mir übertriebene Lobsprüche, wieder Andere brachten Scherze vor, die ich nicht verstand.

Obgleich unter ihnen viele angenehme Männer waren, schien mir doch nach Allem, als mangele den meisten der feine Tact, der Herrn von Lancry auszeichnete. Ein Mann muß in der That viel Maß halten und viel Zartgefühl besitzen, um ein junges Mädchen zutraulich zu machen und den ganzen Reiz zu genießen, der in ihrer Unterhaltung liegt. Es ist dazu eine Sprache nöthig, die in ihren Nüancirungen geschwächt und modificirt ist, und es zeugt daher vielleicht von Mangel an Geschmack, ihre Schönheit zu loben, während es stets Anmuth verräth, ihren Geist zu rühmen. Die Heiterkeit junger Mädchen hat gewiß viel mehr Reiz, wenn man sie nicht über das Lächeln hinaus aufregt, und es heißt die Zartheit und Unbefangenheit ihrer Beobachtungen einschüchtern, wenn man durch Spott darauf antwortet.

Halten Sie mich nicht für eitel, mein Freund, wenn ich so von dem schönsten Alter unseres Frauenlebens rede. Unsere Instinkte sind dann so edel, so großmüthig, unsere Illusionen so strahlend, daß unser Charakter und unsere Gedanken die gewöhnliche Erhabenheit unsrer Seele theilen.

Doch kehren wir zurück zu diesem Balle. Ich sah Ursula mit derselben rührenden und trüben Anmuth tanzen. Sie schien sich nicht sehr zu unterhalten; zwar schlug sie keinen der von ihr erbetenen Contretänze ab, aber sie seufzte und schien ein großes Opfer zu bringen, indem sie dieselben annahm.

Nachdem wir dem Souper noch einen Blick geschenkt und eine Tasse Thee getrunken hatten, verließen wir den Ball. Herr von Lancry, der ebenfalls ging, fand uns in dem Vorsaale; er rief die Leute meiner Tante und brachte uns unsere Pelze. Der Herzog von Versac reichte Ursula den Arm und Herr von Lancry den seinigen dem Fräulein von Maran, welche ihm lachend sagte:

– Wollen Sie mir wohl nicht solche beleidigende Anträge machen, Lancry, bin ich etwa von dem Wuchse, sie anzunehmen? Führen Sie nur meine Nichte, ich werde schon allein gehen.

Als wir im Wagen waren, sagte meine Tante zu Herrn von Lancry: Gontran, da Sie zurück sind, rechne ich darauf, Sie oft mit Ihrem Oheim bei mir zu sehen; Sie wissen, ich dulde es nicht, daß man mich vernachlässigt. – Apropos, wissen Sie wohl, daß diese schöne Herzogin eine eherne, rosenrothe Larve trägt, und daß das Feuer der Hölle nöthig wäre, um sie zum Erröthen zu bringen? – Aber was sage ich denn da in Gegenwart dieser jungen Mädchen! – Nun, gute Nacht, Gontran, und sehen Sie sich wohl vor, wenn Sie mich vernachlässigen.

Herr von Lancry versicherte meine Tante seines Eifers, ihr zu gehorchen, und wir kehrten in das Hôtel Maran zurück.



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