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XXIII.
Der Brief

An dem Tage der Unterzeichnung des Contractes wurde ich wie gewöhnlich durch Blondeau geweckt, welche mir den Korb mit Heliotropen und Jasmin brachte, den Gontran mir seit sechs Wochen jeden Morgen schickte.

Ich habe stets die größte Wichtigkeit auf das gelegt, was man im gemeinen Leben Kleinigkeiten nennt; zarte Aufmerksamkeiten, wenn sie ausdauernd sind, beweisen die beständige Beschäftigung des Gedankens; die Gelegenheiten, wo man seine Ergebenheit durch auffallende Handlungen beweisen kann, sind so selten, daß es besser ist, diese Ergebenheit, wenn man so sagen darf, in kleiner Münze auszugeben.

Die, welche sie durchaus zu gewöhnlichen Veranlassungen aufbewahren, scheinen zu sagen: Ertrinken Sie – stürzen Sie sich in die Flammen, und dann werden Sie sehen, was ich werth bin.

Für eine Fatalistin des Herzens, wie ich war, hatte dieser allmorgendliche Blumenkorb eine große Bedeutung. Die Erinnerung an das erste Geständniß Gontran's verknüpfte sich damit, und ich dachte mit einem unbeschreiblichen Glücke daran, daß in Zukunft jeder Tag für mich mit einem Gedanken an ihn beginnen würde, mitten unter meinen Lieblingsblumen entstanden.

Sehr früh ging ich mit Madame Blondeau in die Kirche. Indem ich den Augenblick nahen sah, wo ich Gontran angehören sollte, empfand ich mehr als je das unwiderstehliche Bedürfniß, zu beten, Gott zu segnen und diese Zukunft des Glückes unter den Schutz des Himmels und meiner Mutter zu stellen.

Ich empfand eine heitere, vertrauensvolle und ernste Freude; mehrmals im Laufe des Tages netzten sich meine Augen, ohne Grund, mit süßen Thränen. Es waren unbestimmte, unwillkürliche Stimmungen der Rührung, die sich stets mit unaussprechlichen frommen Gedanken der Dankbarkeit endigten.

Gegen vier Uhr ließ Fräulein von Maran mich in ihr Zimmer kommen, welches ich seit sehr langer Zeit nicht betreten hatte. Ich kann Ihnen nicht sagen, mein Freund, was ich empfand, als ich mich wieder in dem Gemache befand, welches mir die grausamen Auftritte meiner Kindheit zurückrief. Nichts war hier verändert; noch immer sah ich das Crucifix, die bunten Fenster, den rothlackirten Schreibtisch, die grünen Ungeheuer auf dem Kamine, und unter Glaskästen die Vorfahren von Felix, der ohne Zweifel bald zu ihnen versammelt wurde.

Fräulein von Maran saß vor ihrem Schreibtische. Auf der offenen Klappe sah ich ein Schmuckkästchen, eine Brieftasche, ein gesiegeltes Päckchen und ein Medaillon, welches meine Tante mit solcher Aufmerksamkeit betrachtete, daß sie meinen Eintritt nicht gewahrte.

Ihre Züge, welche stets so ganz den Charakter der Geringschätzung trugen, zeigten den Ausdruck tiefer Trauer, den ich noch nie in ihnen bemerkt hatte. Ihre dünnen Lippen waren nicht mehr durch das Lächeln unerbittlicher Ironie, welche sie so gefürchtet machte, verzogen. Sie schien sorgenvoll und niedergeschlagen.

Ich zögerte, sie anzureden. Indem ich mich gegen den Kamin stützte, bewegte ich einen Leuchter. Fräulein von Maran wendete rasch den Kopf.

– Wer ist da? rief sie. Sie erblickte mich, ließ das Medaillon, das sie in der Hand hielt, fallen und blieb einen Augenblick träumerisch sitzen.

– Wir werden uns trennen, Mathilde, sagte sie endlich mit einem Ausdrucke der Sanftmuth, der mich stumm vor Staunen machte. Deine erste Jugend ist nicht glücklich gewesen, nicht wahr? Du wirst Dich stets mit Bitterkeit der Zeit erinnern, die Du bei mir zubrachtest?

– Meine Tante –

– O, das muß so sein – ich weiß es wohl, fuhr sie mit leiser Stimme fort und als ob sie mit sich selbst spräche. Du hast mich oft hart und mürrisch gegen Dich gefunden. Ich bin für Dich nicht gewesen, was ich hatte sein sollen. – Nein, ich weiß das wohl. – Ohne Zweifel empfinde ich deshalb eine Art von Kummer, indem ich mich von Dir trennen soll. Dein junges hübsches Gesicht belebte wenigstens dies Haus etwas. – Ich bin sehr alt – und in diesem Alter ist es traurig, ganz allein zu bleiben, seine letzte Stunde in Gesellschaft eines Hundes, als einzigen Gefährten, zu erwarten, und dann zu sterben – allein – unbeklagt und unbetrauert.

Nach einigen Augenblicken finstern Stillschweigens fuhr sie voll Sanftmuth fort: Mathilde, sei großmüthig – scheide von hier nicht in einer bösen Stimmung gegen mich – das würde mir meine Einsamkeit noch peinlicher machen.

Fräulein von Maran mußte aufrichtig sein. Die boshaftesten Charaktere sind gegen augenblickliche Selbsterkenntniß nicht gesichert. Ueberdies verrieth der Ausdruck ihrer Züge, ihrer Stimme ihre Rührung. Sie hatte kein Interesse dabei, vor mir, diese Komödie zu spielen.

Ich war sehr empfänglich für diesen Beweis der Theilnahme, den einzigen, den meine Tante mir je gegeben hatte. Durch ihre Einwilligung zu meiner Verbindung mit Gontran war ich mehr erfreut, als gerührt. Ich wußte, daß ich, streng genommen, ihre Zustimmung entbehren konnte, und ohne übertriebene Eitelkeit fühlte ich, daß meine Tante zufrieden darüber sein mußte, indem sie zugleich mein Glück dadurch sicherte, meine Hand einem Neffen ihres vertrautesten Freundes geben zu können; aber bei dieser Gelegenheit rührte mich die theilnahmvolle Reue, welche Fräulein von Maran mir zeigte, innig.

Ich ergriff ihre Hand, zog sie an meine Lippen und küßte sie mit zärtlicher Verehrung. Ihr Kopf war niedergesunken. Ich sah nur ihre Stirn. Plötzlich richtete sie sich lebhaft in die Höhe und öffnete mir die Arme.

Zu meiner großen Ueberraschung hingen in ihren Augenwimpern zwei Thränen, die einzigen, welche ich Fräulein von Maran je vergießen sah.

Ich kniete vor ihr nieder. Sie legte leise ihre beiden Hände auf meine Schultern und sagte, indem sie mich voll Theilnahme anblickte:

– Nie hast Du Dich beklagt – nie hast Du das Süße einer mütterlichen Liebkosung gefühlt; – bis jetzt – habe ich Dich entweder abscheulich gemartert – oder Dich mit verderblicher Uebertreibung gelobt; – ich habe Unrecht gehabt und bin darüber in Verzweiflung. Was soll ich Dir noch weiter sagen? Ich werde es bis ans Ende meiner Tage bereuen, und ach, das kann nicht mehr fern sein. – Zum Glück haben Deine guten natürlichen Anlagen die Oberhand gewonnen; und so werde ich mir einen Vorwurf weniger zu machen haben; es bleiben mir ohnehin noch, genug.– Sieh, meine liebe Kleine, ich bin so betrübt, daß ich – wenn es noch Zeit wäre – möchte – daß ich möchte – doch nein – nein – und gleichwohl –

Ohne ihre Phrase zu beendigen, senkte meine Tante wieder den Kopf, als hatte sich zwischen ihrem Verlangen zu sprechen und einem andern Einflusse ein Kampf in ihrem Innern entspannen.

Unwillkürlich fürchtete ich mich, als sollte meine Zukunft von dem Geheimnisse abhangen, welches meine Tante mir zu entdecken zögerte. Diese wollte sich vielleicht in ihrem guten Entschlusse bestärken, indem sie neue Worte der Zärtlichkeit von mir vernahm; sie sagte mir deshalb:

– Ich bin Dir jetzt weniger zuwider, als ehedem, nicht wahr?

– Liebe Tante, seit einem Augenblicke liebe ich Sie – Alles ist vergessen! Und ich drückte ihre beiden Hände innig in die meinigen.

– Es ist dennoch gut, sehr gut, so etwas zu sich sagen zu hören – und wenn ich Dir einen großen Dienst leistete, der vielleicht Dein Glück für das ganze Leben sicherte – würde ich Dir dann theuer sein? Würdest Da mir noch oft mit Deiner süßen Stimme der Rührung sagen: Ich liebe Sie recht sehr? – Du siehst mich mit großen erstaunten Augen an. – Antworte mir doch. – Ich bin stets gefürchtet oder verabscheut worden, ausgenommen von Deinem Vater, meinem vortrefflichen Bruder. Ja, der liebte mich, aber ich war auch für ihn allein gut und theilnahmvoll gewesen. – Ja, ich liebte ihn so sehr – daß ich das Recht zu haben glaubte, die ganze übrige Welt zu hassen. Und dann hat man auch ohne Zweifel in sich selbst eine größere oder geringere Gabe von Güte; ich besitze davon sehr wenig und vereinigte diese ganz auf Deinen Vater. – Ich weiß nicht, weshalb in diesem Augenblicke Deine Stimme, Dein Ton mich rührte und, wo nicht meine Güte, doch wenigstens mein Mitleid erweckte. Wiederhole mir daher, daß Du mich recht lieben willst, daß Du mit allen Kräften Deines Herzens eine Freundin lieben wirst, die Dich am Rande eines Abgrundes aufhält, in welchen Du zu stürzen auf dem Punkte stehst. – Antworte – antworte – würdest Du dieser Freundin Dein Leben widmen?

Fräulein von Maran sprach diese letzteren Worte mit einer Art nervöser Ungeduld aus, welche die Heftigkeit des Kampfes bewies, der in ihrem Innern vorging.

Ohne zu begreifen, was meine Tante mir sagte, warf ich mich ihr ganz erschrocken in die Arme. Haben Sie Mitleid mit mir! rief ich aus; ich weiß nicht, welches Unglück mich bedroht, – aber wenn es eines ist, so sprechen Sie – sprechen Sie! – Sie sind die Schwester meines Vaters! Ich stehe allein – allein ich habe nur Sie auf der Welt! Wer soll mich aufklaren, wenn Sie es nicht thun? – O, sprechen Sie, sprechen Sie, aus Barmherzigkeit. Ein Unglück, sagen Sie? Doch welches? Gontran liebt mich; ich liebe ihn, so sehr ich zu lieben vermag; in Ursula habe ich die zärtlichste Freundin; – kann ich unter glücklicheren Anzeichen in die Welt eintreten? Sie selbst sprechen jetzt voll Zärtlichkeit zu mir; einige Worte von Ihnen haben für immer die peinlichen Erinnerungen an meine Kindheit verbannt. Wenn irgend ein verborgenes Unglück meinem Schicksal droht – o, so sagen Sie es – aus Barmherzigkeit – sagen Sie es!

– Unglückliches Kind, ich weiß nicht, welche Stimme mir zuruft, daß es ein abscheuliches Verbrechen sein würde, Dich in diesem Irrthum zu lassen – und daß mich dafür früher oder später die göttliche oder menschliche Rache zu ereilen wüßte! rief meine Tante aus. Das Gefühl, dem sie nachgab, war so großmüthig, sie war in diesem Augenblicke so edel, so aufgeregt, daß ihr Gesicht beinahe den Ausdruck rührender Güte gewann.

Ich lauschte ihren Worten in einer unbeschreiblichen, Angst, als Servien anklopfte und mit einem Briefe auf einem silbernen Prasentirteller hereintrat.

Ich fühlte mein Herz furchtbar zusammengepreßt; eine finstere Ahnung sagte mir, daß der unglückliche Zufall, der Fräulein von Maran unterbrach, meinen Augen für immer das Geheimniß entziehen würde, welches sie mir zu enthüllen im Begriff stand.

– Was giebt's? rief meine Tante mit beinahe schmerzhafter Ungeduld.

– Ein Brief, gnädiges Fräulein, sagte Servien, indem er seinen Prasentirteller darreichte.

Fräulein von Maran ergriff ihn hastig und sagte: Gehen Sie!

Ich athmete wieder. Ich glaubte, meine Tante würde unsere Unterredung fortsetzen, denn ihr Gesicht hatte den Ausdruck nicht verändert; sie schien selbst mit dem bisherigen Gedanken so ganz beschäftigt zu sein, daß sie den Brief auf ihren Schreibtisch warf, ohne zu entsiegeln. Das Verhängniß wollte, daß die Adresse nach oben fiel. Die Handschrift fiel ihr auf; sie nahm den Brief und öffnete ihn schnell.

Jede Hoffnung schwand, denn dieser Brief schien auf sie einen furchtbaren Eindruck zu machen. Ihre Züge nahmen allmälig wieder ihren gewöhnlichen Ausdruck der Ironie und Harte an; ihre Zusammengezogenen Augenbrauen verliehen ihrem Gesichte einen boshafteren Charakter, als je. – Einen Augenblick war sie starr vor Staunen; dann sagte sie mit dumpfer Stimme, indem sie den Brief wüthend zusammendrückte:

– Und ich – die eben – aber was hatte ich denn? – Ich war verrückt, glaube ich. – Die Kleine hatte mich behext. – Ich machte alberne Gutmüthigkeiten, während er – ha, die Hölle verschlinge ihn! – Zum Glück habe ich noch Zeit –

Diese Worte meiner Tante, unterbrochen durch lange Pausen überlegenden Schweigens, erschreckten mich.

– Gnädige Tante, sagte ich zitternd, so eben standen Sie auf dem Punkte, mir ein sehr wichtiges Geheimniß mitzutheilen.

– So eben war ich eine Thörin, ein Dummkopf, verstehst Du? entgegnete sie mit schneidendem, heftigem Tone. – Ich glaube, – Gott verzeihe mir's – ich hatte mich rühren lassen. – Ha, ha, ha! – Und die Kleine hat daran geglaubt – sie sah nicht, daß ich mich über sie lustig machte – mit meinen Empfindeleien. – Ich bin auch in der That so empfindsam!

– Ich habe an Ihre Rührung geglaubt, gnädige Tante; – ja, Sie waren gerührt. Sie würden es vergebens läugnen ... ich habe Ihre Thränen fließen sehen ... – Ach, Tante, im Namen dieser Thränen, welche vielleicht das Andenken meines Vaters hervorgerufen hatte, – beschwöre ich Sie, mich nicht in einer so grausamen Ungewißheit zu lassen!! Geben Sie dem großmüthigen Gefühle nach, welches mir Ihre Arme öffnete. – Es wäre zu grausam, mir dieses Mißtrauen in das Herz gesenkt zu haben, diesen Zweifel, der um so grausamer ist, da er Alles angreifen und die in einen unbestimmten Verdacht ziehen kann, welche ich auf der Welt am meisten liebe.

– Wirklich! Dir scheint es so? Nun, desto besser! Das wird Dich beschäftigen, die Lösung dieses Räthsels zu suchen. Es ist ein recht unterhaltendes Spiel, das. – Ich verspreche Dir, es zu sagen, wenn Du richtig räthst.

– Fräulein, rief ich, empört über die kalte Bosheit meiner Tante, Sie haben selbst gesagt, daß die göttliche oder die menschliche Gerechtigkeit Sie zu erreichen wissen würde, wenn –

– Ha! ha! ha! rief meine Tante, indem sie mich mit spöttischem Gelächter unterbrach. Ei, seht doch! Willst Du mich etwa mit den königlichen Gerichtsboten oder mit den Blitzen des Vatican durch Ihre menschliche oder göttliche Gerechtigkeit bedrohen? – Du stehst also nicht, daß ich scherzte? – Das ist ganz einfach; man ist so heiter am Tage einer Hochzeit. – Ich weiß wohl, Du wirst wieder von meinen beiden Thränen sprechen. – Nun, liebe Kleine, so will ich Dir etwas im Vertrauen sagen, was Dir einst nützlich werden kann, um Gontran bei einer der kleinen Zwistigkeiten zu rühren, vor welchen selbst die beste Ehe nicht sicher ist. – Siehst Du, ein einziges Körnchen Tabak in jedes Auge, und Du weinst wie eine büßende Magdalene. – So schöne Augen aber, wie die Deinigen, sind unwiderstehlich, wenn sie weinen.

– Aber – Tante!

– Ach, ich vergaß. Ich habe dort einige Gegenstände, die Dir nach dem Testamente Deiner Mutter am Tage Deiner Hochzeit übergeben werden sollen, d. h. wenn Deine Trauung vollzogen ist. Ich wollte sie Dir so eben geben – doch ich besinne mich anders – ich werde sie Dir diesen Abend einhändigen, – nach der Mairie, – sagte sie, indem sie aufstand und ihren Secretär verschloß.

– Ach, liebe Tante, gewähren Sie mir wenigstens das! rief ich aus. Sie lassen mich sehr traurig, sehr erschreckt über Ihr grausames Schweigen. – Diese Letzten Beweise von der Zärtlichkeit meiner Mutter würden mich wenigstens trösten.

– Es ist unmöglich, sagte Fräulein von Maran. Die Testamentsclausel ist bestimmt. – Bist Du erst getraut, so werde ich Dir Alles einhändigen. – Aber wie? Fünf Uhr schon, und ich bin noch nicht angekleidet? – Laß mich, liebe Kleine.

Indem meine Tante diese Worte sprach, schellte sie einer ihrer Frauen, welche, indem sie eintrat, sagte, daß man so eben in den Salon etwas brachte, was der Herr Vicomte von Lancry geschickt hatte.

– Geh schnell, sagte meine Tante. – Das ist ohne Zweifel Dein Hochzeitskorb, und wenn ich nach dem Geschmacke Gontran's urtheilen darf, so muß er reizend und prachtvoll zugleich fein.

Mit tief betrübtem Herzen verließ ich Fräulein von Maran.

Indem ich an das Geheimniß dachte, welches sie mir anvertrauen wollte, erinnerte ich mich zum zweiten Male unwillkürlich an das, was mir die Herzogin von Richeville gesagt hatte. – Und dennoch – hegte ich nicht das geringste Mißtrauen gegen Gontran. War er nicht selbst meinem Verdachte entgegengekommen, indem er mir die Fehler gestand, welche man ihm zum Vorwurf hatte machen können? – Und dann liebte ich ihn auch leidenschaftlich. Ich hatte den festesten Glauben auf ihn.

Ich sah meiner Zukunft nur deshalb so sicher, so freudig entgegen, weil sie ihm anvertraut war. – Ebenso war es mit der Freundschaft Ursula's; ich hielt sie für eben so ergeben, eben so aufrichtig, wie die, welche ich für sie fühlte.

Die grausame Ungewißheit, welche Fräulein von Maran in mir hervorgerufen hatte, schwebte daher über meinen beiden einzigen Neigungen, und schien beide zu bedrohen, ohne eine davon anzugreifen.

Ich fand in dem Salon den Korb, den mir Herr von Lancry geschickt hatte. Wie meine Tante es vorausgesehen hatte, war es unmöglich, etwas Eleganteres und Reicheres zu sehen: Diamanten, Edelsteine, Spitzen, Kashemirshawls, Stoffe, Alles war in reicher Menge vorhanden und von dem ausgesuchtesten Geschmacke. Aber ich war zu traurig, um dieses Wunder zu genießen. Ich würde sie kaum angesehen haben, wären sie nicht von Gontran gewählt gewesen.

Dadurch aber, daß ich durchaus das Geheimniß erforschen wollte, das Fräulein von Maran mir verbarg, glaubte ich zuletzt, daß ihre Rührung, die mir zuerst so aufrichtig vorgekommen war, es doch nicht gewesen, und ihr einziger Zweck wäre, mich zu quälen und mir den Abschied recht schmerzlich zu machen.

Der Anblick Gontran's, welcher kurz vor der Unterzeichnung des Contractes festgesetzten Stunde kam, und seine zärtlichen Worte beruhigten mich endlich ganz wieder.

Um neun Uhr war meine Familie und die Gontran's in dem großen Saale des Hôtel Maran versammelt.

Ich saß zwischen meiner Tante und dem Herzog von Versac. Der Notar erschien. Fast in demselben Augenblicke hörte man Peitschenknall und das Rasseln eines Wagens, welcher unter dem Galopp mehrerer Pferde auf den Hof gefahren kam.

Ich sah meine Tante an; sie wurde leichenblaß.

Einen Augenblick darauf trat der Graf Mortagne in die Thür des Saales.



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