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XXI.
Herr und Madame Sécherin

– Ursula!

– Mathilde!

Wir umarmten uns innig, Ich war darauf gefaßt, meine arme Cousine unendlich verändert zu finden; wie groß war daher mein Staunen, als ich sie frischer, hübscher erblickte, als je, obgleich ihr Auge noch immer melancholisch, ihr Lächeln noch immer trübe war.

Sie stellte mir Herrn Elias Sécherin vor; es war ein junger Mann von mittlerer Größe, sehr blond, mit einem ziemlich regelmäßigen, vollen, rothen Gesicht, mit einem heitern Ausdrucke.

Beim ersten Anblicke schien er mir einer jener Männer zu sein, denen man die Gemeinheit ihres Wesens und ihrer Sprache um der Freimüthigkeit und Gutmüthigkeit ihres Charakters gern verzeiht.

Gleichwohl hätte ich nie geglaubt, daß meine Cousine bei unsern Gedanken junger Mädchen sich zu einer solchen Heirath hätte entschließen können. Als ich Herrn Sécherin sah, erschien mir das Opfer, welches Ursula mir gebracht zu haben behauptete, noch größer. Ich beklagte sie innig, daß sie sich dem gebieterischen Willen ihres Vaters hatte fügen müssen.

Indem ich Ursula umarmte, drückte ich ihr die Hand; sie verstand mich und drückte die meinige wieder, indem sie die Augen zum Himmel erhob.

Fräulein von Maran trat mit Herrn von Lancry ein. Ursula warf mir einen Blick zu, der mir in das Herz drang. Sie verglich ihren Mann mit Gontran.

Meine Cousine stellte ihren Mann meiner Tante vor; ich glaubte, diese würde ihrer Spottsucht freien Lauf lassen. Zu meinem großen Staunen war dies Anfangs nicht gleich der Fall; Fräulein von Maran spielte die gute Frau und sagte zu Herrn Sécherin mit der größten Freundlichkeit, ohne Zweifel, um sein Vertrauen zu gewinnen:

– Nun, mein Herr, Sie wollen also Ursula zur glücklichsten Frau von der Welt machen? Sie wollen also sie uns Alle vergessen machen, die wir sie so sehr liebten? Wissen Sie wohl, daß ich wenigstens sehr eifersüchtig auf Sie werden könnte, Herr Sécherin? Ja, gewiß, und vor allen Dingen muß ich Sie auf Eines aufmerksam machen: daß wir hier die Gewohnheit haben, mit aller Freimüthigkeit zu sprechen, denn wir leben hier so ganz in der Familie; in einer halben Stunde werden Sie uns Alle kennen, als hätten wir unser ganzes Leben mit einander zugebracht. Ich – ich bin eine alte gute Frau, welche stets dieselbe Sache wiederkäuet – nämlich daß ich diese beiden Kinder, Mathilde und Ursula, anbete; also, das lassen Sie sich gesagt sein, ich werde nie fertig, wenn von ihnen die Rede ist; deshalb liebe ich auch die, welche diese Kinder lieben, beinahe eben so sehr, wie ich sie selbst liebe; dann bin ich mürrisch, zänkisch, launisch, keifend, denn das ist das Vorrecht des Alters. Nun, und dennoch, alles dessen ungeachtet, Herr Sécherin, ich weiß nicht, wie es kommt, liebt man mich zuletzt doch immer ein bischen.

Herr Sécherin wurde durch diese verstellte Gutmüthigkeit vollkommen betrogen. Ich bemerkte auf seinem offenen, freundlichen Gesichte das stets wachsende Vertrauen, welches meine Tante ihm einflößte; seine Verlegenheit, sein Zwang verschwanden und er rief heiter aus:

– Meiner Treu, sehen Sie, gnädiges Fräulein, ich glaube nicht, daß man Sie ein bischen lieben muß; ich – ich glaube, daß man Sie sehr lieb haben muß. Und da ich doch offen sprechen soll, so gestehe ich Ihnen, daß Sie mir eine teufelmäßige Furcht einflößten; aber Ihr Empfang hat mich sogleich beruhigt.

– Wie! Sie fürchteten sich vor mir, mein lieber Herr Sécherin? Und weshalb denn das, wenn es Ihnen gefällig ist?

Vergebens machte Ursula ihrem Manne Zeichen über Zeichen, er bemerkte sie nicht.

– Gewiß, gnädiges Fräulein, ich fürchtete mich vor Ihnen, wiederholte Herr Sécherin, der immer mehr Vertrauen gewann, und ich hatte dazu wohl Grund.

– Ach, mein Gott, Sie machen mich ganz verlegen, Herr Sécherin.

– Ei, ohne Zweifel, mein Fräulein; mein Schwiegervater, der Herr von Orbeval, lag mir beständig in den Ohren und sagte: Sehen Sie sich wohl vor, Schwiegersohn, Fräulein von Maran ist eine große Dame; wenn Sie das Unglück haben, ihr zu mißfallen, so sind Sie verloren, denn sie hat zwanzigmal so viel Geist, wie Sie, und sie weiß sich ihres Geistes zu bedienen, dafür stehe ich Ihnen. – Nun, jetzt, gnädiges Fräulein, wissen Sie, was ich ihm jetzt antworten würde, dem Schwiegervater? Denn ich brauche nicht lange Zeit, um meine Kunden zu messen.

Ursula erröthete bis über die Stirn über diese gemeinen Ausdrücke. Gontran verbarg sein Lächeln. Fräulein von Maran aber sagte zu Ursula's Mann mit dem Tone unglaublicher Gutmüthigkeit:

– Herr Sécherin, erlauben Sie; wir haben uns einander versprochen, aufrichtig zu sein, nicht wahr?

– Ja, mein Fräulein.

– Nun, man sagt nicht, seine Kunden messen; selbst nicht, wenn man von einer alten Frau, wie ich bin, spricht; das zeigt schlechten Geschmack. Ja, sehen Sie, ich werde Ihnen vom Anfang an nichts durchgehen lassen, dies sage ich Ihnen im Voraus. So bin ich nun; und überdies haben wir uns versprochen, aufrichtig zu sein.

– Hören Sie, mein Fräulein, rief Herr Sécherin mit einem Ausdrucke wahrhaft rührender Dankbarkeit; was Sie da thun, ist gut, und ich danke Ihnen aus vollem Herzen; Andere hätten sich über mich lustig gemacht; Sie aber, Sie haben die Güte, mich zu verbessern. Ja, was wollen Sie, mein Fräulein, ich bin nur ein Provinzialbewohner und für das zierliche Wesen der Hauptstadt wenig gemacht.

– Von Paris, Herr Sécherin, von Paris! Man sagt nicht, die Hauptstadt, erwiederte Fräulein von Maran mit der größten Ernsthaftigkeit.

– Wirklich, mein Fräulein? Sehen Sie, das ist komisch. Unser Unterpräfect und unser Staatsanwalt sagen doch immer die Hauptstadt.

– Das ist möglich, man sagt wohl so in der Verwaltung und in der Geographie, fuhr Fräulein von Maran fort, aber außerdem nicht. – Sie sehen, daß ich unnachsichtig bin, mein armer Herr Sécherin.

– Nur immer vorwärts, mein Fräulein, nur immer vorwärts; ich vergesse nie, was man mir einmal gesagt hat. Gut also, gnädiges Fräulein, wenn ich jetzt meinem Schwiegervater Ihr Bild entwerfen sollte, so würde ich ihm sagen: Fräulein von Maran ist ohne Zweifel eine sehr große Dame durch ihre Stellung; im Grunde ist sie aber doch eine brave, kleine offene Frau und aufrichtig wie ein guter Morgen, die das Herz auf der Zunge trägt und die vielleicht noch mehr gute Gesinnungen, als guten Verstand hat. Nun, nicht wahr ich täusche mich nicht?

– Ei, mein lieber Herr Sécherin, Lavater war nichts gegen Sie; Sie sind ein Nostradamus, ein Cagliostro, was den Scharfsinn und die Prophezeihungsgabe betrifft! Sehen Sie, ich bin so zufrieden mit Ihrem Bilde, welches Sie von mir entworfen haben, daß ich gewisse Worte nicht aufstechen will.

– O, doch mein Fräulein, doch, stechen Sie auf sonst werde ich bös, das sage ich Ihnen.

– Nein, lieber Herr Sécherin, ich bitte Sie –

– Nein, mein Fräulein, ich sage Ihnen, daß ich bös werde, und ich werde gewiß bös, wenn Sie mir nichts aufstechen.

– Nun, wenn Sie es denn durchaus wollen und um das gute Einverständniß zwischen uns zu erhalten, sage ich Ihnen, daß es etwas sehr gemein ist wenn man sagt: einfach wie ein guter Morgen und das Herz auf der Zunge tragen.

– Gut, gut, ich werde es nicht wieder sagen. Aber, mein Gott, gnädiges Fräulein, wie gütig Sie sind! Aber im Ganzen, sehen Sie, liegt doch nicht die geringste Bosheit in meiner Aeußerung, und das haben Sie gleich erkannt.

– Ja, gewiß, ich habe Sie gleich richtig beurtheilt, mein guter Herr Sécherin; Sie scheinen mir der beste Mensch von der Welt zu sein, und dabei glaube ich, daß Sie gewiß gar keine Galle besitzen.

– Galle – ich! Nicht mehr als eine Taube; was mir fehlt, ich weiß es wohl, das ist die Erziehung; aber was wollen Sie? Ich bin in der Provinz erzogen worden, denn mein Vater war ein kleiner Kaufmann, der sein Glück dadurch begründete, daß er Emigrantengüter kaufte.

– Bei einem solchen Anfange konnte ihm das Gedeihen nicht fehlen, sagte Fräulein von Maran; diese Emigrantengüter mußten Ihrem Herrn Vater gewiß Glück bringen.

– Und das ist auch wirklich geschehen, mein Fräulein.

– Ich glaube es gern; fahren Sie fort, Herr Sécherin.

– Was meine Mutter betrifft, fuhr das unglückliche Opfer der Hinterlist meiner Tante fort, so ist sie die beste Frau von der Welt, aber sie hat stets ihr rundes Mützchen und ihre Kleidung von ehemals beibehalten wollen; sie ist eine gute Hauswirthin in der ganzen Bedeutung des Wortes; Sie sehen daher wohl, daß ich nicht wie ein Herzog und Pair erzogen worden bin. Ich habe so meine Studien im Collegium von Tours gemacht; bei dem Tode meines Vaters übernahm ich die Leitung seines Vermögens, und in einem alten Schreibschrank von schwarzem Fichtenholz fand ich ein Inventarium von 63,700 Livres Renten, in Grundstücken und Besitzungen, rein von allen Abgaben, und ungerechnet noch das Inventarium von zwei Fabriken, in denen ich 500 Arbeiter beschäftige, welche doch noch nicht alle Bestellungen befriedigen können. – So stehe ich jetzt, mein Fräulein.

– Ei, Sie befinden sich in einer prächtigen Lage, Herr Sécherin, das ist ganz einfach, denn die rechtschaffenen Leute werden immer glücklich, und ich bin überzeugt, daß jene Emigrantengüter, von denen wir sprachen, Ihnen dieses wachsende Vermögen Ihres Vaters eingetragen haben.

– Gnädiges Fräulein, sagte Ursula, welche auf der Folterbank lag, ich fürchte, diese näheren Umstände –

– Ei, nicht doch, Ursula; sie interessiren mich im Gegentheil sehr, mein liebes Kind.

– Ohne Zweifel, liebes Herz, werden meine kleinen Angelegenheiten unsere gute Verwandte sehr interessiren.

– Herr Sécherin, sagte Fräulein von Maran, meinem Systeme der Freimüthigkeit stets treu, mache ich Sie darauf aufmerksam, daß liebes Herz für die geheimste und innigste Vertraulichkeit aufbewahrt bleiben muß; Sie profaniren den Zauber dieses bewundernswerthen Ausdruckes, indem Sie ihn so verschwenden.

– Gleichwohl, mein Fräulein, nannte mein Vater meine Mutter immer liebes Herz, und meine Mutter nannte ihn Väterchen oder großer Wolf.

– Aber bemerken Sie, mein guter Herr Sécherin, daß ich die unschuldigen naiven Ausdrücke liebes Herz, Väterchen, und selbst großer Wolf an und für sich nicht verwerfe; im Gegentheil, ich hoffe, daß Ursula, diesen Ueberlieferungen Ihrer Familie getreu, fromm, diesen süßen Namen insgeheim an Sie verschwendet.

– Ei, so hast Du also dem Fräulein schon gesagt, daß Du mich Deinen großen Wolf nennst? rief Herr Sécherin, indem er sich zu seiner Frau wendete und vor Verwunderung in die Hände schlug.

– Wirklich! Ursula nennt Sie schon ihren großen Wolf, mein guter Herr Sécherin! rief meine Tante.

– Ja wohl, mein Fräulein, und sie zieht dazu keine Handschuhe an, fuhr Herr Sécherin mit stolzer Selbstgenügsamkeit fort.

– Ach, mein Fräulein, können Sie glauben – rief Ursula, und Thränen der Scham und der Verwirrung traten ihr in die Augen.

– Wie, rief Herr Sécherin, wie, Du erinnerst Dich nicht mehr, daß Du am zweiten Tage nach unserer Hochzeit, als ich Dir das Verzeichniß unseres Vermögens zeigte und dabei sagte, indem ich Dich umarmte: Alles das gehört Dir und Deinem großen Wolf, Du mir darauf antwortetest, indem Du mich ebenfalls umarmtest: Ja, das Alles gehört mir und meinem großen Wolf! – Aber, so erinnere Dich doch! – Es war in dem kleinen grünen Stübchen, das mir zum Arbeitscabinet dient.

Es ist unmöglich, sich den Schmerz, die Niedergeschlagenheit Ursula's bei Anhörung dieser Worte vorzustellen.

Ich war ihretwegen tief betrübt. Gontran lächelte wider Willen, und Fräulein von Maran triumphirte. Gleichwohl wollte sie den Auftritt nicht zu sehr verlängern und erwiederte sogleich:

– Wollen Sie wohl schweigen, Herr Sécherin, Sie häßlicher Schwätzer? Erzählt man etwa dergleichen Dinge? Man behält diese kleinen Leckereien des Glückes für sich ganz allein; das sind kleine coquette und geheimnißkrämerische Glückseligkeiten, die man nicht gesteht! Ursula möchte Sie tausend und tausend Mal ihren großen Wolf genannt haben, und würde sich doch lieber tödten lassen, als es eingestehen, und daran thäte sie recht. Ich wiederhole Ihnen, daß Sie ein abscheulicher Schwätzer sind. Ja, die Männer, die Männer! – Wir können sie nicht die Vorzüge, die wir ihnen in unserem Herzen geben, lesen lassen, wir können ihnen dieselben nicht durch die süßesten Namen beweisen, ohne daß sie sich dessen sogleich aus allen Kräften rühmen!

– Ja, es ist wahr, gnädiges Fräulein, sagte Herr Sécherin, ich habe Unrecht gehabt, und Sie haben Recht, immer Recht. Wieder eine Lehre, die ich mir zu Nutze machen werde. Künftig behalte ich Liebchen und großer Wolf für uns Beide, liebe Frau.

– Und Sie werden wohl daran thun. – Aber erzählen Sie mir doch von den Emigrantengütern, die Ihr Herr Vater gekauft hat, als er noch kleiner Krämer war. Sie wissen nicht, wie mich das interessirt. Waren sie beträchtlich, diese Güter?

– Ja, gnädiges Fräulein; sie hatten von der Revolution zum Theil der Familie Rochegune gehört, aber mein Vater hat sie dem alten Marquis wieder verkauft.

Bei diesem Namen, der an diesem Tage so oft und unter so eigenthümlichen Umständen wiederholt wurde, runzelte meine Tante die Stirn.

– Und hat Herr von Rochegune noch viele Besitzungen in dieser Provinz? fragte Gontran.

– Ganz gewiß, mein Herr; er hat alle Besitzungen seines Vaters, wie er alle dessen Eigenschaften hat. – Das Hospital der Greise, welches der verstorbene Herr Marquis gründete, ist nur zwei Stunden von mir entfernt. Ach, mein Fräulein, fügte Herr Sécherin voll Feuer hinzu, indem er sich wieder zu meiner Tante wendete, wie viel Gutes that der verstorbene Herr Marquis in der Gegend! – Und dabei war er so wenig stolz! Stellen Sie sich nur vor, gnädiges Fräulein, so lange er auf seinem Schlosse Rochegune blieb, ging er jeden Sonntag im Hospital der Greise in die Messe, nach der Messe aß er an ihrem Tische, dann ging er mit ihnen zur Vesper, aß wieder mit ihnen, und schlief zuletzt in ihrem Schlafsaale. Das that er immer wöchentlich einmal; und das ist noch nicht Alles: er folgte dem Sarge der Armen, die starben, sogar bis zur Gruft. Nicht wahr, das heißt, das Gute mit Güte thun?

– Ja, ohne Zweifel, erwiederte Fräulein von Maran ironisch. Aus einer Schüssel mit alten Landstreichern zu essen – den Gedanken find' ich höchst ergötzlich.

– Ach, Sie haben wohl Recht, gnädiges Fräulein, erwiederte Herr Sécherin unbefangen. Das erfreute den armen Menschen das Herz. Aber das ist noch nichts noch gar nichts.

– Ach, mein Gott, giebt es noch etwas Schöneres, als diese Gemeinschaftlichkeit der Speiseschüssel?

– Ja, mein Fräulein. Da ich der bedeutendste Manufacturist der Gegend war, hatte der Herr Marquis mich gebeten, bei diesen Unglücklichen kleine Arbeiten zu bestellen. Sie machten sie, aber Gott weiß wie! Sie waren zu nichts zu brauchen, und so ging der rohe Stoff, den der Herr Marquis bezahlte, nur verloren. Damit noch nicht zufrieden, erstattete er mir die kleinen Summen, die ich den armen Greisen als Preis ihrer Arbeit bezahlte, und so glaubten sie die kleinen Erleichterungen, die sie sich verschafften, durch ihre Arbeit zu gewinnen.

– Das ist aber in der That ein außerordentliches Zartgefühl! rief Fräulein von Maran; und dabei höchst richtig gedacht! Denn urtheilen Sie nur selbst, wenn diese Herren Landstreicher bemerkt hätten, daß Herr von Rochegune ihnen so geradezu Almosen zufließen ließ, hätten Sie wenigstens revoltiren und den unverschämten Marquis ganz gehörig anfahren können, auch wohl eine Nacht, wo er in ihrem Schlafsaale zubrachte, benutzt, um ihm eine tüchtige Lection zu, geben, die er nicht gestohlen hätte.

Die Bitterkeit, mit welcher Fräulein von Maran eine Handlung verspottete, die vielleicht von übertriebenem Zartgefühl, aber doch auch von der rührendsten Güte zeugte, bewies, wie sehr sie sich dadurch gereizt fühlte, daß ihre Verleumdungen auf so glänzende Weise widerlegt wurden.

Gontran theilte meine Aufregung, Ursula sah starr vor sich nieder und schien in tiefen und schmerzlichen Gedanken versenkt.

Herr von Lancry sagte zu Herrn Sécherin:

– Auch ich finde das Benehmen des Herrn von Rochegune bewundernswerth; und wird das Hospital noch immer erhalten?

– Noch immer, und der Herr Marquis handelt jetzt, wie sein Vater ehedem handelte. Nach der Rückkehr von seinen Reisen, brachte er sechs Monate auf seinem Schlosse zu, und dabei aß und schlief er einmal wöchentlich im Hospital, ganz wie sein Vater; er wird aber auch in dem ganzen Lande angebetet, ebenso wie sein Vater.

– Und er verdient es ganz gewiß– ebenso wie sein Vater – sagte Fräulein von Maran mit Bitterkeit. Legt er an diesen schönen Tagen auch die Tracht der Armen an?

– Nein, mein Fräulein; er bleibt gekleidet, wie er ist. Er thut das, wie Alles, was er thut, einfach, ohne äußern Prunk. Es ist natürlich bei ihm. Er hat das von seinem Vater. Das ist wie mit dem Muthe; er ist tapfer wie ein Löwe. Denken Sie sich, vor 7 oder 8 Jahren – er war damals erst 20 Jahre alt – da haben er und ein seltsamer Mensch, der Herr Graf von Mortagne, welcher ein vertrauter Freund seines Vaters war, einen Streich ausgeführt, vor dem vielleicht die Allerunerschrockensten zurückgebebt wären.

Als Fräulein von Maran den Namen des Grafen von Mortagne hörte, steigerte sich ihre üble Laune noch mehr.

– Sie haben den Grafen von Mortagne gekannt? sagte ich lebhaft zu Herrn Sécherin.

– Ja, mein Fräulein; er war ein Original, gereist bis an's Ende der Welt, ein alter Soldat von der großen Armee, mit einem Barte, wie ein Sappeur; er hat uns oft in der Fabrik besucht; mein guter Vater liebte ihn auch recht sehr. – Doch, um nun wieder zu meiner Geschichte zurückzukehren, so jagt er und der junge Herr von Rochegune eines Tages einen Hasen, zu Pferde und mit Windhunden; sie hatten also kein Gewehr und keine andere Waffe als eine Hetzpeitsche; der Hase brach aus dem Walde von Rochegune aus und hielt das freie Feld. Es war im vollen Winter; auf dem Felde fanden Sie einen Schäfer, bedeckt mit Blut und halbtodt.

– Gut, gut – ich sehe schon, wo das hinaus will, sagte Fräulein von Maran ungeduldig; irgend ein Hund – irgend ein rasender Wolf, der die Schafe und den Hirten gebissen haben wird, und den diese beiden Paladine tödten. Es ist ganz herrlich – sprechen wir nicht weiter davon.

– Nein, mein Fräulein, es war –

– Gut, gut, mein lieber Herr Sécherin, ersparen Sie uns dergleichen Geschichten; sie müssen von entsetzlicher Schönheit sein, und diese Nacht würde bei ihrer Erinnerung der Alp mich drücken. – Aber ich sehe in den Augen Ursula's, daß sie vor Verlangen brennt, mit Mathilde zu plaudern.

Ich stand auf, nahm meine Cousine bei der Hand, führte sie auf mein Zimmer und ließ Herrn Sécherin bei meiner Tante und Gontran.



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