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VIII.
Der Familienrath

Ich hatte von dem Gespräche zwischen Herrn von Mortagne und meiner Tante nicht viel verstanden. Nur war ich entzückt darüber, zu hören, wie derb mein Beschützer mit Fräulein von Maran sprach.

Ich ahnte einige glückliche Veränderungen in meiner Lage. Der Gedanke, in ein Kloster oder in eine Pension zu kommen, der die Kinder sonst immer so sehr erschreckt, gefiel mir im Gegentheil sehr. Was ich vor allem Andern auf der Welt wünschte, war, das Haus meiner Tante zu verlassen.

Der Familienrath sollte darüber entscheiden, ob ich in der Gewalt des Fräulein von Maran blieb, oder nicht. Ich hegte die glühendsten Wünsche dafür, daß Herr von Mortagne in seiner Absicht glücklich sein möchte. Der verhängnißvolle Tag erschien; meine Tante ließ mich sorgfältig kleiden und ich ging in den Salon hinab, wo die Mitglieder unserer Familie versammelt waren.

Ich suchte mit den Augen Herrn von Mortagne. Er war noch nicht gekommen. Meine Tante nahm mich zwischen sich und Herrn von Orbeval, meinen Vormund.

Alle meine Verwandten schienen Fräulein von Maran zu fürchten, und umgaben sie mit der kriechendsten Unterwürfigkeit. Man wußte, daß sie einen mächtigen Einfluß besaß. Ihr Salon war der Sammelplatz der einflußreichsten Männer der Regierung. Aus Rücksicht für Ludwig XVIII. bewiesen die Prinzen ihr das größte Wohlwollen.

Herr von Talleyrand theilte seine Abende oft zwischen meiner Tante und der Prinzessin von Vaudemont. Dieser große Staatsmann, der, wie meine Tante, übrigens sehr richtig, sagte, das Schweigen bis zur Beredtsamkeit, den Geist bis zum Genie, und die Erfahrung bis zur Divinationsgabe gesteigert hatte, unterhielt sich zuweilen eine Stunde mit Fräulein von Maran ganz allein; denn sie gehörte zu jenen Frauen, mit denen alle ausgezeichneten Männer beinahe gezwungen sind, sich zu berathen.

Den Kindern fällt besonders der äußere Schein auf; sie können sich keine Rechenschaft von der Macht des Geistes und der Intrigue geben; es war mir daher auch sehr lange unmöglich, zu begreifen, wie Fräulein von Maran, ungeachtet ihres schwächlichen, beinahe lächerlichen Aussehens, eine solche Herrschaft über Personen ausüben konnte, die nicht gezwungen von ihr abhängig waren.

Wenn meine Tante saß, ragte ihr Kopf, der beinahe in gleicher Linie mit ihrer linken Schulter stand, die ungleich höher war als die rechte, nicht über die Rücklehne eines gewöhnlichen Armstuhls empor; ihre langen Füße, stets mit schwarzen Filzschuhen bekleidet, ruhten auf einem hohen Kissen, das sie mit Felix theilte.

Gleichwohl und ungeachtet ihrer Häßlichkeit, ungeachtet ihrer Bosheit, versammelte Fräulein von Maran jeden Abend um sich die Elite der besten Pariser Gesellschaft und ließ es hochmüthig die Personen sehr empfinden, welche einige Tage vorübergehen ließen, ohne sie zu sehen. Ihre beißenden und harten Vorwürfe bewiesen hinlänglich, daß sie auf diese Huldigungen nicht aus Zuneigung, sondern aus Stolz hielt.

Man erwartete nur noch Herrn von Mortagne; er kam. Mein Herz klopfte gewaltig. Von ihm sollte meine Zukunft abhängen.

Ich bemerkte sehr bald, daß Herr von Mortagne von meinen Verwandten mit Kälte empfangen wurde. Man lächelte und zischelte über seinen Bart und sein vernachlässigtes Aeußere, obgleich seine Originalität bekannt war. Man wußte, welchen tiefen Widerwillen meine Tante gegen ihn hegte. Wenn man ihn verspottete, war man gewiß, ihr zu schmeicheln.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens bat mein Vormund, Herr von Orbeval, den Grafen Mortagne, die Gründe anzugeben, welche ihm eine Familienversammlung nothwendig zu machen schienen.

Herr von Mortagne wiederholte, was er meiner Tante bereits gesagt hatte, ohne seine Ausdrücke mehr wie früher zu mäßigen; er verlangte endlich, daß man mich in das Kloster der englischen Schwestern bringen sollte, welches damals eben so in Aufnahme war, wie später das von sacré cœur.

Während dieser heftigen Anklage blieb Fräulein von Maran ganz gelassen. Unsere Verwandten, völlig von ihr beherrscht, hatten eine gewaltige Furcht vor ihr. Sie äußerten mehrmals ihren Unwillen gegen Herrn von Mortagne durch Gemurmel und Unterbrechungen; ihre gegen meine Tante gerichteten Blicke schienen sie zur Zeugin zu nehmen und gegen die rohe Sprache meines Beschützers zu protestiren.

Dieser war vollkommen gleichgültig gegen solche Aeußerungen, zuckte von Zeit zu Zeit die Achseln, wartete, bis das Geräusch sich gelegt hatte, und fing dann wieder an zu sprechen, ohne seine Sprache irgend etwas zu mäßigen.

Er mußte wahrhaften Muth besitzen, um Fräulein von Maran so anzugreifen; so gestellt und umgeben, wie sie war, mußte sie tausend Mittel finden, ihm zu schaden, sich zu rächen. – Ach, sie bewies es Herrn von Mortagne nur zu sehr, daß der Haß, den sie ihm zollte, unerbittlich war. Ich war damals noch sehr Kind. Ich erinnere mich gleichwohl einer Thatsache, die mir, ihrer Unbedeutendheit ungeachtet, auffiel, und die jetzt ihr volles Gewicht in meinen Augen hat.

Während dieser Debatten hatte das Gesicht meiner Tante nicht die geringste Aufregung verrathen; sie hielt in ihrer Hand eine lange Stricknadel, und je weiter Herr von Mortagne sprach, desto fester schien sie die Nadel zwischen ihre fleischlosen Finger zu drücken. Endlich, in dem Augenblicke, wo er ausrief: daß, wenn nichts schonungswerther sei, als Häßlichkeit, Alter und Gebrechen, auch nichts abscheulicher sei, als diese beklagenswerthen Vortheile zu mißbrauchen, um ungestraft mit Grobheiten den Männern zu antworten, die für ein zugleich schmachvolles und grausames Benehmen Rechenschaft verlangten; – da brach Fräulein von Maran die Nadel, die sie in den Händen hielt, in Stücke, und nie werde ich den verderblichen Blick vergessen, den sie in eben diesem Moment auf Herrn von Mortagne schleuderte.

Mein Vormund glaubte sich im Namen der Mehrzahl der Versammlung verpflichtet, dem Widersacher meiner Tante zu antworten und dessen Sprache offen zu tadeln. Mein Beschützer schien sich sehr wenig um diesen Vorwurf zu kümmern, nach welchem Herr von Orbeval mit der ehrerbietigsten Unterwürfigkeit und nur der Form wegen Fräulein von Maran fragte, ob sie es für nöthig hielte, irgend eine Veränderung in meiner Erziehung eintreten zu lassen; und sich beeilte, hinzuzufügen, die Versammlung verlasse sich im Voraus ausschließlich auf ihre Entscheidung über diesen Gegenstand, den sie besser beurtheilen könnte, als irgend Jemand.

Ohne die geringste Anspielung auf die Angriffe des Herrn von Mortagne zu machen, antwortete Fräulein von Maran mit ebensoviel Feinheit als Gewandtheit, daß ich in der That noch sehr wenig vorwärts geschritten sei, daß ich einen schwachen Kopf und sehr wenig Verstand hätte; daß sie geglaubt hätte, mich nicht vergebens anstrengen zu dürfen, indem sie mir Unterricht geben lasse, von dem ich doch keinen Vortheil ziehen könnte; daß dadurch natürlich Widerwillen gegen die Arbeit in mir erweckt worden wäre; daß sie sich im Gegentheil zuerst, mit meiner Gesundheit hätte beschäftigen wollen, die auch, Gott sei Dank, blühend sei; daß ich mich daher ganz in der Verfassung befände, die verlorene Zeit einzubringen, ohne die Folgen der Anstrengung fürchten zu müssen. Sie schloß mit der Versicherung, sie hätte schon vor der Zusammenberufung des Familienrathes die Absicht gehabt, meinen Unterricht augenblicklich beginnen zu lassen.

Herr von Mortagne hat mir oft gesagt, daß es unmöglich gewesen wäre, sich geschickter zu vertheidigen, als meine Tante that, noch ihr Benehmen scheinbar besser zu entschuldigen. Sie zeigte deutlich, daß sie während der ersten Jahre meiner Erziehung sparend sich die Mittel hätte sichern wollen, mir später eine umfassendere und vollständigere Bildung zu verleihen; sie fügte hinzu, es sei zwar begreiflich, daß ich mich in dem Hause einer alten und kränklichen Tante langweilte, aber sie hätte meinem Vater versprochen, mich nie zu verlassen, und könnte daher nicht glauben, daß meine Verwandten mich in das Kloster bringen wollten.

Um Alles auszugleichen, und damit ich eine Gefährtin meines Alters hätte, verkündete meine Tante, daß mein Vormund, ihren Bitten nachgebend, einwilligte, binnen wenigen Monaten seine Tochter aus dem Kloster zu nehmen, und sie ihr anzuvertrauen.

Herr von Orbeval war Wittwer, seine Tochter sollte also auf diese Weise meine Studien theilen und bei Fräulein von Maran wohnen.

Mit seiner gewöhnlichen Rauheit und Freimüthigkeit antwortete Herr von Mortagne, auf diese Weise würde also ich es sein, welche die Kosten für die Erziehung des Fräulein von Orbeval bestritte, die arm wäre, und deren Vater in dieses Abkommen nur aus persönlichem Interesse und aus Furcht vor meiner Tante gewilligt hätte, die ihm schaden oder nützen könnte.

Herr von Mortagne fügte hinzu, daß er bei jeder andern Gelegenheit keinen Einwurf gegen die besondere Erziehung erhoben haben würde, die man mir geben und mit meiner jungen Verwandten theilen lassen wollte, daß er aber wichtige Gründe hätte, zu glauben, der Einfluß des Fräulein von Maran könnte für mich nur verderblich sein; daß sie meine Kindheit nur gemartert hätte und meine Jugend vielleicht zu Grunde richten würde.

Ein Getöse des Unwillens unterbrach ihn.

Mein Vormund rief, seine Tochter solle nie einen Fuß zu meiner Tante in das Haus setzen; er wäre den ihm gemachten Vorschlägen nur in meinem Interesse beigetreten, aber er nehme sein Versprechen zurück, da man seine Absicht so übel auslegte. Als sich aber die ganze Versammlung mit Fräulein von Maran vereinigt hatte, um den Baron von Orbeval zu beschwichtigen und den Grafen von Mortagne zu tadeln, versprach mein Vormund, seine Tochter kommen zu lassen. Herr von Mortagne, der seinen Zorn nicht mäßigen konnte, ging so weit, zu sagen, in der ganzen Versammlung sei nicht ein Mann von Herz, und Alle zitterten vor dem Einflusse des Fräulein von Maran.

Da mein Beschützer sich erbot, mit dem Degen in der Hand zu vertreten, was er gesagt hatte, ertönte nur ein Schrei des Unwillens gegen den Raufbold, der in den Familienberathungen die rohe Kraft geltend machen wollte, und weder das Geschlecht noch das Alter ehrte.

Außer sich, kam Herr Mortagne auf mich zu, umarmte mich zärtlich und sagte: Mein armes Kind, bald sehen wir uns wieder. Gott behüte Dich vor diesem boshaften Weibe und vor ihren Liebedienern! Ich sehe, daß sie jetzt das Gesetz und die Zahl für sich haben. Geduld, Geduld; ich werde Mittel finden, Dich ihnen zum Trotz zu retten. – Er umarmte mich nochmals und ging.

Nach seiner Entfernung verdoppelte sich der Unwille, der jedoch bald einem Gefühle geringschätzenden Mitleids wich.

Diejenigen meiner Verwandten, welche im Stande waren, die Herausforderung des Herrn von Mortagne anzunehmen, und es nicht gethan hatten – nicht aus Mangel an Muth, sondern aus Furcht vor meiner Tante – versicherten, Herr von Mortagne sei hirnverdreht, und man könne seine Narrheiten nicht ernsthaft behandeln.

Während ich die Niederlage meines Beschützers beklagte, konnte ich doch nicht umhin, beinahe mit Freude an die mir verkündete Gefährtin zu denken; ich betrachtete ihren Vater, Herrn von Orbeval, mit weniger Besorgniß, und wagte es sogar, meine Tante zu fragen, wann meine Cousine ankommen würde.

Zu meiner großen Verwunderung antwortete Fräulein von Maran ohne Bitterkeit, und beinahe mit wohlwollendem Tone, daß Fräulein Ursula d'Orbeval nächstens kommen würde.

Diese Versicherung erfüllte mich mit Freude. Wäre ich glücklicher gewesen, so hätte ich die Ankunft meiner Cousine vielleicht mit Eifersucht begrüßt, während ich dagegen jetzt nur an eine günstige Veränderung meiner Lage glauben konnte.

Von diesem Tage an verwandelte sich das Betragen des Fräulein von Maran gegen mich gänzlich.

Zunächst gab sie mir zu meinem Unterrichte die besten Lehrer von Paris. Aus einem Beweggrunde, den ich später durchschaut habe, ließ sie mir Madame Blondeau zur Gouvernante, obgleich sie weit entfernt war, die nöthigen Kenntnisse zur Ausfüllung dieses Postens zu besitzen, jetzt, da meine Erziehung weit mehr gepflegt werden sollte.

Nur fügte sie meiner Bedienung noch eine Kammerfrau hinzu; statt mich beinahe schmutzig kleiden zu lassen, wollte meine Tante, daß ich mit einem Luxus, einer Eleganz gekleidet gehen sollte, die nicht zu meinem Alter paßten.

Ich erinnere mich meiner Ueberraschung, meiner Freude, als ich eines Tages in meinem Zimmer eine Psyche fand, die zu meiner Größe paßte, und einen Anzug à la Duchesse, mit einer Menge von Band und Spitzen.

Statt beständig mit mir zu brummen, Ausrufungen über meine Häßlichkeit, meine Unfähigkeit zu machen, überhäufte meine Tante mich plötzlich mit den übertriebensten Lobsprüchen über meine Schönheit, meinen Wuchs, mein elegantes Benehmen, meinen Geist, meine Anlagen.

Da diese plötzliche Veränderung des Benehmens mich sehr verwundern mußte, sagte Fräulein von Maran mir im Vertrauen, es würde sehr gefährlich gewesen sein, mir diese freundlichen Wahrheiten mitzutheilen, als ich eine Müßiggängerin war, denn meine Eigenliebe würde dadurch auf drohende Weise gesteigert worden sein; da ich aber emsig arbeitete, wäre das eine Art, mich zu belohnen, wenn man mir Etwas sagte, was für mich auf der Welt das Entzückendste sein müßte.

Die Kammerfrau, welche meine Tante mir gegeben hatte, wiederholte eben diese Worte. Kurz, im ganzen Hause wetteiferte alle Welt, sogar Servien, mir zu schmeicheln.

Mit jenem Instincte, jenem tiefen Scharfsinne des Herzens, den die wahre Anhänglichkeit verleiht, wurde meine arme Blondeau durch diese plötzliche Veränderung in dem Benehmen meiner Tante erschreckt. Sie war es nun, die mir zürnte, die mir vorwarf, zu sehr an meinen Anzug zu denken, mein Gebet zu vernachlässigen, hochmüthig, eigensinnig zu werden.

Ungeachtet meiner Anhänglichkeit für diese vortreffliche Frau verletzten mich ihre Vorstellungen. Sie schienen mir um so lästiger, da sie mich bisher immer mit der vergötterndsten Zärtlichkeit behandelt hatte.

Ich fühlte meine Zuneigung zu ihr sich abkühlen; dagegen wuchs mein Vertrauen zu Mademoiselle Julie, meiner Kammerfrau, die keine Gelegenheit versäumte, mich gegen meine Gouvernante aufzubringen.

Ungeachtet der Zuvorkommenheiten des Fräulein von Maran gegen mich, konnte ich doch die Furcht und den Widerwillen, die sie mir eingeflößt hatte, noch nicht besiegen; ich versuchte dies jedoch aus allen Kräften, da ich es für Pflicht der Dankbarkeit hielt, ihr einige Anhänglichkeit zu beweisen.

Ich machte wahrhaft schnelle Fortschritte, legte mich mit Eifer auf das Zeichnen, die Musik, das Studium der englischen und italienischen Sprache, um nicht zu sehr gegen meine Cousine d'Orbeval zurückzustehen, deren Ankunft meine Tante beständig verschob.

Meine Tante ging nur sehr selten aus; sie schickte mich fast täglich mit Julie, denn ich verbarg meine Vorliebe für dieses Mädchen nicht, in ihrem Wagen nach dem bois de Boulogne.

Seit beinahe einem Jahre, daß meine Tante sich besonders mit meiner Erziehung beschäftigte, war ich wirklich kaum noch zu erkennen; meine Kenntnisse hatten zugenommen; mein Verstand hatte sich entwickelt; aber der Keim der bösesten Leidenschaften begann in mir zu sprossen.

Ungeachtet des elfenbeinernen Crucifixes, welches den Alkoven meiner Tante schmückte, übte sie dem Anscheine nach keine religiöse Handlung.

Sie beschränkte sich darauf, mich mit einer ihrer Frauen nach St. Thomas d'Aquin in die Messe zu schicken. Ein Bedienter folgte uns und trug ein wappenverziertes Kissen für meine Füße und einen sammtnen Beutel mit meinem Meßbuche. Das war für ein Kind meines Alters ein eben so lächerlicher, als unpassender Prunk, und ich hörte im Vorübergehen, wie man sagte: Die Zärtlichkeit des Fräulein von Maran für ihre Nichte geht bis zur Narrheit.

Ich glaubte endlich an diese Anhänglichkeit. In der That sagte man überall, daß meine Tante mich vergöttere, und daß man es ihrer Schwäche, ihrer Verblendung zu Gute halten müßte, wenn ich schlecht erzogen würde.

Jetzt noch giebt es viele Leute, welche überzeugt sind, daß Fräulein von Maran mich immer zärtlich – nur zu zärtlich geliebt hat.

Es giebt nichts Liebevolleres, aber auch nichts grausamer Egoistisches, als die Kinder.

Ich machte mir ein barbarisches Spiel daraus, meine neue Kammerfrau mit Beweisen des Vertrauens in Gegenwart der Blondeau zu überhäufen, um diese außer sich zu bringen, wie die kleinen Mädchen sagen.

Die unglückliche Frau, aufgeklärt durch ihren gesunden Verstand und nicht gereizt durch einen gemeinen Neid, litt entsetzlich, sich durch mich, die sie so aufrichtig liebte, so vergessen, so verkannt zu sehen.

Bald hatte meine Undankbarkeit keine Grenzen mehr.

In dem Maße, wie mein Verstand sich entwickelte, flößte Fräulein von Maran mir, wo nicht mehr Anhänglichkeit, doch mehr Neugier ein. Mein Geist begann ihre Spöttereien zu verstehen und sich daran zu ergötzen; sie machte sich lustig über die Blondeau, über deren Strenge, über deren Tadel gegen meine erwachende Coquetterie, und ich lachte sehr. Sie verspottete ihre Unwissenheit, ihre Ausdrücke, und ich lachte wieder.

Allmälig ging das Vergessen dieser so heiligen, so innigen Anhänglichkeit beinahe in Verachtung über; denn meine Tante machte mich erröthen über die Art von Vertraulichkeit, in welcher ich mit einer Frau dieser Art lebte.

Ohne Zweifel hatte ich Unrecht, großes Unrecht; aber ich war kaum acht Jahr alt, und eine Frau von wahrhaft ausgezeichnetem Geiste mißbrauchte diesen, um mich auf eine verderbliche Bahn zu bringen.

Ich folgte ihren Rathschlägen nur zu sehr; ich zeigte meiner Gouvernante so viel Kälte, daß die unglückliche Frau vor Kummer darüber krank wurde, nachdem sie Alles gethan hatte, um in mir die frühere Anhänglichkeit zu erwecken.

Als ich sie blaß, verändert sah, erkannte ich die ganze Größe meines Fehlers, weinte und wollte sie nicht mehr verlassen. Meine Tante, welche meine Betrübniß bemerkte, überredete mich, daß die Krankheit Blondeau's nur ein Spiel, eine Verstellung sei. Diese abscheuliche Auslegung gab meiner Undankbarkeit eine Entschuldigung, und ich glaubte daran.

Nie werde ich das schmerzhafte Staunen vergessen, welches sich in den Zügen meiner Gouvernante aussprach, als sie mich lachend, leichtfertig und spöttisch zu sich zurückkehren sah. Sie erhob ihre abgemagerten Hände zum Himmel, und rief weinend aus:

– Mein Gott, sie, die das Herz ihrer Mutter hatte! – Sie haben sie in das Verderben gestürzt – in das Verderben!

Von diesem Tage wurde die unglückliche Frau noch düsterer, noch schweigsamer; ihrer großen Schwäche ungeachtet wollte sie aufstehen. – Zerstreut, in Nachdenken versunken, schien sie von einer fixen Idee ergriffen zu sein. Unsere Leute nahmen sie fast täglich zum Stichblatt. Sie, die ehedem so ungeduldig war, schien Alles mit Ergebung, oder vielmehr mit Gleichgültigkeit zu ertragen. Kaum sprach sie mit mir.

Ich erinnere mich, daß ich sie während einer Nacht, als ich erwachte, mit dem Kopfe über mein Lager gebeugt fand, die Augen in Thränen gebadet und mich mit einer unbeschreiblichen Angst betrachtend. Ich fürchtete mich, und that, als schliefe ich wieder ein. Am nächsten Morgen erzählte ich Alles meiner Tante. Sie antwortete mir, es wäre ein Scherz der Blondeau gewesen, die mich hätte erschrecken wollen. Ich glaubte Fräulein von Maran, und zürnte meiner Gouvernante.

Der Neujahrstag erschien; den Tag vorher hatte meine Tante gesagt, indem sie von dem Neujahrsgeschenke für die Blondeau sprach: Statt ihr ein Kleidungsstück oder irgend eine Schmucksache zu geben, mußt Du ihr Geld geben. Dergleichen Leute lieben das Geld mehr, als alles Andere; – und sie gab mir fünf Louisd'or für die Blondeau.

In den vorhergehenden Jahren hatte meine Tante mir nie etwas für die Blondeau gegeben; da ich diese damals zärtlich liebte und ihr doch irgend etwas schenken wollte, that ich jedes Jahr wahre Wunder der Verstellung und Gewandtheit, um ohne ihr Wissen einige Zeilen voll einer unschuldigen Zärtlichkeit zu schreiben, und ihr so gut ich es vermochte, irgend eine kleine Tapisseriearbeit zu schenken.

Es ist unmöglich, sich die Freude, das Entzücken der Madame Blondeau vorzustellen, wenn ich mich am Neujahrsabend nach dem Gebete ihr um den Hals warf und ihr meine kleine Gabe brachte.

Jetzt, wo ich daran denke, scheint es mir, als wenn in diesem Beweise der Zuneigung einer armen, verlassenen, mißhandelten Waise, die, da sie nichts besaß, zu einer kindlichen Arbeit ihre Zuflucht nahm, um sich der Schuld ihres Herzens zu entledigen, ein rührender, frommer Zug des Herzens sich aussprach.

Ihres geringen Standes ungeachtet besaß meine Gouvernante zu viel Gemüth, um nicht bis zu Thränen durch diesen Beweis meiner Anhänglichkeit gerührt zu werden, den Niemand auf der Welt mir gerathen hatte.

Man stelle sich daher ihren Schmerz vor, als ich ihr an dem Neujahrabend, von dem ich spreche, heiter und lachenden Sinnes meine fünf Louisd'or in die Hand gleiten ließ.

Sie erwartete ihre gewöhnliche Ueberraschung, und da ich leidlich zu zeichnen begann, hatte sie selbst gewagt auf irgend eine Probe meines neuen Talents zu hoffen! Ungeachtet meiner scheinbaren Undankbarkeit hatte sie mich nicht einen Augenblick für fähig gehalten, so ganz die zarten Erinnerungen an meine Kindheit zu vergessen; sie sah mich daher auch mit eben so viel Traurigkeit als Unruhe an, gab mir das Gold zurück und sagte:

– Sie täuschen sich, Mathilde; dies ist für Julie; für mich – für mich – nicht wahr, für mich haben Sie etwas Anderes?

Und ihre Stimme zitterte, und sie sah mich voll Angst und Besorgniß an.

– Nun – nein; ich habe Dir nichts Anderes zu geben, sagte ich.

– Gleichwohl – die andern Jahre – (und sie trachtete ihre Thränen zu verbergen) die andern Jahre – Sie wissen wohl – am Abend – nach Ihrem Gebete gaben Sie mir –

– Ach ja, ich weiß, was Du sagen willst; aber jetzt, siehst Du, jetzt habe ich nicht mehr die Zeit dazu, denn ich muß studiren. – Und dann habt Ihr Leute auch das Geld lieber, als alles Andere!

Und, ohne sie zu umarmen, ohne ihr das geringste Zeichen von Zuneigung zu geben, drückte ich ihr das Geld wieder in die Hand und eilte hüpfend davon, um eine prachtvolle Hermelinpalatine zu bewundern, die Fräulein von Maran mir zum Geschenk gemacht hatte.

Indem ich meine Gouvernante verließ, hörte ich einen schmerzlichen Seufzer, und den Ton der Goldstücke, die aus ihrer Hand auf den Boden rollten.

In meiner unbarmherzigen Gleichgültigkeit, in meiner Hast, das Geschenk meiner Tante zu betrachten, blieb ich nicht einen Augenblick stehen, wendete ich nicht einmal den Kopf.

Ach, mein Freund, obgleich noch jung, habe ich doch schon viel gelitten, habe ich doch schon sehr bittere Thränen vergossen! Aber Gott weiß, daß ich in den heftigsten Paroxysmen der Verzweiflung oft ausgerufen: Ich muß Alles ertragen, ohne mich zu beklagen, denn ich habe dem besten Geschöpfe den fürchterlichsten Kummer bereitet, den das menschliche Herz empfinden kann.

Am Abend dieses Tages war ich, ungeachtet meiner Gleichgültigkeit, ziemlich beschämt, indem ich an Blondeau dachte; ich war auf ihre Vorwürfe gefaßt, aber ich fand im Gegentheil meine Gouvernante zärtlicher als gewöhnlich, nur war sie sehr blaß, sehr angegriffen. In ihrem Blicke bemerkte ich etwas Ungewöhnliches.

Sie legte mich nieder und küßte mich mehrmals voll Innigkeit; ich fühlte ihre Thränen über meine Wangen rinnen. Meine natürliche Gutmüthigkeit gewann die Oberhand; ich umschlang ihren Hals, und bat sie um Verzeihung, sie betrübt zu haben.

– Sie anklagen – Sie – mein Kind – nimmermehr sagte sie weinend und indem sie meine Haare und meine Hände küßte. Nein, arme Kleine! Solange man Sie gut und gefühlvoll sein ließ, waren Sie in Allem das treue Bild Ihrer Mutter! – Doch sprechen wir nicht mehr davon, mein liebes Kind. Sprechen Sie Ihr Abendgebet. Beten Sie auch für Ihre alte Bonne. Sie liebt Sie sehr. Sie bedarf Ihres Gebetes. Die Gebete der Kinder sind wie die der Engel! Der gute Gott liebt sie und erhört sie.

Als ich gebetet hatte, küßte sie mich zärtlich auf die Stirn und sagte:

– Jetzt – mein Kind – gute Nacht – gute Nacht!

Ich bemerkte, daß sie zitterte, daß ihre Hände brannten, und daß sie gleichwohl sehr blaß war.

Ich schlief ein; ich weiß nicht, wie lange ich in festem Schlaf gelegen haben mochte, als ich plötzlich erweckt wurde. Ein ziemlich schwerer Körper legte sich auf mich.

In meinem Schrecken öffnete ich die Augen halb. Ich weiß nicht, wie viel Uhr es war.

Es brannte noch ein Ueberrest des Feuers in dem Kamin und erhellte das Zimmer mit seinem flackernden Lichte.

Bei diesem matten Schimmer erblickte ich meine Gouvernante; sie stand neben meinem Bette; sie hatte mich erweckt, indem sie mich umarmen wollte.

Ich wagte nicht, eine Bewegung zu machen, aber ich folgte ihr mit den Augen; ihr für gewöhnlich so sanftes, so ruhiges Gesicht hatte einen finstern Ausdruck, der mich mit Schrecken erfüllte.

Sie sah mich an, indem sie halblaut und mit verstörtem Wesen zu sich selbst sprach.

– Nein, nein, sagte sie, ich kann es nicht länger ertragen. Das Ungeheuer stürzt mein Kind in das Verderben; – es hat ihr Gleichgültigkeit, – Verachtung gegen mich beigebracht; Mathilde liebt mich nicht mehr. Ich bin ihr zu nichts mehr nütze; ich brauche nicht länger zu bleiben. – Und ich könnte es auch nicht mehr. – Nein, heut' hab' ich zu viel gelitten; man hat das Maß gefüllt. – Geld – mir – ach, ich werde darüber noch wahnsinnig! – Ich glaube, ich bin es schon. – Auf, und ein Ende gemacht; noch einen letzten Kuß diesem kleinen armen schlafenden Engel: er hat für mich gebetet, und der gute Gott wird mir verzeihen!

Indem Blondeau diese Worte sprach, küßte sie mich auf die Stirn, und fuhr dann schluchzend fort: Lebe wohl! Lebe wohl! Du wirst nie das Leid erfahren, das Du mir zugefügt hast, arme Kleine. – Du bist es nicht, die ich anklage – o, nein, es ist das Ungeheuer, das Deine Mutter durch Kummer tödtete und Deine Seele verderben will. – Lebe wohl, lebe noch einmal wohl! – O meine schönen blonden Haare! Ich muß sie noch einmal küssen! Und ich fühlte auf meiner Stirn ihre eiskalten Lippen.

Ich hatte bisher, obgleich ich wachte, die Augen geschlossen gehalten. Plötzlich blickte ich umher; ich sah meine Gouvernante zum Fenster gehen und es hastig öffnen; ich errieth ihren fürchterlichen Gedanken, eilte auf sie zu und hielt sie in eben dem Augenblicke zurück, als sie sich durch das Fenster stürzen wollte.

Die arme Frau war erstarrt; mein Geschrei rief sie zu sich selbst zurück, sie sank nieder auf die Knie und stöhnte: Was wollte ich thun? Herr mein Gott, verzeihe mir! Ich war wahnsinnig; ich vergaß, daß ich ihrer sterbenden Mutter geschworen hatte, sie nicht zu verlassen; aber ich litt so viel – besonders heute. Der gute Gott hat mir diesen Engel gesendet, um mich vor der Begehung eines Verbrechens zu bewahren. Nein, nein, ich werde bei Dir bleiben, mein Kind; ich werde Alles leiden, Alles dulden, ich werde vor Kummer sterben, wenn es sein muß, aber ich werde bei Dir sterben, und indem ich Dich ansehe; ich habe es der armen gnädigen Frau versprochen, die jetzt im Himmel ist und mich dort hört.

Dieser Auftritt machte einen so tiefen Eindruck auf mich, ich wurde von der Verzweiflung der Blondeau so sehr ergriffen, daß meine ersten Keime der Undankbarkeit gegen sie für immer ausgerottet waren. Zum großen Verdruß des Fräulein von Maran, welches einen Augenblick lang gehofft hatte, mich dieser so aufrichtigen, so treuen Anhänglichkeit zu berauben, wurde ich gegen die Blondeau wieder ganz ebenso, wie ich früher gegen sie gewesen war.

Bald darauf sagte mir meine Tante, daß Ursula d'Orbeval, meine Cousine und die Tochter meines Vormundes, endlich zu uns kommen würde; sie fügte hinzu, ich wäre viel hübscher, viel unterrichteter, viel besser gekleidet als sie, und würde folglich unendliches Vergnügen darin finden, alle meine Ueberlegenheiten gegen sie geltend zu machen.

So ließ Fräulein von Maran bei mir nicht ein einziges Gefühl in seiner Reinheit, in seiner Blüthe. Die süße, aufrichtige Freude, eine Freundin meines Alters zu finden, wurde schon durch den Nebengedanken besudelt, ihr Eifersucht, Neid, und deshalb notwendiger Weise Haß einzuflößen.

Ich weiß nicht, mein Freund, ob Sie bemerken, daß meine Tante, mit einem eigenthümlichen Scharfsinn, so zu sagen zwei Theile aus meiner Jugend gemacht hatte: bis zu neun Jahren hatte ich von Furcht, Entbehrungen, Verlassenheit zu leiden; ich war zu andern Plänen noch nicht reif.



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