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VII.
Der Beschützer

Ich erreichte das Alter von sieben Jahren. Der Widerwille des Fräulein von Maran gegen mich schien mit jedem Tage zu wachsen. Sie fand ein Vergnügen daran, mich jeder Art von kleinen Martern zu unterwerfen.

So hatte man mir das Essen stets zu meiner Gouvernante gebracht; meine Tante verlangte, daß ich bei Tische an ihrer Seite essen sollte; ihre Tabaksdose erweckte in mir einen gewaltigen Ekel, und sie stellte sie offen neben meinen Teller; wenn irgend ein Gericht mir widerstand, erhielt ich es alle Tage; konnte ich meinen Ekel nicht überwinden, so setzte Fräulein von Maran, um mich zu strafen, meinen Teller in Felix's Nische, und meines Schreckens ungeachtet, wurde ich dazu verdammt, auf den Knieen hinzurutschen, meine Nahrung zu holen, und knieend zu essen.

Meine Tante hatte bemerkt, daß die Anwesenheit meiner guten Blondeau mir den Muth gab, Alles zu dulden, ohne zu weinen; sie verbot ihr, bei mir zu bleiben, um mich zu bedienen. Der Haushofmeister Servien erhielt diesen Auftrag; und dieser Mensch flößte mir eben so viel Widerwillen als Furcht ein.

Jetzt kann ich kaum begreifen, wie meine Tante, ungeachtet ihrer Beschäftigungen, ungeachtet der wahren Ueberlegenheit ihres Geistes, so viel Berechnung und Ausdauer darauf verwenden konnte, ein Kind zu quälen.

Nichts war dem Zufalle überlassen. Ihr Benehmen gegen mich war überlegt, studirt.

Allmälig härtete ich mich gegen den Schmerz ab. Die Leiden erweckten in mir das Bedürfniß der Rache. Ich bemerkte, daß meine Tante um so mehr lachte, um so zufriedener schien, je mehr ich weinte.

Nach unerhörten Anstrengungen, mich zu bezwingen und meine Thränen zu verbergen, gelang es mir. Ich empfand eine lebhafte Freude, als ich das Staunen, den Verdruß meiner Tante sah.

Sie verdoppelte ihre Härte, ich meinen Muth und meine Verstellung.

Ich bebe zuweilen noch jetzt, indem ich an den offenen Kampf eines verlassenen Kindes mit einer Person, wie Fräulein von Maran, denke, ein Kampf, in welchem der Vortheil endlich auf meine Seite fiel, denn die Bosheit meiner Tante konnte gewisse Grenzen nicht überschreiten.

Das ganze Haus zitterte vor ihr, und auch meine Gouvernante hatte täglich tausend kleine Plackereien zu erdulden. Diese vortreffliche Frau bedurfte wahrlich einer mehr als heldenmütigen Ergebenheit, um so viel zu ertragen. Zweimal wollte meine Tante mich von ihr trennen, aber ich wurde so ernsthaft krank, daß sie keinen neuen Versuch der Art wagen durfte.

Ich weiß nicht, ob es bestimmte Absicht, oder Nachlässigkeit meiner Tante war, aber mit sieben Jahren hatte ich noch keinen einzigen Lehrer gehabt.

Meine Gouvernante lehrte mich lesen und schreiben; sie ließ mich meine Gebete, meinen Katechismus hersagen; kurz, ich empfing durch die beinahe mütterliche Anhänglichkeit dieses guten Geschöpfes eine solche Erziehung, wie eine Person ihres Standes ihrer Tochter gegeben haben würde.

Die Kinder täuschen sich nie über die Gesinnungen und den Charakter ihrer Umgebungen. Ihr Scharfsinn ist groß, und wenn sie sich geliebt sehen, wissen sie mit unglaublicher Gewandtheit ihre Herrschaft zu sichern.

Eben so schüchtern und schweigsam, wie ich bei Fräulein von Maran war, eben so heiter, lärmend und despotisch war ich bei meiner Gouvernante.

Nie leistete sie gegen meinen ausschweifendsten Willen Widerstand, meine Gesundheit hätte denn dabei betheiligt sein müssen. Sie vergötterte mich, überhäufte mich mit Lobsprüchen über meine Schönheit, über meinen Geist und meine Niedlichkeit.

So verging meine Kindheit zwischen den Sarkasmen und Härten meiner Tante und den blinden Schmeicheleien der Blondeau. Mein Charakter mußte die verschiedenen Eindrücke empfinden.

Ich war wechselsweise stolz oder demüthig bis zum Uebermaß, strahlend vor Glück, oder tief niedergebeugt; ich empfand den Haß und die Liebe in einem für mein Alter unglaublichen Grade. Ich war beinahe glücklich über die Grausamkeiten meiner Tante, denn sie boten mir das Mittel, ihr zu trotzen, sie durch meine Kaltblütigkeit zu ärgern.

Sie rächte sich, indem sie mich mit unendlicher Kunst überredete, daß ich häßlich und dumm sei.

Ich hielt meine Thränen zurück, eilte zu meiner Gouvernante, und brach hier in heftiges Schluchzen aus. Um mich zu trösten, zollte die arme Frau mir die übertriebensten Lobsprüche, an die ich endlich glaubte.

Daher kommt es ohne Zweifel, daß meine Gefühle immer die Extreme berühren, daher meine Ohnmacht, später die mezzo termine anzunehmen, die im Leben so häufig sind.

Das Alter hat übrigens diese sonderbare Art, mich zu beurtheilen, nie modificirt. Statt einen verständigen Mittelweg zwischen zwei Uebertreibungen zu wählen, statt mich weder gegen Andere ganz untergeordnet, noch ihnen als weit überlegen anzusehen, lebte ich in einem beständigen Wechsel übermüthigen Vertrauens oder niederbeugenden Mißtrauens.

Die errungenen Triumphe hinderten mich eben so wenig, zuweilen lächerlich demüthig zu sein, wie die erlittenen Demüthigungen meinen Stolz bis zur Geringschätzung zu treiben.

Bei dem ersten Worte, dem ersten Blicke fühlte ich mich beherrscht, oder herrschte ich, und zwar in den gewöhnlichsten Beziehungen des Lebens. Manchen Personen, die wahrhaft gefürchtet und zu fürchten waren und vor denen die Kühnsten zitterten, imponirte ich stets vollständig, während Menschen von der größten Unbedeutendheit über mich eine unumschränkte Herrschaft gewannen.

Von meiner ersten Erziehung her sollte ich auch noch die Gewohnheit, den Willen bewahren, meinen Kummer oder meine Leiden zu verbergen und mich für das Böse, das man mir that, durch einen Schein verächtlicher Fühllosigkeit zu rächen.


Ich war noch nicht ganz sieben Jahre alt, als meine Erziehung eine völlige Veränderung erlitt. Die Ereignisse, welche diese Umwälzung herbeiführten, sind meiner Erinnerung sehr gegenwärtig geblieben.

Man hatte mich der Sorge meiner Tante auf den Rath meines Vormundes, des Barons d'Orbeval überlassen, eines ziemlich entfernten Verwandten meines Vaters, den ich sehr selten sah.

Wenn er zu Fräulein von Maran kam, ließ man mich holen; ich mußte dann die mehr als bescheidene Kleidung, die ich nach dem Willen meiner Tante für gewöhnlich trug, ablegen, man zog mich etwas besser an, und ich erschien vor meinem Vormund.

Dies war ein langer, hagerer Greis, mit einem Mardergesichte und einer blonden, sehr kraus frisirten Perrücke: er trug einen Augenschirm von grüner Seide und einen sehr abgetragenen, wattirten Ueberrock. Er war Rath am Cassationshofe und schmutzig geizig.

Wenn ich zu ihm kam, sah er mich mit strenger Miene an und fragte mich, ob ich recht artig wäre.

Meine Tante übernahm es gewöhnlich, für mich zu antworten, ich wäre eigensinnig, dumm und träge.

Mein Vormund gab mir dann einen derben Klaps auf die Wange und sagte: Ei, ei, Fräulein Mathilde, das ist schlecht, sehr schlecht. – Wenn das so fortgeht, wird man Sie in das Waisenhaus schicken müssen.

Ich brach in Thränen aus, und Blondeau führte mich fort.

Ich war meinem Vormund seit drei oder vier Monaten nicht vorgestellt worden, als eines Tags ein noch junger Mann, den ich nicht kannte, in mein Zimmer trat.

Sobald Blondeau ihn erblickte, rief sie, die Hände faltend und mit dem Ausdrucke der Ueberraschung und des Glückes: Mein Gott, mein Gott – Sie sind es, Herr von Mortagne!

Dieser nahm mich, ohne meiner Gouvernante zu antworten, in die Arme, betrachtete mich schweigend mit der lebhaftesten Theilnahme, küßte mich zärtlich, setzte mich dann wieder an die Erde und sagte, indem er sich eine Thräne trocknete: Wie sie ihr gleicht! – Wie sie ihr gleicht!

Und er versank in eine Art von Träumerei.

Das Gesicht dieses Fremden schien mir, ungeachtet der Strenge seiner Züge, so wohlwollend; er war mir so gerührt vorgekommen, indem er mich betrachtete, seine Anwesenheit schien Blondeau so viel Freude zu machen, daß ich mich ihm ohne Furcht näherte. Er war ein Vetter meiner Mutter. Seit mehreren Jahren reiste er und war eben erst nach Frankreich zurückgekehrt.

Der Graf von Mortagne galt für einen sehr sonderbaren Menschen. Er hatte unter dem Kaiserreiche gedient, und zwar sehr tapfer. Seitdem konnte man sich sein fortwährendes Nomadenleben nicht erklären. Er hatte beide Welten durchzogen. Man schrieb ihm ausgezeichnete Kenntnisse, einen eisernen Charakter, einen geprüften Muth zu; aber seine beinahe rohe Freimüthigkeit hatte ihm wenig Freunde gewonnen.

Er hatte meine Mutter wie der zärtlichste Bruder geliebt. Mehrmals hatte er daher auch getrachtet, meinem Vater den Werth des Schatzes begreiflich zu machen, den er vernachlässigte, um den ehrgeizigen Rathschlägen des Fräulein von Maran zu folgen; meine Tante hegte daher auch den tiefsten Widerwillen gegen Herrn von Mortagne; aber als ein Mitglied meines Familienrathes und als solches verpflichtet, für mein Wohl zu sorgen, befand er sich zuweilen in einem gezwungenen Verkehr mit Fräulein von Maran.

Seit vier Jahren reiste er in Indien. Sein erster Besuch, als er wieder nach Paris kam, galt mir.

Er wurde es nicht müde, mich zu betrachten, zu bewundern, zu loben. Er überhäufte Blondeau mit Fragen. War ich glücklich? Empfing ich die Erziehung, die mir zukam? Wer waren meine Lehrer? Mit sieben Jahren mußte ich schon Manches wissen, denn ich sah so klug aus! Ich müßte den empfangenen Unterricht sehr glücklich benutzt haben!

Meine arme Gouvernante wagte kaum zu antworten, Endlich gestand sie weinend die Wahrheit: daß ich das Wenige, was ich wüßte, von ihr gelernt hätte; daß Fräulein von Maran immer härter und ungerechter gegen mich würde; daß ich keine von den Freuden meines Alters hätte; und, was Blondeau besonders außer sich brachte, daß ich nie so gekleidet wäre, wie es der Tochter der Gräfin von Maran zukäme.

Bei jedem Worte meiner Gouvernante wuchs der Unwille des Herrn von Mortagne.

Er war ein Mann von hohem Wuchse und immer nachlässig gekleidet. Obgleich kaum 40 Jahre alt, war seine Stirn kahl, und nach einer Mode, die in jener Zeit höchst auffallend war, trug er einen langen Bart, wie jetzt viele Personen.

Das Barsche seines Wesens, die militärische Kühnheit seiner Worte, sein auffallendes und beinahe wildes Gesicht hatten ihm den Beinamen: »Bauer der Donau« erworben. Er gehörte, seiner Meinung nach, zu der liberalsten Partei jener Zeit, und verbarg seine Ansichten durchaus nicht, obgleich mehrere ihm wohlwollende Personen ihm zu mehr Mäßigung gerathen hatten.

Wenn er es wollte, verbarg er die beißendste Ironie unter dem Scheine unbefangener Gutmüthigkeit; aber für gewöhnlich war seine Sprache hart, derb und beinahe roh.

Als meine Gouvernante Herrn von Mortagne auseinander gesetzt hatte, wie ich durch meine Tante erzogen wurde, färbte sich das von der Sonne gebräunte Gesicht meines Cousins mit dunkler Röthe; er ging einige Augenblicke heftig auf und nieder, dann nahm er mich plötzlich auf seine Arme, und indem er nach dem Zimmer des Fräulein von Maran eilte, rief er aus:

– Ha, so behandelt sie also das Kind meiner armen Cousine? Ich will ihr zwei Worte sagen – ich – und das zwar mit meiner derben Stimme!

– Aber, Herr Graf – hüten Sie sich –, sagte meine Gouvernante, indem sie ihm erschrocken folgte.

– Sein Sie ruhig, Madame Blondeau; ich lass' mich nicht durch so eine Kleinigkeit einschüchtern. Ich habe noch schädlichere Thiere, als Fräulein von Maran ist, mit dem Fuße zertreten. Dann küßte er mich zweimal, indem er dazu ausrief: Arme Kleine, Dein Loos soll sich ändern!

Nie werde ich die Freude vergessen, welche ich empfand, als ich errieth, daß mein Beschützer mich für die Bosheit meiner Tante rächen wollte.

In meinem Entzücken, meiner Dankbarkeit schlang ich meine Arme um den Hals des Herrn von Mortagne, und indem ich ihm einen sehr wichtigen Dienst zu leisten glaubte, flüsterte ich ihm zu: Nicht blos meine Tante ist boshaft, mein Herr, sondern auch ihr Hund Felix; vor dem müssen Sie sich hüten, denn er beißt bis auf das Blut.

– Wenn er mich beißt, meine kleine Mathilde, so werfe ich ihn zum Fenster hinaus, sagte Herr von Mortagne, indem er mich nochmals küßte.

Herr von Mortagne erschien mir als ein Held, und zum ersten Male fühlte ich die Gluth der Rachgier.

Servien war seiner Gewohnheit nach in dem Vorgemache, an welches das Schlafzimmer seiner Gebieterin stieß.

Herr von Mortagne, dem die Blondeau folgte, wollte die Thüre öffnen; der Haushofmeister stand auf und sagte:

– Ich weiß nicht, mein Herr, ob das gnädige Fräulein sichtbar ist.

Ohne ihm zu antworten, stieß Herr von Mortagne ihn mit dem Elnbogen zurück und trat zu meiner Tante ein.

Ihrer Gewohnheit nach saß sie im braunen Mantel und Hut im Bett und las ihre Zeitungen.

Der Eintritt des Herrn von Mortagne war so heftig, so lärmend, daß Felix aus seinem Korbe fuhr und entschlossen die Beine meines Beschützers angriff.

– Hüten Sie sich, hüten Sie sich, da ist der boshafte Hund! sagte ich ihm ganz leise.

– Das für ihn! Und mein Rächer versetzte Felix einen Fußtritt, daß er unter das Bett rollte.

Auf das Geheul ihres Lieblings rief meine Tante, die durch den Eintritt des Herrn von Mortagne, den sie verabscheute, schon sehr gereizt war, mit kreischendem Tone: Aber, mein Herr, das hat keinen Namen! – Was soll das heißen? – Bei mir einzutreten, als liefen Sie Sturm! – Meinen Hund mit dem Fuße zu stoßen! – Glauben Sie noch in Ihrer Kaserne zu sein?

Herr von Mortagne hat mir seitdem diesen Auftritt oft erzählt.

Ohne Umstände nahm er neben dem Bette des Fräulein von Maran Platz, und antwortete, mich fortdauernd auf seinen Knien haltend:

– Mein Fräulein, es ist hier weder die Rede von einem Hunde, noch von einem Sturme; es handelt sich um dieses unglückliche Kind, das Sie wie eine böse Stiefmutter erziehen.

– Was ist das? Was ist das? antwortete meine Tante mit hochmüthigem Tone. Sind Sie denn nur von den Antipoden zurückgekehrt, mein Herr, um mir solche Unverschämtheiten zu sagen? Wenn Sie aussehen wie ein garstiger Wilder, und einen wohlverdienten Ruf der Grobheit haben, so folgt daraus noch nicht, daß ich mich in meinem Hause beleidigen und einschüchtern lasse. Verstehen Sie mich, mein Herr?

– Und weil Sie, mein Fräulein, das Glück haben, die Häßlichkeit und Bosheit des verstorbenen Herzogs von Gesvres mit der Mißgestalt und dem Geiste Aesops zu verbinden, so folgt daraus ebenso wenig, daß ich Ihre Unverschämtheiten dulden muß. Verstehen Sie mich, mein Fräulein? erwiederte Herr von Mortagne, welcher dem Fräulein von Maran stets Grobheit mit Grobheit vergolten hatte.

Meine Tante erblaßte vor Wuth und rief: Mein Herr sehen Sie sich vor; wenn ich hasse, hasse ich recht, und wen ich hasse, dem beweise ich es auch.

– Ich weiß, daß Sie mächtige Freunde und gefährliche Kreaturen haben; aber ich bedarf Niemand, ich fürchte Niemand – und ich werde Ihnen daher die Wahrheit sagen. Um so schlimmer, wenn Sie sich dadurch verletzt fühlen; ich habe sie ganz Anderen gesagt, die nicht davon gestorben sind – unglücklicherweise. Mit einem Worte: dies Kind wird unwürdig behandelt; seine Erziehung ist so sehr vernachlässigt, daß ich in Ihrer Seele darüber erröthe. Schämen Sie sich denn nicht, so die Tochter Ihres Bruders zu behandeln?

Diese Worte erweckten zugleich die Liebe meiner Tante für meinen Vater und ihren Haß gegen meine Mutter.

Sie rief aus: Und eben weil das Andenken meines Bruders mir heilig ist, behandle ich diese Kleine, wie es sich geziemt. Sie ist mir anvertraut, und ich bin nur ihrem Vormund für sie verantwortlich; also, mein Herr, bringen Sie Ihre Beleidigungen anderwärts an; was hier geschieht, kümmert Sie nicht.

– Das kümmert mich so sehr, daß ich, als Mitglied des Familienrathes, dessen Zusammenberufung noch heute verlangen werde; und man soll prüfen, ob Ihre Nichte bisher die Erziehung genossen hat, auf die sie Anspruch machen darf.

Diese Drohung schien einen ziemlich lebhaften Eindruck auf Fräulein von Maran zu machen.

– Komm her, Kleine, und antworte, sagte meine Tante, indem sie mir ein Zeichen gab, mich zu nähern.

Statt zu gehorchen, preßte ich mich an Herrn von Mortagne, indem ich ihn mit flehendem Blicke ansah.

– Sie sehen wohl, daß Sie mit Ihrer Zärtlichkeit eine entsetzliche Furcht einflößen, sagte Herr von Mortagne. Nicht dieses Kind soll antworten. Sie sollen es. Die Kleine hat keinen Lehrer! Sie weiß kaum, was die Kinder des gemeinen Volkes in ihrem Alter wissen! Sie versagen ihr sogar die für ihren Rang sich ziemenden Kleider. Gleichwohl bezahlt man Sie theuer genug, um für die Kleine zu sorgen.

– Was soll das heißen? Man bezahlt mich! rief meine Tante voll Unwillen.

– Das soll heißen, daß man Ihnen tausend Francs monatlich von dem Vermögen der armen Kleinen giebt, um die Ausgaben derselben zu bestreiten; und wenn man sieht, wie sie gekleidet und unterrichtet wird, ist es klar, daß Sie nicht hundert Louisd'or jährlich für sie ausgeben. Was machen Sie mit dem Uebrigen? Haben Sie es in die Tasche gesteckt, so müssen Sie Rechnung davon ablegen. Sein Sie übrigens ruhig – ich werde darüber wachen. Wenn Sie sehr boshaft sind, so ist das kein Grund, daß Sie nicht auch sehr geizig sein können!

– Aber das überschreitet alle Grenzen. Wüßte man nicht, daß Sie mehr als halbverrückt sind, mein Herr, so müßte man Sie zum Fenster hinauswerfen lassen! Habe ich Ihnen Rechnung abzulegen? Was bedeutet diese unverschämte Inquisition? fragte Fräulein von Maran, indem sie sich aus ihrem Bette in die Höhe richtete.

– Ich sage Ihnen, daß ich der Verwandte, der Rathgeber des Kindes bin, verstehen Sie mich? antwortete Herr von Mortagne mit donnernder Stimme, und als solcher werde ich Sie vor die Familienversammlung fordern, um über Ihr Benehmen Rechenschaft zu geben! Läßt man mir gegen Sie keine Gerechtigkeit widerfahren, so werde ich sie mir selbst nehmen – und wir sehen uns unter vier Augen – was für mich freilich nicht angenehm sein wird. – Hören Sie, Sie sind ein Ungeheuer.

– Ha, der abscheuliche Mensch! Er wird mich mit seinen Brutalitäten noch krank machen! – So eine unglückliche Frau zu behandeln! sagte meine Tante mit kläglicher Stimme.

– Ach, mein Fräulein, seit langer Zeit schon haben Sie durch die Keckheit Ihrer Angriffe und die Bosheit Ihrer Aeußerungen das Mitleid vergessen gemacht, welches man für das Alter, die Häßlichkeit und die Mißgestalt haben muß. – Nein, Sie sind kein Weib mehr!

– Was? ich bin kein Frauenzimmer? Was bin ich denn? Ein Einhorn vielleicht? Aber man sollte Sie einsperren lassen! – Entfernen Sie sich; entfernen Sie sich! Ich will vor meinen Leuten kein Aufsehen machen – sonst –

– Sonst, mein Fräulein, bliebe sich die Sache gleich, Sie gewännen dadurch nur einige Zeugen. Hier mein letztes Wort. Ich begebe mich zu sämmtlichen Mitgliedern des Familienrathes, um sie aufzufordern (und das wird mir gelingen), das unglückliche Kind Ihnen abzunehmen und es in eine Pension oder in ein Kloster zu bringen.

– Und um das schöne Werk zu vollenden, erwiederte Fräulein von Maran mit ironischem Tone, wird man Sie, mein Herr, ohne Zweifel beauftragen, das Kloster zu wählen! Schade, daß es keine Jacobinerinnen giebt; dahin ließen Sie die Kleine sogleich bringen, nicht wahr? Zur Erinnerung an Ihre Freunde und Brüder von 93 würden Sie sie Mamsell Scipione oder Mamsell Egalité nennen; was sage ich denn, Mamsell – Bürgerin, wenn es Ihnen gefällig ist. – Unglücklicherweise sind jene schönen Zeiten vorüber – und in unsern Tagen fordert man in Allem und für Alles Rechenschaft, mein Herr; man fordert streng Rechenschaft, verstehen Sie, von der Denkungsart der Personen, welche ihre Meinungen gegen die anderer – sehr wohldenkender Personen geltend machen wollen.

Fräulein von Maran betonte diese letzten Worte so sehr, daß Herr von Mortagne den Sinn derselben erkannte.

– Da wären wir ja! rief er. Ich wunderte mich sehr, daß Sie mich nicht längst Jacobiner oder Bonapartist nannten, was übrigens nicht zusammen paßt. – Ich weiß, daß Sie boshaft genug sind, um mir in dem Familienrathe, in Beziehung auf meine Forderung, eine Parteifrage zu erwecken. Ich weiß, daß Ihre Ultraverwandten in großer Menge darin vorhanden sind. Ich weiß, daß sie Ihrer Meinung blindlings folgen, und es ist möglich, daß sie bei dieser Gelegenheit, wie bei jeder andern, einen verbrecherischen Gebrauch von ihrer Majorität machen! Und indem Herr von Mortagne mich mit Zärtlichkeit umarmte, sagte er traurig:

– Armes Kind! Armes Frankreich!

– Ach, mein Gott, wie herrlich und rührend zugleich das ist! rief meine Tante und brach in ein schneidendes und beleidigendes Gelächter aus. Mein Gott, man sehe doch die herrliche Zusammenstellung! Armes Kind! Armes Frankreich! Der zärtliche St. Just sagte solche hübsche Schäfersprüche im Club der Cordeliers, glaube ich, was ihn nicht abhielt, Einem am nächsten Tage den Kopf abschlagen zu lassen. Ja, ja, an Ihrem Zorne sehe ich wohl, mein Herr, daß Sie mich, wenn es von Ihnen abhinge, so behandeln würden, wie jene armen Brüder und Freunde. Denn in der That waren Sie, Ihrer Geburt ungeachtet, würdig, Einer der ihrigen zu sein; Sie gehörten ja zu den Herren von der Loire.

Herr von Mortagne hat mir später gestanden, daß die kalten und grausamen Sarkasmen meiner Tante ihn außer sich gebracht hätten und daß er sich Vorwürfe darüber machte, ihr rauh geantwortet zu haben: Es ist wahr! Wenn ich daran denke, daß Sie meine Cousine Maran durch Kummer getödtet haben, wenn ich daran denke, daß Sie ein armes Kind mit teuflischer Bosheit martern, frage ich mich, ob man nicht außer dem Gesetz erklären sollte, was außer der physischen und moralischen Natur liegt?

– Genug Beleidigungen jetzt! Gehen Sie! Hinaus, mein Herr! rief Fräulein von Maran mit einem solchen Ausdrucke des Zornes, daß ich mich mit der flehenden Bitte, mich nicht bei meiner Tante zu lassen, fest an Herrn von Mortagne klammerte, als er aufstand und mich niedersetzen wollte.

Er legte mich in die Arme meiner Gouvernante, welche eine stumme und ungesehene Zeugin dieses Auftrittes gewesen war.

Wir gingen alle Drei; Fräulein von Maran blieb in einem schwer zu beschreibenden Zorne zurück.



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