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XXII.
Das Geständniß

Sie begreifen, mein Freund, wie tief und grausam die Demüthigung Ursula's sein mußte. Sie hatte nicht nur durch die Gemeinheit ihres Mannes gelitten, sondern auch durch die Enthüllung der lächerlich-vertraulichen Ausdrücke, deren sie sich schon wenige Tage nach ihrer Heirath gegen einander bedienten.

Fräulein von Maran hatte mehr erreicht, als sie selbst wünschte; ihre heuchlerische Gutmüthigkeit machte Ursula's Mann vertraulich und zeigte ihn in einem beinahe verschrobenen Lichte; der Zufall that das Uebrige.

Ich glaube, daß ich jetzt, ohne den Ereignissen zu sehr voranzueilen, Sie, mein Freund, darauf aufmerksam machen kann, daß Fräulein von Maran seit meiner Kindheit nur den einen Gedanken hatte, die Eifersucht und den Neid Ursula's gegen mich rege zu machen; sie wollte mir früher oder später aus der, die ich mit der aufrichtigsten Zärtlichkeit liebte, eine unversöhnliche Feindin machen.

Als ich Kind war, hatte sie meinen Verstand, meinen Geist über den Ursula's gesetzt; als junges Mädchen waren es meine Schönheit und mein Vermögen, die meine Cousine gänzlich verdunkeln mußten, endlich hatte sie sich noch angelegen sein lassen, indirect das vornehme Wesen, die Eleganz, die Stellung, die Geburt Gontran's, den ich heirathen sollte, hervorzuheben, indem sie mit einer wahrhaft höllischen Bosheit Herrn Sécherin, den Gatten Ursula's, zu freimüthigen Aeußerungen veranlaßte.

Ach, mein Freund, ich glaube wohl, daß meine Cousine ohne das beständige Drängen meiner Tante meine Lage und die ihrige nicht so oft voll Bitterkeit verglichen haben würde; sie hätte mir einige Vortheile dann nicht beneidet, und wir hätten ohne Nebenbuhlerschaft, ohne Eifersucht miteinander leben können. Ich werde stets glauben, daß das Herz Ursula's ursprünglich gut und großmüthig war; nur die Aeußerungen meiner Tante haben die Leiden veranlaßt, die sie mir später zufügte. – Ich ging also mit Ursula auf mein Zimmer. Ich hatte das vollste, das blindeste Vertrauen zu ihrer Aufrichtigkeit. Ich sah in ihr ein Opfer; ich erinnerte mich an den trüben, seufzerreichen Brief, den sie mir geschrieben hatte; ich suchte mir daher auch vergebens die sonderbare Vertraulichkeit ihrer Ausdrücke gegen ihren Mann zwei oder drei Tage nach dieser verzweiflungsvollen Heirath, welche Gedanken des Selbstmordes in ihr erweckte, zu erklären.

Hatte ich Ursula nur einen Augenblick im Verdacht der Falschheit gehabt, hätte ich sie für fähig gehalten, diese Heirath, wo nicht mit Vergnügen, doch aus Berechnung geschlossen zu haben, so hätte ich den sonderbaren Widerspruch begriffen, der zwischen den Worten meiner Cousine und ihrem Briefe stattfand; aber ich wiederhole noch einmal, daß ich ein unbedingtes Vertrauen in sie setzte, und ich erwartete daher voll ängstlicher Spannung die Erklärung dieses Geheimnisses.

Als Ursula bei mir eintrat, sank sie auf einen Sessel, sie verbarg ihren Kopf in beide Hände, ohne ein Wort zu sprechen.

– Ursula, theure Freundin, liebe Schwester! sagte ich, indem ich vor ihr niederkniete und ihre beiden Hände in die meinigen nahm.

– Laß mich – laß mich! sagte sie, indem sie sich von mir loszumachen suchte und durch ihre Thränen voll Bitterkeit lächelte. Wozu diese Worte der Zärtlichkeit? – Du denkst nicht so – Du kannst nicht mehr so denken.

– Ach, Ursula – das ist grausam; was hab' ich Dir gethan – was hab' ich Dir gesagt? Weshalb, o mein Gott, empfängst Du mich nach einer langen Abwesenheit so?

– Mathilde, ich klage Dein Herz nicht an – es ist gut und edel – aber eben, weil es edel ist, verabscheut es jede Lüge und Falschheit. Also laß mich – laß mich! Halte Dich nicht zu dem Scheine verpflichtet, als liebtest Du mich noch.

– Ursula – wer sagt Dir –?

– Weiß ich etwa nicht, daß Du mich verachtest, rief die unglückliche Frau, indem sie in Thränen ausbrach. Dann stand sie auf und ging zu dem Fenster, um ihre Thränen zu trocknen.

Ich war starr vor Staunen und begriff nichts von dem, was Ursula mir sagte. Ich eilte zu ihr.

– Aber, um des Himmels willen, erkläre Dich; was willst Du sagen? Weshalb soll ich Dich denn verachten?

– Weshalb? Mathilde, kannst Du das noch fragen? Wie! Vor vierzehn Tagen schreibe ich Dir einen verzweiflungsvollen Brief, einen Brief, der Dir den fürchterlichsten Zustand meines Herzens schildert. Du wirst gerührt durch meine Verzweiflung – Du beklagst Deine Freundin – Du weinst über ihre Aufopferung, über ihre verlorenen Illusionen – und so eben hörst Du, daß diese Frau, welche einen Augenblick lang keine andere Zuflucht vor sich gesehen hatte, als den Tod, um dieser verhaßten Heirath zu entgehen, daß diese Frau drei Tage nach dieser verabscheuten Heirath an ihren Mann die lächerlichsten vertrauten Namen verschwendet. – Noch ein Mal, Mathilde, ich sage Dir, daß Du mich verachtest, – oder Du verhehlst dies Gefühl, und ich flöße Dir Mitleid ein. – Aber Mitleid – verlang' ich nicht – lieber Verachtung, lieber Haß – lieber Gleichgültigkeit – doch Mitleid – o nein, nie, nie!

Ursula preßte ihr Taschentuch auf den Mund und erstickte das Schluchzen, das sie nicht zu unterdrücken vermochte.

– Aber Du bist wahnsinnig, Ursula! Du denkst nicht so, wie Du sprichst – Erinnere Dich doch meines Briefes! Fühle ich nicht Deine Thränen über meine Wangen rinnen? sagte ich, indem ich sie umarmte. Sehe ich nicht, daß Du sehr unglücklich bist? Und was kümmert mich übrigens eine Lüge Deines Mannes?

– Eine Lüge? – Nein, es ist keine Lüge, Mathilde. – Nein, diese so lächerlich-vertraulichen Worte – ich habe sie gesprochen – hörst Du – ich habe sie gesprochen.

– Du hast sie gesprochen, Ursula?

– Ja, ja. – Laß mich also. – Du siehst ja wohl – ich bin das heuchlerischste – das falscheste Geschöpf von der Welt. – Ich heuchle Verzweiflung, um mich beklagen zu lassen, während ich im Grunde über diese Heirath entzückt bin. – Mein Mann ist so reich – o Schmach! o Nichtswürdigkeit!

Und Ursula drückte beide Hände gewaltsam gegen ihre Stirn.

– Nein – es ist keine Schmach, keine Nichtswürdigkeit dabei! rief ich aus. Es liegt darin ein Geheimniß, das ich nicht erfasse. Was gehen mich übrigens einige gesprochene Worte an? Du leidest, Du weinst! – Nun wohl, so will ich mit Dir leiden, mit Dir weinen. – Sieh meine Thränen, meine Schwester – fühle, wie mein Herz klopft. – Und jetzt sage – glaubst Du, daß das Verachtung, daß es mitleidiges Bedauern ist?

– Nun wohl, nein, nein, ich glaube Dir, Mathilde. Verzeihung, o Verzeihung, daß ich einen Augenblick an Deinem Herzen zweifeln konnte. Aber ich hatte – aber ich muß so viele Vorurtheile in Deinem Geiste zerstören.

– Keines, sage ich Dir.

– Nun, so höre mich, liebe zärtliche Schwester. Deine Thränen, Deine Betrübniß entreißen mir mein Geheimniß. – So eben noch wollte ich Dir nichts sagen. – Ich wollte Dich nicht wieder sehen – denn bei Dir leben und von Dir für falsch gehalten zu werden –! das schien mir unmöglich.

– Arme Ursula! Nun, laß hören, verdiene ich Dein Vertrauen nicht?

– Doch, o doch! – Mein Gott, Du allein! – So höre denn. – Diese Heirath flößte mir eine solche Verzweiflung ein, daß ich bis zum letzten Augenblick unwillkührlich glaubte, sie müßte durch irgend ein Ereigniß gehindert werden. Ja, ich glich den Verurteilten, welche wissen, daß sie sterben müssen, daß es für sie keine Gnade giebt, und welche sich dennoch nicht enthalten können, diese für sie unmögliche Gnade zu hoffen. Es war ein letzter Instinkt des Glückes, der sich in mir empörte!

– Ursula – Ursula! – Was Du da sagst, ist entsetzlich. O, mein Gott, wie viel hast Du leiden müssen!

– Ich gehorchte meinem Vater – ich wollte es Dir unmöglich machen, das großmüthige Opfer zu vollziehen, welches Du mir angeboten hattest. Die Verbindung wurde geschlossen, und als mein Loos unwiderruflich festgestellt war, blieb mir nur zweierlei übrig: der Tod –

– Ursula – Ursula! Sprich nicht so – Du flößest mir Entsetzen ein!

– Der Tod, oder ein für alle Zeiten unglückliches Leben. Einen Augenblick war ich niedergeschmettert durch diesen Schlag der verhängnißvollen Zukunft! Ehe ich mich aber der Verzweiflung ganz überließ, fragte ich mich, was an dem Widerwillen Schuld sei, den mein Mann mir einflößte. Ich sagte mir, es sei die Gemeinheit seines Wesens, seine mangelhafte Erziehung, denn sein Herz ist gut, glaube ich.

– Ach, ohne Zweifel, Ursula; glaube das; er ist großmüthig, er ist gut. Hast Du nicht gesehen, mit welchem Gefühle er von den Wohlthaten des Herrn von Rochegune sprach? Mein Gott, seine Sprache und sein Benehmen werden sich schon nach der Welt bilden.

– Nun wohl, ich sagte mir also: diese gemeine Sprache verletzt mich – diese fast rohen Vertraulichkeiten empören mich. – Mein Leben muß ich künftig in der Gesellschaft dieses Menschen hinbringen; ich muß auf alle meine Mädchengedanken verzichten. In Zukunft habe ich ein ganz anderes Leben zu führen. –Muth – Alles ist vorbei, Alles!!! Und Thränen erstickten Ursula's Stimme. – Nur das natürliche Zartgefühl meiner Gewohnheiten, fuhr sie nach einer Pause fort, meiner Neigungen macht mich so unglücklich. Nun wohl; da ich meinen Mann nicht bis zu mir erheben kann, will ich mich bis zu ihm herablassen. – Ja, diese Sprache, die mich empörte, will ich reden, dieses Benehmen, bei dem ich vor Widerwillen erbebte, will ich nachahmen. – Mathilde – das habe ich gethan; ich habe diesem Menschen geschmeichelt, wie er geschmeichelt sein wollte. Ich habe mich gestellt, ihn zu lieben, wie er geliebt sein wollte. – Seine lächerlich-vertraulichen Ausdrücke habe ich wiederholt, indem ich vor Demüthigung und Scham erröthete. – O, Schwester, Schwester – Du wirst nie erfahren – niemals, was ich während der acht Prüfungstage, die ich mir gestellt hatte, litt! – Du wirst nie das entsetzliche Gefühl kennen lernen, das in dieser Selbstentwürdigung, in dieser Lüge der Lippen, gegen die das Herz sich empört, liegt! O, wie viele Thränen vergoß ich im Stillen, wahrend ich' diese traurige und bittere Komödie spielte! – Aber siehst Du, jetzt kann ich es nicht mehr – ich leide zu sehr. – Nein, ich kann nicht mehr! – Ach, lieber ein tausendfacher Tod, als daß ich fortfahren möchte, mich so zu erniedrigen, so zu lügen!

Ursula's Ton war so herzzerreißend, so verzweiflungsvoll, ihr Wesen so verwirrt, ihre Züge so entstellt, daß sie mich erschreckte. Nun verstand ich ihr Benehmen; nun wurde ich ergriffen durch den Muth, der erforderlich gewesen war, das, was sie versucht hatte, nur zu unternehmen.

– Beruhige Dich, Schwester, sagte ich; beruhige Dich und höre meine Rathschläge. Du täuschest Dich, glaube ich, wenn Du es für nothwendig hältst, Dich auf gleiche Höhe zu Deinem Manne herabzulassen; sein Herz ist großmüthig; er liebt Dich bis zur Vergötterung; versuche also vielmehr, ihn bis zu Dir zu erheben. – Hast Du nicht so eben gesehen, mit welchem Eifer er die Zurechtweisungen des Fräulein von Maran aufnahm? Urtheile daraus, wie groß die Gewalt der Deinigen über ihn sein würde. – Ursula, liebe Schwester, denke daran. – Ohne Zweifel hätte ich eine andere Verbindung für Dich gewünscht, aber diese ist nun einmal geschlossen, also weise die Möglichkeiten des Glückes, die sie Dir bietet, nicht zurück.

– Des Glückes, Mathilde? – Des Glückes für mich? – O, niemals!

– Doch, doch des Glückes. – Dein Mann ist gut, freimüthig, offen; – er ist reich; – er liebt Dich. – Sein Gesicht ist nicht sehr hübsch; seinem Wesen, seiner Sprache mangelt es an Eleganz; mag sein – aber ist denn das unabänderlich? Mein Gott, das lernt sich so schnell; das Beispiel thut dabei Alles. Und Du wirst für ihn ein so reizend zu befolgendes Beispiel sein. – Und dann, sollen wir Dir vielleicht dabei helfen? – Ja, um Dir diese Erziehung leichter zu machen, sollen Gontran und ich diesen Sommer einige Zeit bei Dir zubringen? Wenn Du noch kein Haus in Paris nehmen willst, so komm zu uns. Wir haben heute ein Haus angesehen, welches groß genug ist, um Dir eine Wohnung darin anbieten zu können. Nun, was sagst Du zu meinem Plane?

– Ich sage, daß Du stets die beste Freundin, die zärtlichste Schwester bist, sagte Ursula, indem sie mich voll Innigkeit umarmte. Ich sage, daß ich bei Dir mein Unglück vergesse und daß Du die Gabe besitzest, in mir die Hoffnung neu zu beleben. Aber ach, Mathilde, jetzt wird es mir schwer, mir eine Illusion zu machen.

– Ich verlange nicht, daß Du Dir eine Illusion machen sollst; ich verlange von Dir nur, an die Wirklichkeiten zu glauben. – Du wirst sehen, wie Deine Liebe zu Deinem Manne ihn binnen einem Jahre umgewandelt haben wird!

– Aber sieh, wie egoistisch der Kummer macht, sagte Ursula; ich spreche nicht mit Dir von Deinem Glücke, und Du mußt doch so glücklich sein!

– Ach, ja wohl, und jetzt besonders, da Du hier bist, um mein Glück zu theilen. – Sieh, Ursula, wenn ich Dich ohne Kummer wüßte, so könnte kein Glück dem meinigen gleichkommen. Gontran ist so gut, so ergebungsvoll! Er ist ein so edles Herz, ein so erhabener Charakter! Und dann versteht er mich so gut. – Ja, ich fühle es hier, an der Sicherheit meines Herzens, daß dies ein Glück für das ganze Leben ist. Er flößt mir ein unwandelbares Vertrauen ein; der Tod allein könnte es trüben. Doch nein, nein – wenn man sich so liebt – wenn man so glücklich ist, wie ich es bin, dann überlebt man nicht, dann stirbt man zuerst. – Nein, nichts auf der Welt könnte mir die Ueberzeugung rauben, daß ich die glücklichste aller Frauen sein werde und daß dieses Glück so lange dauern wird wie mein Leben, oder vielmehr wie das Leben Gontran's.


Noch jetzt, mein Freund, erinnere ich mich daran, daß der Glaube an eine glückliche Zukunft unbedingt war, so grausam auch die Ahnungen meines Herzens getäuscht worden sind.


Acht Tage nach der Ankunft Ursula's sollte unsere ganze Familie sich Abends zur Unterzeichnung meines Ehecontracts mit Herrn von Lancry versammeln.

Fräulein von Maran hatte es von dem Maire unsers Arrondissements erlangt, daß unsere Verbindung Abends nach dieser Ceremonie geschlossen würde, um den Zudrang der Neugierigen zu vermeiden.



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