Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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135 IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

In dem Augenblicke, wo im Deutschen Reichstage unsere Kolonialpolitik auf der Tagesordnung stand und mit aller der parlamentarischen Debatte zu Gebote stehenden Heftigkeit in Berathung gezogen wurde, ließen Sie uns ohne einen Bericht, indem Sie die von Ihnen eröffnete Artikel-Reihe plötzlich unterbrachen. Sie müssen aber wissen, daß das Publikum bei dem gänzlichen Mangel an orientirenden Nachrichten besonders eifrig nach authentischen oder doch so thuenden Berichten sucht, und es ist daher doppelt unverantwortlich, daß Sie erst unsere Mahnung fortzufahren abwarten. Jetzt bitten wir Sie also recht sehr, 136 sofort nach Empfang dieser Zeilen wieder an die Arbeit zu gehen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 8. Februar l889.

Selten oder noch seltener ist mir das Loos, welches der Sklave gezogen hat, deutlicher in die Kollekte meines Bewußtseins gefallen, als durch Ihr werthes Schreiben, welches soeben und ich darf wohl sagen schön bei mir ankommt. »Berichte, Sklave!« das las ich zwischen Ihren freundlichen Zeilen, »setze Dich an's Pult, denn Du bist unser Schreibeigener!« Ich kam mir fast schwarz vor und wenig fehlte, so hätte ich mein bescheidenes Zimmer für Onkel Tom's Hütte gehalten. Läßt denn, so fragte ich mich, auch die Katze mit den neun Schwänzen das Mausen nicht? Haben denn die Menschen vergessen, wie Schiller gesungen hat, daß der Mensch, und sei er in Mantua geboren, frei geschaffen ist? Hat Toussaint L'Ouverture in dem theuren San Domingo umsonst gelebt?

Ich bitte Sie, sich diese Fragen hinter's ad notam zu 137 schreiben, während ich mich niedersetze und den mir befohlenen Bericht auf's Papier werfe. Aber ich thue dies nur, weil ich mit Vergnügen gelesen habe, wie alle Mitglieder des Reichstags, welche in der ostafrikanischen Debatte das Pult ergriffen haben, darauf bestanden, daß die Ostküster, also die Bewohner unserer Kolonien, mit der allerschärfsten Milde behandelt werden sollen. Mir lief das Wasser im Ohr zusammen, als ich diese Reden lesend hörte. Ja, nur durch Milde macht man Eroberungen. Wer mit den Menschen nicht fortwährend auf einem allzu straff gespannten Bogen leben will, muß ihnen, wie den Weibern, zart entgegen- oder nachgehen. Wer mit der Thür in den Wald hineinschreit, hört es eben so herausschallen. Wenn nicht das Herz, so gebietet doch schon – verzeihen Sie das harte Wort! – die Klugheit, milde zu sein. Besonders wenn man sich die Hinterbeine eines feindlichen Volks geneigt machen will, soll man keine Mutter der Weisheit sparen und keine, auch nicht die mühevollsten Rosinen scheuen, um die doch nun einmal unvermeidliche Pille erträglich zu machen. Wer auch nur ein einziges Mal Don Carlos gesehen hat, wird wissen, was Marquis Posa zu dessen Vater von den verbrannten menschlichen Niederländern sagt, auf die er bei einem Gang quer durch die flandrischen Provinzen gestoßen. König Philipp – das Wort Vielliebchen kommt gewiß nicht von ihm her – lieh dem edlen Mann auch nicht ein einziges Ohr, nannte ihn einen sonderbaren Schwärmer und ließ die grausamste spanische Fliege, Alba, nach Flandern ziehen. Die Folge war, daß Spanien Flandern zwar gebunden hat, aber an's Bein.

Aehnliche und unähnliche Betrachtungen veranlaßten mich, Ihnen trotz Ihrer kategorischen Imperativkarte einen vierten ostafrikanischen Bericht zu senden. Ganz werden Sie mich erst nach dem Folgenden begreifen. Wenn ich Ihnen mit heiserer Feder zuschreien würde: »Donner und Doria, schicken Sie mir auf der Stelle 30 Mark Vorschuß!« thäten Sie es? Gewiß nicht, denn das ist die Sprache des Sklavenhändlers en gros et en détail. Nun aber spreche ich sanft wie Taube mit Mondschein: »Bitte, senden Sie mir gefälligst 50 Mark Vorschuß.« Und morgen trifft er bei mir ein. Nicht?

* * *

Sansibar, den 2. Februar 1889.

W. Das ganze Gebiet der Ostküste ist in freudiger Bewegung. Die Blätter aus Deutschland erscheinen wie mit Oel geschrieben, denn sie melden, daß mit Schonung und Milde vorgegangen werden soll. Die schwärzesten Araber erinnern sich nicht, jemals schönere Berichte aus dem Deutschen Reichstag gelesen zu haben, und sie vergießen die farbigsten Thränen der Rührung, wenn sie davon sprechen. Das zweite Wort aller ist Hauptmann Wißmann. Ueberall stehen Araber in festlicher Halbnacktheit am Strand und blicken nach Wißmann hinaus in die Wellen des brausenden Meeres, denn sie sehen in ihm den Mann mit dem 139 Palmenzweig, und sie fühlen im Geiste, soweit sie einen solchen haben, die Posaunenstöße des Friedens, seit sie wissen, daß milde vorgegangen werden soll.

Ich freue mich darüber. Denn ein Volk, welches ein anderes erobern will, darf nicht hart sein wie ein Bleistift Nr. 4, mit dem sich kein Gebild gestalten läßt. Ich habe mit einem Stift Nr. 2 etliche Bilder entworfen, um zu zeigen, wie die Ostafrikaner, ja wie alle Völker zu gewinnen sind. Man muß den halb- oder dreiviertelwilden Araber, den und dessen Land man einnehmen will,

auf Händen tragen, oder doch jedenfalls alles thun,

was man 140 ihm an den Augen absehen kann, jedenfalls soll man ihn,

wenn man ihn überhaupt anfaßt, nicht rauh, sondern mit Glacéhandschuhen anfassen.

141 Das aber hat die ostafrikanische Gesellschaft, die hier seit ein paar Jahren stattfindet, nicht recht verstanden. Sie behandeln den Schwarzen, als sei derselbe nicht wie der Weiße ein Storchgeborener und überhaupt kein Mensch. Ihre Beamten ließen das Bambusrohr auf seinem Rücken tanzen, auch wenn gar keine Veranlassung zum Tanzen vorlag, und warfen ihn in's Wasser, wo es am kältesten war. Pindar singt freilich, das Wasser sei das Hydorste, aber ganz gewiß hat er damit nicht ausdrücken wollen, daß ein in's Wasser geworfener Mensch ein guter Bürger wird. Im Gegentheil, ein solcher Mensch sagt: Wasser kann nur mit Blut abgewaschen werden, und dann fängt er an, wie ein Hund zu rebellen. Wir haben gesehen, was die Engländer in Indien, was die Franzosen in Algier nicht erreicht haben, sie schal- und walteten in den Provinzen nicht mit Milde, lebten daher mit denselben in dicker Feindschaft und schufen damit eine offene Wunde, über welche sich die anderen Nationen freuten. Natürlich: Si duo faciunt idem, tertius gaudet.

Es war daher sehr klug, daß das Deutsche Reich bei Zeiten zum Wißmann griff. Es hat damit den Vogel abgeschossen, d. h. den rothen Hahn, den die ostafrikanische Gesellschaft der Colonie auf's Dach gesetzt hatte. Daher die Freude der Araber, welche nun wissen, was die Sonnenuhr – eine andere Glocke kennt man hier nicht – geschlagen hat, und so erwartet man den Genannten mit unbeschreiblicher 142 Sehnsucht. Er wird die Wogen des Aufstandes nicht wie Xerxes durchbläuen, sondern, ein umgekehrter Geßler, das gährende Drachengift in die Milch der frommen Denkart verwandeln.

 

 


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