Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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94 Die französische Mobilerei.

Herrn Wippchen in Bernau.

Hoffentlich haben Sie endlich den Entschluß gefaßt, Ihre Sommerferien zu beschließen, und wir finden Sie bereit, die Arbeit wieder aufzunehmen. Ihre Erholung fiel ja zum Glück in eine Zeit, in der es keinen Krieg gab, wenigstens keinen nennenswerthen, nun aber bitten wir Sie, wieder von sich hören zu lassen. Hierzu finden Sie in der Mobilmachungsprobe, auf die sich Frankreich stellt, den besten Anlaß. Senden Sie uns sofort einen Bericht, aber nicht ohne denselben mit Ihren Ansichten über den Werth dieses militärischen Unternehmens auszustatten. Die Correspondenten aller europäischen Blätter, speziell solche, die von militärischen Dingen nichts 95 verstehen, geben ihr Urtheil über den Werth der Probemobilisirung kund, und wir möchten nicht zurückstehen.

Wir erwarten Ihren Bericht.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 7. September 1887.

Der Sommer liegt in den letzten Extrazügen, der Bäume Urlaub geht zu Ende. Mutter Grün wird gelb, Rebhuhn und -laus (sprich: Phylloxera) kommen auf die Tafel des Feinschmeckers und bringen die Weinbauern zur Verzweiflung, und wo sonst die Mücken ihr Tänzchen machten, fliegt das junge Volk der Schnitter dahin, während der kornbeladene Wagen schwer hereinschwankt, als habe er in dem Kränzchen, das nun auf den Garben liegt, zu tief in's Glas geschaut. Ja, der Herbst ist da. Als ich gestern mit dem rauhen Nord über die Stoppeln fuhr, merkte ich es, und ich ahne die Zeit nicht mehr fern, wo man dem Ofen, die Hände wie segnend an ihn gelegt, wieder den Rücken zukehrt. So beende ich denn die Ferien und mache mich wieder an die Danaidenarbeit, mein Dintenfaß zu füllen.

96 Allerdings ruhte ich auch, weil, wie Sie in Ihrem ergebenen Schreiben richtig andeuten, das Schwert des Kriegsgottes auf der Bärenhaut lag, und ich hätte aus diesem Zustand der Dinge mit dem besten Willen keinen Feind aus irgend einem Land herauszuschlagen vermocht. Mir war dies, aufrichtig gesagt, durchaus nicht. contre, sondern vielmehr pour coeur, der ewige Erisapfel wird schließlich – verzeihen Sie das harte Wort! – alltäglich und wenn ich auch mit dieser meiner Behauptung unter meinen Collegen als die einzige fühlende Larve, oder gar wie der Einäugige unter den Königen dastehe, so kann mich dies doch nicht veranlassen, den Bramarbas anzustimmen. Nein, ich freue mich ungemein, wenn ich einmal die Kriegsfurie am ruhigen Bach gelagert liegen sehe und nicht nöthig habe, größere Schlachtfelder mit dem Blute Tapferer zu tränken. Aus diesem Grunde ist es mir auch willkommen, daß Sie mich mit einem fachkundigen Bericht über die Mobilisirungsprobe in Frankreich, welche ich Mobilerei nenne, beauftragen. Denn hier handelt es sich ja eigentlich um etwas, was der Franzose sehr bezeichnend einen Versuch (deutsch: Radau) nennt. Es sieht alles wie Krieg aus, ist aber eigentlich Komödie: man ißt nichts so heiß, wie es geschossen wird, man baut Schanzen, aber es sind Mummenschanzen, man legt Minen an, aber aus jeder Miene spricht die Harmlosigkeit, man schießt so stumpf wie möglich, der Hinterlader ladet keinen Mord auf das Gewissen des Soldaten, und die entfalteten Adler der Regimenter sind im 97 Grunde nur Spaßvögel (Aigles de bons mots). So lasse ich mir dann und wann den Krieg gefallen: eine Fechterei mit Spiegeln, und es ist eigentlich nur ein Zeitvertreib, wenn man sieht, wie die Soldaten im Gras liegen, ohne hinein zu beißen. Frankreich will sehen, wie rasch es im Nothfall fertig sein kann, das ist Alles.

Wollen Sie nun sehen, wie rasch ich fertig werden kann, so bitte ich Sie um einen Vorschuß von 60 Mark, falls Ihnen diese Summe genügt. Aber ehe etliche oder noch weniger Tage vergehen, werden Sie erfahren, daß ich keinen rothen Nickel mehr habe. Meine Zwanzigmarkstücke haben eben Quecksilber im Leibe.

* * *

Toulouse, den 6. September 1887.

W. Ich bin wie alle Menschen keine Kassandra, eher ein Dunkel- als Hellseher. Das aber konnte ich mir auf den Kopf zusagen, daß ich nicht wie ein Haar durch die Milch hierher gelangen würde. Ich war denn auch hier nicht zehn Minuten in der »Goldenen 1870« abgestiegen und war eben damit beschäftigt, meine sieben Habseligkeiten aus dem Koffer zu kramen, als vor meiner Thür ein Murmeln in den Bart der Draußenstehenden laut wurde, das allmählich zu einem Pochen an meiner Thür anwuchs. Ich öffnete, obschon ich in den tiefsten Unterhosen dastand, und unter dem Geschrei 98 kaum zu übersetzender Worte wie: »Prussien!« »Espion!« stürzte die Menge in's Zimmer. Ich mußte blind sein, wenn ich die Eindringenden keinen hellen Haufen nennen wollte. Dieselben hätten mich am liebsten in ein Blutbad verwandelt, und wenn ich jetzt den Kopf verloren hätte, sie hätten ihn mir gewiß gespalten. Ich fragte sie also ruhig, was mir die Ehre verschaffte, und sie schrieen, daß ich ihnen sofort zur Polizei auf dem Fuße folgen sollte. Ich zog also nothdürftig meine Stiefel an und ging mit ihnen fort. Auf dem Wege zur Polizei bildeten geballte Fäuste Spalier, und ich war froh, daß ich nicht durchgebräunt und durchgebläut auf der Präfektur, freilich mehr todt als nöthig, ankam. Nun wurde ich bis auf die Haut ausgefragt, und wahrlich, mir stand der Schub, auf den man mich bringen wollte, näher als das Lachen. Erst als ich erklärte, daß, krümme man mir ein Härchen, an dem der deutsch-französische Frieden immer hinge, der deutsche Botschafter in die Anse (Bucht) springen würde, gab der Präfekt so klein bei, daß man es kaum bemerkte, und ich kam mit blauem, wenn auch verstimmtem Auge davon.

Die Mobilerei ist eigentlich, wie man hier zu sagen pflegt, pour le chat. Denn das Siegel des Geheimnisses, welches ihr den Werth verlieh, ist gelüftet, und als das 17. Armeecorps den Befehl bekam, sich mobil zu machen, war dies bereits in aller Spatzen Mund, die es wie ein Lauffeuer in Fama's Ohr pfiffen. Der Verräther schläft ja nicht wie Homerus, und wenn auch jetzt eine Untersuchung 99 eingeleitet ist, an dem Wasser, in welches die Mobilerei gefallen, kann sie nichts mehr ändern.

Der Bauer meint trotzdem, es gehe in den Krieg, er müsse seine Gänsehaut zu Markte tragen, und er kommt sich wie eine Erbswurst vor, welche der deutsche Soldat verschlingen wird. Im Traum sieht er die deutsche Artillerie die Zuckerhüte schwenken, und dieser Alp drückt sich nicht von seinem Lager, auf das er nach den Anstrengungen des Tages niedergesunken ist. Daher hört man auch nicht à Berlin schreien, sondern à Paris, oder an irgend einen anderen Ort, nur nicht dahin, wo Moltke schweigt, oder getrennt marschirt und vereint schlägt. Dieser Aussicht gegenüber bleibt kein Beinkleid herzleer.

So hat jedenfalls das deutsche Reich von der französischen Mobilerei den größten Nutzen: es sieht, daß den Franzosen schon bei dem, mit Respekt zu sagen, bloßen Gedanken an einen Krieg mit Deutschland die Haare am Berge stehen, daß also die immerwährenden Hetzer taube Ohren dreschen. Die Nester der Chauvinisten ausgenommen, will kein Franzose vom Krieg etwas wissen, ihm sind die Opfer an Menschen und Geld denn doch für ein gewagtes Aben gar zu theuer, und nur mit Entsetzen denkt er daran, daß doch eines häßlichen Tages die eisernen Würfel aus heiteren Wolken niederfallen könnten.

So glaube ich, daß Deutschland mit der französischen Mobilerei ganz zufrieden sein darf.


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