Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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18 Die Kaiserfahrt.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Herzlichsten Dank für Ihre Zeilen. Wir waren eben im Begriff, Sie zu bitten, die sich vorbereitende Kaiserfahrt in die Hand zu nehmen, da kommt Ihre werthe Postkarte, die uns ersucht, Ihnen einen Raum für den ersten Bericht offen zu halten. Wir freuen uns sehr, Sie wieder mit neuem Eifer erfüllt zu sehen, und jetzt häufiger als in der letzten Zeit einen Artikel aus Ihrer Feder veröffentlichen zu können.

Sie ersuchen uns, Ihnen eine Flasche Wodki und ein Fäßchen Caviar zu senden. Wir bedauern, 19 Ihnen nicht dienen zu können. Der genannte Schnaps ist hier nicht zu haben, und für Caviar ist die Saison nicht da.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 17. Juli 1888.

Ich hätte mich wahrlich jetzt nicht bei Ihnen gemeldet, um mich unter das Caudienstjoch zu beugen, wenn ich nicht zu der Einsicht gelangt wäre, daß über die Tafeln der Klio plötzlich ein frischer Wind pfeift, den sich kein gewissenhafter Berichterstatter vormachen läßt, ohne sich seines Berufs zu erinnern. Der Besuch, den unser Kaiser dem russischen Selbstzaren abstattet, ist ein politischer Akt, den ich mir nicht nehmen lasse. Er beweist, daß Rußland mit Deutschland auf dem besten thönernen Fuß lebt, obschon Frankreich ihm den Hof machte, wie der Mond kaum einen solchen besitzt. Der Franzose hatte dem Russen unablässig eine Masse Bienenwerke um den Mund geschmiert, um ihn zu gewinnen, und eine Heerde Katzen gebuckelt, um ihn zur Ausführung seiner Pläne auf seine Seite zu ziehen. Wie die Erlprinzessinnen in Goethe's unvergleichlicher Ballade lockten die Déroulèdis 20 und wie diese Patriotenligner heißen mögen, die Russen zu einem Bündniß, und zu welchem Zweck? Um mit ihnen vereint über das deutsche Reich herzufallen und demselben einen Garaus beizubringen. Es war ein Schauspiel für Götzen. Aber Rußland ließ sich auf nichts ein, es hatte nicht Lust, das X vor dem U zu loben, für Frankreich, indem es seiner Wetterfahne folgte, die Kastanien aus dem Elsaß zu holen und hinterdrein als der Mohr, der seine Schuldigkeit gethan hat, angeschwärzt zu werden, oder schließlich mit einem bis zum Rande leeren Nachsehen dazustehen. Das war – verzeihen Sie das harte Wort! – absolut weise und wird die eisernen Würfel vor dem Fallen bewahren. Sollte aber dem russischen Reich an den drei Schritten, die es sich Frankreich vom Leibe hält, noch einer fehlen, so wird ihm der Besuch unseres Kaisers den Wankelmuth ausflößen und der Friedenstaube nichts mehr im Wege stehen.

Diesem Besuch wird eine Reihe von Besuchen an den befreundeten Höfen folgen. Durch diese werden die bisherigen Freunde noch dickere, etwaige Widersacher völlig entwidert und wird solchergestalt Europa in ein derartiges Friedenslager verwandelt werden, daß Frankreich vorläufig nicht daran denken kann, den Frieden krumm zu schließen.

Selten habe ich mich mit mehr Vergnügen als bei dieser Gelegenheit auf die Dinte geworfen, und ich werde daher sehr fleißig sein und Sie niemals mit meinen Berichten in irgend einem Stich lassen, und sei der Stich auch noch so 21 harmlos. Wenn ich aber diese Reise mit Eifer für Sie zurücklege, so habe ich doch bisher nichts weiter zurücklegen können, und daher bitte ich Sie, mir einen Vorschuß von 50 Rubeln in Papier, d. h. in Ihrem Couvertpapier, zu senden. Stehen Rubel so schlecht wie ich, so erwarte ich die Summe in Reichsmark.

* * *

Am Bord des »Brathecht«, den 19. Juli 1888

W. Der alte Gott Neptun lag so glatt wie ein Aal da, als ich die Bretter, welche den Ocean bedeuten, in Kiel betrat. Der Dampfer, auf welchem ich einen Platz gefunden hatte, setzte mich bald darauf in Bewegung und folgte dem kaiserlichen Geschwader, während das Publikum am Ufer die Hüte weithinschallend schwenkte und in ein begeistertes Wehen mit Fahnen und Tüchern ausbrach. Es dauerte lange, bis ich den Blicken der Kieler entschwand, aber immer noch hörte ich das enthusiastische Hurrahrufen der meerumschlungenen Menge.

Poseidon bot uns nun eine frische Nordwestbrise, welche unsern Riesenschornstein schwellte und uns rasch über die mit ewigem Schaum bedeckten Wogenkämme dahintrug. Unsere Reise hatte herrlich begonnen, und fröhlich drückten wir uns mit aufrichtigem Thalatta die Rechte. Wie ist die See so prächtig! Ich muß lächeln, wenn ich von der Seekrankheit 22 sprechen höre. Nein, die See ist gesund. Mit Behagen streckten wir uns auf Deck aus und sogen die köstliche Salzluft mit allen Lungen ein. Wir unterhielten uns von den Aussichten in die Zukunft und von den Rücksichten in die Vergangenheit und freuten uns der Gegenwart, die durch eine Fahrt wie unsere den Frieden auf einen grünen Palmenzweig brachte. Und vor uns sahen wir eine Flotte in's Meer rücken, welche uns ein Bild gab von der Macht des deutschen Reiches. Diese Schiffe waren wahrlich keine Kolosse auf thönernen Füßen, sondern Riesen, denen keine Gewalt der Erde gebieten dürfte, den Schiffsschnabel zu halten.

Nun fuhren wir an Warnemünde vorüber. Alle Ein- und die dort zu Gast anwesenden Ausheimischen hatten sich vereinigt, stachen, um uns zu begrüßen, in See und gaben uns das Geleite, bis wir ihr Hurrah aus den Ohren verloren.

So war es an allen Gestaden der Ostsee, bis sich uns die Küste Rußlands näherte, die uns an Gretchens Worte erinnerte: »Mein finnischer Meerbusen drängt sich nach ihm hin.«

Der deutsche Leser hat sich hoffentlich schon die Bockshörner abgelaufen, in welche ihn die russischen Blätter wie z. B. die Nowoje Wremja hineinzujagen suchen. Darauf ist weniger als Acht zu geben. Mag auch die russische Presse viel Staub aufwirbeln, um unsere Fahrt in ihn zu ziehen, das russische Volk kommt uns mit offenen Armen entgegen und wird manches Caviarfaß auf unser Wohl leeren. Es 23 dankt Bog, daß Deutschland ihm die Ruka reicht, und daß unser Kaiser Wiljgeljm diese Putjeschestwije unternahm, um Rossija und der ganzen Mir zu zeigen, daß Deutschland ein friedliebender Sossed ist.

Sie merken wohl, indem ich das russische Rad breche, daß wir uns der moskowitischen Küste nähern. Kronstadt taucht vor unseren Blicken auf, dessen Festschmuck uns sagt: »Sdrassstje! (lies: Guten Tag!) Ihr kommt als Freunde, Ihr wollt uns nicht unsere Polen nehmen und nicht unsere Finnen haben, Ihr wollt nur unser Sserdze (lies: Herz) erobern. Seid willkommen!«

Morgen schreibe ich Ihnen von Peterhof.


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