Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihren eben eintreffenden Bericht haben wir leider nicht sofort zum Abdruck bringen können, da unser Rothstift darin eine Lücke gerissen hat, die Sie gefl. umgehend ausfüllen müssen. Denn der ganze Passus, der die Nihilistenparade beschreibt, mußte selbstverständlich fortfallen. Ihre Idee, daß der Zar seinem hohen Gast einen Beweis von der inneren Gesundheit Rußlands dadurch geben wollte, daß er ihm einige Tausend Nihilisten »in vollem Bombenschmuck« in Reih' und Glied vorführte, ist ja sehr originell, aber doch geradezu eine Satire. Denn angenommen, der Zar wollte beweisen, daß die Nihilisten sich mit seiner Regierung ausgesöhnt hätten, so ist es doch unmöglich zu glauben, daß er sie zu einem Regiment vereinigt 25 und eine Nihilistenparade in das Festprogramm aufgenommen haben sollte. Zu weit darf Ihre Phantasie unter keiner Bedingung ausschweifen. Wir bitten Sie also, baldigst die gewünschte Umarbeitung Ihres Berichtes fertig zu stellen, und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 26. Juli 1888.

Ihre geehrten Briefe öffne ich immer mit banger Scheere, denn ich kann leider mit Bestimmtheit auf eine Nase rechnen, die denn auch in Ihrem werthen Jüngsten mit starkem Tabak gefüllt vorhanden ist. Die Nihilistenparade hätten Sie mir ruhig abnehmen können. Ich wüßte keine Luft zu nennen, aus der sie bis jetzt gegriffen worden wäre, und darauf kommt es doch schließlich an. Wer konnte mir denn beweisen, ich hätte meine Finger aufgeschnitten, um mir die Nihilistenparade daraus zu saugen? Erstens weiß man, daß ich eher ein Dünn- als ein Dickthuer bin, und zweitens ist es Thatsache, daß keiner meiner sämmtlichen Collegen, weil sie von keinem blaublütigen Storch gebracht worden sind, den Festen 26 beiwohnte. Man muß die Etikette kennen, mit der der russische Hof rasselt! Wer nicht mit dem Erblicken des Lichts der Welt wartete, bis sich vor ihm wenigstens zwanzig Ahnen in seiner Wiege windelten, gilt zwar als staub-, als sonst nicht als geboren. Nichts gelten die Nach-, alles die Vorfahren. Um an den Hof zu kommen, muß man so geartet sein, daß man vor lauter Stammbäumen den Wald nicht sieht. Und da nun kein Zeitungsberichterstatter nachzuweisen vermag, daß seine Urfamilie schon unter Iwan dem Schrecklichen oder unter Peter dem Zimmermann geköpft oder doch wenigstens gefürstet worden ist, so konnte keiner sagen, daß die Nihilistenparade eine phantastische Schilderung sei.

Leuchtet Ihnen das ein, oder wird der alte Thomas in Ihnen – verzeihen Sie das harte Wort! – lebendig?

Wie diesem Thomas auch sei, ich sende Ihnen einen anderen Bericht. Aber angenehm ist es nicht, stets auf die Finger geklopft zu werden wie umgekehrt die Claviertasten. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich Ihnen sagte, daß sich auf einem Ihrer Kassenscheine der letzten Vorschußsendung ein Fehler befand? Da stand nämlich 20 gedruckt statt 50. Ich bitte Sie daher, mir einen richtigen zu senden, da mir ein solcher auf den Nägeln brennt.

* * *

27 Krasnoje-Selo, den 21. Juli 1888 a1ten Styls.

W. Ob Oberst Schirinkin, welcher die Karten zu vertheilen hatte, mich nicht finden konnte, oder ob ich ihn vergeblich zu treffen versuchte, ich weiß es nicht. Genug, ich suchte ihn, als sei er das mobile Perpetuum, oder der Zirkel, den ich in ein Viereck verwandeln wollte, und fand ihn nicht. Um aber ohne Karte das Paradefeld auch nur mit Einem Fuß betreten zu können, mußte man ein Fürst sein und sich durch ein Scepter legitimiren, oder aber fürchten, mit mehrwöchentlicher Knute und Aberkennung der bürgerlichen Ehren mit Ausnahme des Zobelfangs bestraft zu werden. Endlich aber gelang es mir, den genannten Oberst im Peterhofer Palais zu treffen. Er verstand das Deutsche nur in russischer Uebersetzung, und ich war daher genöthigt, meine Rede mit den russischen Worten, die ich kannte, z. B.: Caviar, Yelva, Turgenjew, Sterlet, Sebastopol, Juchten, Puschkin, Plewna u. s. w. zu spicken. Alsdann überreichte er mir lächelnd ein passendes Partout, worauf ich ihm einen Bückling, einen Fisch, der, beiläufig bemerkt, hier gar nicht bekannt ist, machte, meinen schljapa (russischen Hut) zog und mich entfernte.

Nun begann die Parade. Mir gegenüber war auf dem Kaiserhügel (einem Hügel, der so heißt) das Zelt für die Zariza errichtet. Meine außerrussischen Collegen, welche die russische Zunge nur gebrochen handhaben, nennen die Kaiserin Zarewna. Das ist loschno (sprich: falsch). Zarewna heißt Prinzessin, Kaiserin dagegen Zariza.

28 Punkt 11 Uhr verkündete mein sich mächtig fortpflanzendes Hurrah, in welches 60 Bataillone Infanterie, 51 Schwadronen und 168 Geschütze brausend einstimmten, die Ankunft der beiden Kaiser und einer glänzenden Suite. Alsbald begann die Front, abgeritten zu werden. Das war ein herrliches Schauspiel. In der Suite bemerkte ich die Generäle Rostoptschin, Mazeppa, Pugatschew, Potemkin, Demetrius, Poniatowski und viele Andere. Unter den Deutschen ist es vor Allen Graf Herbert Bismarck, auf den Alle mit gespitzten Augen schauen. Man hält ihn allgemein für seinen eigenen Vater. Neben mir stand ein Hetman mit seiner Hetfrau, und auf ihre Frage, ob Graf Herbert nicht der deutsche Reichskanzler sei, antwortete ich Njet! (sprich: Nein!) Aber das Hetpärchen blieb dabei, der Sohn sei der Vater, und als ich sie dann fragte, ob sie denn nicht wüßten, daß der Reichskanzler ein Mann in den besten Siebzigern sei, da baten sie mich höflich, ich sollte doch keinen Bessmüsliza (sprich: Unsinn, Blech, Quatsch) reden, ich hätte wohl einen Ptiza (sprich: Vogel, Triller, Sparren) und ich sollte meinen Rot (sprich: Mund, Schnabel) halten. So fest sind die Russen überzeugt davon, daß Graf Bismarck sein Vater sei.

Das militärische Schauspiel verlief mittlerweile glänzend. Ein Bataillon gab dem anderen die Thür in die Hand, eine Eskadron trat in die Hufstapfen der anderen. Die Kosaken schienen lauter Flügelmänner, so flogen sie förmlich vorüber, 29 ebenso die Kalmücken, deren Namen ja schon das Fliegen andeutet. Dann kamen die Lappen, die wahrlich nicht so aussahen, die Finnen, an denen man übrigens keine bemerkte, die Tscherkessen, Tschetschenzen, Tschuwaschen, Tataren und Tschukschen, kurz, alle die Völker, aus denen die russische Nation zusammengesetzt ist.

Nach der Parade folgte ein Frühstück im Kaiserzelt. Mir lief das Wasser im Munde zusammen, was bei dem herrschenden Staub sehr angenehm war.

Nun geht's in die Hauptstadt der Streichhölzer, nach Stockholm. Dann nach Kopenhagen, der Metropole der Handschuhe. So wechseln die Bilder, wie die Leihbibliothekare die Romane. Eines aber bleibt unwandelbar: die Ueberzeugung, daß der europäische Frieden jetzt wie das Lied von der Glocke fest gemauert in der Erden steht.


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