Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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107 Von der Grenze Rußlands.

Herrn Wippchen in Bernau.

Es ist uns ganz unerklärlich, daß Sie schweigen. Während Sie sonst und mit Recht jede Zumuthung an Ihre Feder ablehnen, wenn kein Krieg oder keine Kriegsgefahr vorliegt, ließen Sie bis jetzt die Ereignisse an der galizischen Grenze, die doch unzweifelhaft in Ihr Ressort gehören, unbeachtet. Hoffentlich genügt dieser Hinweis vollkommen, und wir erhalten möglichst bald einen Artikel von Ihnen. Allerdings haben die Besonnenheit und das feste Auftreten Oesterreichs viel dazu beigetragen, die anfangs so blutigroth erscheinenden russischen Rüstungen in den Augen des besorgten Europas verblassen zu machen, immerhin aber war und ist auch heute noch das, was sich an 108 der galizischen Grenze abspielt, wenigstens interessant genug, um Sie zu einem sensationellen Bericht aus Ihrer Ruhe herauszulocken.

Indem wir hoffen, umgehend von Ihnen zu hören, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 21. December 1887.

An den Zweigen des Tannenbaums reifen die Wachskerzen, der Nußknacker steht mit offenem Munde da, als sollten ihm die tauben Wallnüsse gebraten hineinfliegen, das Schaukelpferd stampft das Straßenpflaster, und alle Kinder holen den Waldteufel. Freilich bin ich wie Don Carlos zu alt, um nur zu spielen, andrerseits aber auch zu wenig Methusalem, um ohne Wunsch zu sein. Ja, ich bereite mich so vor wie möglich, das Weihnachtsfest zu feiern, und war eben damit beschäftigt, auf dem Markt alle die Kleinigkeiten zu kaufen, mit denen ich mich in der Nehmerlaune zu überraschen gedenke, da kommt, ein deus ex machina aus heiterer Wolke, Ihr geehrter Brief. So wie ich aus allen meinen 109 Kinderträumen herausgerissen, war noch kein Auge, das Dich ärgert, ich war starr wie nie zuvor und suchte lange, bis ich Worte fand. Es ist gut, daß Sie mein Selbstgespräch nicht gehört haben. Das Blatt, welches ich nicht vor den Mund genommen, war rasch mit zornig geballten Worten gefüllt, und ich bin auch in diesem Augenblick noch nicht wieder in der Haut, aus der ich gefahren war, wie die Haare, die mir zu Berge standen, auch heute noch nicht wieder zu Thal stehen. Denn durch Ihren Brief wurde es mir klar, was ich in meiner Eigenschaft als Kriegsberichterstatter eigentlich habe: ich habe wie Leporello keine Ruh' bei Tag und Nacht. Das ist das Ach und O meines Berufs. Jetzt, wo Jedermann sich mit dem schönsten Fest des Jahres beschäftigt, schleudern Sie mich an die galizische Grenze, weil daselbst, wie Sie glauben, der Kriegsstorch einen Conflict gebracht hat. Da soll ich nun den geliebten Tannenbaum links duften lassen und die Schatten großer Ereignisse auf's Papier vorauswerfen. Das kommt mir wieder mal à-propos, das paßt mir gerade wie die Faust – verzeihen Sie das harte Wort! – aufs Auge. Denn es ist doch Krieg, worüber ich schreiben soll, wenn er auch noch in den Windeln der Mobilmachung liegt. Ein Sträfling ist ein Sträfling, er mag nun in der Zelle sitzen, oder ausgebrochen sein, und so ist es auch mit dem nicht ausgebrochenen Kriege, der jetzt eben noch an den Eierschalen pickt, die er über kurz oder später auf die Häupter der Völker ausschütten wird.

110 Ich sehe indeß ein, daß Sie einen Bericht über das, was an der galizischen Grenze vorgeht, bringen müssen, – das Publikum ist ja ein Moloch, das gestopft sein will, – und so mache ich mich denn an die Arbeit. Ich werde Oel in die Gemüther schreiben, indem ich nichts geschehen lasse, was nicht gutes Blut macht. Wie Herkules am Scheidewege zwischen zwei Bündeln Heu stehend, wähle ich den Frieden, vornehmlich um das Weihnachtsfest nicht zu stören. Es wäre mir ja ein Leichtes, einen Pulk Kosaken über die Grenze zu sprengen und so das Zeichen zu den Haaren zu geben, in welche sich Oesterreich und Rußland gerathen. Aber in demselben Augenblick wäre der Frieden den Weg alles Fleisches in die Brüche gegangen, Jeder blickte besorgt und aufgehoben in die Zukunft und der Lauf der sichersten Papiere – das Wort Cours kommt mir undeutsch vor – würde zurückgehen. Alles das eilt nicht und käme jedenfalls im Januar früh genug, und am allerwenigsten möchte ich diese fatale Morgana am Horizont des Friedens heraufgezaubert haben.

Bevor ich in diesem Sinne mich an den Bericht heranmache, möchte ich Ihnen noch eine kleine freudige Weihnachtsüberraschung bereiten. Sie nehmen nämlich an, daß ich Sie um einen Vorschuß von etlichen oder mehreren hundert Mark ersuchen werde. So wissen Sie denn, daß ich nur den fünften Theil – 80 Mark – fordere. Ist diese Summe zu groß? Dann sagen wir vier Zwanzigmarkscheine. Ich habe enorm viele Bücher und Musikalien sowohl für meine 111 Bibliothek, als auch für einige Kinder in den mir an's Herz gewachsensten Familien zu kaufen, so z. B. Zwei: Tausend und eine Nacht, also

2,002
500,000 Teufel und die } für Clavier,
3 Grenadiere }
1,000 Gedanken des Collaborators von Berthold Auerbach,
30 Jahre Deutscher Geschichte von Biedermann und
1,812 von Rellstab,

zusammen 504,847 ,

also über eine halbe Million. Einer solchen Summe gegenüber sind doch 80 Mark ein verschwindendes vis-à-vis.

* * *

Tarnopol, den 19. December 1887.

W. Der Kriegslärm, der sich erhoben hat, lockte mich in diese freundliche galizische Stadt, welche nach der zehnten Auflage des Brockhaus 16510 Einwohner hat, die sich aber seither, also seit 1854, vermehrt haben werden. Hier bin ich nicht weit von der russischen Grenze entfernt, an welcher der Zar seine Truppen zusammenzieht. Er wird also, wenn er gut addirt, wissen, wieviel es sind, während wir gezwungen sind, bei Angabe der Zahl unsere Finger zu Hülfe zu nehmen, 112 um sie aus ihnen annähernd zu saugen. Diesen Vormittag sogen wir Kriegsberichterstatter zusammen etwa eine viertel Million Mann Infanterie. Was die Reiterei und Artillerie betrifft, so haben wir uns noch nicht schlüssig gesogen.

Gestern war ich jenseits der Grenze. Wallensteins Lager en gros et en détail. Wimmelnde Soldaten aus allen Theilen des Kolosses auf thönernen Füßen. In den Zelten Gesang des »Rothen Sarafan« und »Schöne Minka, ich muß scheiden.« Munter kreiste die Talglichtbowle. Der Caviar floß in Strömen. Dazwischen rollten die Augen der Würfel. Ich sah einen Hetman, der mit mehreren Kameraden auf dem Woilok ausgestreckt lag und mit ihnen Macao spielte. Er hatte schon Alles verspielt, hatte dann seinen Kopf gesetzt, gewonnen und stehen lassen. Nun hatte er eben seinen 25. Kopf gewonnen und verlangte Bezahlung. Iwan Bogdanowitsch, der Bankhalter, weigerte sich. »Gauner!« schrie der Hetmann, der seine 25 Köpfe haben wollte, und griff zur Lanze. Wüstes Gemetzel. Kosaken eilen herbei und trennen die Wüthenden, indem sie ihnen, die Nationalhymne anstimmend, alles Geld stehlen. Da kommt ein Regiment Nihilisten an, welche Dynamitbomben tragen, mit denen sie sich der vereinigten deutsch-österreichischen Armee auf fünf Schritt nähern und diese dann in die Luft sprengen sollen. »Nach Wien!« heulen die Einen, »Nach Berlin!« die Anderen. Das sind außer Wodki die einzigen deutschen Wörter, die sie gelernt haben. Dazwischen sitzt Wereschagin 113 und zeichnet schon die Pyramiden, die aus deutsch-österreichischen Schädeln zusammengesetzt sind. Da umarmt mich der College von der »Nowoje Wremja« (sprich: Nowoje Wremja) und legt mir den Staub an's Herz, aus dem ich mich machen sollte, um nicht als Spion nach Sibirien erschossen zu werden. Das ließ ich mir nur einmal sagen, gab mein letztes Fersengeld her und floh auf das österreichische Gebiet hinüber. Da bin ich denn wieder in meinem Hotel und freue mich des nackten Lebens, das ich gerettet habe.

Uebrigens kann ich nur rathen, die russische Mobilmachung nicht so heiß zu essen, wie sie gekocht worden ist. Rußland, welches sieht, wie eng Deutschland und Oesterreich zusammenhalten, wird sich den Degen noch sehr überlegen, bevor es denselben zieht, es wird sich vor Allem sagen, daß das ihm zu Gebote stehende Bockshorn denn doch nicht groß genug ist, um zwei so mächtige Reiche hineinjagen zu können. Und es fehlt ihm auch an Geld. Zwar arbeiten seine Nervusrerumdruckereien fortwährend, aber baares Geld lacht ihm nicht, und da liegt doch schließlich der Hund begraben, welcher bellt, aber nicht beißt.


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