Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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100 König Malietoa.

Herrn Wippchen in Bernau.

So ungern wir auf einen Artikel aus Ihrer Feder verzichten, so finden wir es doch richtig, daß Sie sich auf einen einzigen Bericht über die französische Mobilerei, wie Sie die Probemobilisirung zu nennen beliebten, beschränkt haben. Man stand in Deutschland dieser internen militärischen Unternehmung Frankreichs wirklich sehr gleichgültig gegenüber, Niemand bekümmerte sich um deren Details, und Keiner vermißte dieselben, als wir sie den Lesern nicht brachten.

Nun bitten wir Sie aber, nach einem anderen recht actuellen Gegenstand, der zugleich dem Bedürfniß nach Sensation genügt, zu suchen und recht bald wieder von sich hören zu lassen. Das 101 Herbstquartal hat begonnen, und das Publikum will nach langer Sommerpause wieder lesen, viel und Fesselndes. Wir meinen, daß es nur dieser Bitte bedarf, um Sie zu veranlassen, uns das, was wir brauchen, zu liefern. In dieser Ueberzeugung grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 12. October 1887.

Wenn ich auch nicht behaupten will, daß mein Auge dem Meer gleiche, welches keine Balken hat, so thut es mir doch häufig weh, wenn Sie einen solchen in meinem Auge sehen, während Sie den Splitter in Ihrem werthen eigenen links liegen lassen. Umsomehr freute es mich, daß Sie mir in Ihrer werthen Zuschrift ausnahmsweise auch nicht eine einzige von den vielen Leviten zu lesen gaben, von denen sonst Ihre geehrten Briefe zu wimmeln pflegen, sondern mir im Gegentheil den Hof schnitten, weil ich Ihnen nicht mehr als einen Bericht über die französische Mobilerei geschickt habe. Ich fürchtete schon, daß Sie mir deshalb die Hände über 102 dem Kopf zusammenschlagen würden, was mich aber ganz gewiß kalt, oder doch wenigstens nicht warm gelassen hätte. Denn ich weiß genau, ob das lesende Publikum über- oder untersättigt ist, und wie die Mimose, welche selbst von der Fliege an ihrer Innenwand so geärgert wird, daß sie sich zusammenzieht, schließe auch ich meinen Bericht, wenn ich fühle, daß der Leser nichts mehr von meinem Gegenstand hören will. Und ich kenne auch zu genau die Bedeutung des Wortes von Horaz: Est modus in rebus, auch in dem schwersten, und wer gegen dieses Wort verstößt, der wird sehr bald das Ohr seiner Leser unter den Füßen verlieren. Mir wäre das unerträglich: ohne Leser bin ich eine Gabel ohne Messer, an welchem die Klinge fehlt, oder, um den Pudel beim rechten Kern zu nennen, ein Brief, bei dessen Eröffnung kein Vorschuß – verzeihen Sie das harte Wort! – herausknallt. Darum habe ich mich auch wie ein Kranker das Bett gehütet, über die französische Mobilerei mehr als einen Bericht in die Leserwelt zu setzen. Ich lauschte vergeblich nach einem Hahn, der im Publikum danach krähte, und alsbald brach ich ab wie ein morscher Zweig im Sturm.

Um Ihren Wunsch zu erfüllen, sende ich Ihnen einliegend den König Malietoa. Dieser angerauchte Herrscher der Samoainseln ist so eben von uns gefangen fortgeführt, d. h. er ist auf den Adler gebracht und von diesem einem anderen Vogel, dem Albatros, übergeben worden, aus dessen Schiffsschnabel er sich so leicht nicht wird befreien können.

103 Sie werden bemerken, daß ich den Vorfall ziemlich milde behandle. Es wäre mir federleicht gewesen, aus demselben einen europäischen Krieg zu entbrennen, indem ich Amerika und England nur mit je einem Torpedoboot tödtlich in See stechen und einen einzigen Schuß mit der Breitseite abgeben ließ. Aber erstens ist hierzu noch immer Zeit, – ein Kanonenschuß ist rascher gelöst, als jede andere viersilbige Charade, – und zweitens halte ich Malietoa trotz allem blauen Blut, das in seinen schwarzen Adern rollt, doch für nichts anderes als für einen Schiffsschnäbele, um den unser leitender Bismarck nicht die eisernen Würfel auf's Spiel setzen und den Schifferknoten in dem Halstuch eines einzigen Matrosen durchhauen lassen wird. Ich halte den genannten König nicht für einen schwarzen Punkt am Horizont und nahm ihn überhaupt auf die leichteste meiner beiden Achseln. Mit wenig Mühe war ein Südseedan daraus zu gestalten, indem ich aus Malietoa einen Insel-Napoleon machte, seine Frauen – der Aermste ist in den heiligen Stand der Polygamie getreten – als Polyeugynie bezeichnete und Neu-Guinea als australische Wilhelmshöhe schilderte. Aber ich unterließ das alles, weil mich der Umstand genirt, daß dieser König einzig und allein mit seiner Würde bekleidet ist. Ihr Blatt wird auch von Damen gelesen, und es scheint mir unter allen Umständen unpassend, in deren Gesellschaft einen König zu führen, der außer seinem Scepter kaum etwas trägt, was man als Promenadencostüm bezeichnen könnte. 104 Da lobe ich mir den Selbstzaren aller Reußen, welcher stets mit Bedeckung ausfährt. Ich meine, daß es die Pflicht jeder Vollsvertretung wäre, dafür zu sorgen, daß das Oberhaupt des Staats nicht splitternackt einherregiere. Ein Purpur, und sei es auch einer aus der Papierwäschefabrik von Mey & Edlich, sollte doch wenigstens die gekrönte Haut dem Auge der Unterthanen entziehen.

Zu Ihrem Jubiläum habe ich Ihnen bereits einen Draht gesandt. Wer könnte es vergessen, daß Ihrem Blatte von einem gütigen Geschick 25 aufgezählt worden sind? Ich. In dieser Befürchtung bitte ich Sie um einen Vorschuß von 50 Mark. Das wird mich doppelt erinnern.

* * *

Apia, den 50. September 1887.

W. Eben kehre ich vom Hafen in mein bescheidenes Zelt garni, das aus simplem Segeltuch erbaute Gasthaus »Zum weißen Neger«, zurück, und erst zwischen meinen vier Leinewänden komme ich dazu, die Tragweite der Tafel Klios, die sich eben vollzogen hat, zu überschauen. Samoa hat keinen König mehr! Die Deutschen haben ihn eben gefangen auf den Kreuzer »Adler« gebracht und sind mit ihm davongesegelt. Ich würde sagen: beim Kragen genommen, wenn der König etwas anderes als nur einen Kopf trüge. Apia 105 ist ruhig, so ruhig, daß man eine Schlange klappern hören könnte.

König Malietoa – denn er war es – ist der Sohn des alten Königs gleichen Namens und zeigte schon als Kronprinz wenig Talent, einst als Herrscher sein Brod verdienen zu können, und kaum hatte er die Zügel der Regierung bestiegen, so wurde es dem Volke offenbar, daß er das Herrschen nur höchst mangelhaft erlernt habe. Nicht wie ein erwachsener Mann, sondern wie ein Lehrbursche gab er Gesetze, und anstatt auf dem Thron zu sitzen und in der Verfassung zu lesen, stand er an der Thür seines Palastes und schäkerte mit den Sklavinnen der Nachbarn, indem er sie in die wehrlosen Wangen kniff und ihnen die Ehe versprach, obschon er doch höchstens zehn Frauen heirathen konnte. Auch trank er das gebrannteste Wasser, so daß er häufig mit dem linken Kater zuerst aus dem Bett stieg und in diesem Zustand dann die falschesten Noten an die benachbarten Stämme gelangen ließ. Natürlich reichte zu einem solchen Leben die Civilliste nicht aus, und häufig sah man ihn dann mit der leeren Privatschatulle in den Straßen von Apia betteln. »Ein armer Landesvater bittet um eine Kleinigkeit!« Da konnte man sagen: Jeder Zoll kein König!

Das Schlimmste aber war, daß er, besonders wenn er einen sinnlosen Spitz hatte, die Deutschen beleidigte. Diese ließen sich das eine Weile gefallen, bis es eine lange Weile, die Langmuth aber kurz wurde. Gestern ankerte der Kreuzer »Adler« im Hafen, und seine Mannschaft rückte vor den Palast des Königs mit dem Rufe: »Malietoa, sollst mal runter kommen!« Der König wollte erst den zahmen Mann spielen, aber es nützte ihm wenig, – zehn Minuten später schloß sich schon der Bord des genannten Schiffes hinter ihm.

Das historische Ereigniß vollzog sich in aller Stille. Weitere Folgen wird es nicht haben.


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