Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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60 Die allgemeine Abrüstung.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre Kaiserreise ist nunmehr erschienen und – dies Schicksal theilt sie mit allen journalistischen Erscheinungen – vergessen. Das Publikum verlangt nach Neuem. Wir bitten Sie recht sehr, es daran nicht fehlen zu lassen. Auch für den Fall, daß Sie einmal wieder beschlossen haben sollten, Ihre Ferien um keinen Preis zu unterbrechen, dürfen Sie unsere Bitte nicht unberücksichtigt lassen, denn das Schreiben wird Ihnen leicht, und an Stoff fehlt es Ihnen nie. Sie greifen in Ihren reichen Vorrath und fassen das Richtige. Allerdings giebt es in diesem Augenblick keinen Krieg. Das ist zugleich die Antwort auf Ihre Correspondenzkarte, mit welcher Sie uns 61 baten, Ihnen zu sagen, wo jetzt ein Krieg vorhanden sei. Aber wir meinen, daß Ihnen auch ohne Krieg ein Bericht gelingen wird.

Wir grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 6. September 1888.

Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen so viel Unrecht gebe, als ich aufzutreiben vermag. Denn Recht kann ich Ihnen unmöglich darin geben. daß meine Kaiserreise in das Meer der Vergessenheit versunken sei, da, wo der Lethe am tiefsten ist. Im Gegentheil erkläre ich Ihnen, daß diese Reise, wenn die Flotte auch längst wieder in den Hafen gestochen und ihren Anker zum alten Eisen geworfen hat, doch noch immer die Augen Aller auf sich lenkt. Wenn Jemand eine Reise thut, so kann er was erzählen, dies Lied läßt sich ja nicht leugnen, wenn aber ein Kaiser dergleichen thut, dann ist das doch – verzeihen Sie das harte Wort! – etwas anderes. Ich behaupte sogar, daß es heute noch keine Köpfe giebt, die sich nicht zusammenstecken, um die Folgen der Kaiserreise zu besprechen, und daß mit mehr oder weniger Muth allerlei 62 Maßungen laut werden. Und mit vollem Recht, denn eine Kaiserreise ist doch in der That keine Visite im bürgerlichen Sinne, bei der man seine Karte abgiebt und froh ist, wenn das öffnende Dienstmädchen sagt oder lügt, es sei Niemand zu Hause. O nein, im Gegentheil: den Schatten, in welchen die Kaiserreise alle anderen politischen Ereignisse gestellt hat, wirft dieselbe auch heute noch voraus.

Zweifeln Sie noch? Ja? Nun, dann blicken Sie nach Friedrichsruh. Dort überläßt sich unser Reichskanzler einer großen Unruhe, indem er sich daselbst zu den anstrengendsten Arbeiten zurückgezogen hat, um möglichst gestört den Sommer zu verbringen. Fast täglich entsteigt dem trojanischen Dampfroß ein anderer Minister, um mit dem Reichskanzler zu arbeiten. Kaum wüßte ich noch einen einzigen Minister an den Fingern herzuzählen, der in diesem Augenblick nicht sein Portefeuille gepackt hätte, um sich mit dem nächsten Klingelzuge bei dem Reichskanzler anmelden zu lassen. Crispi beschämt bereits den Rabbi Akiba, denn er ist schon dagewesen, und welcher Minister jetzt in Friedrichsruh ist, das werden sicher die Ohren, welche auch die dortigen Wände haben, nicht lange verschweigen. Das alles ist aber als eine Folge der Kaiserreise zu betrachten.

Was die Herren, welche die Geschicke der Völker vom Blatt spielen, miteinander besprechen und beschließen, das wird natürlich vor der Hand nicht bekannt. Sie verhandeln selbstredend unter den viersten Augen, und keine Glocke ist so 63 groß, daß es an dieselbe gehängt werden kann. Aber kein sub rosa ohne Dornen, ein scharfer Verstand wird auch die geruchloseste Lunte riechen und ungefähr sagen können, was in Friedrichsruh, das ich im Gegensatz zu Rom jetzt die Siebensiegelstadt nennen möchte, verhandelt wird. Obschon es mir nicht angeboten ist, so nehme ich doch an, daß die Abrüstung auf der Tagesordnung steht, und sie soll dann auch den Gegenstand meines Artikels bilden. Irre ich uns, so ist ja leicht zu widerrufen.

Wenn ich Ihnen indeß jetzt mittheile, daß ich einen Vorschuß von 50 Mk. von Ihnen erwarte, so dürfen Sie sich fest darauf verlassen und diese Nachricht als aus der versiegtesten Quelle herrührend betrachten. Sie haben daher keinen Widerruf zu befürchten. Nur muthig abgeschickt!

* * *

Friedrichsruh, den 7. September 1888.

W. Als ich vernahm, der italienische Ministerpräsident habe das ewige Rom verlassen und sich nach dem übrigens nicht weniger ewigen Friedrichsruh begeben, da überlegte ich mir meinen Koffer nicht lange, sondern packte denselben, schwang mich in den Sattel des Dampfrosses und eilte hierher. Crispi war eben angekommen, schon auf dem Bahnhof war er in jedes Gepäckträgers Munde. Ich traf auch nicht einen einzigen Friedrichsruher mit unzerbrochenem Kopf darüber, 64 was denn eigentlich die Staatsmänner veranlaßt haben könne, die todte morte saison aus der Asche zu erwecken und keinen ihrer Gedanken unausgetauscht zu lassen. Daß die Leiter der Politik nicht zusammenkamen, um sich nach ihrem Wohl- oder Uebelbefinden zu erkundigen und sich dann wieder zu trennen, das bedarf weiter keiner Hand, um klar darauf zu liegen. Es muß eben etwas ganz Außerordentliches im Werke sein, wenn diese Herren plötzlich ihr Bad oder ihren Brunnen abbrechen und sich im Moment der sauersten Gurke aufsuchen.

Was geht vor?

Ein Krieg kann nicht geplant werden. Wenn ein Krieg im Schilde geführt wird, so wird der Schild geheim gehalten. Dann besuchen sich die Staatsmänner nicht so, daß sich weit und breit kein ungespitztes Ohr auftreiben läßt, sondern alles geschieht unter dem Siegel der Mäuschenstille, damit nicht der Lärm in die peinliche Lage geräth, zu früh geschlagen zu werden. In Friedrichsruh kann also der Mars nicht in den Mund genommen sein, die Staatsmänner müssen sich um etwas anderes gedreht haben. Und dies war auch der Fall.

Crispi war eingetroffen und hing zehn Minuten am Halse des deutschen Reichskanzlers, der ihn am Eingang seines Schlosses erwartete und sofort in's medias res führte.

Herr College, begann der Reichskanzler, es geht so nicht weiter.

– Allerdings nicht, betheuerte Crispi.

65 Europa starrt in Kanonen, ist mehr als je zuvor vertruppt. Wohin wir blicken, nichts als Zähne, bis an welche die Großmächte bewaffnet sind. Vom Juliusthurm schlägt zwar eine gute Stunde, das aber kann nicht das Endziel unseres Strebens sein. Es ist nicht genug –

– Crispi gab zu.

Es ist nicht genug, daß wir Frieden haben, wir müssen auch den Ossa erleichtern, den die Kriegsbereitschaft auf den Helion stülpt. Die Kosten derselben sind so groß, daß das Volk statt ihrer aufgebracht wird. Wissen Sie, was eine allgemeine Abrüstung thut?

– Crispi wußte es nicht.

Noth thut sie. Wir müssen, wenn wir nicht finanziell ruinirt werden wollen, das stehende Heer zum Sitzen nöthigen, wir müssen abrüsten.

– Sprechen Sie, Durchlaucht.

Jede Großmacht muß einen großen Theil der Infanterie fahren lassen, die Pferde der Cavallerie müssen verkleinert werden, die Geschütze zusammenschmelzen. Die Millionen Soldaten, welche auf den Beinen sind, müssen von denselben herunter, wenn das Pulverfaß nicht überlaufen soll.

– Wem sagen Durchlaucht das!

Ihnen, lieber Herr College.

– Und wird Frankreich wollen, Durchlaucht? Wird Frankreich nicht ein Haar darin finden und es sträuben bei dem Gedanken, wehrlos zu werden?

66 Dröhnend sprang der Reichskanzler von seinem Sitz empor und rief: Dann werden wir unsere Armeen verdoppeln und Frankreich mit den Waffen in der Hand zwingen, abzurüsten. Dieser Krieg um die Abrüstung kann lange dauern, aber er muß unternommen werden, um uns die Friedenslasten zu erleichtern. Das steht fest. Meinen Sie nicht auch, Herr College?

Crispi verneigte sich bejahend. Der Reichskanzler hatte das erlösende Wort gesprochen.

Also Abrüstung und, wenn nöthig, durch eine imposante Mobilmachung. Wir werden unser Ziel erreichen, wenn nur Einige einig sind. Deutschland und Italien sind zwei, mit Oesterreich-Ungarn werden wir vier sein.

Es war spät geworden, und sie frühstückten.

Einige Tage später hatten der Reichskanzler und Kalnoky dieselbe Unterredung über Rußland.

Der Hannibal der Abrüstung ist vor der Thür.


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