Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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114 Die ostafrikanische Katastrophe.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir haben seit längerer Zeit keinen Kriegsbericht veröffentlicht und waren auch nicht dazu verpflichtet, weil in der That überall alles ruhig war. Jetzt aber scheint der Moment wieder für Sie gekommen. Die gegen die aufständischen Araber geschlossene Waffenbrüderschaft zwischen Deutschland und England giebt Ihnen reichlich Gelegenheit, wieder auf Ihr eigentliches Feld zurückzukehren. Ohne Zweifel kommt es in Ostafrika zu einem Zusammenstoß, und wir hoffen keine Fehlbitte zu thun, wenn wir Sie ersuchen, sofort mit der Arbeit zu beginnen. Sie würden 115 uns dadurch namentlich jetzt, wo die Politik wenig Sensationelles geschehen läßt, einen wesentlichen Dienst leisten.

Wir hoffen, schon in der nächsten Nummer Ihren ersten Artikel bringen zu können, und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 30. November 1888.

Eine der sieben Todtugenden des Menschen ist die Nachgiebigkeit, und ich fühle zu meinem Leidwesen, daß ich in diesem Augenblick mit einem Fuße einmal wieder im Begriff stehe, diese Tugend zu begehen. Als ich Ihnen neulich eine Schlacht erster Güte lieferte, durch welche ich unsere Widersacher in Ostafrika mit Stumpf und Kegel ausgerottet hatte, warfen Sie sie in den Papierkorb, als hätte ich Ihnen keine Schlacht, sondern saures Bier, einen Kalender des vorigen Jahres oder sonst etwas Ungeschicktes geschickt. Mit meiner vernichtenden Schlacht war alles abgethan, alle Neger waren derart vertrieben, daß Niemand mehr im stande war, schwarz zu sehen, die tabula war so rasa wie irgend möglich. Nun 116 kommen Sie zu der Ueberzeugung, daß ich damit denn doch nicht ins Weiße, daß ich im Gegentheil das Schwarze auf den Kopf getroffen hatte, und verlangen von mir regelmäßige Berichte aus einem Lande, das noch halb unbekannt ist, an dem sozuschreiben noch die Eierschalen eines Columbus kleben, und in welchem wir einem Feinde gegenüberstehen, den zu belecken die Cultur ihre Zunge noch zu schonen gewillt scheint, oder der sich gegen dieselbe überhaupt mit Händen und Füßen sträubt. Was soll ich mit Arabern machen? Das sind keine Soldaten, sondern Krieger, die frei und ungebunden schärlern und zu den Waffen greifen, die ihnen gerade zur Hand liegen. Es ist Barfußvolk. Mit dem Pfeil und Bogen kommen sie im Morgenstrahl gezogen, und was da fleucht und kreucht, das ist ihre Beute, lallera! Und über solche Truppen, welche von jeder Uniform entblößt in's Feld ziehen, soll ich berichten? Das ist doch – verzeihen Sie das harte Wort! – kein Vergnügen.

Ich will es indeß versuchen. Selbstverständlich werde ich diese unsere schwarzen Angreifer überall, wo sie sich zeigen, seitwärts in die Büsche schlagen, ihre Wigwämmer zerstören und dafür sorgen, daß sie sich nicht wieder auf's hohe Kameel setzen. In meiner Phantasie ist nicht Raum auch nur für einen Fußbreit Landes, den sie uns streitig machen.

Da heißt es aber ruhig arbeiten. Sorgen Sie daher dafür, daß ich selbst in der Frühe, bevor ich die Feder ergreife, auf keine Weise gestört werde. Dies würde am besten durch den Geldbriefträger geschehen können, der mir einen Vorschuß von 50 Mark bringt. Dieser wortkarge Beamte kommt, legt einen geräuschlosen Kassenschein auf den stillen Tisch, läßt von mir kaum vernehmbar quittiren und entfernt sich so wieder, daß man eine Stecknadel zur Erde fallen zu hören glaubt. Diese Ruhe gönne ich nicht nur den Flamändern.

* * *

Sansibar, den 20. November 1888.

W. Ich bin gestern hier angekommen, zog mich sofort aus und verließ mein Zelt. Es ist sehr heiß, wir schreiben 24 Grad im nicht vorhandenen Schatten, und man läuft Gefahr, den Sonnenstich zu bekommen. Deshalb läuft man auch nicht, sondern reitet, indem man sich zwischen die beiden Höcker eines Wüstenschiffs klemmt.

Länger als ein Jahr ist es her, daß ich eines Tages meinen ersten Fuß auf die ostafrikanische Küste setzte. Obschon es nicht der linke war, mit dem ich zuerst aus der Kajüte stieg, so habe ich doch schon damals nicht geglaubt, daß uns die Colonie gebraten in den Mund fliegen würde. Als ich diese Bevölkerung sah, die wegen ihrer mangelhaften Bekleidung höchstens einen Anblick für Männer bildet, sagte ich mir gleich, daß das Handumdrehen, in welchem wir das Land unser Eigenthum nennen wollten, etwas lange dauern dürfte. Es fehlt diesem Volk die Civilisation, ohne welche der Liebe 118 Müh' umsonst ist, wie Shakespeare sehr richtig eines seiner Bacon'schen Lustspiele genannt hat. Sie betrachten den Europäer als einen Mann, der ihnen Alles, was sie nicht haben, nehmen will, zu nichts weiter kommt, als um zu etwas zu kommen, und die Absicht hat, ihnen den letzten Strauß aus dem Stall zu holen und ihnen die tägliche Cocosnuß zu erschweren. Dabei läuft ihnen das Wasser im Munde zusammen, wenn sie einen schmackhaften Missionär sehen, und sind dem Schnaps derart ergeben, daß sich ihr immerwährender Affe kaum auf den Beinen zu halten vermag. Das Schlimmste aber sind ihre Sultane. Ein solcher nur nothdürftig mit dem Purpur bedeckter Führer des Volks ist ein Mann, der mit den Deutschen Verträge abschließt, aber, gerieben wie der Salamander, ihnen eigentlich nur einen Pfiffikus giebt und sich sofort als ein vor- und hinterlistiger Feind entpuppt. Obenan der Sultan von Sansibar, dessen Nacken man es heute noch nicht ansieht, ob ihm nicht morgen der Schelm in demselben sitzt.

Man kann sich nun denken, wie dieses Volk die Verträge, welche es mit der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft geschlossen, über's Knie brach. Expeditionen wurden geplündert, Factoreien in Flammen verwandelt, Reisende in Mißhändel verwickelt, und bald war jeder Europäer seines Lebens unsicher. Da riß den Regierungen endlich die Geduld, und Deutschland und England reichen sich zu einer gemeinsamen Action brüderlich die Dampfer.

119 Als ich gestern ausging, wurde ich zunächst von mehreren Arabern meuchlings und rechts umzingelt, worauf mir die schwarzen Kerle die Schürze, die ich als einziges Garderobenstück trug, über die Ohren zogen. Als ich ihnen zurief, daß ich diesen Vorfall in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung zur allgemeinen Kenntniß bringen würde, nahmen sie mir noch mein Fez, und erst, als sich einige Weiße näherten, wandelten sie straflos unter Palmen davon. Es war eine Straßenscene, wie sie fast stündlich wiederholt wird, und ich mußte mich noch freuen, mit blauem Leben davongekommen zu sein.

Kein Zweifel, diese Leute ahnen noch garnicht, was für eine Blockade ihnen bevorsteht, obschon der Anker, vor den die deutsch-englische Flotte gehen wird, jeden Augenblick eintreffen kann. Heute sah ich den Sultan von Sansibar. Er hatte seinen Arm einigen seiner Frauen gereicht und ging vor's Thor in die Wüste, um frischen Samum zu schöpfen. Er sieht aus wie ein Mann, mit dem nicht gut Menschen essen ist. Sein Blick ist streng, sein Gang ist stolz, und wenn er nicht Alles täuscht, so wird er im entscheidenden Moment an der Spitze der Rebellen gegen die Schiffe der Verbündeten zu Felde ziehen. Das würde ihm natürlich den Thron kosten, den er, beiläufig bemerkt, nicht hat. Daß er wie alle seine Unterthanen halbnackt umhergeht, ist wohl bekannt. Es ist aber nicht hübsch. Ein Herrscher sollte doch selbst in der größten Hitze einen Purpur tragen, zumal wenn 120 er mit seinen Frauen ausgeht. Aber so sind die Morgenländer. Dieselben sehen aus, als wären sie eben aufgestanden und noch nicht angezogen.

An der ganzen Küste ist heute Alles auf das Kommende vorbereitet. Die Spießbürger schärfen ihre Spieße, und es finden Pfeil- und Bogenübungen statt. Einige Salven aus den Schiffsluken werden ihnen zeigen, wer der Stärkere ist.


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