Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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7 Ferienarbeiten.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Abermals müssen wir Sie daran erinnern, daß wir in der Reihenfolge Ihrer Berichte keine so großen Pausen, wie Sie sie eintreten zu lassen belieben, dulden können. Es ist uns schon peinlich, fast jeden Bericht förmlich erobern zu müssen, indem Sie uns veranlassen, um denselben wiederholt zu mahnen. Wir ersuchen Sie daher, künftig uns Ihre Berichte mit einer gewissen Regelmäßigkeit und aus freiem Antrieb einzusenden, damit wir des ewigen Erinnerns überhoben werden.

Wir grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

8 Bernau, den 18. Mai 1888.

Gemach! Gemach! O, eine ganze Flucht von Gemächern rief ich Ihnen im Geiste zu, als ich las, daß Ihnen irgend eine Parze den Geduldsfaden entzweigeschnitten hatte. Was verlangen Sie von mir? Was Sie immer verlangen: einen Krieg, um ihn Ihren Lesern als Brocken hinzuwerfen, wie wenn sie denselben sofort besteigen sollten. Aber wenn ich Ihnen nun sage, daß ich nach allen Richtungen der Windrose roch und dennoch keinen Krieg entdecken konnte, werden Sie dann noch behaupten, daß meine Seligkeit irgend etwas wie einen Saum hatte, oder daß ich gar in böswilliger Absicht meine Hände auf die Bärenhaut legte? Wo nichts ist, da ist eben nichts, und ich könnte Ihnen eine ganze Reihe Kaiser nennen, die daselbst ihr Recht verloren haben.

Allerdings habe ich Sie etwas verwöhnt. In den friedlichsten Zeiten habe ich Ihnen häufig mit den ernstesten Conflikten ahnungsloser Völker unter die Arme gegriffen, und wenn Sie um Material verlegen waren, so ließ ich die eisernsten Würfel fallen, daß Ihnen die Augen übergingen. Aber ich bin doch zu der Einsicht gelangt, daß das immer nichts als ein Tropfen war, da der heiße Stein sich in Wirklichkeit nicht im Rollen befand. Denn es dauerte nicht lange, so mußte ich zum Rückzug blasen, – eine journalistische Retirade hat mit dem fünften am Wagen eine verdammte Aehnlichkeit, – und das Publikum bezeichnete das Ganze auf gut Deutsch 9 als: Tant de bruit pour un Hamlet, insofern dieser Dänenprinz als der Inbegriff des Ungeschehenen gilt. Meinem On dit zufolge war damit also – verzeihen Sie das harte Wort! – nichts gewonnen, als höchstens eine nagelfeste Niete.

Warten wir also ruhig den nächsten Zaun ab, von dem ein Krieg gebrochen wird, und Sie werden sehen, daß mich kein Schuster in meinem Leisten beschämen soll. Was aber bis dahin? Der Lenz ist kommen, – darf er für mich ein Faulenz sein? Unter den Küssen des Mai kommen die Bäume endlich auf einen grünen Zweig. Unsummen von Käfern summen, hier macht eine Schwalbe keinen Sommer, dort berauscht sich ein Falter wie am Moselblümchen an einem bescheidenen Veilchen, kurz, alles ist thätig. Da will auch ich nicht dasitzen und mir den Wagen des Helios in den Hals scheinen lassen. Sie wissen, daß und wie gerne ich mich zwischen den Kriegen mit Wissenschaft und Kunst beschäftige, obschon ich in angeborener Bescheidenheit thue, als könnte ich nicht drei Grazien zählen, oder kein Hippokrenchen trüben. Nun hat mich unser Blatt mit seinen Bildern daran erinnert, daß ich den Bleistift eigentlich mit der Muttermilch eingesogen und mich schon als Knabe im Zeichnen ausgezeichnet habe. Was ich damals sah, warf ich ohne Weiteres auf das Papier: kein Stillleben war mir zu still, jede Ruine war mir verfallen, und wenn ich auch den Wald vor Bäumen nicht sehen konnte, ich zeichnete ihn unerbittlich. So habe ich denn meine alten Pinsel und 10 Farben hervorgesucht und ein Bild geschaffen, das ich Ihnen hiermit überreiche. Es ist Hero und Leander.

Schlagen Sie beim Anblicke dieses Bildes nicht die Augen über den Kopf zusammen, in welchem Sie die berühmten Balladen von Schiller haben. Aber wie alle Dichter 11 war Schiller nicht nur Feldscheer, sondern auch Fälscher, wenn auch seine fides gewiß bona waren. Auf dem Pegasus reitet sich eben auch der Beste hinein, der zügellos dichtet. Meine historischen Studien haben nämlich ergeben, daß der Roman Hero's und Leander's anders war. Der Hellespont, die Dardarnellen und die Väter, welche von einer Vereinigung der Liebenden nichts wissen wollten, sind richtig, alles Uebrige aber hat Schiller aus der Leier gegriffen. Wer den Pontus auch nur oberflächlich kennt, wird wissen, daß es unmöglich ist, ihn allabendlich zu einem techtelnächtlichen Schäferstündchen zu durchschwimmen. Und wie dachte sich denn Schiller ein solches Abendteuer? Ist anzunehmen, daß eine Dame wie Hero sich herbeiließ, mit einem doch nur schaumbedeckten Manne zusammenzukommen? Gewiß nicht. Schiller versichert ferner, Hero habe auf dem Söller dem Schwimmer Zeichen mit der brennenden Fackel gegeben, und das sollten die Väter nicht gemerkt und gleichfalls gefackelt haben? Nein, mein Horizont ist so ziemlich hoch, aber das geht denn doch über denselben.

Mein einliegendes Bild schildert wie ein Soldat das Ende des Romans. Hero und Leander haben eingesehen, daß ihre Väter sich niemals zu Schwiegervätern erweichen lassen werden, und den Entschluß gefaßt, von der Landungsbrücke aus vereint in's Seegras zu beißen. Diesen Moment habe ich verewigt, und so lasse ich dem Beschauer die Hoffnung, daß die beiden Liebenden doch noch im letzten Moment die 12 trübe Absicht in's Korn werfen und leben bleiben, während das Ganze auch von Damen betrachtet werden kann, ohne daß ihre Augen erröthen.Die Redaktion hat die Zeichnung ihres langjährigen Mitarbeiters veröffentlicht, um demselben Gelegenheit zu geben, nicht immer nur in seiner Eigenschaft als Kriegsberichterstatter vor dem Publikum er erscheinen. Daß er auch auf diesem Gebiet sich an ein Vorhandenes anlehnt und in der vorliegenden Leistung an dem allgemein bekannt gewordenen Gemälde E. Neide's »Die Lebensmüden« nur einige Kleinigkeiten und den Titel geändert hat, sahen wir und sieht auch der Leser auf den ersten Blick.

Wenn Ihnen das Bild nicht wie Kain gezeichnet erscheint, so soll mein Bleistift nicht ruhen. Vorläufig begnügen Sie sich noch mit dem Bild der Zerstörung, welches mein Portemonnaie darbietet. Die Modelle haben mich ganz leer gestanden, und ich bitte Sie (den Künstler ziert leider Bescheidenheit!) um nur 40 Mark Vorschuß. Und wenn Sie eine neue Doppelkrone mit dem Bildniß des Kaisers Friedrich haben sollten, so legen Sie mir solche dazu, damit auch mein Auge eine Freude habe.


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