Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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80 Das Septennat.

Herrn Wippchen in Bernau.

Sie wissen, was wir Ihnen schreiben wollen: Wir haben lange nichts von Ihnen gehört. Sehr wohl begreifen wir, daß Sie nicht Lust haben, sich auf die kleinen Kriege einzulassen, welche augenblicklich in uns recht fernliegenden Ländern stattfinden und außerdem auch im Allgemeinen ziemlich ereignißlos verlaufen. Immerhin aber bedauern wir und finden wir es absolut falsch, daß Sie so selten etwas veröffentlichen, allzu lange Pausen eintreten lassen und sich damit der Gefahr aussetzen, in Vergessenheit zu gerathen. Schon diese Erwägung sollte Sie veranlassen, uns recht bald wieder irgend einen Bericht zuzusenden. Wir rechnen dabei nicht etwa auf 81 eine hervorragende Schlacht, am allerwenigsten auf eine in Europa, denn unseres Wissens liegt augenblicklich der Krieg darnieder, und es ist auch kein solcher in Sicht. Indeß wird Ihre geschätzte Findigkeit schon einen halbwegs kriegerischen Stoff ausfindig machen, der sich in der Reihe Ihrer Berichte vortheilhaft verwenden ließe. In dieser Ueberzeugung bitten wir Sie um die baldigste Einsendung des Manuscripts.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 30. März 1887.

Ich habe längst erwartet, daß Sie mir schreiben würden, es sei bedauerlich, daß ich mich, wenn nicht allzu selten, so doch nicht häufig genug machte, und ich sehe auch ein, daß es ersprießlicher wäre, wenn ich von Zeit zu Zeit auch ohne zwingenden Grund mit der Thür in den geschlossenen Janustempel fiele, irgend einen Frieden vom Zaun bräche und Ihnen eine, wenn auch kleine, Schlacht lieferte. Vom Standpunkt der Zeitung betrachtet, wäre es sogar Pflicht eines guten 82 Kriegsberichterstatters, das Schlachtfeld fleißig zu bestellen und nicht zu lange brach liegen zu lassen. Ferner gebe ich zu, daß es für einen gewissenhaften Correspondenten feder- und dinteleicht sein muß, irgend eine Friedenspfeife ausgehen zu lassen und in ein beliebiges Kriegsdrommetchen zu stoßen. Denn Funken giebt es fast allerorten wie Sand in der Uhr, und es bedarf oft nur eines einzigen Pulverfasses und sie fliegen in die Luft. Alle Völker starren in Waffen sich an, und eines derselben braucht nur eine gute Miene zu machen, so fragt schon das andere: Hältst Du vielleicht mein Spiel für ein böses? und wenn dann noch gar ein drittes Volk vorhanden ist, welches denkt, man müsse die Ränke schmieden, so lange sie heiß sind, und man könne für sich dabei irgend eine Kastanie aus dem Feuer holen, so ist der Mars unrettbar gefunden. Es wäre also ein Leichtes, eine Redaction mit Kriegsberichten zu versorgen.

Wenn ich trotzdem dann und wann zögere, Ihre Leser in einen Krieg zu stürzen, in's volle Menschensterben hineinzugreifen und das kleinste Grashälmchen mit Blut zu düngen, so geschieht das wohlüberlegt. Denn ich bin über und überzeugt, daß der Krieg. im Uebermaß gelesen, zum perdrix werden kann, das dem Leser zum Halse herausfliegt. Die Schlachten mögen noch so entscheidend, Flucht und Rückzug noch so wild, die Quarrés noch so gesprengt, die Festungen noch so geschleift ausfallen, schließlich kann dies doch leicht zu viel des Guten werden und selbst den unverwöhntesten 83 Gaumen abschwächen. Wenn über Italien bekanntlich ein ewig blauer Himmel lacht, so giebt es auch Menschen, welche über den ewig blauen Himmel Italiens lachen, indem sie sagen, daß ein Himmel, der fortwährend über Alles ein Gelächter aufschlägt, langweilig wird, und sich danach sehnen, daß der Himmel einmal seine Wolken runzelt und die Sonne ihre Strahlen in Falten legt, damit sie nächstens eine Abwechselung haben und ausrufen können: »Potz Blitz, da kommt endlich ein Gewitter!« Und mit Vergnügen, wie ein Briefschreiber, ergreifen sie den Regenschirm. Kurz, ich bin der Ansicht, daß ein kluger Kriegsberichterstatter dann und wann seine Feder auf die Bärenhaut legen und die Reihe seiner blutigen Manuscripte unterbrechen wird.

Immerhin sehe ich ein, daß es auch auf diesem Gebiete, wenn auch keine goldene, so doch eine silberne Mittelstraße giebt. Ich sende Ihnen daher einen Artikel über das Septennat, in welchen Apfel eines peinlichen Zankes der deutsche Reichstag ebenso herzhaft, gleichsam wie in's Gras, gebissen hat, – es ist ein Artikel, welcher den Krieg nur mit dem Aermel streift, also eigentlich weder Kriegsfisch, noch Friedensfleisch ist. Er wird Ihnen gefallen, ich mag wollen oder nicht.

Der erste April ist wie Hannibal vor der Thür. Dieser erste Tag des Kibitzmonds ist nun einmal dem Gotte Komus geweiht, und jeder muß sich wohl oder übel in den ersten April schicken. Da habe denn selbst ich, der ich im Grunde ein kreuzernster Mann bin, einen Scherz vor, für den ich um 84 Ihre Unterstützung bitte. Ich sende Ihnen morgen einen Brief mit Werthangabe: Einliegend 50 Mark. Sie öffnen ihn und lesen: »April! April!« Die Bedeutung dieses Scherzes ist die, daß ich nur die Summe angegeben habe, welche ich von Ihnen als Vorschuß erbitte, den Sie mir alsbald um 10 Mark vergrößert schicken, und so sind wir Beide – verzeihen Sie das harte Wort! – düpirt.

* * *

Berlin, den 1. April 1887.

W. Ich halte die Bezeichnung Septennat für verfehlt. Da dasselbe eine Schöpfung Bismarcks ist, so wäre, besonders da es ohne Zweifel mindestens ein Jahr länger dauern wird, Ottonnat richtiger gewesen.

Sagen wir aber: Septennat. Denn es hieße doch leere Danaiden dreschen, wollten wir allein Ottonnat sagen, weil der Reichskanzler Otto heißt. Aber daß das Septennat eine Schöpfung des Fürsten Bismark ist, das ist doch so klar, wie es der bekannte Theaterdirektor heißt.

Das Septennat ist der Frieden, der, ein lieblicher Knabe, nun bis 1894 am ruhigen Bach gelagert liegen wird, obschon ich mir ein Lager nur als etwas kriegerisches denken kann. Wie es einen siebenjährigen Krieg gab, so wird es auch einen siebenjährigen Frieden geben, und Jeder, der das Herz und 85 keine Mördergrube auf dem rechten Fleck hat, muß sich freuen, wenn wenigstens die nun folgenden sieben fetten Kühe vorübergehen, ohne daß eines unserer Nachbarvölker uns die Friedenspfeife vor der Nase verstopft. Ich sage dies, obschon ich sehr wohl weiß, daß meine Feder in Gefahr schwebt, nach und nach trocken gelegt zu werden, wenn sieben Jahre lang aus dem Rade der Zeit kein Schwert gezogen, von der diplomatischen Sphinx kein Schuß gelöst wird, kurz, wenn die Völker während einer halben Aeon fortwährend Frieden mit einander führen.

Denn, wenn nicht dann und wann, einerlei wo, ein Mars ausbricht, so steht der Kriegsberichterstatter bald dem trostlosesten vis-à-vis de rien gegenüber, und wenn er sich dann aus dem Hungertuch einen Bettelsack schneidern läßt, so hat er nichts zu nagen.

Ich persönlich also begrüße das Septennat eigentlich als ein Mann, dem es den Brodkorb an dem nächsten Baum höher hängt, trotzdem freue ich mich und hoffe, daß es nicht zu einem Quaranteseptennat, d. h. daß es nicht der Kern eines Erisapfels werden wird.

Diese Gefahr ist aber leider vorhanden.

Denn nun erschöpft sich jede europäische Macht in Friedensversicherungen. Jede will das Karnickel sein, welches den Frieden angefangen hat, jede will den Stein des Friedens zuerst in's Rollen gebracht haben, jede will die Absicht haben, höchstens nur einen ihr aufgezwungenen Vertheidigungskrieg in Angriff zu nehmen, keine will je in dem Verhalten des anderen ein Haar gefunden haben, das sie ihr hätte krümmen können. Und darin sehe ich den Hund begraben liegen, auf den der Frieden kommen könnte. Denn wenn eine Großmacht fortwährend der anderen auf den Kopf zusagt, daß sie friedlicher sei als die andere, muß dies nicht über kurz oder noch kürzer eine Verbitterung wachrufen, welche schließlich dahin führt, daß die eisernen Würfel aus der Scheide fliegen? Da hätten wir dann den Friedenskrieg!

Ich will es nicht hoffen. Aber es ist doch nöthig, daß es einmal gesagt wird. Gott schütze den Krieg vor seinem Ausbruch wegen eines Streits um die größere Friedensliebe!


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