Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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49 VI.

Rom, den 11. Oktober 1888.

W. Da bin ich in Rom, auf den sieben Hügeln, in der noch immer ewigen Roma æterna.

Ist das dieselbe Stadt des Romulus und Remus, welche die Wildheit gewissermaßen mit der Lupusmilch eingesogen haben? Es mag diese Wölfin ein Ammenmärchen sein, aber wahr bleibt es doch, daß Rom mit einem Brudermord begann und diesem den Raub der Sabinerinnen folgen ließ. So ging es viele Jahrhunderte fort. Rom hatte noch lange Zeit kein Pflaster, als dasselbe schon immer mit dem Blut der Edelsten gewaschen wurde. Wie ein Fluch lag die Geschichte auf dieser klassischen Stadt, mit deren Sprache selbst heute noch so viele Lehrer ihren Schülern die Köpfe zerbrechen. Ich will die vernarbten Mommsen und alle die anderen großen Geschichtsschreiber nicht aufreißen, der Leser wird ohnedies wissen, daß, wie Cäsar selbst auf dem Forum seines Brutus nicht sicher war, jeder römische Civis eigentlich den Dolch des Meuchlers im Tornister trug und daß der Sklave 50 das geborene Kanonenfutter der Muräne war. Nein, das ist nicht dasselbe Rom, in welchem ich heute in dem Hôtel »Zur goldenen Capitolsgans« meinen Bericht für diese Zeitung verfasse. Rom ist heute eine der liebenswürdigsten Städte des entdeckten Globus.

Wenn wir bedenken, wie sich Rom einst – es sind jetzt kaum 1880 Jahre her – mit Deutschland schlecht vertrug! Ich erinnere an das blutige Kleist'sche Drama im Teutoburger Walde, aus dem nur ein einziger Römer entkam, um dem Kaiser Augustus über den äußeren Mißerfolg zu berichten. Redde! Redde! rief dieser, aber da war nichts mehr zu redden, und so oft Rom wieder den Versuch machte, diesen Varus auszuwetzen, immer wieder wurde ihren gelichteten Reihen so heimgeleuchtet, daß sie in hellen Haufen zu Grunde gingen.

Auch wenn wir daran denken, daß einst ein deutscher König in einer Kälte, welche strenger war als Gregor, drei Tage lang auf nackten Füßen dastehen mußte, um den Papst zu bestimmen, die Acht, in die er gethan war, wieder zu streichen, dann müssen wir sagen, daß die Zeit Wunder gewirkt hat. Wie hat sich das alles geändert! Zwischen Deutschland und Italien ist ein Bündniß errichtet, welches ihre Gegner nicht zu übersteigen im stande sein werden, die beiden Reiche haben gewissermaßen Schwesternschaft getrunken und auf Du und Tu angestoßen, und nicht mehr wie früher drücken die Alpen die Brust Beider. Mit Oesterreich vereint, 51 bilden diese drei Mächte eine Phalanx im Fleisch Europas, welche jeden Erisapfel im Keime erstickt.

Von diesem Gedanken beseelt, gestaltete sich die Ankunft des Kaisers Wilhelm zu einem der schönsten Feste, das Rom je gesehen. Ich erinnere nur an das Fest der Diana, der Göttin der keuschen Jagd, an die Saturnalien, die Bacchanalien u. s. w., welche durch unser Fest in den Schatten verdunkelt wurden. Vom Bahnhof bis zum Quirinal sah man nur Kehlen an Kehlen, welche Evvivat hoch! riefen, Hände an Händen, welche Beifall klatschten, wehende Tücher und regnende Blumen. Lauter Gladiatoren mit jauchzendem Ave, Imperator! Man kann sich kein gebildeteres Spalier denken. Und als dann die hohen Herrschaften auf dem Balkon des Schlosses erschienen, da spottete der Enthusiasmus derart jeder Beschreibung, daß das Echo im Tarpejischen Felsen geweckt wurde und auch nicht wieder einschlief. Fast bis zum frühen Phöbus dauerte dies fort, nachdem die Illumination längst erloschen war, unter deren Leuchten das milde Licht der ewig wechselnden Luna verblaßte.

Ich habe heute kaum Zeit gehabt, mich zu Tisch zu legen, aber nach Tisch zu stehen oder gar tausend Schritte zu gehen, das war mir ganz unmöglich. Nun sehne ich mich nach Morpheus' Posen, um morgen mit dem Anbruch Auroras wieder frisch zu sein, damit der Tag kein perdidi werde.

* * *

52 Rom, den 12. Oktober, Abends.

Der Morgen war herrlich. Kein Wölkchen trübte den Wagen des Helios, als derselbe über dem Titusbogen heranrollte. Die Römer wogten schon in den Straßen auf und ab, es war, als hätten sie ihre Laren nur, um die Toga zu wechseln, aufgesucht, um gleich wieder in die Via triumphalis hinabzusteigen.

Als die reizende Sklavin mit dem Thee in mein Zimmer trat, mir freundlich einen Salve wünschte und Carpe diem! mahnte, drang bereits ein wirres Menschengedränge von der Straße herauf.

Eine Viertelstunde später war ich schon auf dem Wege zum Vatikan, in welchem der deutsche Kaiser erwartet wurde. Leider behauptet der Papst noch immer, daß die Krone, welche der König von Italien trage, ihm geraubt worden sei, und so weichen denn Quirinal und Vatikan einander noch immer ängstlich aus, während sie doch so friedlich zusammenstehen könnten, wie etwa, um einen neuen Vergleich zu wählen, in unserem geliebten Deutsch die Worte: kurz und gut, sammt und sonders, klipp und klar, Geld und Gut, früh und spät, munter und wohl, Hand und Fuß. Doch – lassen wir die Politik einen guten Mann sein, und kehren wir zu dem Bilde zurück, welches sich um den Vatikan entrollt.

An diesem hält das päpstliche Militär Wache, die aus 53 Schweizergarden und Gendarmen besteht. Die Erstgenannten sind mir räthselhaft. Weshalb, fragte ich einen Römer, ist der Papst von Schweizern umgeben, da er behauptet, er sei ein Gefangener, und die Schweizer ihn doch an das Land der von der Freiheit bewohnten Berge erinnern müssen. Der Römer aber machte ein Gesicht, als wollte er warnend sagen: Sie, lentium!

Da, ein stürmisches: Hurrah, Kaiser Wilhelm! und der deutsche Kaiser nahte mit seinem Gefolge. Die Schweizer präsentiren die helle Barde, und päpstliche Würdenträger, Fürst Ruspoli voran, geleiten ihn zum Thronsaal.

Die Unterhaltung zwischen Kaiser und Papst fand unter vier Augen statt, und kein fünftes Ohr hat es gehört. Vielleicht fällt es mir noch ein, und dann sollen meine Leser alles so haarklein wie möglich erfahren. Noch sind meine Sinne von den mich umfluthenden Begebenheiten zu sehr gefesselt, als daß ich den Wortlaut auch nur leise feststellen könnte.


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