Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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43 V.

Herrn Wippchen in Bernau.

Sie würden uns einen großen Dienst leisten, wenn Sie sich sofort an die Fortsetzung Ihrer Berichte über die Kaiserfahrt machten. Wir haben nicht geglaubt, daß wir Sie erst an dieselbe erinnern müßten. So weit es uns möglich war, haben wir aus den Blättern einen vorläufigen Bericht zusammengesetzt, nun aber brauchen wir direkte Nachrichten.

Solche erwartend, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

44 Bernau, den datumten des Poststempels 1888.

Gewissermaßen stante velocipede mache ich mich an die Dinte, um Ihren Wunsch zu erfüllen, ohne Ihnen aber zu verschweigen, daß ich mich von dieser Arbeit lieber bis zur Athemlosigkeit gedrückt hätte. Denn Festberichte sehen sich ähnlicher als Eier, insofern es doch so verschiedene (Straußen-, Kibitz-, Spiegel-, Schmetterlings-, Oster-, Fisch-) Eier giebt. Und zumal Berichte über Herrscherbesuche können immer nur von Spalieren, Hoftafeln, Empfängen, Galavorstellungen, Paraden und dem schließlichen Ordenspluvius erzählen. Ja, ließen die Fürsten unsereinen zu, wenn sie unter dem Siegel der vier Augen mit einander verkehren, wenn wir dabei wären, wenn sie, fern von dem Geräusch der Hofleute, den lieblichen Knaben befestigen, als welcher der Friede fortan am ruhigen Bach gelagert liegen soll, dann wäre das Referiren ein Handwerk mit dankbarem Boden. Aber stets stehen wir Berichterstatter ante portas zusammengehannibalt, angewiesen darauf, aus schlechtunterrichteten Fingern das zu saugen und aus der gerüchtsweisen Luft das zu greifen, was die Welt wissen will. Denn daß die Kaiser und Könige sich besuchen, um sich einmal wieder den Purpur herzlich zu schütteln und anzufragen, wie es der Dynastie gehe, also gewissermaßen um zu einem Fürstenkränzchen zusammenzukommen, das möchte ich – verzeihen Sie das harte Wort! – bezweifeln. Und doch ist der Berichterstatter nur im Stande, abgerittene 45 Fronten, gemachte Cercles. abgenommene Paraden, eingenommene Diners, beigewohnte Theatervorstellungen und verliehene Dekorationen zu schildern.

Das war in Stuttgart und München der Fall, das wird auch in Wien und Rom ähnlich sein. Ich sende Ihnen also einliegend Wien und verfasse Ihnen Rom für die nächste Nummer. Sollten Sie diese, also Nr. 42, in einer Ziffer auf einen 50-Markschein vorfinden. so senden Sie mir denselben als Vorschuß. Er wäre mir als Andenken werth, indeß will ich nicht eigensinnig sein und mich mit der Ziffer 4 oder 2 begnügen.

* * *

Wien, den 6. Oktober 1888.

W. Endlich ein Moment der Ruhe nach dem Gewitter! Mein Wagen ist wie gerädert, wie Lenore fuhr ich in den letzten Tagen seit der Morgenrothstunde in der Stadt umher, um mich in den prächtigen Straßen der österreichischen Residenz in den Fluthen der Begeisterung dieses liebenswürdigen Volks satt zu spiegeln. Durch seine aufrichtigen Hurrahs gestaltet Wien diese Jahreszeit zu einem wörtlichen Hochsommer. Die üppige Vindobona ist bräutlich geschmückt, man sieht vor lauter Mastbäumen den Guirlandenwald nicht. Ueberall Leben und Bewegung, und der Volksjubel wird von den Wellen der Straußischen schönen blauen Donau hinausgetragen 46 in die Schweiz der Umgebung, und wo sich Franz Joseph der Erste und Wilhelm der Zweite zeigen, da will jeder Wiener in diesem Bunde der Dritte sein.

Als ich dem Empfang des Deutschen Kaisers beiwohnte und ganz hingerissen bemerkte, wie jedes Auge ein Vivat sprühte und kein Sacktuch ungeweht blieb, da fühlte ich, daß wir völlig eins sind und daß es nur noch eines einzigen Krieges bedarf, um Deutschland und Oesterreich völlig zu befreunden.

Es wäre ein Schauspiel für Götter, wenn es deren gäbe, gewesen, wenn sie in diesen Tagen gesehen hätten, wie einig die Deutschen sind, wenn sie getrennt leben. Da waren die Herzen so voll, daß kein Erisapfel zur Erde fallen konnte, da war alle Zwie- oder Mehrtracht beseitigt, da nahm keiner den anderen etwas krumm, auch wenn es nicht gerade war, da sah keiner den andern mit scheelen Augen an, auch wenn er solche hatte. Es war ein Fest der Verbrüderung zweier Schwesterstädte.

Die Fahrt der beiden Kaiser vom Bahnhof nach der Hofburg war ein Triumphzug. Die Häuser beugten sich unter der Last der Teppiche, Rosen wurden auf den Weg gestreut und des Harms absichtlich vergessen, zahlreiche Musikcorps erklärten: Ich bin ein Preuße, und frugen: Kennt ihr meine Farben? oder intonirten: Heil Ew. Majestät im Siegerkranz, und überall wurde die Luft von geschwenkten Hüten und Tüchern jubelnder Schaaren erschüttert.

47 Das Dejeuner wurde auf der Deutschen Botschaft gefrühstückt, worauf der Kaiser Wilhelm in das Atelier Angeli's fuhr. Man fragte sich, weshalb der Kaiser den berühmten Maler besuchte, weshalb Angeli nicht zum Kaiser ging. Fürchtete Angeli, den Kaiser nicht zu treffen? Müßige Frage bei einem solchen Porträtmaler, der stets sprechend ähnlich in's Schwarze trifft. O nein, das war es nicht. Der Kaiser hat der Kunst eine Huldigung dargebracht, indem er einen ihrer berühmtesten Meister in dessen vier Leinwänden aufsuchte. Auch die Akademie der bildenden Künste wurde durch einen Besuch ausgezeichnet: ein Beweis, daß Wilhelm II. auch die Künste des Friedens rechts liegen läßt.

Schon am ersten Kaisertage jagte ein Fest das andere. Für Feste giebt es eben keine Schonzeit. Dem Familiendiner beim österreichischen Kaiser folgte ein Hofgalakonzert im Ceremoniensaal, in welchem 3000 Wachskerzen eine blendende Wärme verbreiteten, und der nur mit Mühe die Zahl der Eingeladenen faßte. Die ersten Künstler Wiens bildeten das Programm. Seit Schillers Handschuh hatte man rings auf hohem Balkone solch einen schönen Kranz von Damen nicht gesehen. Tiefe Stille herrschte im Saal, auch die leiseste Pause wurde hörbar, als Reich-, Winkel- und wie diese Männer der Oper alle heißen mögen, sangen. Nach jeder Nummer – denn ein Applaus ist in solchen Konzerten nicht gestattet – brach ein frenetisches Schweigen aus und erdröhnte der Saal vom rauschend unterlassenen Bravo.

48 Während der Pause fand Cercle statt. Cercle ist seit Archimedes ein Kreis, den allerhöchste Herrschaften aus blaublütigen Punkten bilden, die durch Anreden ausgezeichnet werden. Die Angeredeten werden dadurch in tiefe Verbeugungen verwickelt, und so entspinnt sich rasch ein interessanter Monolog.

Nach dem Konzert beehrte der Kaiser die Künstler mit Ansprachen. Diese Herren und Damen – ich nenne absichtlich das schwache Geschlecht zuerst – merkten hier so recht den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und den Brettern. Sie sind ja Abends meist Kaiser und Könige, jedenfalls ist Jeder schon als Baßileus aufgetreten, er sei nun Tenor oder Bariton, vor der Primadonna, wenn sie Herrscherin war, sang mancher Chor in die Knie, und wenn sie abtraten, so wurden sie wohl stürmischer zurückgerufen, als z. B. Napoleon III. zurückgerufen wurde, nachdem er in Sedan von seinem Degen herabgestiegen war. Doch nun standen diese so oft mit Purpur bekleideten Sänger und Sängerinnen vor vier wirklichen zwei Kaisern und Königen, und wehe ihnen, wenn sie auch nur einen Augenblick allergnädigst geruht hätten! Die Marke, Peter der Große, Gustav, Margarethe von Valois u. a. standen so unter da, wie man sich nur einen Unterthan denken kann, und es war mir, als suchten sie nach dem Strohhalm des Souffleurkastens.


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