Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Auf die Gefahr hin, Sie abermals zu erzürnen und zu den ungerechtesten Aeußerungen Ihres Unwillens zu veranlassen, zeigen wir Ihnen an, daß wir gezwungen waren, Ihren jüngsten Bericht bei Seite zu legen.

Es herrscht nämlich in demselben eine so colossale Verwirrung, daß wir nicht im Stande waren, etwas Ordnung zu schaffen, so viel Mühe wir uns auch gegeben haben.

Sie verwechseln fortwährend die Zulus mit den Afghanen, Jakub Khan mit Cetewayo, Kabul mit Capetown. Sie lassen Jacub Khan nach der Capstadt bringen, Sir Wolseley nach dem aufständischen Isandula unterwegs sein, kurz, richten 168 ein Tohubohu an, das wie eine absichtliche Fopperei aussieht. Denn anders können wir uns dies consequente Durcheinander absolut nicht erklären.

Um so dringender bitten wir Sie, Ihre Absicht, nächstens den Krieg mit Birma zu beginnen, um den König Theebaw zu züchtigen, nicht zur Ausführung zu bringen. Sie scheinen Zeitungsnotizen mißverstanden zu haben: es ist britischerseits noch nichts gegen den König von Birma unternommen, obwohl ein Conflict allerdings besteht.

Indem wir Sie um einen druckreifen Bericht ersuchen, der zu der Ueberschrift Ihrer Rubrik einigermaßen paßt, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 9. October 1879.

Sie sind in einem bedauerlichen Holzwege befangen, wenn Sie glauben, daß mich Ihr geschätzter Brief erzürnt hat. Ich war ganz ruhig, weder vergoß ich Gelächter, noch hielt ich mir den Bauch vor Thränen. Habe ich wirklich die Zulus mit den Afghanistanern verwechselt und dadurch einen Thurmbau von Babel herbeigeführt, so versteht es sich von 169 selbst, daß ich Ihnen Recht gebe und wünsche, daß das Geschehene in den Lethe gerathen möge. Ich weiß, daß ich nicht ohne Fehler bin, bitte Sie, zu bedenken, daß ja auch die Sonne Flecken und Dörfer hat, und daß selbst unter dem keuschesten Monde kein Perfectum vollkommen ist.

Zu meiner Entschuldigung führe ich an, daß ich oft pressirt und daher genöthigt bin, meinen Bericht über's Knie zu schreiben. Das Sprüchwort sagt: Qui va piano, va forte, aber ich kann eben nicht immer langsam arbeiten, da mir zuweilen, besonders wenn der Briefkasten gleich abgeht, die Nägel unter den Sohlen brennen. Dann beeile ich meinen ventre-à-terre, froh, daß ich noch zeitig auf den Bahnhof komme, um meinen Brief in das schon zum dritten Mal klingelnde Dampfroß zu stecken.

Dazu kommt noch, daß England diesen Augenblick in einen doppelten Mars verwickelt ist. Eine Weile mag das für den Berichterstatter gehen, so lange es ihm nämlich noch weiß vor den Augen wird. Plötzlich aber fließt Alles wirr und warr ineinander. Wenn Sie z. B. fortwährend Tell und Don Carlos aufführen sehen würden, so glauben Sie schließlich, daß Tell dem Posa im Gefängniß den Apfel vom Kopf schießt, daß die Eboli zwar mit König Philipp ein Techtel, aber auch mit Geßler ein Mechtel hat, und daß Alba, Domingo und der Großinquisitor die drei Männer auf dem feurigen Rütli sind. So wird aus dem Mixtum gar bald ein sogenanntes Compositum.

170 Außerdem aber war ich in der jüngsten Woche recht verstimmt, denn ich habe in der Berliner Gewerbe-Ausstellungs-Lotterie Nichts gewonnen, obschon ich, um sicher zu gehen, zwei Loose à 1 Mark gekauft hatte. Ich wollte eben einmal Fortuna – verzeihen Sie das harte Wort! – bei den Füllhörnern packen. Aber ich bin ein rechter Pechpilz, niemals fällt mir das kleinste Schwein in den Schooß, das ist sicher wie das Amen beim Bäcker. Allmählig freilich bin ich ruhiger geworden, aber ich ärgere mich doch, daß ich solch ein Hohenstaufe bin. Ich würde mich weniger beklagen, wenn mich nicht der Traumgott unaufhörlich neckte. Hier z. B. gaukelte er mir allnächtlich die Nr. 575,294 vor, auf welche der Hauptgewinn fallen würde. Ich telegraphirte, bekam aber gar keine Antwort, denn wie ich später erfuhr, gab es nur 500,000 Nummern.

Wenn Sie berechnen, was ich auf meine beiden Nummern hätte gewinnen können, so werden Sie einsehen, daß ich große Verluste erlitten habe. Ist es da zu viel, wenn ich um einen Vorschuß von 60 Mark (à 20,36) bitte? Nein? O, ich wußte es. Dann bitte ich um 80.

* * *

Im englischen Lager, den 1. October 1879.

W. In einer Verkleidung bin ich glücklich aus Kabul entronnen. Es war schwer, eine Maske zu erlangen. Ich suchte überall vergeblich die gewöhnlichsten Costüme: einen 171 Mönch, einen Ritter, eine spanische Tänzerin, einen Storch, einen Landmann. Nichts von alledem war bei den Maskenverleihern zu haben. Endlich trieb ich eine Pappnase und eine Dienstmannsmütze auf. So kam ich mit knappem Auge davon.

Hier, im englischen Lager, war Jakub Khan bereits eingetroffen. Die Lagerhüter hatten ihn ruhig passiren lassen. Keiner mochte mit diesem grausamen Herrn etwas zu thun haben. Schlag Montag begann er mit General Roberts zu unterhandeln.

Daß der Emir nicht weit vom Stamm fällt, ist ja bekannt. Er ist vor- und hinterlistig, unter- und überschlau, ein Diplomat wie Richelieu der Vierzehnte, jederzeit bereit, selbst seinem besten Freunde das Fell über die Ohren zu hauen. Wäre ich General Roberts, so schüttelte ich ihm den Staub von den Schuhen und schickte ihn wieder fort.

Was will er hier?

Ich kann es mir denken. Nachdem er das Kind mit dem Blutbade, das er in Kabul anrichtete, ausgeschüttet hat, will er von den Engländern selbst wieder in seine Residenz zurückgebracht werden, ihnen dann eine Nase drehen und sie an derselben herumführen. Anders kann ich mir diesen Oerindur nicht erklären.

Deshalb habe ich dem General Roberts, als ich gestern mit ihm in einer der herrlichen Alleen des Artillerieparks auf und abging, folgenden Vorschlag gemacht, den ich für originell genug halte, um ihn auch Ihnen mitzutheilen:

172 Die Engländer erbauen ein großes Pferd aus Fichtenholz, innen hohl, setzen Jakub Khan mit seinen Begleitern hinein, und schieben es in die Nähe von Kabul, aussprengend, sie wollten dadurch von der Götter Gunst beglückte Wiederkehr erflehen. Dann müßten sie sich auf einer nahen Insel verstecken.

Alsbald würden, so fuhr ich fort, die Kabuler aus der Stadt kommen, um das Roß auf Walzen in die Stadt zu ziehen, weil sie es eben für ein Wunderbild halten. Ist dies geschehen und schläft dann Alles den Morpheus des Gerechten, so wird das Pferd geöffnet, und Jakub Khan und seine Leute kommen heraus und werfen Alles über und unter den Haufen. Thun sie dies aber nicht, so würden wir daran sehen, daß sie die Engländer nur hintergehen wollten. Sofort käme die englische Armee aus dem Versteck heraus, rückt in Kabul ein und läßt Alles über die Pfanne springen.

General Roberts will das Pferd in Erwägung ziehen. Ich halte die Idee für klassisch.

 

 


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