Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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17 Der Berliner Congreß.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre Idee ist eine vortreffliche. Sie entzückt uns. Wir begrüßen sie als eine Ihrer besten. Herzlichen Dank für das Anerbieten, das wir ohne Weiteres acceptiren.

Der am Donnerstag den 13. in Berlin beginnende Congreß wird Ihnen Gelegenheit geben, auf dem Gebiete der Berichterstattung Außerordentliches zu leisten, besonders wenn wir bedenken, daß die Verhandlungen mit einem dichten Schleier umgeben sein werden und kaum ein Wort derselben in die Oeffentlichkeit dringen dürfte.

Sie waren so freundlich, uns gleichzeitig mit ihrem Anerbieten, die Leitung unseres Congreß-Feuilletons zu übernehmen, einen Bericht aus der Eröffnungssitzung zu senden, den wir aber mit 18 Ihrer Erlaubniß ungedruckt lassen. Denn der Congreß wird, wie gesagt, erst am 13. eröffnet, und am allerwenigsten dürfte es wohl ein Berliner Blatt wagen, bereits am 7., also sechs Tage früher, Mittheilungen aus den Verhandlungen der ersten Sitzung zu veröffentlichen.

Vernachlässigen Sie, bitte, trotzdem die Pariser Weltausstellung nicht, und verwechseln Sie, was Ihnen ja leicht passiren könnte, diese Ihre beiden Aufgaben nicht miteinander, indem sie über den Pariser Congreß und über die Berliner Weltausstellung berichten. Das würde die Leser doch leicht verwirrt machen.

Wir grüßen Sie, Ihre Berichte erwartend,

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 6. Juni 1878.

Ich erschien mir, als ich Ihren werthen Brief las, wie ein Wüstenwanderer, welcher, unter dem senkrechten Wagen des Helios verschmachtend und sich im Sande verlaufend, plötzlich eine Oase murmeln hört und sich durch einen kühlen Trunk wieder erfrischt. Meine Idee, den Congreß zu übernehmen, sagt Ihnen zu, Sie sind von ihr sogar entzückt. 19 Das war nach langer, langer Frist einmal wieder ein Tropfen aus meinen heißen Stein! Ich bin dadurch ein neugeborener anderer Mensch! Fast fürchtete ich schon, Sie würden mir mitleidig den Rücken zucken und mich abweisen, denn ich habe Pech. Bedenken Sie, daß ich jahrelang in der Preußischen Lotterie eine Nummer spielte, welche endlich mit dem großen Loose, aber in der Braunschweiger Lotterie, gezogen wurde. Wenn dem Glücklichen keine Stunde schlägt, mir häufig. Gewiß nicht. Aber das läßt mich kalt. Wenn Sie mir jedoch für meine Ideen ein Lob auf die Stirn drücken, dann möchte ich mich vor Freude auf Ihren Kopf stellen, dann ist mir so wohl, als müßte ich, wie Goethe sagt, fünfhundert Säue umarmen, dann bin ich so recht in meinem esse delendam, dann rufe ich mit Schiller:

»Ein Augenblick, gelebt im Paradies,
Ist Tugend und Begriff.«

So bin ich seit meiner frühesten Geburt gewesen, und so will ich bleiben, bis ich, wie Bürger behauptet, schnell reite.

Angenehm ist es mir nicht, daß Sie mir die erste Sitzung nicht abdruckten. Die Welt sieht dem Congreß mit großer Ungeduld entgegen, und ich glaubte daher, mit der Eröffnung nicht zu früh kommen zu können. Nach post festum kann schließlich jeder Bote hinken.

Ich weiß noch nicht, ob ich nicht schon in meinem nächsten Brief den Abschluß der baldigen Friedenstaube in Aussicht stelle. Es würde dies die Runzeln von mancher Stirnfalte 20 scheuchen. Und ob ich den Hansabund am Congreß theilnehmen lasse? Ich schwanke noch mit einem Fuß im Entschluß. Denn der Hansabund existirt eigentlich nicht mehr.

Schließlich noch ein ad vocem. Wie die »Kölnische Zeitung« berichtet, hat sich auf dem Mond ein großer Krater neugebildet. Wünschen Sie über dieses Ereigniß einen ausführlichen Bericht? Ich sehe hier allabendlich die Halb- und Voll-Luna ganz deutlich.

Und wie ist es mit einem Vorschuß? höre ich Sie fragen. Nun, 20 Mark dürften genügen, auch 25. Aber ich bitte Sie, mir diese 45 Mark recht bald zu schicken.

* * *

Berlin, den 7. Juni 1878.

W. Ich bin gestern zum Congreß hier eingetroffen. Berlin wimmelt bereits von Staatsmännern. Gestern Abend war z. B. der erste Rang des Opernhauses von ihnen überfüllt: ein Parterre von Diplomaten!

Den Congreßsaal habe ich schon gesehen. Ich glaube aber, daß er etwas zu klein sein wird, wenn in demselben die Türkei wirklich getheilt werden soll. Man wird dann auch in den Nebenräumen theilen müssen. Ob dabei das Rauchen gestattet sein wird, das weiß ich nicht. Aber Hunde dürfen nicht mitgebracht werden, das höre ich aus bester Quelle.

21 Während ich im Saal war, kamen die Diplomaten und belegten die Plätze. Dabei erlauschte ich folgendes Sechsgespräch:

Habe ich die Ehre, den Grafen Schuwaloff vor mir zu sehen? fragte Waddington französisch.

Ich bin der Graf Schuwaloff, sagte dieser russisch. Ich werde neben Ihnen sitzen.

Und ich Ihnen gegenüber, rief Safvet Pascha türkisch.

Dann nehme ich rechts neben dem Fürsten Bismarck Platz, warf Lord Beaconsfield englisch dazwischen.

Und ich links, versicherte Corti italienisch.

Ich bin noch nicht mit mir einig, sagte Graf Andrassy ungarisch.

Ich wurde lebhaft an den Bau des Kirchthurms von Babel erinnert. Aber wahrscheinlich werden sich alle Diplomaten bei den Debatten einer und derselben Zunge bedienen, da doch wohl jeder Staatsmann wenigstens doppelzüngig sein wird.

Safvet Pascha sieht nicht sehr heiter aus. Am liebsten kehrte er, wie Herkules in der Fremde, wieder um. Er scheint zu ahnen, daß es mit dem Quarante sept der Türkei zu Ende geht. »Hin ist hin, und Mahomed ist sein Prophet!« singt der Dichter. An eine Fortsetzung des Mars kann die Pforte nicht denken, denn: Wo Du nicht bist, Herr Organist, da sammeln sich die Adler. Ich sehe im Kalender, daß der 15. Juni den Namen Tobias trägt. Sollte dieser 22 Tag nicht von England gewählt sein, um auf das bedenkliche to be or not Tobias hinzulenken?

England scheint überhaupt zu Scherzen aufgelegt zu sein. So heißen z. B. die beiden Sekretäre der Congreßgesandtschaft: Corry und Currie. Ja, ja, es ist ein lustiges Völkchen!


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