Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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53 Der Berliner Congreß.

VI.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir haben Ihren jüngsten Bericht mit großem Interesse gelesen, ohne ihn, wie Sie bemerkt haben werden, abzudrucken. Wir bedauern aufrichtig, dies nicht haben thun zu können, denn der Bericht war mit großem Fleiß gearbeitet.

Auf die Nachricht hin, daß England die Insel Cypern besetzen wird, werfen Sie nämlich mit Inseln förmlich um sich, indem Sie jeder Großmacht zwei oder drei Inseln zuertheilen. Sie müssen zufällig in den Besitz einer vortrefflichen Landkarte gekommen sein, denn Sie nennen und verschenken selbst Inseln, welche auf gewöhnlichen Karten gar nicht zu finden, freilich leider auch solche, welche selbst nicht von Kiepert namhaft gemacht worden sind, Inseln, die Sie also für Ihren Zweck speciell erfunden haben. Das ging nicht. Wir können dem Publikum zwar Vieles 54 aufbinden, was es nicht sofort als falsch zu erkennen im Stande ist, und dies thun wir ja mit Ihrer Hülfe oft genug, aber unmöglich dürfen wir es wagen, Inseln besetzen zu lassen, welche lediglich in Ihrer werthen Phantasie liegen.

Wie Sie uns mittheilen, wollen Sie den Frieden abschließen. Wie wir glauben, ist dies auch jetzt nicht zu früh.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 11. Juli 1878.

Ich bin augenscheinlich, speciell aber in meiner Stellung an Ihrem geschätzten Journal, ein Pechpilz, ein Fortunavogel bin ich ja ohnedies nie gewesen. Gerade solche Berichte, von denen ich glaube, den Nagel in's Schwarze getroffen zu haben, erregen Ihren Unwillen. So mein letzter. Habe ich etwa darin ein Surium gesammelt? Schrieb ich aus dem Schlaf? War es ein Misch, oder gar ein Masch? Fast möchte man so etwas annehmen, denn Sie kündigen mir einfach an, daß Sie das Schriftstück zu den ad acta gelegt haben. Mit den Neunaugen des Argus entdecken Sie stets in meinen Arbeiten irgend ein Häkchen, das Sie bei Zeiten krümmen, und – ihr letztes Garaus hat geschlagen, Sie annulliren sie in einem – verzeihen Sie das harte Wort! – Hui! 55 Wahrhaftig, ich könnte mich darüber ärgern, wenn ich nicht mit allen Hunden gerieben wäre, aber daß mein Buckel herzlich lacht, darauf können Sie sich verlassen.

Werfen wir einmal Ihren Blick auf den von Ihnen so leichtfertig questionirten Bericht.

England nimmt Cypern. Es mag nicht in Ordnung sein, ich will es, um keine Kanne zu gießen, nicht untersuchen, genug, Britannia, die Beherrscherin des Dreizack, nimmt Cypern. Das ist ein Stachel, gegen den sich mit Worten nicht streiten läßt: Mitten in der Sitzung holt Beaconsfield ein Document aus dem Sack und Pack, aus welchem hervorgeht, daß England und die Türkei aus Einer Decke blasen. Der Congreß sagte nichts dazu, vielleicht weil es in dem Sitzungssaal sehr heiß war, denn wir leben allerdings in einem der Monate, in welchem die Krebse kein r haben. Da sagte ich mir: So geht das nicht! und gab auch den anderen Mächten die ihnen zukommenden Inseln. Denn mein Grundsatz lautet: Fiat justitia, und sollte das pereat darüber zu Grunde gehen!

Sie denken anders. Sie wollen, daß, während England den Löwen theilt, die übrigen Herren sich mit Aschenbrödel begnügen mögen. Daß dies Völkerrecht ist, das glaube ein anderer Köhler, ich gewiß nicht, und darum habe ich auch nicht gezögert, das Unrecht wieder gut zu machen.

Habe ich einige Inseln, weil nicht genug vorhanden waren, erfunden, oder besser ohne langes Ei entdeckt, so 56 war dies durch die Umstände geboten. Verluste hat dadurch kein Staat erlitten. Wenn ich z. B. Italien außer der Insel Rhodus auch die Insel Salta gab und Oesterreich zu der Insel Creta die Insel Pleta, so mag dies kühn sein, aber eine Schädigung vermag ich selbst mit bis an die Zähne bewaffnetem Auge nicht darin zu erblicken.

Doch, es sei, ich will, wie man zu sagen pflegt, den Sal nicht weiter badern. Ich denke mir das Weitere, cogito, ergo sum, ich denke, eine Summe von 30 Mark als Vorschuß wird nicht zu groß sein.

Einliegend der Frieden.

* * *

Berlin, den 12. Juli 1878.

W. Frieden! Eben bricht er aus! Vorbei ist aller Jammer, die Marsfurie gefesselt, der pax vobiscum unterzeichnet! Möge die Adlerfeder, mit der dies geschah, durch keinen neuen Völkerstreit getrübt werden!

Ich finde nur schwere Worte, den Eindruck zu schildern, welchen die Nachricht hervorbrachte. In der Stadt traute Keiner dem Ohr des Andern, und überall, wo die Friedenspalmen laut wurden, erinnerten sich die ältesten Leute nicht, jemals einen solchen Stein von ihrem Herzen fallen gesehen zu haben, Feinde reichten ihre Hände zum Schütteln herum, und vor dem Reichskanzlerpalast konnte vor Rührung kein Hurrah hervorgebracht werden.

57 Im Schooße der Bevollmächtigten selbst bot die Unterzeichnung des Friedens einige Schwierigkeiten. Bismarck wollte nicht am Sonntag, Andrassy nicht am Montag, Waddington nicht am Dienstag, Corti nicht am Mittwoch, Gortschakow nicht am Donnerstag, Karatheodory nicht am Freitag und Beaconsfield nicht am Sonnabend unterzeichnen, denn ohne Aber kein Glauben. Indeß der Fürst von Hohenlohe gab durch einen Hinweis auf die Segnungen des Friedens – mit Respekt zu melden! – den Ausschlag, und die Unterzeichnung erfolgte, nachdem noch Alles, was die türkischen Bevollmächtigten an Werthsachen bei sich trugen, genommen und unter die übrigen Großmächte vertheilt worden war.

Dann aber hielt Bismarck, der heute zum ersten Mal lang angebunden war, eine Glückwunschrede, welche mit den Worten schloß: »Meine Messieurs, so endet denn dieser Congreß mit einem Frieden, der Jeden recht, recht lange dauern wird!«

Da kannten nun die Großmächte keine Gränzen mehr! Sie umringten die Türken und verbeugten sie, schüttelten ihnen den Hals und drückten ihnen die Wange. Es war ein schöner Augenblick.

Bei Schluß des Blattes dauert derselbe noch fort.


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