Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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29 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihr voriger Bericht hat nicht verfehlt, ein gewisses Aufsehen zu machen. Da das Publikum weiß, daß keiner der vielen in Berlin anwesenden Journalisten irgend etwas aus den Verhandlungen des Congresses erfährt und die Wände des Sitzungssaales keine Ohren haben, prüft es überhaupt die Glaubwürdigkeit der trotzdem gedruckten Mittheilungen nicht mehr, sondern läßt Alles über sich ergehen. Sie haben also ganz freie Hand und werden diesen Vortheil gehörig auszubeuten wissen, wie Ihre sämmtlichen Collegen, welche jetzt nach Gefallen täglich ellenlange und noch längere Berichte in die Oeffentlichkeit gelangen lassen.

Auf Ihre Anfrage, ob Sie einen Draht von dort nach Berlin miethen sollen, um einen solchen, wie Herr Etienne für die »Neue Freie Presse«, zur Verfügung zu haben, verlangen Sie wohl 30 keine ernsthafte Antwort. Ferner begreifen wir nicht, weshalb Sie von uns die Auslagen für eine Deutsche Reichsflagge fordern, welche während der Dauer Ihrer Congreßarbeiten auf dem Hause, in welchem Sie dort ein Zimmer bewohnen, ähnlich wie auf dem Reichskanzlerpalast aufgehißt sein soll. Das geht denn doch über den Spaß.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 20. Juni 1878.

Das war wieder einmal ein Fressen auf Ihre Mühle, als ich einen direkten Kabel und die Deutsche Reichsflagge von Ihnen verlangte! Sofort wünschen Sie mich dahin, wo der Pfeffer und das Salz wächst, und Ihr Berserker kann vor Wuth keine Worte finden. Ich bin weit von mir entfernt, in den Himmel, wo er am tiefsten ist, gehoben zu werden, aber ich kann es auch nicht leiden, wenn man mich ohne allen Grund tadelhudelt. Ich habe nichts Unbilliges begehrt, während Sie thun, als hätte ich Ihnen zugemuthet, einen Mohren weiß zu brennen, oder Berge zu versetzen und wieder einzulösen. Wollte ich etwa einen Ehren-Doppelposten vor meiner Thür haben, wie andere Mitglieder des Congresses? Gewiß nicht! Ich verlangte einen direkten Kabel und die 31 Deutsche Reichsflagge. Das sind doch wahrlich zwei Dinge, welche, zumal in den Tagen des Congresses, in keinem Vademecum fehlen sollten.

Indeß, ich verzichte! Der Starke weicht muthig einen Faux pas zurück. Ich verlangte, Sie verweigern, – der Rest ist Moltke. Aber sagen muß ich Ihnen doch, daß Ihr ewiges Schwimmen gegen meinen Strom schließlich noch der Nagel zu meinem letzten Athemzuge wird.

Heute sende ich Ihnen meinen Besuch bei Andrassy. Ich höre, daß er nicht nur das Kind des Bismarck'schen Schooßes ist, sondern auch von dem Berliner Publikum auf allen möglichen Händen getragen wird. So dürfte denn mein Artikel wie Mortimer gelegen kommen.

Daß Ihnen meine Berichte gefallen, freut mich. Es soll auch ferner geschehen. Da die Mitglieder des Congresses geschworen haben, den Berichterstattern der Zeitungen den Mund zu halten, so weiß ich keine Silbe mehr als meine Collegen und sauge mir daher ebensoviel wie sie aus den mir einfallenden Fingern. Ich werde Ihnen auch nicht eine einzige begründete Nachricht mittheilen, damit Sie hinter keinem bedeutenden Journal zurückbleiben. Glauben Sie daher keinem mehr als mir, wenn ich auch nicht immer speciell hinzusetze: »Wie ich aus der besten Luft greife«, oder: »Ich erfahre eben von zuverlässiger Ente«, oder: »Ein den Ereignissen nahestehender Münchhausen flunkert mir Folgendes vor«.

32 Ich brauche einen Vorschuß von 30 Mark. Aber auch diese Nachricht ist mit Vorsicht aufzunehmen. Ich wünsche nämlich 45 Mark.

* * *

Berlin, den 21. Juni 1878.

W. Die Audienz war bewilligt. Ich eilte nach dem Hôtel der österreichischen Botschaft, in welchem der Leiter der beiden Halbkugeln des österreichischen Staates meiner harrte.

Das Vorzimmer wimmelte. Es war so voll, daß kein Diplomat zur Erde fallen konnte. Alles, was man mir an den Hühneraugen abzusehen vermochte, wurde mir abgetreten. Hier bemerkte ich auch den Hofrath Doczy, welcher eben mit dem Titel »Kuß von Doczy« in den Adelstand erhoben worden war.

Ich nannte meinen Namen und wurde zu Sr. Excellenz geführt.

Der Graf saß, als ich eintrat, in der schmucken Transuniform vor einem Tisch und schnitt aus der Karte der Türkei diejenigen Stücke aus, die er zu annectiren wünschte.

Herr Graf, begann ich, welche Aussichten auf einen glücklichen Ausgang des Congresses sind vorhanden?

Ich gehe wenig aus, antwortete der Minister, aber was ich von Berlin gesehen habe, gefällt nur durchaus. Nur könnte für die Ausschmückung des Thiergartens mehr geschehen. Ich sah da etliche Springbrunnen. Hoffentlich ist der betreffende Künstler gebührend bestraft worden.

33 Eine Gewähr für die Friedenstaube, fuhr ich fort, erblickt man darin, daß Ew. Excellenz mit unserm Reichskanzler befreundet sind und Hand in Hand mit ihm gehen. Ist dem so?

Meist reite ich, sagte der Graf und griff zur Peitsche.

Es wäre mir durchaus angenehm, zu erfahren, warf ich dazwischen, welche Form der Congreß dem türkischen Reich zu geben gedenkt.

Der Reichskanzler, sagte der Graf, hat sich für die Hufeisenform entschieden, und diese ist für einen Conferenztisch auch die beste, während ich sie für Näh-, Whist-, Schreib-, Nacht-, Speise-, Blumen- und Gartentische nicht empfehle.

Ich ging nun auf einen Hauptpunkt über. Wenn Montecuculi sagt: Zum Kriegführen gehören drei Dinge, nämlich Geld, Geld und Geld, so möchte ich diesen Satz dahin erweitern, daß zum Kriegführen vier Dinge gehören, nämlich Geld, Geld, Geld und Geld. Da nun Oesterreich eine Anleihe von 60 Millionen machte, glauben Ew. Excellenz nicht, daß es doch noch zum Kriege kommen kann?

Die Herrmannsschlacht, antwortete der Graf mit Bedauern, hätte ich gerne von den Meiningern gesehen, aber sie gaben, als ich ankam, die Ahnfrau, dies Drama in fünf Särgen, das ich nicht liebe.

Und wird England seine Flotte zurückziehen? fragte ich.

Ohne Zweifel, Wien ist eine flotte Stadt, aber auch in Berlin kann man sich gut unterhalten, wenn man sich amüsirt. 34 Es sind leider noch nicht genug Theater geschlossen. Im Zoologischen Garten ist es sehr hübsch, ich war am Dienstag dort. Besonders gefiel mir das Kameelreiten der Kinder.

Und was wird in der nächsten Congreßsitzung auf der Tagesordnung stehen? fuhr ich mit einer höflichen Verbeugung fort.

Die nächste Congreßsitzung findet zwischen der dritten und fünften statt, weil sie die vierte ist, belehrte mich der österreichische Staatsmann.

Damit schloß die Audienz, welche eine Stunde weniger 55 Minuten gewährt hatte. Der Graf erlaubte mir noch, von den Mittheilungen, die er mir gemacht, den beliebigsten Gebrauch zu machen. Hierauf verbeugte er mich, und ich drehte mir seinen Rücken zu.

Andrassy ist ein Diplomat der alten Schule, aus der er indeß niemals plaudert. Die Erscheinung des Grafen ist eine angenehme. Er sieht genau aus wie seine Photographie. Mit diesem Eindruck verließ ich das Botschaftshôtel.


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