Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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70 Der Frieden von Kissingen.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre Beschreibung der Fahrt, welche Sie mit dem Ballon captif in Paris gemacht haben wollen, hat uns aus naheliegenden Gründen im höchsten Grade gefesselt. Leider ist dieselbe aber derart interessant und spannend, daß wir sie nicht abzudrucken wagten. Der Abdruck hätte uns ohne Zweifel die ganze Pariser Presse und mit vollem Recht auf den Hals gehetzt, indem sie in Ihrer Erzählung eine Verhöhnung der französischen Nation erblickt hätte, die durch Nichts zu rechtfertigen war.

Sie erzählen, daß Sie in Begleitung eines deutschen Trompetercorps aufgestiegen seien und, mit dem Ballon oben angekommen, die Weisung ertheilt hätten, die Wacht am Rhein anzustimmen. Schon während der ersten Strophe habe sich Paris wie Ein Mann erhoben, sei mit Drohungen unter Ihnen zusammengeströmt und habe dann, als 71 Ihre Trompeter »Lieb Vaterland, magst ruhig sein« anstimmten, den Strick, von welchem der Ballon festgehalten wurde, durchschnitten. Nun sei der Ballon mit Ihnen und den Trompetern davongeflogen, immer höher und immer weiter, bis er endlich auf die Vogesen niedergefallen sei, fortwährend erdröhnend von der Wacht am Rhein. Dann eilen Sie nach Straßburg und schreiben daselbst Ihren Bericht.

Sie sehen wohl ein, daß wir genöthigt waren, Ihren Brief ungedruckt zu lassen. Die Pariser Presse hätte uns, wenn er erschienen wäre, einfach für verrückt erklärt, und wir hätten dies ruhig geschehen lassen müssen. Sehen Sie dies ein, so werden Sie auch begreifen, daß wir die Rechnung, welche Sie uns gleichzeitig einschicken, nicht bezahlen können, denn Sie verlangen von uns die Kosten für Ihr Concert im Betrage von 200 Mark (10 Trompeter à 20 Mark). Da hat doch der Scherz wirklich ein Ende!

Wir ersuchen Sie um einen anderen druckbaren Beitrag

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

72 Bernau, den 29. August 1878.

Welch ein Diem perdidi habe ich heute wieder durchlebt! Statt eines Wortes der Anerkennung, auf welches ich wie ein Messias gewartet hatte, kam, ein Blitz aus dem siebenten Himmel, Ihr geehrter bis an den Rand mit Tadel gefüllter Brief. Ich glich dem Jakob, welcher an Stelle einer Rahel eine gedrehte Nase umarmte. Ein Moloch wie Ihr Papierkorb ist mir selten vorgekommen. Er ist – verzeihen Sie das harte Wort! – unersättlich. Ich verlange ja von Ihnen kein Verbotenus, und es fällt mir nicht ein, schwarz zu sehen, wenn Sie Ihren Rothstift anwenden. Aber es ist doch zu schmerzlich, wenn ein in allen Sätteln gewiegter Berichterstatter, welcher sich schon manche Spalte um die Nase hat wehen lassen, etwas Originelles, Neues, Sensationelles geschaffen zu haben glaubt, und plötzlich erfahren muß, daß seine Arbeit ein Bock sei, der den Schuß Pulver nicht werth ist, mit dem er denselben geschossen hat. Da will ich doch lieber, um mich zu ernähren, Hunde aus dem Ofen locken, Katzen im Sack kaufen und Pelze, ohne sie naß zu machen, waschen, als noch länger meine Geduld von Ihnen probiren zu lassen. Ich brauche zum Leben nicht viel. Ich bin einer der hagestolzesten Menschen, bin ganz allein, ein Naxos im wahren Sinne des Worts. Wenn ich also einen sauren Apfel zum Hineinbeißen habe und mir Jemand das Wasser reicht, so bin ich ein munterer Seifensieder und tausche mit keinem Asmus omnia. Das sollten Sie nicht vergessen, 73 wohl aber bedenken, daß mir eines Tages doch Ihr Catilina zu viel werden könnte und ich Sie dann verlasse, um fortan wie Cincinnatus dem Fluge meiner freien Seele zu folgen.

Sie haben meine Ballonreise verworfen, und ich kann Ihnen nur mit Wallenstein zurufen: Das war kein Octavio! Der Ballon captif existirt. Können Sie mich Enten strafen, so thun Sie es. Daß ein Musikcorps mit ihm aufstieg, stand in der gesammten Presse. Wer kann es den Trompetern, wenn es Deutsche sind, verbieten, die Wacht am Rhein in's Horn zu stoßen? Kein Mensch! In den Wolken giebt es, Zeuslob, noch keine Gens- und Schutzleute. Daß die Franzosen bei ihrer bekannten Reizbarkeit sich das genannte Lied nicht ungestraft auf der Nase herumspielen lassen, sondern den Strick, an welchem der Captif befestigt war, durchschneiden würden, das war doch wohl anzunehmen. Was also war in meinem Bericht über- oder untertrieben, daß Sie ihn ohne viel Federn zu lesen verwarfen?

Genug. Ich sende Ihnen einen Bericht über den Modus vivendi, welcher so eben von Bismarck dem Vatikan erklärt worden ist. Es ist dies eine hochinteressante Enthüllung, welche die Rundreise durch die Zeitungen machen wird. Setzen Sie nur »Nachdruck verboten« darüber. Und ehe ich's vergesse, meine Adresse für morgen ist:

Einliegend 40 Mark.

Herrn Schriftsteller Wippchen
frei Bernau.

* * *

74 Kissingen, den 28. August 1878.

W. Wohl niemals sind über ein wichtiges Ereigniß Seitens der Presse dem unbegründeten Gerücht mehr Thüren und fast noch mehr Thoren geöffnet worden, als über die Verhandlungen zwischen Bismarck und Masella. Abgesehen davon, daß die beiden Herren sich unter der substen rosa besprachen und die Conferenz unter vier Wänden stattfand, so gingen die Berichterstatter von der falschen Voraussetzung aus, daß Bismarck ein Canossa suchte und nicht ruhen wollte, als bis er vor dem römischen Abgesandten ein Ei des Columbus auf den Kopf stellen konnte. Das fiel dem Fürsten aber durchaus nicht ein. Er denkt nicht daran, wie der Deutsche Henri quatre, nur mit etwas Büßerwäsche bekleidet, vor dem Papste die Maigesetze abzufrieren. Nach Canossa wallen wir nicht! Ich bin in der Lage, Ihnen Aufschlüsse der wichtigsten Art zu geben.

Bismarcks Politik ist seit dem Berliner Congreß die folgende. Sobald ein Krieg ausbrechen soll, wird ein Frieden geschlossen. Kaum war daher der Frieden in Berlin unterzeichnet, so war der Krieg in Bosnien auf's Neue entfesselt. Ohne pacem kein bellum! so lautet der Wahlspruch des Fürsten. Damit nun ebenso der Krieg zwischen Deutschland und Rom mit erneuter Heftigkeit wüthen kann, schloß er in Kissingen einen Frieden mit Rom. Kein Zweifel, es folgt für den Vatikan ein Bosnien, und Sie werden bald ein jämmerliches Kurie eleison! anstimmen hören.

75 Da haben Sie nun die ganze Wahrheit. Vergleichen Sie jetzt mit meiner Enthüllung die Berichte, welche hier ein Correspondent dem andern aus dem Finger sog, so werden Sie es gerechtfertigt finden, wenn ich nichts thun kann, als Ihnen den Kopf zu schütteln über die Leichtfertigkeit, mit der heute Berichte über die wichtigsten Ereignisse weder gestogen, noch geflogen werden.

Ueber die Persönlichkeit des armen Masella nächstens. Ich kenne Jemand, der ihm ähnlich sehen soll.


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