Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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99 V.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihren jüngsten Bericht haben wir und zwar, wie wir annehmen, mit Ihrer Zustimmung, nicht veröffentlicht, weil gleichzeitig die Nachricht von der Flucht des Emirs von allen Zeitungen widerrufen wurde, während Sie dieselbe als Augenzeuge mit allen Details beschrieben hatten. Sie laufen mit Schir Ali durch den Engpaß von Bâmiân nach Turkestan und schildern diesen Engpaß als so eng, daß Sie und der Emir hintereinander laufen mußten, so daß es öfter aussah, als liefe der Emir nur, um nicht von Ihnen ergriffen zu werden. Mit diesen Einzelheiten nicht zufrieden, schildern Sie ganz umständlich das Hasenpanier, welches der Emir ergriffen, und führen sogar die Summe des Fersengeldes, welches er gegeben, in Mark und Pfennigen an. Abgesehen von derlei Ueberflüssigem konnten wir auch nicht die anderen 100 Details verwerthen, da Sie ein Gerücht, welches Sie in irgend einer Zeitung gefunden hatten, als durchaus wahre Thatsache behandelten, bei deren Vollziehung Sie obenein zugegen gewesen sein wollten. Das ist also der triftige Grund, der uns veranlaßte, den Bericht fortzulassen.

Gestatten Sie uns noch eine Bitte. Sie haben ein großes und unbestrittenes Talent, Kriegsereignisse nach Ihnen bekannten klassischen Balladen und Dramenscenen darzustellen. Wo dies geschehen kann und geschickt geschieht, macht die Veröffentlichung uns, wie auch gewiß unsern Lesern, viele Freude. In Ihrem Bericht über die Flucht Schir Ali's aber stoßen Sie einmal den Leser denn doch etwas zu heftig mit der Nase auf das betreffende Citat. Sie schreiben: »Der Emir lief, als brannten ihm die Sohlen auf den Hacken. Kein Graben war ihm zu hoch, der Flüchtling sprang ventre à saint-gris darüber hinweg. Er war mit Transpiration bedeckt. Einmal schrie er mir zu: »Ein Kameel! ein Kameel! mein Königreich für'n Kameel!« worauf ich ihm zurief: »Sie haben ja gar kein Königreich!« So flohen wir weiter.« Sie sehen wohl ein, daß diese 101 Bearbeitung der bekannten Phrase Richards III. nur einen komischen Eindruck hervorzubringen vermag.

Auch Ihren Artikel »Weihnachtsmarkt in Kabul« mögen wir nicht abdrucken. Es sähe doch sofort Jeder, daß Sie keinen anderen als den Berliner Weihnachtsmarkt beschreiben, so daß nichts Afghanisches übrig bleibt, als der Name Kabul in der Ueberschrift.

In Erwartung Ihrer folgenden Berichte

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 19. December 1878.

Ich will Ihre Auffassung gelten lassen, obschon ich weiß, daß dieselbe nicht richtig ist. Wie Mephistopheles in Berthold Auerbach's Keller möchte ich ausrufen: »Holzweg, laß los der Augen Band!« Wenn Sie wüßten, wie wenig in der Welt passirt, so würden Sie nicht darauf bestehen, daß jedesFait, über welches ich berichte, auch wirklich ein Accompli ist. Da könnte Unsereiner nur seine Dinte in den Schooß legen und zu irgend etwas Anderem greifen, z. B. zum Wanderstab, um in fernen Landen auf seinem Bette sein Brod in Thränen zu verdienen. Nennen Sie mir ein Ereigniß, welches nicht Akiba ist! Es fällt Ihnen keines ein, 102 denn es giebt in der Geschichte absolut keinen Rara avis, der nicht ein seltener Vogel wäre. Die Zeiten, wo Alles wahr war, was erzählt wurde, sind längst vorüber, damals aber gab es keine Menschen, welche jeden Tag einen Backstein voll Neuigkeiten lesen wollten, während heute Jeder die Morgenspalte unwillig bei Seite wirft, wenn sie seinen Hungertyphus nach Neuem nicht stillt. Da muß sich der Journalist auf die Ente legen, aber nicht auf die Goldwage.

O, ich wollte, ich hätte in der Vergangenheit gelebt! Was waren das für Tempi passati! Man erzählte von dem trojanischen Pferde, es sei so voller Krieger gewesen, daß kein Apfel zur Erde fallen konnte, und das wurde geglaubt. Sie hätten das Pferd einfach bei Seite gelegt. Man erzählte, Mucius Scävola habe, weil er Linkhand hieß, seine rechte Hand mit kaltem Blute verbrannt, und man glaubte es. Sie hätten die Hand nicht zum Druck befördert. Man erzählte, Cerberus habe wie Bismarck drei Köpfe, und man ließ sie ihm. Sie hätten ihm zwei gestrichen und ihn solchergestalt auf den allergewöhnlichsten Hund gebracht. Et ceterum censeo. Ihr Wahlspruch lautet, wie der des Herrn Otto Friedrich in Zahna: Aut Caesar, auf Minca, entweder Wahrheit, oder Rothstift, ein Tertium ist für Sie – verzeihen Sie das harte Wort! – non datur.

Sei es! Aber Alles könnten Sie freundlicher sagen, c'est le baryton, qui fait la musique. Sie brauchen mich nicht anzuherrschen, wenn Sie etwas heischen, ich rieche auch 103 ohne das den Braten, denn meine Nase ist nicht auf den Kopf gefallen. Sie wollen meine Flucht des Emirs nicht, weil sie nicht wahr ist, nun gut, unterlassen wir sie. Ich vernichte mir dafür die Afghanen vollständig, weil ich für einige Zeit, wenigstens über Weihnachten hinaus, Ruhe haben möchte. Ich bedarf ihrer. Zu dem Beginn des Kampfes benutze ich den Monolog Tells, wogegen doch wohl nichts einzuwenden sein wird. Denn der Peiwarpaß, um den es sich handelt, ist ja am Ende auch eine hohle Gasse.

Hier breche ich ab. Sollte ich vom Schreiben so erregt sein, daß ich nur 50 Mark Vorschuß erbitte, so kehren Sie sich nicht daran, sondern senden mir, zum Course von 20,43, 100 Mark. Ich will mich zum Fest mit Allerlei überraschen.

* * *

Hauptquartier des General Roberts, den 3. Dec. 1878.

W. Das war gestern ein Tag, von dem noch die spätesten Becker, Schlosser und Weber in ihren Weltgeschichten reden werden!

Die ersten Strahlen der Sonne vergoldeten eben den General Roberts, als derselbe aufbrach, um das Terrain zu recognosciren. Ich folgte ihm. Am Peiwarpaß stand er still und sagte, der Emir müsse durch diese hohle Gasse kommen, da kein anderer Weg von Kabul hierher führe, und hier wolle er es vollenden, da die Gelegenheit günstig sei. 104 Dabei trat er hinter einen Hollunderstrauch und lud seinen Revolver. So, rief er dann, wieder hervortretend, so, nun mache Deine Rechnung, Schir Ali, mit wem Du willst, Deine letzte Uhr hat geschlagen!

Alles war still. Nur ein furchtbarer Kanonendonner tönte jenseits des Peiwarpasses.

Der General zündete sich seine Bernsteinspitze an und sagte zu uns: Sie haben keinen Begriff davon, Gentlemen, wie still und harmlos ich in Rule Britannia lebte. Da kommt dieser Emir, beleidigt unsere Botschaft und schreckt mich so aus meinem Frieden heraus, daß ich denke, der Porter sei mir in gährend Drachengift verwandelt.

Komm' Du hervor, Du Bringer bittrer Schmerzen, sagte er. Ich verstand ihn, reichte ihm mein Porter- und Ale-Krüglein, und er trank halb und halb. Als er es auf diese Weise ganz geleert hatte, zeigte er auf den Paß und setzte hinzu: Hier müssen wir den Emir fassen. Entrinnt er jetzt unsern Händen, so ist es nicht seine Schuld!

Es lag in diesen Worten eine Victoria ohne Gleichen. Der Kanonendonner war inzwischen näher gekommen. Der General gab das Zeichen zum Angriff. Wie ein Blitz aus heiteren Pistolen warf sich das englische Heer in den Paß und nahm den Feind beim Achilleskragen. Bald begann er zu weichen, wir aber wichen ihm nach und besetzten alle Lappen, durch welche ein feindliches Corps gehen wollte. Der Telegraph hat bereits berichtet, daß gegen zwei Uhr 105 Nachmittags der letzte Afghane, welcher den Seinen die Niederlage melden wollte, in unsere Hände fiel. Der Emir weiß also noch von nichts.

Es war ein bedeutsamer Tag! Ich aber hoffe, einen leeren Elephanten aufzutreiben, um heute noch Jellalabad zu erreichen und diesen Brief in die Overlandmail stecken zu können.


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