Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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11 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Mit großem Vergnügen bemerken wir in Ihren jüngsten Berichten das Bestreben, Deutschland und Frankreich einander wieder näher zu führen und zu befreunden, indem Sie jede Gelegenheit ergreifen, die liebenswürdigen Eigenschaften der Franzosen besonders freundlich zu beleuchten und zwar vornehmlich da, wo sie in irgend eine Beziehung zu Deutschland oder zu den Deutschen treten. Oft aber greifen Sie für unsern Geschmack doch etwas zu munter zu, wie z. B. in Ihrem jüngsten Schreiben, das wir aus diesem Grunde auch nicht abdruckten. Sie erblicken nämlich in der als Demonstration gegen die Voltairefeier beabsichtigten Huldigung, welche man dem Andenken der Jungfrau von Orléans zugedacht hat, eine Glorificirung Schillers. Sie scheinen also zu glauben, daß die Jungfrau von Orléans nur von Schiller erfunden ist, also nie gelebt und in der französischen Geschichte nie eine Rolle gespielt hat. Da befinden Sie sich natürlich auf dem Holzwege, und Ihre sämmtlichen Nachrichten 12 sind deshalb unbrauchbar. Wer wird uns nicht auslachen, wenn Sie mittheilen, die Klerikalen wollten am hundertsten Todestage Voltaires Schiller durch eine Aufführung der Jungfrau von Orléans feiern? Das fällt ja den Klerikalen gar nicht ein. Die Jungfrau von Orléans, welche Sie consequent Johanna von Darck nennen, hat gelebt und wurde am 30. Mai 1431 verbrannt. So viel zur Erklärung unseres Entschlusses, Ihren jüngsten Brief ungedruckt zu lassen.

Fast noch weniger Werth hat Ihre Beschreibung der Deutschen Kunstausstellung auf dem Marsfeld. Denn da Sie sich besonders eingehend mit Werner's Kaiser-Proklamation in Versailles, welches Bild Ihnen zufällig bekannt ist, beschäftigen, verrathen Sie, daß Sie nicht einmal wissen, wie sorgfältig von unserer Ausstellung Alles fern gehalten worden ist, was irgendwie an den deutsch-französischen Krieg erinnern könnte.

Ihren anderen Berichten entgegensehend, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

13 Bernau, den 30. Mai 1878.

Wenn ein Fremder Ihre geschätzten Briefe liest, so muß er glauben, daß ich Alles, nur nicht Berthold Schwarz erfunden habe. Ich rede mir wahrlich nicht ein, den Stein der Weisen wachsen zu hören und die Alma mater mit Löffeln gegessen zu haben, ich gebe sogar zu, daß ich dann und wann, wenn ich über das Papier hinsause, einen Gallimatthias an die falsche Stelle setze und grade das contradictio von dem sage, was ich in adjecto sagen wollte. Wir Menschen sind nun einmal nicht unfehllible, und wer den Jüngling von Sais aufheben will, sieht nur zu bald ein, daß da Jeder kommen könnte. Gewiß nicht! Sie können mir Vieles vorwerfen, nur nicht, daß ich – verzeihen Sie das harte Wort! – unbescheiden bin. Ich verlange nicht, daß Sie, wenn ich einst dem Tode Valet sage, an meiner Feder eine Marmortafel anbringen, oder mein Haupt gar auf einen Marmorblock legen sollen. Rufen Sie mir, wenn ich de mortuis sein werde, ein nil nisi bene nach, so bin ich schon zufrieden. Aber meine Seite hat, wie die jedes Menschen, ihre Schwäche: ich verlange, daß meine Arbeit anerkannt wird. Ihre ewigen Leviten will ich nicht mehr lesen, Ihren Lupus will ich nicht immer in meiner Fabula haben. Ich bin ein Homo sum, und als solcher will ich behandelt sein. Merken Sie sich: Mit dem Hut in der Hand fängt man Mäuse! Nicht anders!

14 Ich verzeihe Ihnen, wenn ich heftig geworden sein sollte. Aber meinen Bericht über die Pariser Schillerfeier zu Ehren des Philosophen von Ferney durften Sie nicht seitwärts in die Büsche schlagen. Er war weder so Hokus, noch so Pokus. Ich liebe keinen Augapfel wie meinen Schiller. Er ist mir ein Heiliger, Sanct von Schiller möchte ich ihn nennen. Täglich blättere ich in seiner Glocke, in seinem Handschuh, in seinem Eisenhammer, in seiner Laura. Und wenn nun die Franzosen die Jeanne d'Arc (Sie sehen, ich bin nicht eigensinnig und schreibe nicht Darck) feiern, so können sie in meinen Augen nur die Schiller'sche meinen. Für mich ist die genannte Orleanistin nicht historisch, und wenn Sie sie zehnmal verbrennen lassen, mir endet sie Abends um 10 Uhr mit einem Hervorruf. So verehre ich den deutschen Dichter! Verehren Sie ihn weniger, so geht das mich nichts an, Jeder verehre vor seiner Thür, und über den Chacun läßt sich nicht streiten. Aber ich will auch nicht ungerecht getadelt sein.

Nur die Worte: Ich verlange keinen Vorschuß! streichen Sie gern, denn ich bitte Sie um einen solchen. Senden Sie mir 50 Mark in französischen Banknoten, welche 81,15 bG. stehen. Sie haben keinen Begriff von dem Ohr, über welches einem während der Ausstellung gehauen wird!

* * *

Paris, den 28. Mai 1878.

W.. Bevor ich heute über die Ausstellung plaudere, möchte ich den Deutschen, welche Paris zu besuchen gedenken, 15 einen Wink mit dem Fingerzeig geben. Es ist den Franzosen unangenehm, wenn der Deutsche in ihrer Gegenwart zu einer fremden Zunge (langue) greift und statt französisch, etwa englisch, russisch, holländisch, türkisch, spanisch, siamesisch, malayisch, hinterindisch oder italienisch spricht. Der Franzose hört den deutschen Accent heraus, tritt auf den Deutschen zu, sagt, er brauche sich nicht zu geniren, deutsch zu sprechen, da die beiden Nachbarvölker jetzt (maintenant) befreundet seien, und sagt ihm dann Grobheiten oder prügelt ihn durch. Ich rathe also dem Deutschen, kein Incognito vor den Mund zu nehmen und die Sprache zu reden, die er mit den Kindesbeinen eingesogen hat. Steht also irgendwo ein Deutscher zusammen, so sage er, wenn Franzosen sich nähern, nicht: Yes! und God damn! sondern Ja wohl! und Ei verflucht! Dann wird er von den Franzosen, welche, wie König Philipp jeden Posa stolz wollen, mit Respect behandelt werden.

Ich habe mich gestern und heute fast drei Tage lang in der Weltausstellung aufgehalten und bin außerordentlich befriedigt. Ich hatte alle Augen voll zu thun, nur einen Theil der vorzüglichen Leistungen aller Länder und Völker zu notiren (noter). Im Vorübergehen traf ich Gambetta, welcher mir die Hand drückte und sagte: Vive le travail! Ich antwortete: »Sie lebe hoch!« Die Journale werden diesen Toast natürlich als ein Ereigniß von europäischer Bedeutung feiern, während seine Gegner darin ein Kokettiren mit dem Feinde (ennemi) 16 erblicken werden. So kann Gambetta keinen Schritt sprechen, ohne daß er, gewissermaßen der Sündenbock im Karpfenteich, dem Kainszeichen, das sie ihm am Zeuge flicken, auszuweichen vermag.

Doch zurück (retour) zur Ausstellung: Als hervorragend notire ich folgende Erzeugnisse:

Aus Spanien: Rohre, Stiefel, Fliegen, Schlösser, Wände, Reiter und Pfeffer.

Aus Bengalen: Flammen.

Aus Monaco: Karten, Harken, Roulettekugeln, gebogene Parolis, Pharaos und Tempel.

Aus Schweden: Streichhölzer, Gardinen und Punsch.

Dies genüge für heute. Es herrscht ein erdrückender Réaumur, obschon wir gestern Donner und Doria hatten.


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