Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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6 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir erlauben uns, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß der »Führer durch Paris«, nach welchem Sie arbeiten, ein längst antiquirter zu sein scheint. Daher wir uns beeilen, Ihnen anbei den neuesten Führer zu senden und Sie zu ersuchen, das alte Buch bei Seite zu werfen. Sie waren nie in Paris, und das entschuldigt Manches, aber immerhin mußten Sie doch wissen, daß die Vendômesäule längst wieder aufgerichtet ist. Dann hätten Sie sich auch die zwei Seiten langen Betrachtungen sparen können, welche Sie an den Stumpf der Säule knüpfen, und die freilich im Jahre 1871 ganz am Platz gewesen wären. Auch Ihren Besuch im Tuilerienschloß haben wir streichen müssen. Das Schloß ist abgebrannt, und die Pracht der Einrichtung, welche Sie ganz entzückt beschreiben, ist längst nicht mehr vorhanden.

Sehr, sehr hübsch war das Bild, welches Sie von den Pariser Sitten entwerfen. Da Sie sich 7 dazu aber des Daudet'schen Romans bedient und einfach das Schicksal des armen Risler erzählt haben, so wagten wir es nicht, Ihre Schilderung, in welcher Sie als Freund des Herrn Fromont auftreten, zu veröffentlichen.

Die Summe dieser in Ihrem Bericht entstandenen Lücken haben aber Ihren Brief derart verkleinert, daß wir Sie um Ersatz bitten müssen, nach dessen Eintreffen dann Ihr Brief erscheinen könnte.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 16. Mai 1878.

Mein armer Brief! Wenn heute Prokrustes lebte, Sie wären ein solcher, Sie würden meine Beine um einen Kopf kürzer machen, damit mir das Bett gewachsen sei. Ihren Rothstift in Ehren, aber ich finde den Gebrauch, den Sie von ihm machen, – verzeihen Sie das harte Wort! – unerklärlich. Ich glaube, wenn ich Homer wäre, Sie würden mir die Hälfte der Ilias aus meiner Odyssee herausstreichen, blos weil Troja erst ausgegraben werden muß, oder überhaupt völlig abgebrannt ist. Zum Glück bin ich nicht Homer. Aber waren etwa meine Betrachtungen über die am Boden liegenden Fetzen des Denkmals weniger bedeutend, weil sie 8 wie Lot's Gattin wieder zur Säule geworden waren? Ist es Recht, mir die Pracht der Tuilerien zu streichen, weil das Schloß ein Raub der Asche geworden ist? Ich will nicht versuchen, Ihren Kopf verneinend zu schütteln, weil ich nicht mit Spiegeln fechten will, aber ich glaube, daß es falsch von Ihnen ist, mich immerfort daran zu erinnern, daß ich eigentlich ein Sclave bin. Denn eines Tages könnte ich doch die Ketten so lange brechen, bis Sie gezwungen sind, sich nach einem Andern umzusehen. Nun, meinetwegen. Ich werde mit Noah sagen: Vogue le déluge! Nach mir die Arche!

Um Ihnen zu beweisen, daß ich nicht unversöhnlich bin und gerne die Hand zu feurigen Kohlen biete, sende ich Ihnen heute mein Zusammentreffen mit dem Prinzen von Wales.

Schließlich mache ich Sie darauf aufmerksam, daß kurz Paris 81,10 steht und daß Sie daher ein gutes Geschäft machen, wenn ich Sie um einen Vorschuß von 50 Mark ersuche.

* * *

Paris, den 14. Mai 1878.

W. Da sitze ich nun wieder in meinem traulichen pro domo, das ich mir für schweres Geld auf dem Tempelbollwerk (Boulevard du Temple) gemiethet habe. Ich komme vom Trocadéro. Es war in der Ausstellung so heiß, als habe Helios alle Tropen über sie ausgegossen, und als ich endlich den Rückweg einschlug, fand ich alle Droschkenkutscher von Fahrgästen besetzt. So bin ich denn so matt (Jeu d'échec), daß ich Sie kaum rühren kann, und ich muß heute daher 9 die Ausstellung kurz fassen. Dieselbe ist noch immer schon halbfertig. Ueberall liegt sie in den Windeln. Augenscheinlich brannte sie zu früh. Ich möchte die Ausstellung unverheirathet (Garçon) nennen, weil ihr die bessere Hälfte fehlt. In vielen Abtheilungen wird noch fortwährend an verschlossenen Kisten gearbeitet und bilden die Arbeiter ein Chaos, das auf das Schwert Alexander's wartet. In dieser Weise hätte sich Deutschland recht gut betheiligen können, indem es einfach erst nach Schluß der Ausstellung fertig geworden wäre.

Die Abend-Soirée des Ministers Waddington war sehr glänzend. Alles, was Paris an Aristokrethi und Aristoplethi aufzuweisen hat, war gegenwärtig (présent). Am meisten der Prinz von Wales. Er sieht seiner Mutter wie aus der Nase geschnitten ähnlich. Als ich ihm vorgestellt wurde, verwickelte er mich in einen längeren Toast. Bekanntlich ist der Prinz auf dem Gebiete der gerösteten Semmelschnitte ein Meister. Er schloß mit den Worten: »In diesem Sinne ergreife ich das leere Glas und fülle es auf die Allianz zwischen Deutschland und England.« Ich antwortete mit einem God save auf die Queen, in welches ich begeistert einstimmte. Dann setzte ich hinzu: Diesem Hoch (haut) wird jeder Deutsche sich anschließen, so lange er auch nur eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund. »To be or not to be,« entgegnete der Prinz, und brachte einen Toast auf die Allianz zwischen England und dem Erdenrund aus. Ich empfahl den Prinzen dem Schutz des Himmels, worauf er auch auf die 10 Allianz zwischen England und dem Himmel toastete. Er schritt dann auf andere Gruppen zu und toastete jede einzelne an. Alsdann verließ er die Soirée, nicht ohne im Vorzimmer auch der Dienerschaft, die ihm den Paletot reichte, einen Toast in die Hand zu drücken. Noch im Wagen hörte man ihn mehrere Hochs auf die Fuhrwerke, die Kutscher, auf Mond und Sterne und die Gaseinrichtung ausbringen.

Kein Wunder, daß der Prinz der Liebling der Pariser Gesellschaft geworden ist!


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