Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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87 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir haben Ihren jüngsten Bericht zwar mit vielem Vergnügen gelesen, wußten aber leider nicht, was wir mit demselben anfangen sollten. Er war am allerwenigsten das, wofür Sie ihn ausgaben: ein Bild von dem sich in Afghanistan gestaltenden Kriegslager. Fürchtend, daß Sie über dieses Urtheil und unsere Ablehnung einmal wieder außer sich sein werden, wollen wir den Inhalt Ihres Berichts, falls Sie denselben vergessen haben sollten, kurz recapituliren.

Sie scheinen nämlich geglaubt zu haben, anstatt eines afghanischen Kriegsberichts einen Bericht über die Pariser Ausstellung unter der Feder zu haben. Denn Sie schildern zwar die Siege der englischen Truppen, fangen aber, auf einer Trommel sitzend, plötzlich an, über die Ziehung der 12 Millionen Loose der Pariser Ausstellungs-Lotterie zu sprechen und allerlei Berechnungen aufzustellen. »Ich nehme den posito 88 an«, schreiben Sie, »der Waisenknabe zöge täglich 1000 Loose und wäre bei Beginn der Ziehung 18 Jahre alt, so wäre er, wenn die Ziehung zu Ende ist, ein Mann in den besten 50 Jahren und 320 Tagen, so daß das letzte Loos etwa im Jahre 1911 gezogen würde.« Hierauf machen Sie sich schreckliche Sorge über die Größe des »Fortuna-Rades«, in welchem 12 Millionen Loose Platz finden können, und über den Weg, den dieses Rad zurücklegen muß, wenn dasselbe einmal herumgedreht wird. Dann möchten Sie um keinen Preis der Setzer sein, der die Ziehungslisten setzt, und wetten mit einem englischen Offizier, daß diese Ziehungslisten ein Werk von 500 starken Bänden bilden werden. Und Alles das angesichts der afghanischen Armee! Wir sind doch neugierig, zu erfahren, was Sie sich eigentlich dabei gedacht haben.

Jedenfalls werden Sie einsehen, daß wir nicht umhin konnten, Ihren Bericht zurückzulegen. Wir bitten Sie also, uns baldigst einen anderen zuzusenden.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

89 Bernau, den 7. November 1878.

Ich habe es erwartet, mir stand daher mein Häuschen nicht zu Berge, als ich heute Ihren werthen Urias aus dem Umschlag genommen und gelesen hatte. Das Bewußtsein, daß ich besser bin, als der Ruf Maria Stuarts, hebt mich stets über manche Unbill hinweg. Man gewöhnt sich schließlich an Alles, sagte der Wurm, als ihm ein Hahn am Herzen nagte. Es gab eine Zeit, wo ich anders war. Da war ich jung und empfindlich, da glich ich – verzeihen Sie das harte Wort! – der Mimose, welche durch eine Fliege an der Wand geärgert werden kann. Jetzt bin ich bedeutend ruhiger geworden, und wenn Sie glauben, daß ich jeden Zaun, von welchem sie einen Streit mit mir brechen, krumm nehme, so kommen Sie bei mir an den Linken. Das fällt mir nicht im entferntesten Traum ein. Punctum, streu' Dixi drum! pflegte mein Vater zu sagen.

Allerdings nimmt sich meine Berechnung der 12 Millionen Loose der Pariser Lotterie in Ihrem werthen Schreiben anders aus, als in meinem Bericht. Duo quum faciunt idem, non est disputandum, das ist eine unumstößliche Wahrheit. Ebenso wahr ist es aber auch, daß jene Exempel in meinem Kriegsbericht gerade durch den Gegensatz wirkten, etwa wie die dem Meere entsteigende Milos Anadyomene in einem Kreise von Fischern, welche sich Guten Morgen sagen. Oder sieht Ihr Horizont nicht ein, daß Gegensätze die Würze des Lebens sind? Wenn ein Asinus den Andern einen Asinum schilt, 90 so ist das wahrlich nichts, aber ein Esel, der den Andern Kurzohr nennt, ist pikant. So mein Bericht. Ich hatte den Krieg begonnen und mähte förmlich Afghanenglieder. Die beiden Armeen hatte ich so dicht in einander gerathen lassen, daß jeder Soldat von seinem Feind bequem keinen Pardon nehmen konnte. Die Compagnien streckte ich bataillonsweise nieder. Bald waren keine Klingen mehr vorhanden, über welche gesprungen werden konnte. Zu Dutzenden wurden hier Rückzüge abgeschnitten, dort Kanonen derart vernagelt, daß man die Wände mit ihnen einrennen konnte. »La garde meurt,« ließ ich einmal den englischen General Cambronne sagen, »mais elle ne se rend pas!« während ein afghanischer Häuptling ausrief: »Ich wollte, es wäre Abend, oder die Preußen kämen!« Dazwischen brüllte die afghanische Elephanterie, daß man sein eigenes Pferd nicht hören konnte. Ich aber, gewissermaßen um zu erstarken, den Schooß der Mutter Antäus berührend, stellte inmitten dieser Gräuel Berechnungen über die 12 Millionen Loose an. Dies hatte bisher noch keine Zeitung gethan und ist doch wahrlich interessant genug. Sie bestreiten dies!

Bei dem Worte »bestreiten« fallen mir die Kosten meiner Stellung ein. Senden Sie mir einen Vorschuß von 5 Pfund Sterling, ich begnüge mich indessen auch mit mehr.

* * *

Jellalabad, den 3. November 1878.

W. Ich bin, wie Sie sehen, im Hauptquartier Shir Ali's angelangt, und zwar sehr ungeduldig und verstimmt. Wir 91 kommen nicht vom Fleck, der doch nun einmal auf Englands Nationalehre haftet. Die ante portas des Janustempels ist heute offen, morgen wieder in's Schloß gefallen. Der Emir ist ein Diplomat aus dem Doppel-F, ein Richelieu in Menschengestalt, der die Engländer schlau in die Länge zieht, während sie gar nicht merken, daß er sie mit ihrem X hinter das U führt.

Dazu kommt noch, daß ich hier von Mosquitos geplagt werde. Heute sagte mir ein Vorder-Indier, ich müßte diese abscheulichen Mücken Abends mit irgend einer bitteren Flüssigkeit einreiben.

Heute wurde dem Emir das englische Ultimatum überreicht. Ich war zugegen. Handwerker trugen es. Kein Geistlicher hat es begleitet. Der Emir nahm und las es und brach dann in ein ironisches Achselzucken aus, in welches seine Umgebung einstimmte. Ein schlimmes Zeichen!


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