Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

145 VII.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre Klage über zu große Hitze hat, aufrichtig gestanden, eine bedenkliche Nebenbedeutung. Denn gleichzeitig – wir trauten unseren Augen nicht! – senden Sie uns eine Beschreibung der Feier der goldenen Hochzeit des Deutschen Kaisers am Cap, in einem Brief, der das Datum des 12. Juni 1879 trägt.

Wir sind im Zweifel darüber, ob Sie damit einen brauchbaren Artikel liefern, oder uns zum Besten haben wollten. Sie müssen uns aber erlauben, daß wir das Letztere, falls es wirklich beabsichtigt gewesen sein sollte, mit aller Entschiedenheit zurückweisen.

Es wird uns schwer, Ihren Bericht in anderer Weise zu erklären. Derselbe enthält zu viel auf der Hand liegende Unmöglichkeiten und Ungeheuerlichkeiten, deren kleinste noch die ist, daß Sie 146 uns zumuthen, am Tage nach dem angeblich am Cap gefeierten Fest den von Ihnen allerdings als gedrahtet bezeichneten Bericht über dasselbe hier zu veröffentlichen. Das heißt denn doch, den Lesern allzu übermüthig den Unfug enthüllen, der in der Presse mit der Wahrheit und der Wahrscheinlichkeit speciell auf dem Gebiet der Berichterstattung getrieben wird.

Zum Ueberfluß wollen wir Sie noch darauf aufmerksam machen, daß Sie nicht gut thun, über eine Oper zu sprechen, die Sie garnicht kennen. Indem Sie nämlich mittheilen, daß zur Feier des Tages auch am Cap die Oper »Olympia« gegeben worden sei, schreiben Sie eine Kritik dieses Werkes, aus der hervorgeht, daß Sie annehmen, das Libretto sei der Neuzeit entnommen und behandele die – Ausgrabungen Schliemanns! In Folge dessen sprechen Sie von den Chören der Ausgräber, von den gewaltigen Gesangsnummern, mit welchen die Rollen Schliemanns und Virchows ausgestattet seien, u. s. w. Das Alles mag Ihrer Phantasie Ehre machen, unserem Blatt hätte es aber wahrlich wenig genützt und eine Menge Abonnenten gekostet.

147 Es ist überhaupt bedauerlich, daß Sie so gerne von Ihrer Aufgabe abschweifen. Wir bitten Sie, derselben im Gegentheil Ihre ganze und ungetheilte Aufmerksamkeit zu schenken, und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, 19. Juni 1879.

Dank der Ruhe, welche ich gewissermaßen mit der Mutterflasche eingesogen habe, Dank auch dem Gefühl, daß es langweilig ist, Eulen nach Athen zu dreschen, schweige ich über Ihren werthen Brief, der wohl geeignet war, mir einen Ausruf des Harnisches zu entlocken, und dies denn auch redlich gethan hat. Wenn ich aber schilderte, wie tief Sie mich verkennen, so bliebe kein Krokodil thränenleer.

Im ersten Augenblick hatte ich eine Stunde lang die Absicht, meiner Stellung ein Ende zu machen. Ich lief in meinem Zimmer von Pontius zu Pilatus, ohne zu einem Entschluß zu kommen. Zum Glück wird, wie es im Volksmund heißt, Nichts so heiß gesponnen, als es gekocht wird, und so beruhigte ich mich denn allmälig, mich mit dem ewig wahren Wort des Dichters tröstend:

»Das ist das Loos des Schönen auf der Erden,
Daß es fortzeugend Böses muß gebären.«

Aber etwas mehr sollten Sie doch davon überzeugt 148 sein, daß ich von meiner Aufgabe mindestens ebensoviel, wie Sie, verstehe. Mancher Kriegsberichterstatter, der seine Creditbriefe nicht verzehren kann und für jede Schlachtlinie mehr bekommt, als ich für ein ganzes Gemetzel, – er reicht mir dennoch nicht das Wasser bis zur Taille. Das klingt – verzeihen Sie das harte Wort! – selbstbewußt, und mir ist Eigenlob ganz gewiß kein Nasenschmaus, aber ich habe auch nicht Lust, mein Licht fortwährend unter das Veilchen gestellt zu sehen. Ich will nicht in den Himmel gehoben sein, aber auch nicht aus demselben, ich will weder über-, noch unterschwenglich gelobt sein. Dies ist mein letztes Dixi in dieser Sache. Können Sie meinen Stiefel nicht vertragen, so bedenken Sie, daß wir nicht wie die todten siamesischen Zwillinge miteinander leben, sondern daß Jeder dem Andern den Rücken vor seiner Thüre kehren kann.

Weshalb, um schließlich auf Ihren Tadel speciell einzugehen, am Kap nicht die goldene Hochzeit des Kaiserpaares gefeiert worden sein soll, das ist mir unbegreiflich. Am 11. dieses Monats war der Kaiser für die ganze Welt ein halbes Säculum lang verheirathet. Oder glauben Sie etwa, daß, weil vor fünfzig Jahren die Nachricht von dem stattgehabten Traualtar etliche Monate brauchte, um nach dem Kap zu kommen, der am Kap wohnende Deutsche erst etliche Monate später die Hochzeit seines Kaisers für eine echt goldene, und bis dahin nur für eine 23karätige hält? Wenn Sie dies wirklich glaubten, so fände ich keine Worte.

149 Glauben Sie aber, woran ich nicht zweifle, daß der 11. auch für das Kap der goldene Hochzeitstag war, so ist es unbegreiflich, daß Sie am folgenden Tag nicht den Festbericht bringen wollten. Die Hauptsache für einen Bericht ist keine Hexerei: die Geschwindigkeit. Ein Correspondent, der – sit venia docendi – nicht geschwindsüchtig ist, kann sich mit aller Druckschwärze, die er verbraucht, nicht von dem Vorwurf reinwaschen, nur ein halber Mensch zu sein, wogegen ich meinen Stolz darin suche, als Fisch und Fleisch geschätzt zu werden.

Doch, ich will Sie nicht überzeugen, meine Vertheidigung soll nichts als ein Asphalt auf die Wunde sein. Zur Erinnerung an die goldene Hochzeit aber bitte ich Sie um 2½ Doppel-Kronen = 50 Mark. Seit dem letzten Mal habe ich keinen Vorschuß von Ihnen erhalten!

* * *

Kap-Ufer, den 1. Juni 1879.

W. Der Sommer ist gekommen, mit ihm die selige Saison. Die Sonne macht die Gurke sauer, und ihre Strahlen stellen Alles in den Schatten, was sie jemals geleistet haben. Ich kann es selbst in dem Kapkeller, in den ich mich geflüchtet, vor Hitze nicht aushalten. Im Freien brütet der Wendekreis des Hundsterns, und der Samum fegt wie ein neuer Besen so gut über die Ebene und über einzelne vom Zahn der Zeit gebleichte Skelette, daß kein Auge sandleer bleibt.

150 Der Leser hat wohl keinen Begriff von dem, was hier Sommer heißt. Es ist so schwül, daß es die Menschen eiskalt überläuft, und wie die Menschen, so leiden Thier und Vieh. Die Hundswuth mag schlimm sein, aber die Kameelwuth, gegen welche es keine Steuermarke giebt, ist thatsächlich das Tollste, was man sehen kann. Daher auch die Unreinlichkeit der Kaffern, welche jetzt mehr als vorher wasserscheu sind und wie die Fliegen vom Heliosstich heimgesucht werden. In der Natur herrscht Schwüle und Stille, die Tag- und die Nachtigall schweigen, über allen Wipfeln ist Ruh, in allen Gipfeln spüre ich kaum einen Hauch, und die Löwen sind zu träge, um auf die Jagd zu gehen, als sollten ihnen die gebratenen Antilopen in's Maul fliegen.

So ruht auch die Politik. Die Ferien haben begonnen. Die beiden Heere feiern und gönnen dem Hahn seine Ruh. Hier und dort mützelt wohl eine Schaar, indeß zieht sie sich bald wieder zurück, und es herrscht abermals die tiefste Friedenspfeife, eine Ruhe, welche ich zwar mit dem Gatten der Marquise Posa in Schiller's Don Carlos als Kirchhöflichkeit bezeichnen möchte, die aber jedenfalls die Stagnation in Fluß gebracht hat. Freilich, freilich, diese Zeit wird wohl auch dazu benutzt, beide Heere bis an die blutige Scene zu bewaffnen, welche mit Eintritt der kühleren Jahreszeit wieder zu erwarten ist, immerhin aber ist der Tag ereignißlos, und der Berichterstatter darf sich nach aufreibender Thätigkeit dem langersehnten Dolce Procul negotiis überlassen.


 << zurück weiter >>