Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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92 IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Als die Nachricht bei uns eintraf, das englische Cabinet habe den Vicekönig angewiesen, den Befehl zum Vorrücken gegen Afghanistan zu geben, und es hätten die ersten Operationen der englischen Armee begonnen, erwarteten wir mit begreiflicher Ungeduld eine hervorragende Leistung aus Ihrer Feder. Diese Erwartung war, wie Sie zugeben werden, keine unbillige. Aber wir hatten uns getäuscht. Sie senden uns für unser Feuilleton die ersten Capitel Ihres Werkes: »Fürst Gortschakow und seine Leute während des Krieges mit der Türkei. Nach Tagebuchsblättern von Wippchen.« Wir haben uns die Mühe genommen, das Manuskript durchzulesen, da wir eine Travestie des bekannten Buchs von Moritz Busch vor uns zu haben glaubten. Aber wie erstaunten wir, als wir dahinter kamen, daß 93 Sie der Welt in allem Ernst erzählen wollten, Sie hätten während des ganzen orientalischen Krieges den russischen Staatsmann als »Indiscretär« begleitet und hätten jedes Wort, das er gesprochen, aufgeschrieben. Abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit des Ganzen, – bekanntlich hat der Fürst Gortschakow das Heer gar nicht begleitet, – so glauben Sie, mit Aufzeichnungen Busch's auch hinsichtlich der angeblich von Bismarck über Humboldt, Jacoby u. A. gefällten abfälligen Urtheile gleichen Schritt halten zu müssen, und lassen nun den russischen Staatsmann über alle europäischen Dichter, Künstler, Philosophen, Volksvertreter, Professoren &c. &c. eine Reihe der gräulichsten Injurien aussprechen, welche den Leserkreis empören würden.

Wir glauben, Ihnen in Ihrem eigenen Interesse rathen zu sollen, Ihre Tagebuchsblätter einfach zu verbrennen und sich wieder Ihrer eigentlichen Aufgabe zuzuwenden. Veranlassung dazu ist diesen Augenblick vorhanden: der englisch-afghanische Krieg hat begonnen. Hoffentlich ist Ihnen diese Thatsache inzwischen bekannt geworden, und wir erhalten schon morgen eine Schlacht. 94 Im andern Fall bitten wir Sie, sofort die Zeitungen zu lesen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, 28. November 1878.

Wie Zeus, als Schiller die Erde theilte, »Was thun?« rief, so auch ich. Ich sandte Ihnen meine sauer erschriebenen Tagebuchsblätter, und Sie rathen mir, ich möge sie der Feuersbrunst übergeben, – was thun? Ich kann Ihnen nicht die Börse oder das Leben auf die Brust setzen und Sie auffordern, sich für eines von Beiden zu entscheiden, ich bin nicht in der Lage, Sie zu zwingen, von zwei Zipfeln meiner Toga den kleinsten zu wählen. Ich weiß nur, daß meine Tagebuchsblätter weder Lari, noch Fari sind, wohl aber, daß sie ein großes Aufsehen erregt hätten. Zugeben will ich, daß ich damit um einige Jahre poster festum hätte kommen müssen. Ich kam zu frisch. Noch ist auf meinem Buch nicht Gras genug gewachsen. Aber schon, wenn Sie und ich 1880 schreiben, wird mein Buch bei seinem ersten Erscheinen wie beim Bäcker die Semmel gelesen werden. Kein Mensch wird dann fragen, ob Alles Wahrheit oder – verzeihen Sie das harte Wort! – Phantasie ist. Die Urtheile über die europäischen Größen, speciell über solche, welche bereits, in Marmor gegossen, verewigt worden sind, werden dann alle Zwerch- und Riesenfelle erschüttern, oder aber ein frenetisches 95 Achselzucken hervorrufen. So z. B. das Urtheil über Diogenes, von dem ich Gortschakow sagen lasse, derselbe sei ein Säufer gewesen, welcher manches Oxhoft leer gewohnt habe, oder das über Goethe und Schiller, welche ein Paar Venüs genannt werden. Ich höre ja förmlich, wie mancher Homer vor Gelächter nicht schlafen kann, wenn ich einen Knees, welcher bei dem Chef im Hauptquartier speist, Lessing's Nathan als einen alten dürren Juden bezeichnen lasse, während an einer anderen Stelle Shakespeare ein gewöhnlicher Dramenreißer genannt wird. Auch an allerlei Büchmann über lebende Diplomaten habe ich es nicht fehlen lassen, indem Allen in der tiefsten Indiscretion eines auf den Leumund gegeben wird. Und wird der Leser nicht jedes Lieblingsgericht des Fürsten verschlingen? Jeder will wissen, ob der Chef gestern gebackene Oceanzunge gegessen hat, und ob er morgen an den Hecht oder an die Scholle gebunden sein wird, man ist neugierig, was für einen Schnaps er zum Gilka trinkt, welche Wittwe er dem Clicquot vorzieht, was für Cigarren er raucht und schnupft, und welche Gebetbücher er im Dunklen liest. Kurz, ich bot Ihnen ein Werk an, welches Ihre Abonnenten um ein Bedeutendes vergrößert hätte, und Sie lehnten es ab, denn Sie sind eben ein sonderbarer Posa. Aber ich werde Sie gewiß nicht bitten, mein Werk zu drucken, – lieber würde ich von trockenem Wasser und Brod leben!

Nun zu etwas Wichtigerem. Daß der afghanische Krieg begonnen hat, erfuhr ich bereits vorgestern in der 96 gutunterrichteten Bahnhofsrestauration. Sofort entwarf ich einen Kiepert von Afghanistan, welcher bekanntlich in keinem Weltblatt fehlen darf. Ich habe sämmtliche Städte, Flüsse, Berge und Pässe, welche mir einfielen, so placirt, daß die Druckerei die Namen bequem setzen kann, und das ist doch wohl die Hauptsache. Auch einen See habe ich angebracht und zwar in einer Gegend, die ich sonst hätte leer lassen müssen, was nicht gut ausgesehen haben würde. Den Pandschab schied ich durch den Indus scharf von Afghanistan. Das Hindukusch-Gebirge legte ich so, daß es absolut nicht im Wege steht. Nicht weit von Persien ließ ich einen freien Platz von praeter 4000 bis propter 5000 Quadratmeilen, wo die Würfel ganz bequem fallen können und wo ich mir die Entscheidungsschlacht denke. Ich rede mir nicht ein, eine Generalstabskarte geliefert zu haben, dazu fehlt mir auch die Alles nivellirende Zeit, – einige kleinere Städte und Pässe sind z. B. garnicht angegeben, und ebenso habe ich das Land im Süden nicht bestimmt genug gegen Balutschistan abgegränzt, – indeß kommt es doch in der Journalistik zuvörderst darauf an, daß man früher als andere Blätter eine Kriegskarte bringt, die ja dann weder geprüft noch benützt wird.

Um nun auch von einer anderen Karte, nämlich von einer Posteinzahlungskarte zu sprechen, ersuche ich Sie um einen Vorschuß von 50 Mark. Der Cours der englischen Non olets ist 20,45. Hoffentlich genügt Ihnen diese Summe.

* * *

98 Khyber-Paß, den 21. November 1878.

W. Der Hahn war noch nicht aufgegangen, als mich die Fußtritte der vorgehenden britischen Soldaten weckten. Ich zog rasch meinen Revolver an und folgte der Vorhut. Bald erreichten wir eine Anhöhe, von wo wir die Afghanen ihre Wache höhnisch aufziehen sahen, auf welche wir um 10 Uhr ein Plänklerfeuer eröffneten. Der Feind ergriff das Retiradenpanier. Nun warf das Fort Ali-Musjid mit Granaten, weshalb wir nichts als Halt machen konnten, um unsere schwere Artillerie abzuwarten. Diese kam um 1 Uhr, und nun gab ein Vierzigpfünder den andern. Von allen Seiten wurde gegen das Fort vorgegangen, dessen Feuer immer einsilbiger und endlich ganz zum Schweigen gebracht wurde. Erst als der Mond anbrach, ruhten unsere Operationen und bivouakirten die Truppen, welche God save the Queen (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen: Vivat sequens) sangen.

Morgen telegraphire ich Ihnen aus Dschumrud, daß die Afghanen im Laufe der Nacht Ali-Musjid räumten und daß die Engländer Besitz von der starken Festung nahmen, ohne irgend etwas anderes zu thun, als keinen Schuß.


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