Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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123 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihr jüngster Bericht ist ein neuer Beweis dafür, daß Sie die Absicht haben, den Lesern die Episoden des deutsch-französischen Krieges in einer etwas veränderten Form, gewissermaßen in's Zulu'sche übertragen, vorzuführen. Das mag insofern nicht übel sein, als es Ihr Gedächtniß bewundern läßt, aber die Leser werden doch auf die Dauer kaum mit derlei Wiederholungen zufrieden sein, im Gegentheil bald dahinterkommen, daß Sie sich die Arbeit doch zu bequem machen, und es wird dann an spöttischen Bemerkungen nicht fehlen. So haben Sie z. B. auf Grund der Nachricht, daß der Sohn Napoleons nach dem Kriegsschauplatz abgereist ist, und die Ankunft des jungen Mannes als bereits vollzogen annehmend, ein zweites Saarbrücken geschildert, bei welcher Gelegenheit Sie aus dem Telegramm des Kaisers 124 Napoleon an Madame Eugenie wörtlich citiren: »Louis hat sich eine Kugel aufgehoben, die bei ihm niederfiel. Die Soldaten vergossen Thränen, als sie ihn so ruhig sahen.« Von einem solchen Bericht konnten wir keinen Gebrauch machen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 13. März 1879.

So ist die Welt! In der Undankbarkeit (Rara avis au lecteur!) macht Keiner eine Ausnahme!

In sechszehn Jahren wird es noch kein Viertelsäculum her sein, daß der glorreiche Mars zwischen Deutschland und Frankreich entbrannte, und heute schon hören Sie die Erinnerung an die Episoden desselben mit scheelen Ohren an. Bereits bei der ersten und unbedeutendsten – denn das ist Saarbrücken, wo Napoleon seinen Sohn aus der Feuertaufe hob – sind Sie wie eine Löwin, der man die Jungen und Mädchen raubt.

So ist die Welt! Vor noch nicht neun Jahren erhob sich Deutschland aus seinem tiefen Bundestag und trieb Frankreich vor sich her, daß dieses wie Augustus schrie: »Pharao, Pharao, gieb mir meine Legionen wieder!« und heute? Nun, heute muß man einsehen, daß die Begeisterung – verzeihen Sie das harte Wort! – kein Pökelfleisch ist.

125 Um Ihnen aber zu zeigen, wie ernst ich meine Aufgabe auffasse, sende ich Ihnen angebogen meine neueste Photographie. Ich würde Ihren Horizont überschreiten, wollte ich die Mühe schildern, welche es mir machte, dem Photographen so zu sitzen, wie ich hier stehe. Zuvörderst war es ganz unmöglich, hier, da die Maske möglichst getreu werden sollte, die Uniform eines einigermaßen eingeborenen Zulus aufzutreiben, weil die Zulus ja bekanntlich keine Uniform tragen. Als ich dem Photographen sagte, daß ich als Kaffer photographirt zu werden wünschte, antwortete er, ich sollte nur Platz nehmen. 126 Ich fühlte, wie mir vor Zorn der Puter in's Gesicht stieg, verbat mir jede Beleidigung und sagte, daß ich mir das Vergnügen machen würde, wieder vorzukommen. Ich legte alsdann selbst Hand an mich und bestrich – sit salva venia verbo! – wenigstens meine Vorderseite mit chinesischer Tusche. Der übrige Schmuck war rasch angeschafft. Nur ein Schild fehlte noch. Als ich meine Wirthin fragte, ob sie dergleichen habe, brachte sie mir das Schild eines Frühstückskellers, auf welchem Schinken, Eier, Weißbier und ähnliches Stillleben und die Worte: »Hier können Familien Kaffee kochen« zu lesen waren. Ich verzichtete homeirsch und verschaffte mir auf anderem Wege Schild und Lanze. So begab ich mich zu dem, beiläufig bemerkt, drei Etagen hohen Photographen, welcher alsbald mir versprach, daß das Bild vortrefflich werde, wenn er nicht lache. Und nach zehn Minuten lag ich schon im erfrischenden Silberbade.

Ich hätte mich gerne noch zu Kameel photographiren lassen, aber es war hier keines aufzutreiben. Als ich in einer größeren Handlung nachfragte, erhielt ich die Auskunft, ich sollte machen, daß ich davonkomme, es schicke sich nicht, ordentliche Leute wie eine Uhr aufzuziehen, ich sei selbst ein Kameel. Damit wies man mir den Zimmermann. Herzlich grüßend und bittend, mir das Kameel nicht nachzutragen, ging ich davon, und damit hatte ich jedes weitere Suchen ganz unförmlich dick bekommen.

So nehmen Sie mich denn zu Fuß.

127 Wenn Sie mir nun 3 Portraits des Kaisers von Deutschland auf 20-Markstücken als Vorschuß schicken, so würde ich auch 4 mit Vergnügen nehmen.

* * *

Englisches Hauptquartier, den 1. März 1879.

W. Ich schmeichle mir, mir niemals zu schmeicheln, aber daß ich keine Mühe scheue, um meine Pflicht als Berichterstatter zu erfüllen, das müßte mir selbst der Feind lassen, wenn ich einen solchen hätte. So bin ich denn sofort, als die Fama sich verbreitete, der Prinz Napoleon sei an's Kap gestiegen, von Isandula aufgebrochen, um rechtzeitig hier einzutreffen.

Der Weg war furchtbar. Die Hitze überstieg jeden Reaumur. In den wenigsten Oasen fand ich Relaiskameele, und so mußte ich den apostolorum nur zu oft per pedes zurücklegen. Gestern um die Mittagsstunde erhob sich plötzlich eine fürchterliche Sandhose, und nur, indem ich durch Zufall zwischen ihren Beinen durchschlüpfte, entrann ich mit knapper Noth dem Schooße eines plötzlichen Abrahams.

Noch diesen Augenblick überläuft es mich brühkalt, wenn ich daran denke, daß ich nahe daran war, in den Sand beißen zu müssen und spurlos zu verschwinden. Ich verdoppelte schaudernd meine Füße und – da bin ich.

Man kann sich denken, daß man hier nicht mit rosigen Augen dreinschaut. Die Engländer glaubten, daß ihr 128 schwarzer Feind nach ihrem Venividivici tanzen, und daß ihm, wenn sie den ersten Schuß laut werden ließen, das Herz in's Bockshorn fallen würde. Sie täuschten sich. Die Zulus brachten ihnen eine vollständige Pyrrhusschlappe bei, – noch eine solche, und sie sind verloren. Man erzählt, daß ihr Oberstkommandirender Lord Chelmsford im entscheidenden Moment ausrief: »Ich wünschte, es wäre Abend, oder Lulu käme!« So groß war seine Noth!

Sein Wunsch ist erfüllt. Der Prinz, den Napoleon III. über dem Herzen getragen, ritt so eben an's Land. Er sah, da er die Seekrankheit gehütet hatte, blaß aus und trug Civilkleider. Die englische Generalität war ihm entgegengegangen, begrüßte den Prinzen und sprach das Bedauern aus, daß er nicht früher gekommen sei, da sie so die Niederlage ohne seine Hülfe herbeiführen mußten. Aber die Engländer hofften, daß er auch ferner den Ereignissen fern bleiben und einen etwaigen Sieg nicht durch sein persönliches Eingreifen stören würde. Napoleon war sehr gerührt und antwortete: »Meine Herren, die Kugel, die mich treffen wird, ist noch nicht gegossen, aber ohne Zweifel wird Europa binnen zehn Jahren kosakisch oder republikanisch sein. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist freilich nur Ein Schritt, ich erinnere Sie jedoch daran, daß nicht nur jeder französische Soldat den Marschallsstab in seinem Tornister trägt, sondern daß auch das Kaiserreich der Friede ist. So stehen wir am Vorabend eines großen Ereignisses, und die Krönung des 129 Gebäudes kann noch Alles wieder in's alte Geleise bringen! Bedenken Sie vor Allem, daß von diesen Höhen vierzig Jahrhunderte Sie betrachten!« Man sieht, der junge Mann hat von seinem Vater und dessen Onkel etwas gelernt.

Von allen Schiffen donnerten die Matrosen, während Lord Chelmsford, welcher den Beinkleiderbandorden trug, seinen jungen Gast mit einem weithinschallenden Händedruck umarmte. Der Prinz vermochte kaum Rule Britannia anzustimmen, so gerührt war er.

Abendessen und Tanz schlossen das schöne Fest. Weitere Quid novi wüßte ich für heute ex Africa nicht mitzutheilen.


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