Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Aus Klio's Notizbuch.

Die Rechtfertigung des Eroberers.

                       

Auch ihn, den Grimmen mit der Eisenstirn,
Den Kriegsgewaltigen und Völkerwürger
Nebukadnezar fand zuletzt der Tod.
Und als nun durch die unterirdischen Hallen
Sein Schatten wankte, stürzten Tausende
Und aber Tausende von bleichen Seelen,
Die Fäuste ballend, fluchend ihm entgegen
Und schleppten Rache heischend ihn zum Richter.

Auf hohem Throne saß der strenge Baal,
Von zwanzig Engeln mit gezücktem Schwert
Umringt. Zu seinen Füßen lagen Löwen.
»Kannst Du den tausendfältigen Mord bestreiten?«
»Ich kann es nicht,« erwiderte der Feldherr.
»Kannst Du entschuldigen, was Du gethan?«

»Ich kann's.« »Womit?« »Das Meer von Blut und Jammer,
Das auf der Erde quillt von Ewigkeit,
Hab' ich gegossen in Kanäle. Zwar
Durch die Kanäle wälzte sich der Jammer,
Doch längs den Ufern blühten Recht und Ordnung.«

»Steh' auf und setze Dich zu meiner Rechten.«

 
Asiatischer Trost.

         

Im Schoß der göttlichen Semiramis
Rief Moloch: »Fordre, es ist Dein.« »Gebieter,«
Erwiderte sie schmeichelnd: »Leihe mir
Auf einen einzigen Tag des Weltreichs Scepter.«
Dann sprang sie auf und, eine weiße Taube
Zum Orkus sendend, schrieb sie den Befehl:
»Bindet den Tod und werft ihn in den Kerker.«

Da tobt' ein Aufruhr schäumend gegen Himmel:
»Was raubst Du uns den Trost, den einzigen,
Der der gequetschten Ohnmacht bleibt: den Trost,
Mit haßerfülltem Blick mit anzusehen,
Wie auch in Pharaoneneingeweiden
Der Tod mit unbarmherzigen Fäusten wühlt,
Den Trost, zu wissen, daß die Würger wechseln.«

»Herr, nimm zurück das Scepter,« seufzte sie.

 
Gläubige Frivolität.

           

Ein traulich Abschiedsfest gab Delphi's Priesterschaft
Dem edlen Spender Kleisthenes. Die Pythia selbst
Kredenzt' ihm huldreich lächelnd den geschenkten Becher.
Dankend verneigte sich der Spötter: »Heilige Jungfrau,
Leih' mir aus Deinem schönen Mund der Götter Segen.«
Pythia errötete. Dann rollte sie die Augen:
»Die Götter segnen jenen, der da glaubt.« »Ich glaube,«
Rief Kleisthenes und, in der Heimat angelangt,
Ergriff er einen Stock und rührte zukunftsgläubig
Zu frechem Gas und Most die altehrwürdige Satzung.

Die Götter segneten's. Der Rühricht ward Athen.

 
Europäisches Signalement.

               

Die beiden Flotten ankerten vor Salamis.
Nachts durch die Reihen schlich, die Wage in der Hand,
Der Götterfürst, begleitet von den stummen Moiren.
Mit scharfen Richteraugen prüften sie und wogen
Der Völker Wert und ihrer Führer Wucht und Größe.

Da sprang aus eines Feldherrnzeltes Fackelschein
Ein Riesenschatten, weithin durch die Mondnacht schwankend.
Kühn war der Schattenriß, doch spöttisch die Bewegung.
»Wes Namens ist das Bild?« frug Zeus. »Themistokles.«

Die Thür der Zeltwand mit verstohl'nem Finger rückend,
Belauerte der Götterfürst des Bildes Urbild.
Dann wandt' er sich zurück: »'s ist eine neue Art,
Das ist Europens, der Geliebten, edles Merkmal:
Verstand, der scherzt, und Größe, welche lächelt.« Sprach's
Und in die Schale der Hellenen hüpfte Nike.

 
Der Mechaneus.

       

Dem reichen Krösus Ziegenmilch zu spenden,
Beeilte ehrerbietig sich Arkadien.
Und als nun nach empfangenem Gastgeschenk
Die Abgesandten in des Königs Sänften
Durchschaukelten die Stadt und Burg von Sardes,
Die Bauten musternd, den Gewerbefleiß
Und all' die Wunderwerke der Gesittung,
»Großmütiger König,« riefen sie begeistert,
»Wer ist der Mechaneus, der dies erschaffen?«

An eine Straßenmauer führte sie
Der König. »Pocht an diese Wand!« Sie thaten's.
»Nun horchet!« Sie gehorchten. »Was vernehmt Ihr?«
»Wimmern und Seufzen von Myriaden Stimmen.«
»Begreift Ihr?« »Wehe, wir begreifen nicht.«
»Das war der Mechaneus,« erklärte Krösus.

 
Historischer Adelsklub.

             

Zu seinem Bruder Pluto sandte Zeus:
»Entbiete mir zu meinem Namensfest
Auf den Olymp die großen Toten sämtlich;
Unsterbliches Verdienst ist auch ein Adel.«

Klein war der Saal, erlesen die Gesellschaft.
Als Schibboleth anstatt der Wappenschilder
Diente das Antlitz. Nämlich alle wiesen,
Ob noch so uneins an Profil und Ausdruck,
Doch ein gemeinsam Muttermal im Antlitz,
Das Muttermal des Mutes und der Wahrheit.

Da that sich auf die Thür und feierlich
Mit hohepriesterlichem Schritt, die Toga
In wichtigen Falten um die Brust geworfen,
Die Stirn bekränzt, das Lockenhaar gescheitelt,
Erschien ein Gast, den hohen Göttern ähnlich.

Befremden lähmte die Versammlung. Hera,
Die Brauen zuckend, biß sich auf die Lippen.
Zeus aber, freundlich vor den Fremdling tretend:
»Fürwahr, es thut mir leid, ein Mißverständnis –«
Dann wettert' er zu Pluto: »Ohne Spaß,
Mein lieber Bruder, ernstlich, solche Possen
Verbitt' ich mir.« Wieso? »Das war der große –«
Mit heftiger Stimme unterbrach ihn Zeus:
»Ein feierlicher Kerl ist niemals groß.
Behalte das und merk' Dir's für die Zukunft.«

 
Berufung.

           

Es rauschte durch die Luft wie Adlerflug
Und wetterleuchtend stieß herab der Engel:
»Nimm dieses Bußgewand und folge mir!«
»Wohin?« – »Mit Ruten weis' ich Dir den Weg.«
»Um welchen Lohn?« – »Ein Biß von Odins Rappen
Oben am Kreuzweg, wo der Erdenpaß
Die Götterstraße schneidet.« »Und das Ende?«
»Ein Sturz vom Gipfel jenseits in den Abgrund.«
»Dein Wort ist Hohn, empfange Spott zur Antwort!«

Doch um den Waldsprung schlich er unbemerkt
Zurück zum Engel, zupfte seinen Mantel:
»Ist's Wahrheit, werd' ich spüren Odins Rappen?«

 
Camera obscura und bengalische Beleuchtung.

             

Ein Name klang aus aller Munde. Redeströme
Flossen zu seinem Preis. Gewichtige Magistrate
Und Generäle saßen neben stolzen Fraun
Andächtig schweigend auf der sammtbeschlag'nen Bühne.
Und als nun unter Hörnerruf und Trommelwirbel
Des Denkmals Hülle fiel, da schwoll ein Jubelbrausen
Durch die gewaltige Menge, und dem fernsten Thal
Verkündet' es der Ruhm mit Glocken und Kanonen.

Ein gläubig Büblein floh mit glanzerfülltem Blick
Auf einen Hügel ob der Stadt und fingerte
An einem Lebenswerk mit seinem zarten Willen.
Da tippt' ihm jemand auf die Schulter: »Büblein, guck'!«
Und hielt ein Glas ihm vor die Augen. Durch das Glas
Gewahrt' er einen Pilger, welcher müd' und krank
Am Straßenrande saß, das greise Antlitz stützend.
Viel Volk zog jene Straße, denn es war ein Festtag.
Zahlreiche Wagen rollten ab und zu. Darinnen
Geputzte Herrn und Fräulein, die den schnippischen Mund
Verächtlich vor ihm rümpften. Redliche Soldaten
Versagten ihm den Gruß. Der scheele Blick des Landvolks
Versprach ihm Haß. Jetzt trat ein ehrenfester Bauer
Ingrimmig vor den Pilger, faßt' ihn an der Brust
Und stieß den Todesmatten auf die Straße, wo
Verwünschung ihn empfing und Haß und Fluch ihm folgten.

»Behagt Dir dieses Bild?« Da schauderte das Büblein:
»Wer ist der Dulder?« Jetzt das Glas dem Aug' entrückend:
»Hörst Du den Namen, den sie heute schrein? Der war's.«

Da schämte sich und schlich verstört nach Haus das Büblein.

 
Schlechte Gesellschaft.

                           

Kam eines Mannes Seele jüngst gegangen,
Der Erde Licht und Leben zu empfangen.
Im Thale Josaphat am Brückensteg
Vertrat ein Abgeschiedner ihm den Weg.
»Halt ein! Wohin?« Der Neuling sprach verwundert:
»Wieso? Warum? In's währende Jahrhundert.«
»Du könntest, darf ich meinen Rat empfehlen,
Dir eine bessere Gesellschaft wählen.

Es ist kein Mannesmark, es ist ein Teig,
Mit Fäusten tapfer, an Charakter feig.
Es fehlt der Mut, der im Gewissen sitzt,
Der freie Geist, der frisch die Wahrheit blitzt.
Duckmäuser, hinter die Moral versteckt,
Blinzelt ein jeder pfiffig nach Respekt.
Mit Anstand ist ihr Muckerherz befrackt;
Heucheln, das Wort klingt schlecht, drum nennt man's Takt.
Mit Oel und Andacht salben sie ihr Haupt
Vor einem Gott, an welchen keiner glaubt.
Prüd bis zur Zehe, bis zum Molekül,
Entbehren sie das erste Schamgefühl,
Das Schamgefühl, den Spiegel vorzunehmen,
Um vor der Weltgeschichte sich zu schämen.
Denn, was erstritten unsrer Väter Thaten,
Das haben sie verschachert und verraten.
Ich würd' mir's doch noch einmal überdenken
Und in ein redlicher Jahrhundert schwenken.


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