Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Der Handwerksbursch.

                 

Unendlich windet sich durch kahles Waldgerippe,
Im Nebel dampfend, aufwärts die verschneite Straße.
Gespenstisch unterleuchtet, brütet Sturmgewölk,
Und Krähenschwärme fallen auf die weißen Aecker.

Ein Handwerksbursche schleppt die wunden Füße ächzend
Die Hardt hinan. Durch seines Wamses Löcher beißt
Der Frost und aus den hohlen Wangen fletscht der Jammer.
Sein fieberhaftes Auge aber starrt fanatisch
Nach den Gesichten, die, vom heißen Herzenshunger
Gezeugt, ihn stets verfolgen auf der weiten Reise:
Goldstrotzende Gemächer, leckrer Speisebrodem
Und üppige Frauen, die sich liebreich zu ihm neigen.
Er schaut's und glaubt's, indessen Glockensymphonien
Und Engelchorgesang sein durstig Ohr bethören.

Im roten Buchentobel auf dem Waldeskamm,
Wo sich die Straße teilt, lehnt er den müden Rücken
Au einen Meilenzeiger, stiert vor seine Füße
Und ruht. Dann rüstet er zum Imbiß Brot und Messer,
Umschrien von einem Kranz von Krähen, denen er
Von Zeit zu Zeit ein Krümchen gönnt. Allmählich kehrt,
Vom Speisesaft belebt, ihm Mut und Wille wieder.
Er fragt den Meilenzeiger, prüft die beiden Wege:
Zur Linken liegt das Ziel. Mit klarer Stimme mahnen
Dorthin Verstand und Pflicht und die gebahnte Straße,
Die frei von Hemmniß und Gefahren in die leere,
Gleichgültige, bleierne Natur sich fern verliert.
Zur Rechten, wo der Kirchturm aus dem Felde ragt,
Schreckt ihn Gebell und protziger Bauern rohes Schelten.

Ihm bangt, ihn ekelt. Schnöd mit grobem Wort empfangen,
Sieht er im Geiste sich von Thür zu Thür verstoßen.
Er schaut den Bauern, der ihm stumm den Rücken kehrt,
Die Bäuerin, die ihn mit einem geizigen Rappen
Und einem giftigen Blick beleidigt, Knechtsgesinde,
Welches, zur Mitleidslosigkeit den Haß gesellend,
Mit Fäusten ihn bedroht. Dazwischen Polizei,
Verhör, Verwarnung, Wanderschriftenplackerei –

Und trotzig schlägt er sich zur Linken. Wenige Schritte,
So zaudern seine Füße. Dächer sieht er schimmern
Und Rauch zum Himmel steigen. Durch den Rauch erscheint ihm
Ein enges Stübchen, eine harte Bank, ein Glas,
Lagernder Männer Wechselwort von Krieg und Frieden,
Vielleicht ein Dirnchen auch, das mit erkaufter Huld
Zum sauren Wein ein falsches Lächeln ihm kredenzt
Und deren Atem seine Wange streift. Jetzt wendet
Er sich. Und aus dem Weltverließ, das ihn umstarrt,
Flieht er hinüber in die heimatliche, traute
Menschliche Schlechtigkeit und lebenswarme Bosheit.


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