Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Der Ketzer.

                     

Als der Bischof Leo seinen Imbiß nahm,
Da geschah es, daß ein Schuster zu ihm kam:

»Hab' mich je und je der Frömmigkeit beflissen,
Keine Beichte, keine Messe mocht' ich missen.
Aber heute muß ich Trost im Zweifel haben:
Nämlich letzthin, als den Vater wir begraben,
Und ich meditierend folgte seinem Sarge,
Neckte mich mit einem Lügenbild der Arge.
Mag nun noch so tief in Gott den Geist versenken,
Immer muß ich jenes Truggesichtes denken.

»Meinen Vater sah ich in dem Lügenbild,
Wie er leibt' und lebte, lieb und gut und mild.
Doch nicht eins und fertig, sondern vielgespalt,
Trug drei Häupter über dreierlei Gestalt:
Erstens, wie wir alle ihn zuletzt gekannt,
Krank und bresthaft und des Intellekts entmannt;
Zweitens, wie ich, folgend der Erinnerung Spur,
Ihn zuweilen schaute in Memoria nur,
Rüstig schreitend abends nach der Schusterzunft,
Was er that, war recht, und was er sprach, Vernunft.
Endlich als ein muntres Knäblein flink und frei,
Wie er überm Bette hängt im Konterfei.
Jetzo find' ich keinen gläubigen Christenschluß,
Was ich denken, was ich schaun und halten muß.
Etwas, das sich stetsfort ändert, ist nicht Ein
Und Verschiednes kann das nämliche nicht sein,
Vielheit aber widerstreitet der Person.
Nun begreift Ihr meinen bangen Zweifel schon.
Kann's nicht fassen, kann's nicht übereinbekommen,
Daß der Mensch wie Wind und Wasser sei verschwommen.
Müßt mich lehren, laß mich gerne ja bekehren,
Welches Antlitz soll als seines ich verehren?«

»Laß das Grübeln,« sprach der Bischof ärgerlich,
»Bet' ein Vaterunser und bekreuze Dich.«

*           *
*

Als der Bischof Leo aß sein Vesperbrot,
Stand der Schuster wieder da in seiner Not.
»Hab' die ganze Nacht gebetet heiß und tief,
Daß der Angstschweiß mir von Stirn und Wange lief.
Bleibt doch alles unversöhnt und unvergessen,
Kann's nicht lösen, kann ihm keinen Schluß entpressen.«

»Laß die frommen Fratres Dein Geständnis hören,
Werden hurtig Dir den Belzebub beschwören.«

*           *
*

Als der Bischof Leo saß beim Mittagsmahl
Kam derselbe Schustersmann zum drittenmal.
»Zwanzig fromme Fratres sprengten Guß auf Guß
Mir aufs sündige Haupt den heiligen Weihefluß.
Viele Stunden ohne Unterlaß und Ruh
Setzten sie dem Teufel auf Lateinisch zu.
Ist doch alles gleich, als wär' es nicht gewesen,
Kann nicht heilen, kann vom Zweifel nicht genesen.«

»Schalk, Du bist fürwahr ein Ketzer, weißt Du das?
Fahr' zur Hölle und gehab Dich Satanas!«

»Also,« schrie der Schuster, »das ist der Bescheid
Auf mein bänglich Fragen, auf mein Herzeleid?
Wollt als Ketzer meinen Namen Ihr verfehmen,
Wohl, so sollt ihr eine Ketzerei vernehmen:
Ei, Ihr Gaukler, ei, Ihr Belialspfaffen Ihr!
's ist ein Trost von Stroh, ein Glaube von Papier.
Hat die Kirche keine Arzenei vorhanden,
Wozu ist denn Christus schließlich auferstanden?
Eine Instituz, die nicht auf Wahrheit zielt,
Die sich vor den Rätseln feig beiseite stiehlt
Und sich vor dem Denken duckt ins Symbolum,
Ist ein Kinderplappart, ein Ridiculum.
Nennt Euch Priester oder nennt Euch Theologen,
Eure Botschaft, Eure Weisheit ist erlogen.«

*           *
*

Als der Bischof Leo schmauste die Collaz,
Da verbrannten sie den Schuster auf dem Platz.
Seufzend faltete der Bischof seine Hände:
»Friede seiner Asche, selig sei sein Ende.«
Munkelte alsdann von Christi Blut und Wunden,
Aß mit Appetit und ließ den Fisch sich munden.


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